86
«So schnell bist du noch nie gekommen.» Marion saß auf Otto und griff hinter sich. Sie zog die Decke über ihre Schultern und beugte sich nach vorn, um ihn zu küssen.
«Tut mir leid.» Otto drehte den Kopf zur Seite und hielt die Wange hin. «Wirklich.»
«So etwas gibt es.»
«Soll nicht.»
«Passiert aber. Hab ich schon erlebt.»
Otto sah Marion in die Augen. «Hast du?»
«Hmhm.» Marion löste sich von Otto und legte sich neben ihn. «Aber du kannst das schon kontrollieren. Oder? So ein bisschen …»
«Ein bisschen. Ja.»
«Musst du dann an was Schlimmes denken, wenn du noch nicht kommen willst?»
«Ach, hör doch auf …»
«Es interessiert mich eben.»
Nur wegen Marions Frage erschienen Otto diese Bilder von dem toten Jungen. Er starrte an die Decke.
«Das muss dir nicht peinlich sein.» Marion streichelte seine Brust. «Oder ist es genau umgekehrt? Wenn du unkonzentriert bist …» Ihre Hand ruhte. «Hast du Ärger auf der Arbeit? Ein Fall?»
«Ein Fall.» Otto starrte immer noch an die Decke. «Wir haben da überhaupt keinen Ansatzpunkt. Wirklich nichts. Das hab ich noch nie erlebt.»
«Aber du darfst natürlich nicht darüber reden.»
«Ach …» Otto drehte sich zu Marion. «Da ist ein Junge, der ist eine ganze Nacht verschwunden gewesen. Und dann am nächsten Tag tot gefunden worden. Und wir wissen nicht, wo er war. Dabei haben wir in den letzten Tagen das Dorf auf den Kopf gestellt.» Er fuhr mit der Hand zwischen Marions Beine, um sie zu streicheln.
«Jetzt ist’s zu spät dafür.» Marion zog seine Hand weg.
Otto legte sich wieder auf den Rücken.
«Komm», sagte Marion, fasste Otto an die Nase und drehte den Kopf wieder zu sich. «Red mit mir.»
«Eigentlich ist es was ganz anderes.»
«Birgit.»
«Nein.»
«Du willst Schluss machen.»
«Nein.» Otto lachte. «Es ist ein ganz anderer Fall.» Er blickte in Marions Augen.
Warten.
«Ein anderer Fall. Ich hab dir ganz kurz davon erzählt. Der Mosambikaner.»
«Den habt ihr abgeschlossen, oder?»
«Ja. Ich kümmere mich aber noch um ein paar Sachen.»
«Sachen.»
Otto erzählte Marion von den letzten Abenden. Wie er Heiko Silber gefolgt war. Einmal bis zu einer Wohnung in
Lichtenhain. Da wohnte einer, der genau wie Silber schon wegen Rowdytums aufgefallen war. Am nächsten Abend hatte er dann vergeblich gewartet. Entweder war Silber zu Hause geblieben oder er war gar nicht erst in Winzerla erschienen nach der Arbeit. Irgendwann war Otto das Warten leid gewesen. Und am Vortag war Silber schon wieder in Lichtenhain gewesen. Das Interessante daran war, dass der junge Mann, der dort noch bei seinen Eltern lebte, am 9. Oktober auch bei der Keilerei in Schwarza dabei gewesen war. Otto hatte das überprüft.
«Und?», fragte Marion, als er aufgehört hatte zu reden. «Was bedeutet das?»
«Ich weiß es noch nicht.»
«Aber du wirst es nicht auf sich beruhen lassen.»
Otto schüttelte den Kopf und küsste Marion.