Dreiundzwanzig

Woodstock. Muhammed Ahmadi stieß die Tür auf. Atmete den Geruch von Leder und Lederfett ein. Eine Erinnerung aus seiner Kindheit: der alte türkische Schuhmacher in der Seitengasse, vor dessen Laden Lederstreifen hingen. Eine Glocke läutete über seinem Kopf. Das schwache Geräusch eines auf leise gedrehten Radios.

»Guten Tag, meine Herren. As-salāmu alaikum

Muhammed Ahmadi betrat das Innere des Ladens. Er erwiderte den Gruß, während er versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Er sah, wie sich ein Mann an einem Tisch im hinteren Teil des Raums erhob. Mit einem Fez. Wie der Schuster damals in der Gasse. Hinter ihm schloss Mohammad Hashim die Tür. Nun war kein Straßenlärm mehr zu hören. Die Stille in dem Geschäft wirkte jahrhundertealt.

»Ich bin der Mann, den Sie treffen sollen, meine Herren. Sie sind die Herren aus Teheran?«

Muhammed bestätigte das.

»Kommen Sie, kommen Sie.« Er streckte die Hand aus, um die ihren zu schütteln. »Es passiert nicht jeden Tag, dass ich so erlesene Besucher in meinem Geschäft begrüßen darf.« Seine Hand fühlte sich in der von Muhammed Ahmadi feucht und warm an. »Möchten Sie einen Tee? Schokoladenkekse? Die selbstgemachten Kekse meiner Frau.«

Muhammed Ahmadi wischte sich die Hand an seiner Jeans ab. Ehe er sprechen konnte, erwiderte Mohammad Hashim: »Tut mir leid, mein Freund, aber wir haben keine Zeit.«

»Nicht mal für einen Tee? Er ist fertig. Ich kann ihn sofort eingießen.«

»Vielleicht danach«, meinte Muhammed Ahmadi.

Der alte Mann lächelte. »Gefällt Ihnen Kapstadt? Gefällt Ihnen meine Stadt?«

Muhammed sagte, dass sie ihm gefalle. Dass man sie gut behandelt habe.

»Meine Familie lebt hier seit zweihundertfünfzig Jahren. Es ist unsere Stadt. Ich möchte Sie herzlich willkommen heißen. Folgen Sie mir jetzt bitte. Wir gehen nach unten. Oh ja – zuerst muss ich das Geschäft abschließen. Wir wollen schließlich nicht, dass jemand kommt, um neue Sohlen zu bestellen.« Der Schuhmacher hängte ein Schild mit der Aufschrift Geschlossen ins Fenster und verriegelte die Tür. »Gut. So kann uns niemand unterbrechen.«

Er führte sie tiefer in den Laden hinein. »Passen Sie auf, dass Sie sich nicht den Kopf stoßen.« Er hob eine Falltür im Boden an und schaltete ein Licht ein. »Bitte Sie zuerst. Ich steige als Letzter hinunter.«

Muhammed Ahmadi blickte in einen Keller mit Regalen voller Waffen. Mohammad Hashim stieß einen leisen Pfiff aus.

»Alles in bestem Zustand. Tipptopp. Bitte, meine Herren, wir müssen uns beeilen.«

Sie kletterten nach unten, und ihr Gastgeber schloss die Luke hinter ihnen.

Der Keller war halb so groß wie das Geschäft darüber. Steinplatten auf dem Boden, eine niedrige Decke mit Holzbalken. Auf einer Seite stand ein kleiner Tisch.

»Bitte denken Sie an Ihre Köpfe.« Der Schuhmacher klopfte mit seinen Fingerknöcheln gegen die Balken. »Eigentlich ist das Bauholz für Schiffe. Aus der Zeit der großen Segelboote.« Er wies auf die Waffen in den Regalen: Automatikgewehre, Handfeuerwaffen, fünf Panzerfäuste. »Wählen Sie sich eine aus. Alles ist in bestem Zustand. Überschuss aus der Armee. Und der Polizei.« Er zog Handschuhe an, die offenbar schon oft getragen worden waren.

»Wir brauchen Pistolen«, erklärte Mohammad Hashim. »Eine für ihn und eine für mich.«

»Natürlich. Die Pistolen sind die an der Wand. Weitere habe ich den Schränken.«

»Haben Sie Glocks?«, wollte Mohammad Hashim wissen. »Neunzehner?«

»Glocks, Glocks, Glocks. Alle wollen Glocks. Das sind Fernsehwaffen, meine Herren. Natürlich, ja, die Neunzehner ist gut, das Gleiche gilt für die Siebzehner. Das sind gute Waffen. Wenn Sie Amerikaner sind, ist das Ihre erste Wahl.« Sein Blick wanderte von Mohammad zu Muhammed. »Das sind Sie natürlich nicht.« Er kicherte. Aus einem Schrank holte er eine schwarze Pistole mit einem Polymer-Griff. »Die sollten Sie probieren. Das ist meine Spezialwaffe.« Er legte sie auf seine Handfläche. »Eine IWI. Israel Weapons Industries. Die Jericho. Neun Millimeter. Das ist die Waffe, die Sie wollen.«

»Wir wissen, welche Waffe wir wollen.«

»Bitte. Halten Sie sie mal.« Hielt die Pistole Muhammed Ahmadi hin.

Mohammad Hashim fasste danach und nahm sie. Er durchlief die üblichen Bewegungen. Holte das Magazin heraus. Leer. Zog den Schlitten zurück. Hob den Arm und visierte ein Ziel an. Sagte: »Die ist jüdisch.«

»Natürlich, ja.« Der Schuhmacher klappte einen Laptop auf dem Tisch auf. Er gab ein paar Zahlen ein. »Lassen Sie mich von den Juden erzählen. Mein Großvater war ein sehr armer Mann. Er konnte nicht zur Schule gehen. Er musste bereits als Junge Pasteten auf der Straße verkaufen. Eines Tages brachte ihn seine Mutter zu einem Juden. Der Mann lehrte ihn, wie man Schuhe repariert. Mein Vater war auch ein sehr armer Mann. Er musste ebenfalls als Junge Pasteten auf der Straße verkaufen. Mein Großvater bat einen Juden, ihn zu einem Schneider zu machen. Mein Vater hatte nie eine Schulausbildung. Aber ich besitze jetzt ein Geschäft. Ich habe Kinder, die nicht arm sind. Mein einer Sohn ist Apotheker, der andere Arzt in einem Krankenhaus. Meine Tochter ist Lehrerin. Sie haben alles. Das Schicksal hat uns hierhergebracht. Die Juden sind klug, meine Herren. Schauen Sie.«

Er klickte auf dem Laptop ein YouTube-Video an. Eine DJ-Trancemusik mit harten Rhythmen ertönte. Der Text: Set me free. I like to live like a warrior. Schnelle Schnitte. Männer bei der Kampfausbildung. Ein Kerl mit kahl rasiertem Kopf, schwarzem T-Shirt, Ohrstöpseln. Lässt die Waffe in den Schlamm fallen. Hebt sie auf, feuert ein ganzes Magazin ab. Macht dasselbe mit Wasser. Ebenso mit Sand. Während der DJ davon schwärmt, wie es ist, als Krieger zu leben.

»Die Juden, meine Herren. Mit denen sind Sie auf der sicheren Seite.«

»Eine Glock«, sagte Mohammad Hashim.

»Okay.« Der Schuhmacher seufzte. »Für Sie wird es immer eine Glock sein.« Mit geschürzten Lippen schüttelte er den Kopf. »Manchmal muss man auch was Neues ausprobieren, Bruder.« Er holte eine Glock 19 aus dem Schrank und reichte sie Mohammad Hashim. Dann sah er Muhammed Ahmadi an, und seine Miene erhellte sich. »Aber für Ihren Kameraden? Vielleicht ist er abenteuerlustiger. Nehmen Sie die Jericho? Wollen Sie ein Krieger sein? Beide sind groß genug für fünfzehn Schuss.«

»Die Glock ist besser«, beharrte Mohammad Hashim. Er legte die Jericho auf den Tisch. »Sie ist größer. Wir brauchen keine schicke Waffe.«

»Ganz wie Sie wünschen. Sie wissen, wofür Sie die Waffen benötigen.«

»Ich werde die hier nehmen«, erklärte Muhammed Ahmadi und fasste nach der Jericho. Fühlte ihre angenehme Leichtigkeit. Wie zuvor Mohammad Hashim hob auch er den Arm und visierte ein imaginiäres Ziel an.

»Sehr gut.« Der Schuhmacher nickte Muhammed Ahmadi zu. »Dann haben wir das Geschäft ja schnell hinter uns gebracht. Nehmen Sie auch Munition?«

»Ein volles Magazin reicht«, erwiderte Muhammed Ahmadi.

»Und eines extra«, fügte Mohammad Hashim hinzu.

Der Schuhmacher lud die Magazine und schob sie in die Waffen. Dann legte er die Pistolen auf den Tisch und die Extra-Magazine daneben. »Wegen der Bezahlung müssen Sie sich keine Gedanken machen. Die wird getrennt geregelt.«

»Wollen Sie sie wieder?«, fragte Muhammed Ahmadi.

Der Schuhmacher lächelte. »Grundsätzlich nichts retour und keine Rückerstattung.« Er zog die Handschuhe aus. »Nun, meine Herren. Ich muss mich wieder meiner Arbeit oben zuwenden. So viele Leute wollen heutzutage ihre Absätze erneuert haben. Oder neue Sohlen. Für Schuhmacher und Schneider gibt es immer etwas zu tun.«