Fünfundvierzig

Ermington Road. Fish googelte die Adressen für Krista Bishop. Das Büro: ein hübsches viktorianisches Reihenhaus am Dunkley Square, ein paar Straßen hinter Company Gardens. Eine sehr gute Gegend. Privat: die letzte Straße auf dem Berg. Wenn man dort oben wohnte, hatte man Kohle. Viel Kohle. Krista Bishop war offenbar eine junge Dame mit Geld im Hintergrund. Auf Google Maps konnte man nichts von dem Haus erkennen. Nur eine hohe Mauer, einen Elektrozaun und ein stabiles Holztor vor der Einfahrt. Fish vermutete, dass es Papas Haus sein musste. Er sah sich die Website von Complete Security an.

Die Firma gab es seit 1997. Gegründet von zwei Typen: Mace Bishop und Pylon Buso. Sie hatten sich auf den Schutz der Reichen und Schönen spezialisiert, auf Geschäftsleute, Touristen. Im Jahr 2014 war sie von Krista Bishop und Tami Mogale übernommen worden. Jetzt gehörte sie nur noch Krista. Und stellte ihre Dienste ausschließlich Frauen zur Verfügung.

Er rief die angegebene Nummer an, wurde aber zu einem Anrufbeantworter durchgestellt.

Um diese Uhrzeit hätte man eigentlich vermutet, dass eine Sekretärin abheben würde.

Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als es mit Lauferei zu versuchen. Fish biss in einen gebutterten Toast und blickte aus dem Küchenfenster. Hinter der Gartenmauer zu Flip Nels Grundstück war der unendlich blaue Himmel zu sehen. Fish aß den Toast zu Ende und wischte sich mit dem Handrücken die Brotkrümel vom Mund.

Eines nach dem anderen.

Er holte seine Schlüssel zu Flip Nels Hintertür und trat in den kühlen Herbstmorgen hinaus. Das feuchte Gras benässte seine Füße. Flip-Flops waren keine idealen Schuhe, wenn man nicht gerade am Strand war.

Fish sprang auf die Mauer und dann hinunter in Flip Nels Garten. Er überquerte einen Abschnitt aus taufeuchtem Schnurgras. Sperrte die Tür auf, ließ seine sandigen Flip-Flops auf der Gummimatte und ging barfuß ins Haus. Der Boden war von den vielen Polizisten, die hier durchgelaufen waren, sehr körnig. Einige Schränke standen offen, zusammengeknüllte Süßigkeitenpapierchen lagen herum. Eine schmutzige Schüssel, ein Becher und ein Löffel in der Spüle. Eine Schachtel mit Weetabix auf der Theke. Auf dem Tisch eine Zuckerdose voller Löffel und eine halbe Flasche vergorene Milch. Ziemlich ordentlich, wenn man bedachte, dass hier Polizisten am Werk gewesen waren. Fish lauschte. Er hörte eine Uhr ticken und das Tropfen eines Wasserhahns. Das Unbehagen eines verlassenen Hauses. Kein Ort, wo man sich länger aufhalten mochte.

Er atmete ein. Der Geruch nach Flip Nel: salzig abgestanden, nach altem Rauch und Staub.

Er wusste, dass die Küchenkamera in einer Kaffeepulverdose versteckt war. Eine Dose unter vielen. Auf einem Regal in Kopfhöhe der Tür gegenüber. Eine Flip-Nel-Spezialität: Kaffeepulver, falscher Boden, Kamera. Das Objektiv war kleiner als das Objektiv einer Laptop-Webcam und blickte durch ein winziges Loch. Es war auf dem Etikett aus Papier nicht zu erkennen.

Fishs Handy klingelte. Estelle, seine Mutter. Er stellte sie zu seiner Voicemail durch. Dann stand er in Flip Nels Küche und wartete darauf, ihre Nachricht abhören zu können.

»Bartolomeu, du solltest auch abheben, wenn ich anrufe, weißt du. Ich mache mir Sorgen um dich. Was ist nur mit dir los? Warum wurdest du verhaftet? Du musst mit mir reden, Bartolomeu. Du musst mir erzählen, was passiert ist. Ich bin deine Mutter, schalte mich also nicht auf Voicemail. Das ist so unhöflich. Total respektlos. In deinem Leben habe ich bestimmte Privilegien, zum Beispiel darf ich mit dir sprechen, wenn es nötig ist. Jedenfalls, ich sagte es bereits, mache ich mir Sorgen um dich. Du glaubst nicht, mit wie vielen Generaldirektoren und Politikern ich reden musste, um deine Entlassung zu bewirken. Immer wieder landest du in so schrecklichen Situationen. Für uns beide wünschte ich mir, dass du endlich deinen Abschluss machen und in die Juristerei einsteigen würdest. Sei vernünftig wie deine indische Freundin. Hör endlich mit diesen Räuberpistolen auf und suche dir einen richtigen Beruf. Und noch etwas, wenn ich schon an der Strippe bin. Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Es geht um klar umrissene, solide Nachforschungen. Kommendes Wochenende fahre ich mit einer ministerialen Handelsdelegation nach Russland. Ich habe dort Auftraggeber, die unbedingt an unserem Atomkraft-Expansionsprogramm teilhaben möchten. Das, auf das unser Präsident so scharf ist. Ich brauche Einblicke in unsere Absichten. Aber keine Broschüren der Regierung, Barto. Keine Positionspapiere. Echte Informationen von echten Insidern. Es gibt immer Leute, die im Verborgenen tätig sind, Barto. Und die musst du für mich finden. Ich interessiere mich nur für das Gerede. Das ist doch etwas, das deine Spürnase herausfordern sollte. Bitte, Barto, im Interesse unseres Landes. Ich werde dir unsere üblichen Raten und Spesen zahlen. Natürlich in einem vernünftigen Rahmen.« Sie lachte. »Na, du weißt, was ich meine. Ruf mich an. Wir müssen reden.«

Estelle und ihre Kampagne, in Südafrika zu investieren. Zuerst die Chinesen, jetzt die Russen. Sollte sie eines Tages in Nordkorea einfliegen, würde das Fish nicht überraschen. Er schob sein Handy in die Tasche, nahm die Dose vom Regal, sperrte wieder ab und kehrte auf demselben Weg nach Hause zurück, den er gekommen war.

Janet stand mit drohendem Zeigefinger vor seiner Küchentür.

»Oh, là, là, Mister Fish. Ich habe genau gesehen, wo Sie waren. Das Haus des Polizisten ist jetzt ein Tatort. Vor der Eingangstür haben die ein gelbes Band befestigt. Da dürfen Sie nicht rein.« Sie schenkte ihm ein zahnloses Grinsen. »Sonst werden Sie wieder weggesperrt. Dann wandern Sie zurück ins tjoekie.« Sie drohte ihm spielerisch mit dem Finger. »Hüten Sie sich vor diesem Polizisten.«

Fish hielt inne und sah sie an. In ihrem Kammgarnkleid, den schwarzen Leggings, die an den Knien ausgebeult waren, einem beigefarbenen Anorak und Turnschuhen mit Schnüren sah sie wie immer exzentrisch aus. Die eine Hand hatte sie in die Hüfte gestemmt, die andere erhoben. Ihre Augen funkelten. Manchmal fragte er sich, ob sie vielleicht Zauberkräfte besaß. Einen Moment lang war sie nirgendwo zu sehen, im nächsten erschien sie plötzlich wie aus dem Nichts. Wie eine geheimnisvolle Fee.

Er fragte: »Welcher Polizist? Columbo?«

Janet lachte. »Sie nennen ihn Columbo? Das ist lustig, Mister Fish.« Dann hörte sie schlagartig zu grinsen auf und wurde ernst. »Er ist einmal hier gewesen.«

Fish wollte gerade seine Hintertür aufsperren. »Ach, echt? Und wann?«

»Es könnte gestern gewesen sein. Oder vielleicht auch Dienstag.«

Fish wartete. Janet sah ihn stirnrunzelnd an.

»Ich weiß es nicht, Mister Fish. Jedenfalls an einem Tag, an dem ich hier war. Miss Vicki meinte, ich soll wegbleiben, aber niemand macht Janet Angst, nicht mal die Polizei. Ich bin zurückgekommen, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist, Kumpel, Mister Fish.«

»Hast du ihn dabei erwischt, wie er rumgeschnüffelt hat?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Mann. Man erwischt den nicht. Ihr Columbo ist ein böser Polizist. Wir sollten uns alle vor ihm in Acht nehmen.«

»Aber du hast ihn gesehen? Hier?«

»Zuerst war er in Mr. Flips Haus und dann hier. Über die Mauer, so wie Sie gerade. Wie ein Einbrecher ist er direkt in Ihr Haus eingestiegen.«

»Er ist in mein Haus rein? Richtig rein?«

»Ich sag’s doch. Ehrlich, keine Lüge.«

»Mit einem Schlüssel?«

»Ja, Mann, mit einem Schlüssel. Die Polizei hat doch für überall Schlüssel. Wir leben in einem Polizeistaat, Mister Fish.«

Scheint so, dachte Fish. »Hat er dich gesehen?«

»Nein, auf keinen Fall. Ich bin eine erstklassige Spionin.« Ihre Augen wanderten zu der Dose mit Kaffeepulver in seiner Hand.

»Wie lange ist er drin gewesen?«

»Ich hab keine Uhr, Mann, Mister Fish. Bin schließlich kein Larney

»Eher länger oder eher kürzer?«

»Nicht sehr lange. Wie jemand, der was vergessen hat. Sie wissen schon, wenn man ins Haus zurückgeht und es schnell noch holt.«

Fish dachte, dass er dringend Bewegungsmelderkameras in seinem Haus brauchte. Und dass Columbo vielleicht etwas dagelassen hatte.

Janet streckte die Hand aus und klopfte gegen die Dose. »Stehlen Sie Kaffee von einem Toten, Mister Fish? Das bringt Unglück. Toten muss Respekt entgegengebracht werden.«

»Wenn ich also einen Kaffee machen würde, würdest du ablehnen?«

Janet schüttelte den Kopf. »Mr. Flips Kaffee kann ich nicht trinken. Den von Ihnen schon. Und einen Toast, Mann, Mister Fish. Frühstück für eine arme Lady.«

»Mit Butter, Mylady?«

Janet errötete. »Oh, là, là, Mylady … Also wirklich, ek sê. Sie werden noch Ihre wohlverdiente Strafe bekommen, Mister Fish, wenn Sie so scherzen. Denn vielleicht stimmt es sogar. Vielleicht bin ich eine Königin, und es weiß nur niemand.«

»Mit Marmelade also?«

»Ein bisschen Marmelade ist fast immer das Tüpfelchen auf dem i.«

Fish machte ihr Frühstück und schloss die Kamera dann an seinen Laptop an. Er spulte zum Beginn der Aufnahmen zurück.

Da ist Flip Nel. Er kommt in die Küche, einen Stapel Akten in beiden Händen. Um kurz nach sieben, an dem Morgen, an dem sie zusammen fischen gegangen sind. Der Morgen, an dem er starb. Er legt die Akten auf seinen Tisch und klopft mit den Fingern seiner linken Hand auf den Stapel. Sieht sie an und nickt. Dann wendet er sich der Kamera zu und starrt eine Weile zu ihr nach oben. Ein undurchdringlicher Blick, das Gesicht rigide, Fish konnte keine Gefühle darin lesen. Er wendet sich ab und geht rasch durch die Hintertür nach draußen. Fish lief es eiskalt über den Rücken, als er den lebenden Flip Nel wieder vor sich sah.

Das nächste Bild entstand eine halbe Stunde später. Der schwarze Umriss eines Mannes unter der Tür. Der Hintergrund zu hell, um sein Gesicht zu erkennen. Kein Anzeichen eines Einbruchs. Der Mann steht da und rührt sich nicht. Dreißig Sekunden. Eine Minute. Schließt die Hintertür, tritt dann rasch aus dem Radius der Kamera. Vielleicht schaute er sich im Haus um, vermutete Fish. Der Mann kam ihm irgendwie bekannt vor. Als wären sie sich schon einmal begegnet.

Das nächste Bild zwei Minuten später. Der Bewegungsmelder schaltete sich ein, als der Typ von links ins Bild tritt, von der Tür zum Flur. Geht direkt zu den Akten. Hände in Handschuhen öffnen die erste. Er liest und blättert die Seiten durch. Legt diese beiseite. Geht auch die anderen Akten durch. Nimmt nur die Akte mit, die er herausgesucht hat. Schaut sich rasch noch einmal in der Küche um. Ein gutes Bild des Mannes im Halbprofil.

»Ich kenne dich«, sagte Fish laut. »Wie geht’s denn so, Mart Velaze?« Er beugte sich vor, um ihn genauer zu betrachten. Kein Zweifel – das war eindeutig Mart Velaze.

»Ist es fertig, Mister Fish?« Janet stand unter der Tür. Die unsichtbare Linie dort übertrat sie nicht. »Es tut mir leid, wenn ich Sie hetze. Die Lady-Königin ist sehr hungrig geworden, seitdem Sie reingegangen sind.«

Fish klickte zu dem Bild zurück, als die Gestalt in Flip Nels Küche trat. »Ich komme, Janet, ich komme. Etwas Geduld, okay? Ein kleines bisschen Geduld.« Kein Zweifel: Die athletische Figur gehörte zu Mart Velaze. Fish zeigte auf den Toast und die Butterdose. »Warum streichst du dir nicht selbst deinen Toast, Janet? Ich bin gerade beschäftigt.« Was interessierte Mart Velaze an der Akte von Caitlyn Suarez? Er konzentrierte sich ganz auf den Mann. Hatte er nicht irgendwo noch seine Telefonnummer vom letzten Mal, als sie miteinander in Kontakt gestanden hatten? Als er das Model Linda Nchaba gesucht hatte. Welch ein verrücktes Ende diese Geschichte damals doch genommen hatte.

»Das kann ich gerne machen, Mister Fish, kein Problem. Ich war früher mal Souschef. Darf ich also reinkommen?«

»Ja, ja, komm rein.« Fish wechselte zum nächsten Bild: Vicki in ihrem Ganzkörper-Muslima-Outfit. Mit weißen Arzthandschuhen. Vielleicht waren Handschuhe bei der Voliere ein üblicher Teil der Ausrüstung.

»Wollen Sie vielleicht auch noch eine Tasse Tee, Mister Fish?«

»Das wäre nett.« Fish spulte vor, bis Vicki das Haus wieder verlassen hatte. »Rooibos. Keine Milch, kein Zucker.«

»Ich weiß, Mister Fish. Ich habe gesehen, wie Sie und Miss Vicki den Tee trinken.«

Das nächste Bild zeigte eine Menge Polizisten, die in die Küche drängten. Zwei Stunden Bildmaterial vom Kommen und Gehen der Beamten. Sie redeten miteinander, während sie die Schränke durchsuchten. Halbherzig, ganz unmethodisch. Columbo tauchte ein paar Mal auf. Ebenso der NPA-Kommissar. Gegen Ende ließ die Batterie nach, und die Bilder wurden schwächer.

Dann: Auftritt Columbo. Mittwochvormittag um 11 Uhr 23. Er stand in der Küche und blickte zu Fishs Haus hinüber. Columbo tritt in den Flur hinaus. Der Bewegungsmelder nimmt ihn wieder um 11 Uhr 31 wahr.

Fish dachte zwei Dinge: Er musste zuerst sein eigenes Haus und dann das von Flip Nel durchsuchen, um herauszufinden, was Columbo gemacht hatte.

»Hier ist Ihr Tee, Mister Fish«, sagte Janet und stellte eine Tasse neben den Laptop. »Wenn Sie nichts dagegen haben, setze ich mich für mein Frühstück raus in die Sonne.«

»Klar, gerne«, erwiderte Fish unkonzentriert. Er überlegte, ob er Mart Velaze anrufen sollte. Als er nach seinem Handy griff, klingelte es: Professor Summers.

»Na na na, Mr. Sugarman höchstpersönlich gibt mir die Ehre, zur Abwechslung einmal selbst ans Telefon zu gehen. Das ist doch etwas anderes im Vergleich zu den letzten beiden Tagen, als immer nur die Voicemail ansprang. Rufen Sie grundsätzlich nicht zurück, Mr. Pescado? Das ist aber höchst unprofessionell.«

Fish schloss die Augen und zählte bis fünf. »Haben Sie die Informationen?«

»Was habe ich Ihnen gesagt?«

»Ach, kommen Sie schon, Professor.«

»Nur persönlich. Mit dem Nötigen.«

»Sie haben jetzt schon kein Zol mehr?«

»Oh, welcher Scharfsinn.«

»Ich habe es Ihnen bereits erklärt, Professor. So was mache ich nicht mehr so oft.«

»Lassen Sie mich nicht im Stich, Fish. Ich bin ein guter Kunde. Ich zahle und habe Sie auch in schlechten Zeiten immer unterstützt. Noch wesentlicher ist allerdings, dass ich Ihnen etwas zu berichten habe.«

»Ich bin ausgestiegen, Professor. Aus dem Dealen.«

»Aber Sie rauchen doch selbst, Fish. Sie werden nie aussteigen, und deshalb könnten Sie Ihrem alten Kunden einen Gefallen tun und ein oder zwei Bankies bringen.« Eine Pause. »Es würde sich lohnen.«

Fish rollte mit den Augen und sah dabei zur Decke hoch. Dort waren nur Wasserflecken zu sehen. »Also gut.«