Einundachtzig

Vergenoegd Farm. Sie war in einem Raum aus Beton, hatte die Augen geschlossen, die Hände auf den Ohren, um die Schreie ihrer Mutter nicht hören zu müssen. Zehn Jahre alt. In jener Nacht, als die Sicherheitspolizei kam.

Jetzt hörte sie Mira Yavari sagen: »Kaltes Wasser hilft da angeblich. Habe ich irgendwo gelesen. Man schüttet kaltes Wasser darüber, um die verbrannte Haut zu beruhigen. Was man jetzt nicht will, ist Butter. Wenn man da einen Klecks Butter darauf tut, reagiert der wie in einer heißen Pfanne. Brutzel, brutzel. Macht es noch viel viel schlimmer, und das will man in einem solchen Fall ja vermeiden. Ich weiß, dass Sie das jedenfalls vermeiden wollen.«

Vicki schaffte es, das Zimmer um sich herum wieder klarer zu sehen. Robert Wainwright saß am Tisch, den Rücken zu ihr gewandt. Seine Schultern waren nach vorne gesackt, der Kopf gesenkt. Seine Beine zitterten. Muhammed stand auf der einen Seite, eine Hand auf seiner bandagierten Stichwunde, das Gesicht schmerzvoll angespannt. Neben ihr die Skinny-Jeans-Beine von Mira Yavari.

»Es liegt an Ihnen, Robert. Sie müssen nur die Teile zusammensetzen, wie es sich für einen guten Wissenschaftler gehört, und unsere Vicki hier wird kaltes Wasser kriegen, eine Salbe für Verbrennungen, Schmerztabletten – alles, damit es ihr besser geht. Verstanden?«

Eine Pause. Ein ungeduldiges Klopfen von Mira Yavaris rechtem Fuß. Statt der Springerstiefel trug sie nun makellose schwarze Puma-Sneakers.

»Sie ist in Ihren Händen. Wir wissen alle, dass die Kleine mutig ist und nicht will, dass Sie das tun, was wir von Ihnen wollen. Geht in Ordnung. Ist ihr gutes Recht. Allerdings wird Ihr Zögern ihrem Knöchel so richtig schaden. Wir reden jetzt nicht nur von Schmerzen, wir reden auch davon, dass es lange dauern wird, ehe man sie medizinisch versorgen kann. Tage, so wie Sie hier trödeln. Und damit reden wir von der Möglichkeit einer Infektion. Unbehandelte Wunden können echt furchtbar werden. Das läuft auf eine Amputation hinaus. Und das wollen Sie sicher nicht. Keiner von uns will das. Was, Muhammed – du willst das doch auch nicht, oder?«

Muhammed grunzte etwas Unverständliches.

Vicki, auf dem Boden liegend, hatte die Hände über dem Kopf gefesselt und die Knie zusammengebunden. Sie hob halb ihren Oberkörper und drehte sich zur Seite, um mit den Füßen gegen Mira Yavaris Beine zu schlagen. Der Schmerz durch die Bewegung schoss durch ihren verbrannten Knöchel. Die Frau rührte sich kaum, trat nur einen Schritt zur Seite.

»Sie geben auch nicht auf, was, Vicki Kahn? Das ist ein gutes Zeichen. Sie und ich, wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Wir halten so lange durch, bis es zur Abrechnung kommt. Aber jetzt geht es nicht mehr um Sie, jetzt geht es um Robert. Darum, dass Robert eine Entscheidung trifft.« Sie goss den Rest des heißen Wassers auf sie.

Vicki brüllte.

Die Polizisten hatten Fenster und Türen eingeschlagen, um ins Haus zu gelangen. Hatten die Haustür mit einer Axt bearbeitet. Die Zehnjährige aus ihrem Bett gerissen. Ein großer Mann, der nach fauligen Guaven gestunken hatte, reif wie diejenigen, die von dem Baum im Garten gefallen waren. Der Mann hatte sie wie einen Sack unter den Arm geklemmt. Ihr Vater und ihre Mutter waren verwirrt, riefen ihren Namen. Versuchten sie zu beruhigen. Die Polizisten hatten die beiden mit Pistolen und Schlagstöcken aus dem Haus geschubst. In die feuchte Dunkelheit und dann hinten in einen Kwela-Kwela. Der Transporter raste durch die Nacht. Alle drei waren in ihren Pyjamas und drängten sich aneinander. Das Gesicht ihres Vaters blutete. Ihre Mutter hielt sie eng an sich gedrückt. Den ganzen Weg bis zum Kerker. Was sie für einen Kerker hielt. Ein Ort am Fuß einer Treppe, ein Ort der Kälte, des Betons, der Metalltüren, der Gitter. Dann das Schreien ihrer Mutter. Und sie in dem Raum auf einer harten Pritsche hatte sich eingenässt.

Jetzt wieder der grauenvoll schneidende Schmerz in ihrem Bein. Ihr Schrei hallte in ihren Ohren wider, während sie sich auf die Lippen biss. Spannte den Kiefer an, ballte die Fäuste, kämpfte um Selbstbeherrschung. Um sich nicht einzunässen.

Mira Yavari sagte: »Ich werde jetzt wieder Wasser kochen, Robert. Sie haben also noch ein paar Minuten Zeit, um nachzudenken.« Das Rauschen eines Wasserhahns. Muhammed meinte: »Das dauert zu lang.«

»Nicht, Robert«, sagte Vicki. Das Flüstern, das aus ihrem Mund kam, überraschte sie.

»Sie können gerne denken, was Sie wollen, Vicki, aber er wird es tun. Sie wissen, dass er es tun wird. Ich weiß, dass er es tun wird. Muhammed weiß, dass er es tun wird. Er selbst weiß, dass er es tun wird. Nur eine Frage der Zeit und der Schmerzen für Sie. Also, Dr. Wainwright? Soll ich den Wasserkocher anmachen?«

Robert Wainwright verneinte, aber Vicki hörte trotzdem, wie er angeschaltet wurde. Der Schmerz hielt jetzt ihren ganzen Körper in Spannung, war ein Strom, der durch sie hindurchschoss. Langsam und leise sagte sie: »Sie werden uns töten, Robert.«

»Ach, seien Sie nicht so melodramatisch, Vicki. Glauben Sie doch ein wenig an die Menschlichkeit.«

»Das werden sie tun, Robert.«

»Werden Sie das?« Sie sah durch einen roten Nebel, dass Robert Wainwright aufstand und sich zu Mira Yavari wandte. Er klang verzweifelt. »Bringen Sie uns nicht um. Ich bitte Sie. Bringen Sie uns bitte nicht um.«

Hinter ihm hob Muhammed seine Jericho. »Setzen Sie sich, Dr. Wainwright. Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«

»Sie werden es tun, Robert. Sie werden uns töten.« Dann heulte sie auf, als Mira Yavari auf ihren offenen und blasenschlagenden Knöchel stampfte.

»Es reicht, Vicki. Sie haben gesagt, was Sie sagen wollten. Jetzt liegt es an Robert.« Der Wasserkocher schaltete sich ab. Mira Yavari steckte ihn aus und trat erneut zu Vicki. »Wie soll es sein, Robert? Soll Vicki die Fensterscheiben zum Klirren bringen? Oder sind Sie ein guter, braver Wissenschaftler?«

Vicki in dem vergitterten Raum. Die Schreie ihrer Mutter waren verstummt. Sie hörte die Stimmen von Männern, tief, kehlig.

»Sie müssen sich entscheiden, Robert. Jetzt.«

Fok, Mann, was habt ihr gemacht? Jetzt schaut euch an, was passiert ist. Fok, Mann. Fok.