Rosebank. Stellen Sie sich Dr. Robert Wainwright vor. Er stand an einem Erkerfenster und blickte hinaus. Stirnrunzelnd. In Gedanken versunken. Seine rechte Hand spielte mit den Münzen in der Tasche seiner Chinohose. Wie es seine Gewohnheit war. Betrachtete seinen Garten – ein Fleck Rasen, umgeben von einem Beet voller Hortensien. Ein gepflegter Garten. Er bemerkte das nicht. Er hatte andere Probleme. Lutschte einen Säureblocker, um sein Verdauungssystem zu beruhigen und das Sodbrennen einzudämmen.
Hinter den Hortensien führte eine gepflasterte Einfahrt zu einer Garage an der Seite des Hauses. Das Holztor zu dieser Einfahrt war geschlossen. Das Tor war etwa hüfthoch, lackiert und mit einem Riegel versehen. Elektronisch ließ es sich nicht öffnen. Dr. Robert Wainwright hatte keine Angst vor Verbrechern, die über die Straße zu ihm eindringen konnten. Er hatte auch keinen elektrischen Stacheldraht um sein Grundstück, ebenso wenig wie Bewegungsmelder oder Bewegungskameras. Er hatte eine Alarmanlage. Wenn diese ausgelöst wurde, sollten sofort bewaffnete Sicherheitsleute eintreffen. Eine einfache Vorsichtsmaßnahme.
»Ich will nicht im Belagerungszustand leben«, lautete seine übliche Erklärung.
War das noch möglich?, dachte er. Es wurde immer unrealistischer. Ließ die Münzen klimpern. Biss mit den Backenzähnen auf die Tablette und zerkaute die Stückchen. Das bedrückende Warten.
Auf seinen Chef Dr. Ato Molapo, Direktor des Energieministeriums. Außerdem der Schwiegersohn des Präsidenten. Ein Mann mit Verbindungen.
Dr. Molapo saß in seinem BMW X5 am Handy. Der Apparat an seinem Ohr. Kaum zu sehen in seiner dicklichen Hand.
Sagte zu dem Anrufer am anderen Ende der Leitung: »Es wird kein Problem geben. Ich bin beinahe da. Biege gerade in seine Straße ein.«
Lachte. Ein lautes, raumeinnehmendes Lachen. Dr. Ato Molapo befand sich in Bestform. Surfer Fish hätte ihn als high bezeichnet.
»Der Mann ist ein Angsthase«, sagte er. »Mümmel, mümmel, mümmel.«
Lauschte.
»Ja, ich werde mich melden, Genosse Minister. Gleich danach. Wir sind die auserwählte Nation.« Legte auf. Schüttelte den Kopf.
Durch das Erkerfenster seines Wohnzimmers sah Dr. Robert Wainwright, wie der SUV in seine Einfahrt einbog und kurz vor dem Holztor anhielt. Ein Hupen und ein Aufleuchten der Scheinwerfer.
Mit zweiundvierzig fürchtete Robert Wainwright um seine Karriere. Er war ein schlanker Mann, ein Mann der Berge, der sich am glücklichsten fühlte, wenn er Gipfel erklomm. Noch nie zuvor hatte er über seine Karriere nachgedacht. Er war Naturwissenschaftler. Arbeit bedeutete Entdeckungen. Das monatliche Gehalt galt ihm als selbstverständlich, war ebenso ein normaler Teil des Lebens wie das Abendessen.
Doch jetzt war das Normale ins Schwanken geraten.
Wainwright trug seine beigefarbene Chinohose ordentlich. Dazu hatte er ein kurzärmeliges Hemd mit offenem Kragen in einem hellen Rosa und ein leichtes Jackett an. Ein Jackett, das er vor zwei Jahren in Deutschland erstanden hatte.
»Ein ungezwungenes Mittagessen«, hatte Molapo gesagt. »Unter Freunden.«
In dem Durchgang hinter Wainwright, der zum Wohnzimmer führte, spielten die Jungen Cricket. Seine Frau Belinda sortierte gerade die Wäsche in der Waschküche. Er rief: »Er ist da! Ich fahre.«
Von allen Seiten schallten ihm Antworten entgegen. Belinda sagte: »Warte, Robert.« Unter der Haustür meinte sie: »Stimme einfach zu, okay? Was immer sie auch vorschlagen. Das wirst du doch, oder? Mach keinen Wirbel.«
Er nickte und strich über seine sandfarbenen Haare oder was noch davon übrig war, wenn er sie über seine Glatze gekämmt hatte. Eckiges Gesicht: spitzes Kinn, spitze Nase. Schmale Lippen. Glattrasiert.
»Ich weiß. Ich weiß«, antwortete er. Gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Das wird schon klappen. Ich weiß, wie ich mich verhalten muss.« Musterte seine Frau und die Anspannung in ihren Augen. Ihre gerunzelte Stirn. Der Mund leicht offen. »Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut. Versprochen.«
Ihre Hände legten sich auf seine Arme, und sie drückte ihn. »Wir reden, wenn du zurück bist.«
»Natürlich.« Er schob sich einen weiteren Säureblocker in den Mund.
»Bitte, Robbie. Reg dich nicht auf. Sag auf keinen Fall etwas.«
»Werde ich nicht.«
Dr. Robert Wainwright ging die Einfahrt hinunter und öffnete den Riegel des Tors. Seine Frau sah ihm von der Haustür aus nach. Dr. Ato Molapo hatte sich in seinem X5 leicht auf dem Fahrersitz zur Seite gewandt und strahlte seinen Kollegen an. »Heita, Robert. Meinst du, ich sollte mich bei Uber bewerben?« Schenkte ihm sein lautes, raumgreifendes Lachen.
Nelson Mandela Boulevard. Als sie über Hospital Bend kamen, die Stadt unter ihnen lag und die Bucht in der Ferne glitzerte, erzählte Dr. Ato Molapo von seiner Tochter.
Dr. Robert Wainwright schaute auf die dahinkriechende Autokolonne auf der Foreshore-Hochstraße und zu den Docks hinüber, wo gerade ein Kreuzfahrtschiff langsam zu seiner Anlegestelle gelotst wurde. Er dachte: meine Stadt. Eine Stadt, vor der er nie Angst gehabt hatte. Bis jetzt.
Hörte, wie Molapo sagte: »Sie hat ihren Schuh verloren. Meine Frau holte sie von der Nachmittagsbetreuung ab, und da war nur noch ein Schuh in ihrer Tasche. Sie wurde ausgeschimpft, es gab Tränen. Hab sie beim Abendessen gefragt, ob ihre Mama sauer auf sie gewesen sei. Nein, meint sie. Und was war mit dem verlorenen Schuh? Das sei nicht ihre Schuld gewesen, erklärt sie, sondern Papas Schuld, also meine. Warum, will ich wissen. Was hat das mit mir zu tun? Weil Mama sagt, dass alles Papas Schuld ist.«
Das raumgreifende Lachen.
Dr. Robert Wainwright lächelte.
»Sie ist schnell, die Kleine. Né. Wirklich. Schlau. Mit einer Antwort auf alles. Sehen Sie, Robert, sie weiß, wann Schluss ist.«
Robert Wainwright sagte nichts. Dachte nur: Jetzt kommt es.
»Bei mir. Schluss ist bei mir. Wenn diese Sache schiefläuft, dann bin ich derjenige, der abgesägt wird. Ich.« Er sägte mit der Handkante am Lenkrad, um das Ganze noch deutlicher zu machen. »Das wollen wir nicht. Nicht Sie und schon gar nicht ich. Sie verstehen, was ich meine?«
Robert Wainwright verstand. Es war der Schwiegersohn des Präsidenten, der da redete. Wainwright zerbiss den Säureblocker. Die Reste blieben an seiner Gaumendecke kleben.