Miller’s Point. Fish Pescado öffnete die Drosselklappe. Leichte Drehung des Handgelenks an dem Mercury 800er. Achtzig Pferdestärken antworteten. Er hörte, wie der Motor stotternd und heulend anlief. Der Propeller begann sich zu bewegen, die Maryjane hob den Bug. Fish grinste über den plötzlichen Ruck nach vorne.
Flip Nel, Polizist und Fishs Nachbar, schaute sich vom Bug aus zu ihm um, mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Hat’s noch voll drauf, was?« Fish regelte den Motor etwas herunter, um das Schlauchboot von der flachen Bootsrampe ins tiefere Wasser zu lenken. »Mag alt sein, hat aber immer noch viel Power.«
»Stimmt«, meinte Flip. »Trotzdem, lass es uns etwas gelassener angehen, Boet.«
»Wieso? Hast ’nen dicken Kopf? Gestern Abend zu viel Polizistenkaffee reingekippt? Trink in Zukunft lieber Brandy, Flip.«
Flip drehte sich nicht noch einmal zu ihm um, sondern zeigte ihm nur den Stinkefinger. Fish lachte. »Ihr alten Säcke solltet nicht so schnell den Biss verlieren.« Flip saß mit dem Anker da, den er für das Boot spenden wollte. Samt einem aufgerollten Tau. Ein brandneuer klassischer Anker im Admiralstil. Musste ihn mindestens zwei Mille gekostet haben. Verrückt, so viel Geld für einen Anker rauszuwerfen.
Fish jagte den Motor also nicht hoch, sondern tuckerte gemächlich entlang des Seetangs auf Pyramid Rock zu. Trotz der niedrigen Geschwindigkeit erfasste ein kühler Wind seine Locken, und er kuschelte sich noch enger in den langärmeligen Hoodie unter seiner Schwimmweste. Eine richtige Jeans wäre heute offenbar doch geeigneter gewesen anstatt seiner kurzen Shorts.
Der Tag mochte sonnig sein, aber es war trotz allem Herbst. Ein kalter Dunstschleier lag über dem Meer, und es roch nach Algen, frisch und durchdringend. Kormorane flogen tief in Reihen dicht hintereinander. Das Meer hob und senkte sich nur leicht entlang der Flutlinie, so dass nicht einmal weißer Schaum entstand. An Tagen wie diesen gab es um die Halbinsel herum keine einzige vernünftige Welle. Da verpasste man wahrlich nichts, wenn man zur Abwechslung mal fischen ging.
Fish Pescado sieht nach typischem Surfer aus: blond, die blauen Augen seiner Mutter in einem braungebrannten Gesicht. Wenn er lächelt, lässt das Aufblitzen seiner weißen Zähne so manches Frauenherz schneller schlagen.
An diesem Morgen hatte er es ziemlich amüsant gefunden, dass Flip Nel auf einmal mit einem Anker dahergekommen war. Fish hatte keine Ahnung, was sein Kumpel damit wollte.
Brüllte deshalb über das Tuckern und Auf-und-Ab-Hüpfen des Schlauchboots hinweg: »Wozu eigentlich der Anker, Flip? Der Kerl, dem dieses Boot mal gehörte, hatte nie einen Anker.«
Flip Nel drehte sich wieder zu ihm um, hob diesmal den Anker hoch. »Du brauchst bei einem Boot immer einen Anker«, sagte er. »Du kannst dich nicht einfach so treiben lassen.«
»Treiben ist doch okay«, entgegnete Fish.
»Nein, Mann. Wenn du draußen bist, brauchst du einen Anker. Ernsthaft, Mann.«
»Da draußen ist es viel zu tief«, sagte Fish. »Der reicht nie bis zum Meeresboden. Dafür bräuchte man ein Tau, das mindestens eine Meile lang ist.«
»Manchmal gibt es Riffe. Und manchmal ist man näher an der Küste dran.« Flip ließ sich nicht abbringen. »Was ist? Gefällt dir mein Geschenk etwa nicht?«
Fish lächelte. »Doch, gefällt mir.« Wenn der Typ Geld für einen Anker ausgeben wollte, dann war das schließlich seine Sache.
»Es ist ein Geschenk. Nimm es also an, wenn auch nur aus Respekt.«
Fish war kein Angler. Ohne Flip Nel würde er die Maryjane nie benutzen. Hätte sie vielmehr schon lange verscherbelt. Aber der Polizist hängte gerne mal eine Schnur ins Wasser. Überredete Fish immer wieder, ein paar Stunden draußen in der Bucht zu verbringen. Vor allem nachdem Flips Lady gestorben war. Außerdem verdiente er sich so ein paar Pluspunkte, die er dann einsetzen konnte, wenn er Infos von der Polizei brauchte.
Fragte: »Irgendein spezieller Ort, der dir vorschwebt?« Wies mit der Hand auf den weiten Horizont.
Flip Nel zeigte in Richtung Hangklip, den Berg auf der anderen Seite der Bucht. »Fahr einfach weiter. Ich sag dir dann, wenn du anhalten sollst.«
Yes, Sir, salutierte Fish grinsend.
Während der letzten Monate war er mit Flip Nel etwa zehn Mal zum Angeln rausgefahren, hatte aber immer noch nicht kapiert, was das Ganze eigentlich sollte. Okay, es war friedlich, ruhig und entspannend hier draußen. Man konnte einen Doobie rauchen, in den Himmel starren und das glitzernde Meer betrachten. Man konnte … dahintreiben, sich schaukeln lassen.
Der Doobie brachte Flip Nel zuerst ziemlich aus der Fassung.
»Hey, Mann, ich bin Polizist. Das kannst du hier nicht rauchen.«
Fish fand das ziemlich lustig. »Entspann dich, Flip. Hier draußen herrschen die Gesetze des Meeres. Trink lieber noch ein Bier.« Warf ihm ein Ale aus der Kühlbox zu, ein Jack Black Butcher Block. Flip stand auf kleine Privatbrauereien. »Macht es leichter«, sagte er gerne. Was es leichter machte, erklärte er allerdings nie.
Fish meinte: »Das gilt auch für Cannabis.«
Allein diesen ersten Gras-Moment auf Flips Miene mitzuerleben, lohnte das Opfer einer Surfstunde. Teufelszeug, nannte es Flip. Behauptete, Dagga sei mehr Kak als Alkohol. Konnte einen woes machen, total den Überblick verlieren und durchdrehen lassen. Flip verwendete dafür sogar das Afrikaans-Wort voos – so voos wie bei einem knallharten Beach Break. Fish hatte immer nur die entspannten Vibes genossen, die ihm das Gras gab. Seiner Erfahrung nach wurde man bei zu viel von dem Zeug eher noch gechillter, so dass einen zum Schluss im Grunde gar nichts mehr tangierte.
Aber Flip ließ sich nicht beirren. »Nein, Boet. Auf lange Zeit drehst du damit durch. Und zwar so gewaltig, dass du nie zurückkommst.«
Fish widersprach nicht.
Jetzt widmete er sich wieder seiner Aufgabe. Drosselte den Motor und fuhr dann nahe an Pyramid Rock vorbei, wo die Kammzähnerhaie lauerten. Dahinter lag das offene Meer, glasig und fast regungslos. Er tuckerte so fünfzehn, zwanzig Minuten dahin, bis Flip die Hand hochhielt und rief: »Hier ist es gut, genau hier!«
Genau hier. In der Mitte der Bucht. Genau im Nirgendwo. Auf der einen Seite lag Hangklip ein gutes Stück entfernt, auf der anderen Seite der Felsen von Cape Point. Im Dunst.
Okay. Fish schaltete den Motor ab. Plötzlich herrschte nach dem Jaulen des Mercury völlige Stille. Ein wenig Wasser schwappte ins Boot, während es sich stabilisierte.
»Was meinst du, was wir hier draußen fangen?« Fish hielt die Hand über die Augen und schaute über die Wasseroberfläche hinweg. Nicht das leiseste Anzeichen einer Untiefe. Keine auf sie zufliegenden Tölpel. Keine Schar von Kormoranen. Es gab nur das Meer, ohne Sandbänke, ohne Riff. »Glaubst du, hier kommen Thunfische vorbei?«
Er beugte sich vor und kramte in seiner Tasche nach dem Spezialsandwich von Olympia: Ciabatta, belegt mit Salami, Tomaten und Gewürzgurken. Biss in das knackige Brot, wischte sich mit der Hand über den Mund. Fragte sich, ob er sofort auf die Angelegenheit seiner Klientin zu sprechen kommen sollte. Ein paar Pluspunkte für Caitlyn Suarez verbraten. Er wusste, dass sie zu Flip Nels Fällen gehörte. Ein kurzer Blick in die Akte würde ihm genügen. Dreißig Minuten höchstens.
Er blickte auf, als die Maryjane zu schwanken begann. Flip stand balancierend vorne am Bug, den Anker in der Hand.
Fish kaute und musterte dabei den Polizisten. Schluckte den Bissen hinunter. »Wenn du den hier wirfst, wird er nur hin und her pendeln. Lass es gut sein.« Zeigte auf seine Tasche. »Welches Sandwich willst du? Ciabatta? Oder das mit dem portugiesischen Brot? Oder ein Croissant? Eins mit Eiern und Speck vielleicht?«
Flip antwortete nicht. Fish sah, wie sich der Mann vorbeugte und ein Kabel am Ankertau befestigte.
»He. He, Mann, Flip. Was machst du da?« Jetzt bemerkte er, dass das andere Ende des Kabels um Flip Nels Knöchel gewickelt war.
Keine Antwort.
Flip Nel starrte ihn nun an. Die Haut um die Augen des Polizisten war weiß. Tote braune Augen. Sein Gesicht eine Maske. Flip schien etwas zu sagen. Ein paar Worte. Unverständlich. Zog seine Rettungsweste aus, ließ sie neben sich fallen.
Fish erhob sich schwankend: »Flip? Was tust du?« Krabbelte zur Mitte der Bank. »Flip.« Jetzt begann er zu begreifen.
Sah, wie Flip Nel sein Handy auf den Sitz vor sich legte, den Anker über Bord warf und das Tau dem Gewicht blitzschnell ins Wasser folgte. Dann Flip Nel.
»Flip. Nein! Nein! Flip.«
Es mussten hier sechzig bis siebzig Meter bis zum Meeresgrund sein.
Fish starrte auf die Luftblasen. Mit der Zeit zerplatzten sie, lösten sich auf.