Ich will nicht so geschmacklos sein, neuerlich zu wiederholen, dass ich kein Sammler bin, der leidenschaftlich oder gar besessen hinter ausgewählten Dingen her wäre, um sie in sein Haus zu schaffen und dort in eine besondere, ihnen und ihm gemäße Ordnung zu bringen. Allerdings hege ich gegenüber einigen Dingen, die wie von selbst den Weg zu mir finden, ein Gefühl, das Ehrfurcht zu nennen mich nur die Scheu vor großen Worten hindert, sodass ich es lieber als Anhänglichkeit bezeichne. Mich von solchen Dingen zu trennen bringe ich nicht übers Herz, was eine gleichsam passive Tätigkeit, ein aktives Erdulden darstellt, das mit dem tätigen, dem nach- und aufspürenden Sammeln wenig zu tun hat.
Eine Ausnahme gibt es, zugegeben, und der Leidenschaft des Sammelns dieser einzigen Sache bin ich ausgerechnet in der wiederkehrenden Einsamkeit von Hotels verfallen. Hotels sind merkwürdige Orte, im berühmten Zeichner F. habe ich sogar einen echten Sammler von Hotels kennengelernt, ging er doch nicht auf Reisen, um einen bestimmten Ort, sondern um ein bestimmtes Hotel aufzusuchen, in dem er noch nie war und in dem er endlich einmal logieren wollte; oder er kannte und liebte es und musste alle paar Jahre Nachschau halten, ob in ihm noch alles war, wie es sein sollte. Der Literaturkritiker H. wiederum, mit dem ich einst in Graz einen gemeinsamen Auftritt hatte, gestand mir anderntags, dass er, der als Kind armer Leute aufgewachsen war, nicht anders könne, als sich in Hotels beim Frühstück regelmäßig bis zur Übelkeit zu überfressen, denn das Buffet mit den aufgereihten Köstlichkeiten, bei denen er sich so lange bedienen könne, bis er wirklich nicht mehr könne, sei für ihn eine Versuchung, der er wider eigenes Wollen und besseres Wissen nicht zu widerstehen vermöge. Auch auf mich haben Hotels eine Anziehung, die manchmal so heftig ist, dass ich das gerade bezogene Zimmer ein paar Stunden lang nicht verlassen kann, selbst wenn ich mich auf den ersten Gang durch die Stadt schon lange gefreut habe.
Ich hatte es in zahllosen Hotels nicht benutzt, nicht einmal bemerkt, bis mir im Hotel Savoy in Mariehamn zum ersten Mal auffiel, dass im Bad ein mysteriöses Accessoire darauf wartete, von mir entdeckt, gewürdigt, benutzt zu werden. Ich war mit der Fähre aus Stockholm nach Åland gefahren, weil ich einmal auf dieser Inselgruppe gewesen sein und genächtigt haben wollte, die mich aus der Ferne schon länger faszinierte. Auf Åland und in Mariehamn, dem schön symmetrisch angelegten Hauptort, leben fast nur Schweden, sie sind aber finnische Staatsbürger, was sich nach Ende des Ersten Weltkriegs zwar gegen den Willen der Bewohner so ergeben hat, aber heute von deren Nachfahren rundum für eine akzeptable Sache, wenn nicht glückliche Fügung angesehen wird. Die Sprache und vieles, was in ihr erfahren und mit ihr erlebt wird, verbindet die Åländer mit Schweden, die Staatsbürgerschaft und vieles, was damit verbunden ist, mit Finnland, und wie mir jetzt vorkam, sind die meisten der sogenannten Finnlandschweden schwedische Herzens- und finnische Staatspatrioten. Für das Savoy, einen weißen, unansehnlichen Kasten hatte ich mich des Namens wegen entschieden, der mich an ein verlorenes, zerstörtes Mitteleuropa, an Joseph Roth erinnerte, dessen in Krakau angesiedelten Roman »Hotel Savoy« ich vor langem gelesen hatte. Obwohl das skandinavische Savoy einen ganz anderen Charakter hatte als Roths Hotel, in dem nach dem Zusammenbruch der alten monarchischen Ordnung die Gewinnler und Verlierer, die zwielichtigen Gestalten und heimatlosen Melancholiker der neuen Ära aus und ein gingen, fühlte ich mich in ihm doch gleich heimisch. Die Rezeption, an der ich oft länger verweilte, weil ein altersloser Portier wie ein strenger und doch geduldiger Pastor mir jede Frage nach dem Åländischen als Ideologie und Realität beantwortete, war kühn wie ein Bartresen in den Raum gebogen und barg an der Wand zahlreiche Flaschen mit hochprozentigem Alkohol.
Im Bad dieses Hotels hielt ich, ohne zu wissen, wie es geschehen war, auf einmal jenes Accessoire in Händen, das offenbar nichts als praktisch zu sein hatte und über kein weiteres Attribut zu verfügen schien. Es war die erste Duschhaube meines Lebens, und als ich sie aus dem winzigen Kartonwürfel hervorgeholt hatte, staunte ich, wie weit sich das zusammengeknüllte Stückchen Kunststoff knisternd aufbreiten ließ. Die Duschhaube ist ein praktisches, leicht zu übersehendes Utensil, das dem Reisenden nützt, in ihm aber, wenn er es sich über das Haar stülpt, auch leisen Ekel hervorrufen mag, der mit dem Material, aber auch mit dem Fehlen jedweder Spezifik des Objekts zu tun hat. Die reguläre Duschhaube ist weiß, durchsichtig, dehnbar, wasserundurchlässig und hat einen Gummizug. Frauen und Männer verwenden sie, damit ihnen im Hotel beim Duschen die Haare nicht nass werden, sei es, dass sie sich um die Fasson ihrer Frisur sorgen oder nicht mit nassen Haaren aus dem Haus treten möchten. Der Gummizug ermöglicht es, selbst kräftige Haarschöpfe und lange Mähnen unter den sich darüber blähenden Kunststoff zu stopfen, und wer sich je, ehe er unter die Dusche trat, mit einem Blick in den Badezimmerspiegel davon überzeugen wollte, ob auch wirklich all seine Haare unter der Duschhaube Platz gefunden haben, der wird wissen, dass der Mensch zu keinem blöderen Ausdruck fähig ist, als wenn er sich nackt und einzig mit einer Duschhaube bekleidet seiner Selbstbetrachtung hingibt.
Die Duschhaube ist ein Kleidungsstück der Einsamkeit, denn selbst dem langjährigen Ehepartner kann kein zivilisiertes Tier mit einer solchen entgegentreten, man legt sie sich erst an, wenn die Badezimmertür geschlossen ist, denn die Duschhaube, die das Haupt bedeckt, bietet den Menschen in einer Blöße dar, wie keine Nacktheit sie erzeugen kann. Es war der vollkommene Ausdruck der Geistlosigkeit, den ich im Badezimmerspiegel des Hotels Savoy an mir entdeckte, diese Leere, die mein wie verwischtes Gesicht zeigte, die mich der Duschhaube als dem Geheimnis des Gewöhnlichen verfallen ließ und in mir den Sammlertrieb weckte. Seither sammle ich dieses weiße, durchsichtige, wasserundurchlässige, dehnbare Stück ausfaltbaren Kunststoffs und nehme es mit, wo immer ich in Hotels seiner habhaft werde. Natürlich übt es einen aparten Reiz aus, Dinge zu sammeln, die sich so gleichen, dass man sie gar nicht auseinanderzuhalten weiß. Aber sind nicht alle Sammlungen aus Dingen gefügt, die einander ähneln, nur eben nicht wie eine Duschhaube der anderen, sondern wie ein Gemälde dem anderen, also immerhin im substantiellen Charakter der Bildhaftigkeit, der im Einzelnen natürlich ganz verschieden verwirklicht werden kann?
Duschhauben, wie ich sie sammle, sind keine Nutzgegenstände, keine von ihnen habe ich je verwendet. Ich habe es in meinem Leben nie zu einer Frisur gebracht, und schon gar nicht zu einer, die ich gegen die Einwirkungen von Wasser schützen müsste, und ich fürchte es auch nicht, mit feuchten Haaren ins Freie zu treten. Nein, ich sammle die kleinen Kartons und Plastiksäckchen, in denen die Duschhauben verwahrt werden, beschrifte sie mit der Angabe, wann ich sie wo erstanden habe, und verstaue sie in der hölzernen, mit gelbem Stroh ausgepolsterten Schachtel, in der mir einst drei Flaschen edlen Rotweins geschenkt wurden, und die ich nur aus dem Depot mit den Hygieneartikeln und Handtüchern hervorhole, wenn ich eine neue Trophäe nach Hause gebracht habe. Es liegt ein merkwürdiger Reiz darin, diese Objekte, die bar jeder Besonderheit sind und von Produktion und Benutzung etwas unüberbietbar Ubiquitäres haben, so mit Stationen meiner persönlichen Entwicklung verbunden zu sehen. Die Duschhaube ist nichts als ihr Nutzen, und gerade diese pure Zweckhaftigkeit macht sie zu einem schreiend lächerlichen Ding. Manchmal rede ich mir auf überspannte Weise ein, dass ich ihr, indem ich sie sammle, etwas zu geben versuche, was ihr wesenhaft fehlt und fehlen muss, nämlich eine Art von Biographie, eine Geschichte. Soweit ich weiß, bin ich der einzige Sammler von Duschhauben, und das macht mich manchmal überheblich, manchmal traurig. Vielleicht findet sich unter den Lesern und Leserinnen jemand, der es ebenfalls auf eine Kollektion von Duschhauben gebracht hat und mit mir in einen Austausch treten möchte, wie Sammler ihn benötigen. Fürs Erste hätte ich eine rare Duschhaube, Jahrgang 2009, Domaine Hotel La Posta/Trieste, anzubieten gegen eine Jahrgangskollegin aus dem Baltikum, bevorzugt estnische Kreationen aus dem Raum Tartu und Tallinn.