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die Tür im Blick. Mein Vater müsste längst da sein, aber so ist das immer mit ihm. Ich denk mal, er will sichergehen, meine Mutter nicht zu treffen, und kommt extra zu spät. Das Dumme ist nur, dass meine Mutter ihn auch auf keinen Fall sehen will und mich deshalb mindestens zehn Minuten zu früh absetzt. Ist also nicht meine erste halbe Stunde, die ich alleine an einer Raststätte rumhänge. Heute ist nicht viel los. Am Fenster sitzen eine Frau und ein Junge im Bayerntrikot. Er spielt mit dem Zuckerstreuer, lässt kleine Häufchen auf den Tisch rieseln und saut alles voll. Dabei guckt er immer wieder rüber zu seiner Mutter, aber die tippt auf ihrem Handy rum und kriegt nichts mit. Die Frau hinter der Snacktheke starrt nach draußen auf den Parkplatz, stippt dabei ein Würstchen in den Senf und beißt ab, ohne hinzusehen. Ab und zu kommt jemand vom Klo und benutzt denIch war noch nie in seiner Wohnung. Mein Vater meint, das lohnt auch nicht, da gibt es nichts zu sehen, Bett und Fernseher, das wär alles. »Der Truck ist mein Zuhause«, sagt er immer, als wär er ein alter Seebär und mit seinem Schiff verheiratet. Ist vielleicht auch ein bisschen so. Er fährt schon länger LKW, als ich denken kann. Hat damit angefangen, kurz nachdem sie sich getrennt haben. Wir haben nie darüber gesprochen, aber ich stell mir vor, dass ihm das Unterwegssein hilft, nicht einzugehen. Wenn ich manchmal durch Demmin laufe, und da stehen Männer am Fenster, die sind auch nicht viel älter als er, und die schauen einfach auf die Straße, als ob das ihr Hobby wär oder so, da krieg ich Angst. Ich denk dann immer, dass ich jetzt eigentlich was Krasses machen müsste, vors Auto rennen oder randalieren, ein paar Mülltonnen umkippen vielleicht, damit die wenigstens irgendwas Interessantes gesehen haben an diesem Tag. Mach ich natürlich nicht, ist ja am Ende nicht mein Problem. Mein Vater jedenfalls bekommt auf seinen Touren genug zu sehen, der ist dauernd im Ausland — Polen, Tschechien, Slowakai, Ungarn. Irgendwann nimmt er mich mal mit, hat er gesagt. Kommt überhaupt nicht in Frage, hat meine Mutter dazu gemeint, aber die hat das ja nicht allein zu entscheiden.
Mein Vater rollt mit seinem Truck auf den Parkplatz, ich erkenne ihn sofort. Er hat keins dieser Namensschilder im Fenster, stattdessen baumelt da eine krüppelige Ananas, die ich in der vierten Klasse aus Pappmaché zusammengekleistert und mit blasser Tusche angemalt hab. War mein Weihnachtsgeschenk für ihn. Ich hab ihm schon gesagt, dass es okay für mich wäre, wenn er die jetzt langsam mal entsorgt. Da war er ganz entrüstet und hat gemeint, die Ananas ist sein Markenzeichen. Ich hoffe, die anderen Trucker machen sich nicht über ihn lustig.
Er stellt sich vor die automatische Schiebetür und macht den gleichen Witz wie immer: fuchtelt mit den Händen wie ein Magier und tut so, als ob sich die Tür durch seine Zauberkraft öffnet. Dann lacht er, dass sich seine kahle, tätowierte Kopfhaut ein Stück nach hinten schiebt, und kommt auf mich zu.
»Na, kleine Lerche, wie ist das Leben?«, fragt er, als er mich zur Begrüßung in die Arme schließt, wie immer ein bisschen zu fest und zu lang, als wollte er alle Umarmungen aufholen, die wir in den letzten Wochen verpasst haben.
»Hart!«, sage ich, er lacht, schiebt mich ein Stück von sich, fasst mich an den Schultern und schaut streng.
»Armes Ding. Kuchen?«
Ich nehme einen Brownie, mein Vater nur einen Kaffee, dafür schüttet er sich ordentlich Zucker rein. Das Gespräch ist zäh, so ist das meistens. Ich frage, wo er hinfährt, er fragt, wie es in der Schule ist, zwischendurch gibt’s längere Pausen. Wie geht’s deiner Mutter? Gut. Wie lange bleibst du da? Nur eine Nacht. Was macht ihr zu Ostern? Nichts Besonderes. Und du? Arbeiten. Er sieht müde aus. Das fällt mir immer erst auf den zweiten Blick auf, wenn das Begrüßungsstrahlen weg ist. Seine Augen sind leicht gerötet und werden ab und zu feucht, wenn ich was erzähle. Nicht, weil er vor Rührung weint oder so, sondern, weil er sich so bemüht, sie offen zu halten. Vielleicht wär das alles anders, wenn wir uns öfter sehen würden. Man kann halt an nichts anknüpfen. Ich meine, er hat mir letztes Mal erzählt, dass er zum Hautarzt geht und einen komischen Fleck angucken lässt, aber das ist jetzt drei Wochen her, da frag ich doch nicht, wie es war. Wenn er Krebs hätte, würde er es mir schon sagen. Er kippt seinen letzten Schluck Kaffee runter, dann klatscht er sich ein paar Mal mit den Handflächen auf die Wangen. »Müde?«, frage ich, und er lacht. »Du weißt doch gar nicht, was Müdigkeit ist!«
Wir schlendern zusammen über den Parkplatz, er will sich noch hinlegen, in zwei Stunden muss er weiter. Auf den Motorradstellplätzen steht ein Typ in Lederoutfit in der Sonne und isst belegte Brote aus der Tupperdose. Ich überlege kurz, ob ich von Benno erzählen sollte. Dass der bald bei uns einzieht. Dass der jetzt schon ständig irgendwas kocht, Curry oder Spaghetti Carbonara, und wir dann alle zusammen essen, als wären wir eine normale Familie. Dass der jeden Abend mit meiner Mutter vor dem Fernseher sitzt und fragt, ob ich nicht mitgucken will. Dass ich lieber in meinem Zimmer verschimmeln würde, als mit dem Wer wird Millionär? zu schauen. »Sonst alles gut zu Hause?«, fragt mein Vater. Wir bleiben stehen, sind an seinem Truck angekommen. Er drückt auf den Schlüssel, die Verriegelung öffnet sich. Ich nicke. Alles gut.
*
sie fühlt sich nicht wohl, der Kopf ist schwer, und immer wieder ist ihr schwindelig. Gleich nach dem Frühstück hat sie sich wieder hingelegt und ist erst vom Klingeln des Telefons wieder aufgewacht. Ob sich am Nachmittag Freunde von ihm die Küche ansehen könnten, wollte Steffan wissen. »Warum wollen die meine Küche sehen?«, hat sie gefragt, noch nicht ganz wach. Dass sie eventuell Interesse hätten, sie zu kaufen, hat Steffan erklärt. Den Rest des Vormittags hat sie damit verbracht, einzelne Rezepte auszureißen, bevor sie ihre Sammlung alter Kochzeitschriften ins Altpapier geworfen hat. Sie weiß, dass das sinnlos ist. Frühstück, Mittag, Abendbrot wird es im Speisesaal geben, zu festen Zeiten. »Da hat man Gesellschaft, ist doch schön!«, hatte die Heimleiterin gesagt. Auf dem Herd köchelt der Eintopf, sie hat zu viel gemacht, wird die ganzen nächsten Tage davon essen müssen. Normalerweise würde sie etwas einfrieren, aber wozu noch, sicher hat das junge Paar kein Interesse daran, den Eisschrank mitsamt ihrem Eintopf zu kaufen.
Sie isst langsam, hat keinen richtigen Appetit, und ihr scheint, als sei ihre Speiseröhre enger geworden, nur schwerfällig rutschen die Kartoffelstückchen hinunter. Seit sie mit Steffan im Keller war, muss sie immer wieder daran denken, wie sie mit ihren Schwestern dort unten saß und auf ihre Mutter wartete, die kleine Lotte auf ihrem Schoß, Liese auf der Matratze neben ihr, ganz still. Als sie endlich zurückkam, konnte sie es an ihrer Haltung sehen und an den zerzausten Haaren, vor allem aber an ihrem Gesichtsausdruck, der wie versteinert war, aber gesagt hat die Mutter nichts.
Sie lässt den fast vollen Teller stehen, bekommt nichts mehr herunter. Erst in drei Stunden werden die Leute für die Küche kommen, sie will sich nochmal hinlegen, ist schon wieder müde. Vielleicht hätten die Soldaten sie genommen, denkt sie, als sie sich auf die Bettkante setzt und ihre Pantoffeln abstreift. Hätte sie nicht unter den Decken versteckt gelegen, vielleicht hätten sie ihre Mutter dann in Ruhe gelassen und stattdessen sie mit nach oben genommen. Sie schlüpft unter ihre Bettdecke, zieht sie hoch bis zum Kinn, schließt die Augen. Vielleicht wäre dann auch alles andere nicht passiert.