Sechsunddreißig

Rosebank. Ein weißer Golf GTI parkte im Schatten eines Baumes. Muhammed Ahmadi stöpselte sich in Googoosh ein, das Dubaier Konzert, während sich Mohammad Hashim Black Sabbath reinzog, Master of Reality. Sie waren den Großteil des Vormittags da gewesen. Hatten beobachtet, wie Dr. Robert Wainwright angekommen war, später seine Frau mit den Kindern.

Sie hatten beide vermutet, dass die Frau anschließend mit den Jungen abreisen und Dr. Robert Wainwright hingegen ins Büro gehen würde.

»Das ist die vernünftigste Reaktion. Der Herr Doktor wird Angst haben.« Muhammed Ahmadi warf seinem Kollegen einen Blick zu.

»Dafür haben wir ihm ja die Fotos geschickt.«

Die Männer wandten sich beide wieder der Musik zu.

Eine halbe Stunde später sahen sie, wie ein roter MiTo eintraf und dem Wainwright-Haus gegenüber anhielt. Eine Frau stieg aus und verschwand im Haus.

Mohammad Hashim pfiff anerkennend, während er die Stöpsel aus den Ohren zog. »Kein schlechter Wagen. Keine schlechte Frau.«

»Was? Was hast du gesagt?« Muhammed Ahmadi lehnte sich zum Beifahrersitz hinüber. Zog auch seine Stöpsel heraus.

»Der Alfa Romeo. Gutes Auto.« Er zeigte auf den MiTo. »Gehört die Frau zur Familie, was meinst du?«

»Oder zu Dr. Molapo? Wir werden sehen.«

»Ja, klar.« Mohammad Hashim drehte sich um und nahm eine Schachtel Baklava von der Rückbank. »Willst du auch?«

Muhammed Ahmadi nickte. Die Sache mit Mohammad Hashim war die: Er hatte eine Schwäche für Süßes. Was Muhammed Ahmadi freute. »Die sind gut. Ich mag sie. Wir können Tee dazu trinken.« Er fasste unter seinen Sitz, um eine Thermoskanne mit persischem Chai herauszuholen. Eine Aufmerksamkeit des Hotels. Den Tee hatte Muhammed Ahmadi in seinem Reisegepäck gehabt, und er war unter genauer Anleitung gekocht worden. Mit einer Prise Rosenblätter. »So gut wie in meinem Teehaus ist er allerdings nicht.«

Mohammad Hashim zuckte mit den Achseln. »Ist aber gut.«

»Mein Teehaus, das ich besonders mag … Am Enqelab-Platz, noch ganz traditionell. Also ohne Frauen.«

»Die Gegenwart von Frauen ist für mich kein Problem.«

»In einem Kaffeehaus mag das okay sein. Aber wenn du deinen Tee trinkst, solltest du ihn in einem richtigen Chaykhune zu dir nehmen.«

Sie übten immer noch ihr Englisch.

Die Männer aßen das Baklava zu Ende und tranken Tee aus kleinen Gläsern. Danach stiegen sie aus dem Auto, um ihre Hände mit Mineralwasser zu waschen. Schüttelten sich die Finger trocken und machten es sich wieder in ihrem Wagen bequem.

»Die Frau ist ziemlich lange da drinnen. Deutlich zu lange.« Muhammed Ahmadi schaltete sein Handy an und wählte die Nummer des Imam.

Sagte auf Farsi: »Herr Botschafter, wir befinden uns in der Nähe des Hauses des Wissenschaftlers. Eine Frau ist momentan bei ihm, die vorhin hier eintraf.«

»Haben Sie diese Frau schon einmal wo gesehen?«

»Nein.«

»Vielleicht gehört sie zur Familie, vielleicht ist sie eine Kollegin. Lassen Sie mich ein paar Erkundigungen einziehen.«

Muhammed Ahmadi legte auf. »Er will herausfinden, wer sie ist.«

»Natürlich.« Mohammad Hashim lachte. »Der Imam ist ein mächtiger Mann.«

Zehn Minuten später klingelte Muhammed Ahmadis Handy. Der Imam. »Wir wissen nicht, wer sie ist. Wenn sie geht, folgen Sie ihr.«

»Und Dr. Wainwright?«

»Machen Sie sich um ihn keine Sorgen. Es wurde vereinbart, dass er mich heute Abend kontaktiert, um die Fahrt zu der Anlage zu arrangieren. Er wird mit Ihnen dorthin fahren. Er wird die Übergabe machen.«

»Und dann, Herr Botschafter?«

»Sie werden schon sehen«, erwiderte der Imam. »Geben Sie mir Mohammad.«

Zu Mohammad Hashim sagte er: »Töten Sie den Wissenschaftler danach. Dieser Mann ist uns zu unsicher.«

Ende des Gesprächs. Muhammed Ahmadi nahm das Handy an sich und schob es zurück in seine Hemdtasche.

»Was hat der Imam gesagt?«

»Dass ich den Wissenschaftler töten soll.«

Muhammed Ahmadi zündete eine Zigarette an und blies den Rauch aus dem Fenster. »Mir kann er das anscheinend nicht mitteilen. Warum kann er mir das nicht mitteilen?«

»Es hat nichts mit dir zu tun.« Mohammad Hashim schob sich wieder die Stöpsel in die Ohren. Sein Kopf füllte sich mit Metal-Gitarrenklängen.

Muhammed Ahmadi rauchte eine Zigarette nach der anderen. Starrte auf die Straße des stillen Vororts und fragte sich, warum ihm der Botschafter nicht traute. Er war der Ranghöhere. Mohammad Hashim der Fußsoldat. Er sollte ihm den Auftrag erteilen, nicht der Botschafter. Nicht einmal die Stimme von Googoosh besänftigte seine Wut. Früher einmal hatte Muhammed Ahmadi geglaubt, dass ein Gebet ihm seine Fragen beantworten konnte. Doch das war schon lange her.

Sie warteten eine Stunde. Schrieben E-Mails. Schauten bei Facebook nach. Lasen Nachrichten über den Iran. Muhammed Ahmadi war noch immer wütend.

Bis ein Auto rückwärts aus der Einfahrt der Wainwrights auf die Straße fuhr.

Mohammad Hashim hob das Fernglas. »Das sind Frau und Kinder. Nur drei Leute.«

»Vielleicht liegt er auf der Rückbank.«

»Möglich wäre es.«

»Macht dir das keine Sorgen?«

»Der Botschafter meint, alles ist für heute Abend arrangiert. Der Wissenschaftler hat außerdem zu viel Angst, um abzuhauen. Die andere Frau ist jetzt unser Ziel.«

Fünf Minuten später kam die Frau heraus und stieg in ihr Auto.

Muhammed Ahmadi ließ den Motor an und wartete, bis der MiTo das obere Ende der Straße erreicht hatte. Dann setzte er den Blinker nach links, ehe er mit quietschenden Reifen losfuhr.

»Bete zu Allah, dass sie noch nicht verschwunden ist.« Mohammad Hashim schnallte sich an.

Das war sie noch nicht. Sie hatte vielmehr hinter der Ecke angehalten. Muhammed Ahmadi fluchte und bog nach rechts in die entgegengesetzte Richtung ab. Im Rückspiegel beobachtete er das Auto, bis eine Kurve ihm die Sicht verstellte. Dann vollzog er eine scharfe Kehrtwendung.

»Fahren im Teheran-Style«, stellte Mohammad Hashim fest, der sich mit einer Hand am Armaturenbrett abstützte. Hinter der Kurve sahen sie, wie die Frau sich gerade zwei Wagen vor ihnen in den Verkehr einfädelte.

»Die ist schlau, aber nicht superschlau«, meinte Mohammad Hashim. »Sie wird schauen, ob ihr jemand folgt. Da bin ich mir sicher.«

Muhammed Ahmadi antwortete nicht. Dachte, dass diese Frau zu schlau war. Vielleicht von der Polizei. Oder einem Sicherheitsdienst. Er hielt Abstand, folgte ihr zu einem Einkaufszentrum und dort in ein Parkhaus. Hier verlor er ihre Spur. Eine Weile fuhr er alle Reihen auf und ab, konnte aber nirgendwo einen roten Alfa MiTo entdecken.

Muhammed Ahmadi schlug wütend auf das Lenkrad ein. »Nein, das ist doch unmöglich!« Er wechselte zu Farsi. »Wir waren nicht so viele Autos hinter ihr. Und sie verschwindet da einfach?«

Mohammad Hashim hielt sein Handy hoch. »Ich habe das Kennzeichen. Das kannst du dem Imam mitteilen. Schauen wir mal, wie gut seine Kontakte sind.«

Die Kontakte des Imam waren gut. Kurz darauf gab er ihnen zwei Adressen durch: eine Wohnung am Wembley Square und eine weitere in Muizenberg Estate. Ermington Road.