Achtundsiebzig

Autobahn M3, Ausfahrt Kendal Road. Fish parkte in dem Vorort unter Bäumen. Lief von dort zu dem Zwischenfall an der Brücke zurück. Bei solchen Ereignissen war es immer besser, wenn man zu Fuß unterwegs war. Dann konnte man unbemerkt eintreffen und ebenso diskret wieder verschwinden, wenn man wollte. Er sagte zu seinem Kontakt am Handy: »Danke für die Vorwarnung, Boet. Hast du was?«

»Ja, der andere Mann ist ein gewisser Dr. Ato Molapo. Er behauptet, Direktor im Energieministerium zu sein.«

Fish schrieb sich den Namen in sein Notizbuch. »Hast du auch eine Handynummer von dem Mann?«

»Verdammt, bescheiden bist du echt nicht, was?« Er nannte sie.

»Moosa ist tot?«

»Mors dood. Toter geht’s nicht.«

»Eine verpfuschte Entführung?«

»Miskien. Aber vielleicht auch nicht. Bauchschuss, von hinten. Die Kugel hat aus den Gedärmen des Oke Hackfleisch gemacht. Hör zu, ich kann nicht länger reden.«

»Nur schnell noch: Gibt es was zu dem Schützen?«

»Molapo behauptet, es sei eine Frau gewesen.«

»Echt? Wahnsinn.«

»Er sagt, eine gewisse Caitlyn Suarez. Ich muss los.«

Fish erwiderte: »Das sind ja mal Neuigkeiten.« Dachte: garantiert kein Entführungsversuch. Er blieb an der Ecke stehen und versuchte es erneut unter der Nummer, die Flip Nel für Caitlyn Suarez gespeichert hatte. Jetzt verstand er, für wen die Initialen standen: Gogol Moosa. Wieder wurde sein Anruf zu einer Voicemail durchgestellt.

Fish blieb an der Polizeiabsperrung stehen. Zwei SUVs hatten hintereinander abseits der Straße geparkt. Vorne stand ein Renault Duster, alle Türen waren geöffnet. Dahinter befand sich ein BMW X5, mit dessen Fahrer eine Gruppe von Uniformierten sprach. Das musste Dr. Ato Molapo sein. Fish schrieb das Kennzeichen auf. Erkundigte sich bei einer Schaulustigen, was passiert war.

»Muss eine Entführung gewesen sein«, meinte sie. »Etwa vor einer Stunde. Die Sanitäter haben bereits jemanden in einem Leichensack weggebracht. Dem da geht’s gut …« Sie zeigte auf den BMW. »… nur etwas mitgenommen. Wird ein Promi sein, denken Sie nicht? Für normale Leute kommen nicht so viele Polizisten, wenn so was passiert. Sind Sie Journalist?«

Fish nickte, sagte aber nichts.

»Wollen Sie was wissen?«

»Ja, was denn?«

»Etwa zu der Zeit, als das hier passiert ist, hat ein Typ in einem Pick-up vor meinem Haus geparkt. Etwa fünf Minuten, hat währenddessen telefoniert. Hat mich davon abgehalten, joggen zu gehen.«

»Und?«

»Und plötzlich ist er weggefahren.«

»Okay.«

»Beides hängt zusammen. Das sage ich Ihnen. Sie sind der Journalist, Sie können dem nachgehen.«

»Vielleicht sollten Sie das der Polizei mitteilen.«

»Pfff. Wozu? Die wird sowieso nichts tun.« Die Frau zog eine Zigarettenpackung aus dem Ärmel ihres Joggingoberteils. Aus der Tasche ihrer Fleecehose fischte sie ein Feuerzeug. »Mich halten Sie da besser raus.« Sie lachte das heisere Lachen einer Raucherin. »Nennen Sie mich einfach eine anonyme Quelle.« Zündete die Zigarette an. »Wollen Sie auch eine? Ich höre auf.«

Fish schüttelte den Kopf.

»Dachte ich mir. Sie sehen wie ein Antiraucher-Nazi aus, braungebrannt und blond. Der typische Surfer. Surfen Sie?«

»Wenn es Wellen gibt«, erklärte Fish. Und wenn meine Freundin gerade nicht verschwunden ist. Er entdeckte einen Mann auf der anderen Seite der Straße, den er kannte: Mart Velaze. Stand mitten in einer Gruppe anderer Schaulustiger. Er folgte Velazes Blick zu einer Gruppe auf der Brücke. Unter ihnen Bill & Ben. Mit den beiden Amerikanern unterhielt sich ein weiterer Bekannter: Columbo. Offenbar versammelte sich hier der Fanclub von Caitlyn Suarez. Krass. Das Ganze hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Wer zuerst?, fragte sich Fish. Spürte, wie sein Handy vibrierte und eine SMS eintraf. Warf einen Blick über die Straße. Mart Velaze war verschwunden.

Die SMS kam von einer unbekannten Nummer: Gehen Sie.

»Sie sollten sich um Ihre Geschichte kümmern«, sagte die Frau und zog leicht an ihrer Zigarette, wobei ihre Lippen den Filter kaum berührten. Rasch blies sie den Rauch aus. »Für wen arbeiten Sie denn? Cape Times? Argus?«

»Die Daily Voice.«

»Dieses Boulevardblatt? Wow. Heftig, Mann. Sie schreiben also Geschichten über Hexen und diesen kleinen Kerl, der Schwarze dazu bringt, ihre Betten auf Ziegelsteine zu stellen?« Sie ließ die Zigarette fast ungeraucht fallen und zertrat sie mit ihren pinkfarbenen Turnschuhen.

»Den Tokoloshe.« Fish beobachtete, wie sich Bill & Ben zum Gehen wandten. Columbo wirbelte herum und schaute direkt zu ihm. Er riss die Hand hoch und rannte auf ihn zu, wobei er rief: »He, Pescado! Warten Sie! Pescado, stopp!«

»Das ist er, der Tokoloshe«, sagte die Joggerin. »Kennen Sie den Mann? Den Polizisten, der da so brüllt?«

»Ja«, erwiderte Fish. »Den kenne ich.«

»He, Pescado, kommen Sie her! Ich will mit Ihnen reden.« Columbo blieb ein ganzes Stück hinter der Absperrung stehen und winkte ihn heran. »Kommen Sie, Mann. Was ist los mit Ihnen? Kommen Sie her.«

Fish dachte: verdammt, keine andere Wahl. »Was wollen Sie, Detective?«

»Sie. Wieso muss ich Sie hier sehen, Pescado?«

»Was zum Teufel soll das, Mann«, meinte die Joggerin neben Fish und wurde merklich unruhig. Sie begann von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen. »Das ist heftig. Warum redet der so mit Ihnen?«

»Lange Geschichte«, sagte Fish und duckte sich unter der Absperrung hindurch. Schlenderte auf den Polizisten zu. »Kein Grund, mich anzuschreien.«

»Was machen Sie hier, Pescado? Das ist ja wohl kaum ein Zufall.«

»Hat mir ein Vögelchen gezwitschert.«

Columbo blickte mit zusammengekniffenen Augen zu ihm auf, als wollte er den Namen des Vogels aus ihm herausprügeln. Fish hielt dem Blick des Polizisten stand. Der Mann, der offenbar Konflikte mochte, grinste auf einmal. »Lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen.« Er führte Fish zu dem Duster. »Schauen Sie sich das an.« Zeigte auf den Fahrersitz. »Hat ihm in den Rücken geschossen. Was für ein Mensch tut so was?«

»Sagen Sie es mir«, entgegnete Fish. »Sie sind der Polizist.«

»Machen Sie nicht einen auf oberschlau, Chommie. Wir reden hier von einem schweren Verbrechen. Mord. Diesmal gibt es keinen Zweifel. Diesmal gibt es einen Zeugen.«

»Der da wäre?«

»Der Direktor des Energieministeriums.«

»Er hat den Schützen gesehen?«

»Er hat sie gehört. Eine Frau.«

»Das ist alles? Er hat sie gehört? Das soll Ihr Zeuge sein? Klar, das sind eindeutige Beweise.«

»Luister, mein Freund, hören Sie genau zu.« Columbo trat näher. So nahe, dass Fish den Geruch von Frittiertem wahrnahm, der in der Holzfällerjacke des Mannes hing. Er konnte sich vorstellen, dass Columbo auf dem Weg zum Tatort kurz an einem Ocean’s Basket angehalten hatte, um eine Portion Pommes zu essen. »Sie stecken in der Kak. Das ist eine Ihrer Freundinnen, von der wir hier reden.«

»Und wer soll das sein?«

»Spielen Sie nicht den Idioten, Pescado. Caitlyn Suarez natürlich.«

»Meine Klientin, eine meiner Klientinnen.«

»Ihre mordende Klientin. Die Frau, die den Minister getötet hat, erschoss gerade auch noch den Kommissar. Nicht übel. Hat sie Ihnen heute schon einen geblasen?«

»Grundgütiger. Ihr Typen.« Fish wich zurück, um nicht von Columbos feuchter Aussprache getroffen zu werden.

»Ist sie Ihr Vögelchen? Ist sie es, Pescado? Hat sie Ihnen gesagt, was sie getan hat? Kommissar Moosa hatte recht: Sie sind in diese Scheiße verwickelt, Sie und Ihre andere Tussi, diese Anwältin. Bis zum Hals stecken Sie da drin. Ich werde eine Aussage brauchen. Und zwar sofort. In Caledon Square.«

»Wozu?«

»Weil ich wissen will, warum Sie hier sind. Wer hat Ihnen davon erzählt? Und noch eine Reihe anderer Dinge. Vielleicht sogar die Schuhgröße Ihrer Mama. Verstanden?«

»Ich kann das auf keinen Fall jetzt machen.«

»Natürlich können Sie es jetzt machen, Chommie. Wenn nicht, besorge ich einen Haftbefehl. Dann sind Sie bis Sonntag wieder unser Gast. Gefällt Ihnen das besser?«