Vergenoegd Farm. In der Küche. Es bleiben noch neunundvierzig Minuten.
»Okay, Leute«, sagt eine Stimme hinter ihnen. »Jetzt übernehmen wir die Party. Lasst eure Waffen hübsch langsam sinken.«
Im selben Moment wird die Küchentür aufgerissen. Ein Mann steht dort, die Knie leicht angewinkelt und mit ausgestreckten Armen eine Pistole FN Five-SeveN haltend. Ruft: »Los, macht schon!«
Grundgütiger, denkt Vicki, wer zum Teufel sind diese Popeyes? Sagt es laut.
Fish antwortet: »Das unter der Tür in der Mackerpose ist Ben. Der hinter uns ist Bill.«
»Bill und Ben? Ernsthaft? Sie haben Rucksäcke dabei.«
»Ernsthaft. CIA. FBI. Terrorismus und Finanzen. Was auch immer. Auf jeden Fall sind es Amis. Manchmal bringen sie Kuchen mit.«
»Diesmal nicht«, meint Bill. »Und? Macht ihr jetzt endlich? Seid ihr so lieb?« Brüllt: »Die Scheißwaffen runter!«
Vicki und Fish richten beide die Pistolen auf Caitlyn Mira und auf Muhammed Ahmadi. Caitlyn Mira scheint noch immer im Krankenschwestermodus zu sein. Muhammed Ahmadi hat den Schuh ausgezogen, und sie verbindet seine Wunde. Von Vickis Blickwinkel sieht es so aus, als ob der Schuss die Spitze seines großen Zehs abgetrennt hat. Viel Blut, aber keine dramatische Verletzung.
Neben dem Tisch mit der Bombe steht ein verwirrter Dr. Robert Wainwright. Mit einer Hand bedeckt er sein rechtes Ohr, sein Mund steht offen. Vicki sagt zu ihm: »Bleiben Sie einfach, wo Sie sind, Robert. Wir kümmern uns darum.« Zu Fish gewandt: »Sollen wir auf Bill und Ben hören?«
»Sie können ekelhaft werden. Eine gewisse Vorliebe für unerwartete Schläge. Das sind Caitlyns Kumpel.«
»Hab die noch nie im Leben gesehen«, widerspricht Caitlyn Mira. Sie hat Muhammed Ahmadis Fuß jetzt verbunden. »Aber wenn das unsere Retter sein sollen, dann gelobt sei Gott. Allahu Akbar.«
»Das sind wir, Ma’am«, erklärt Bill. »Sie kommen bitte sofort mit. Um den Gentleman kümmern wir uns.«
Auf einmal stößt der Gentleman Caitlyn Mira beiseite und rutscht über den Boden davon, seinen Fuß hinter sich herziehend. Er schreit auf Farsi und dann auf Englisch: »Eine Spionin, eine amerikanische Spionin! Und dir hab ich vertraut. Die ganze Zeit über hab ich geglaubt, dass du eine Tochter des Dschihad bist.«
»Das bin ich auch.« Caitlyn Mira lässt mit einer wirbelnden Bewegung einen seidenen Hidschāb auf Kopf und Schultern sinken.
Gleichzeitig begreift Vicki endlich: eine amerikanische Agentin. Eine amerikanische Operation. Deshalb hatte Henry angeordnet, sie solle bloß beobachten. Vielen herzlichen Dank, Henry Davidson. Jetzt ist ihr klar, dass Wainwrights Bombe nur als List dienen soll. Während das HEU von dieser Mira-Zicke weggebracht wird.
Noch sechsundvierzig Minuten.
Der Mann namens Muhammed Ahmadi verflucht Mira Yavari noch immer, als Ben von der Tür aus auf ihn schießt. Ein Bauchschuss. Dann ein tödlicher Schuss in die Brust. Ein weiterer in die Schulter. Hochgeschwindigkeitsprojektile lassen Körpersubstanzen durch das Zimmer fliegen. Blutspritzer bedecken nun Boden, Schränke und Wände.
Robert Wainwright schreit.
Fish sagt: »Verdammte Scheiße.«
Bill meint: »Sauber, Tiger.«
Mira Yavari springt auf die Füße und brüllt: »Sie hätten mich treffen können, Idiot!«
Ben erwidert: »Nein, nie im Leben. Ich schieße nicht daneben, Ma’am.«
Vicki denkt: Gar nicht gut. Dreht sich blitzschnell zu Bill um. Eine Pattsituation.
»Sie haben gehört, was er gesagt hat, Schwester. Er schießt nie daneben. Es würde ein glatter Kopfschuss werden. Meiner ginge ins Rückgrat Ihres goldenen Surferboys. Tut echt weh. Mit Blei im Rückgrat denkt man eigentlich an nichts anderes mehr.« Bill streckt eine Hand aus. »Geben Sie mir die Waffe, ist das Beste für alle. Sie auch, Surferboy.«
Robert Wainwright fängt zu jammern an.
Ben brüllt: »He, du! Halt die Klappe, Trottel, Mann.«
Fish sagt zu Vicki: »Sie wollen eine Schießerei à la O.K. Corral. Können sie haben, so eine Schießerei. Dreißig Sekunden, länger dauert das nicht.«
Vicki überlegt.
Mira Yavari schlägt vor: »Lassen Sie’s gut sein, Vicki. Kämpfen Sie an einem anderen Tag.«
»Nein, kämpfe jetzt«, widerspricht Fish. »Das sind keine guten Menschen.«
Vicki bleibt auf Bill konzentriert. Er nickt und meint: »Bitte. Wir stehen hier alle auf der gleichen Seite.«
»Dann können wir die Waffen ja behalten.«
Bill lächelt. Seine Augen sind schwarze Löcher. Vicki entdeckt dort niemanden, der zu erreichen wäre. »Also gut. Okay. Sie können die Waffen behalten. Wir alle entladen jetzt schön langsam unsere Pistolen und stecken sie wieder ein. Hörst du mich, Ben? Sie folgen mir auch, Schwester? Überzeugen Sie Ihren Partner.«
»Tu’s nicht, Vics«, warnt Fish. »Sie werden uns so oder so erschießen. Das müssen sie.«
»Das ist nicht nötig. Wir können das alles hier hinter uns lassen und unsere Leben weiterführen. Ehrlich.«
Fish entgegnet: »Na klar.«
Vicki ist sich nicht sicher, ob sie auch nur ein Wort glauben soll. Sagt: »Vielleicht entschärfen wir als Erstes mal die Bombe.«
»Nein«, erwidert Bill. »Es ist das Beste, wenn sie explodiert. Wie lange haben wir noch?«
»Schauen Sie selber nach«, entgegnet Vicki.
Bill lacht. »Netter Versuch. Aber ich bin nicht von gestern, Schwester. Sie sagen es mir.«
Vicki zuckt mit den Achseln. Erklärt ihm, dass sie noch etwa vierzig Minuten hätten.
»Das reicht, wenn wir jetzt loslegen. Zuerst einmal laden Surferboy und Dr. Großhirn den Islamisten in den Wagen. Dann fahren Sie, Ma’am, mit ihm zum Hafen, wo Sie das Auto stehen lassen. Falls ihn irgendwer auf der Yacht zur Überprüfung sehen will, ist das kein Problem. Wir räumen später auf. Als Nächstes verschwinden Sie, Schwester, Surferboy und Dr. Großhirn. Ben und ich bilden die Nachhut.«
»Und Sie werden die Bombe entschärfen.« Vicki will nicht lockerlassen.
»Negativ. Ich hab’s Ihnen bereits gesagt: Sie wird hochgehen. Wir brauchen die Explosion, damit unsere Kollegin nicht auffliegt.«
»Und was passiert, wenn wir eine andere Geschichte erzählen?«
»Das könnten Sie. Klar, warum nicht? Nur eines: Sie würden dabei feststellen, dass ein paar Leute, die am längeren Hebel sitzen, das nicht so gut finden. Außerdem ist das Leben für Whistleblower nicht gerade leicht. Man bekommt schnell einen steifen Nacken, weil man dauernd nach hinten schauen muss, um zu sehen, wer einem vielleicht folgt. Das wollen Sie nicht. Und Dr. Großhirn hat Familie, soweit ich weiß. Deren Wohlergehen stellt garantiert einen wesentlichen Faktor in dem Ganzen dar. Diese ständige, tägliche Bedrohung. Das ist kein Leben, das man freiwillig führt. Gar nicht.« Er hält inne. »Haben wir einen Deal?«
Fish fragt: »Wir behalten die Waffen?«
»Wie ich schon sagte: Wir entladen alle, und, ja, wir behalten dann die Waffen. Überlegen Sie schnell. Die Uhr tickt.«
»Deine Entscheidung, Vics«, erklärt Fish. »Du sagst, was wir machen sollen.«
Vicki denkt, dass es das Beste sei, Bills Plan zu folgen und die Kräfteverhältnisse bei der ersten Gelegenheit wieder zu ändern. Diese Chance bleibt ihnen und lohnt das Risiko, um diese Pattsituation zu durchbrechen. Sie sagt: »Okay.«
»Gute Entscheidung«, meint Bill. »Wir sind natürlich ehrbare Leute und stehen zu unserem Wort.«
Die vier senken die Waffen, entladen sie und schieben sie schließlich in ihre Gürtel beziehungsweise Holster.
»Gut«, sagt Bill. »Jetzt geht es folgendermaßen weiter.«
Er schickt Caitlyn Mira nach draußen, um den Pritschenwagen anzulassen. Bittet Fish und Ben, den Toten zu dem Wagen hinauszutragen.
Ben wirft ihm einen sauren Blick zu. »Das ist ein Job für den Wissenschaftler.«
»Besser, wenn du das machst«, widerspricht Bill.
Bekommt von Fish ein »Genau, besser, wenn Sie das machen« zu hören.
Reagiert mit einem Grinsen. »Das würde Ihnen und ihr einen Vorteil verschaffen, Mr. Pescado. Das mache ich auf keinen Fall. Fair ist fair, okay?« Er deutet auf den Leichnam von Muhammed Ahmadi. »Bitte, ich frage Sie nur um unserer Zusammenarbeit willen.«
Sagt zu Robert Wainwright: »Herr Doktor, jetzt trinken Sie mal ein paar Schluck Wasser und beruhigen Sie sich. Ihre Nervosität ist gerade sehr unnötig.«
Nickt Vicki zu. »Sind Sie nicht froh, dass wir jetzt hier sind und uns um alles kümmern?«
Vicki sucht in Gedanken nach einer Chance, die sich ihr präsentieren könnte, sobald ihr Bill den Rücken zudreht und sie ihre Waffe zückt. Sie braucht nur eine Kugel ins Hinterteil zu versenken. Das würde reichen. Sagt: »Sie sind ein wahrer Gentleman.«
»Das ist die amerikanische Erziehung: Höflichkeit, Manieren, Respekt. Also ein Vorschlag: Warum werfen wir unsere Knarren nicht einfach weg, Sie und ich? Damit sind nur noch Ihr Mann und mein Mann bewaffnet. Senkt den Stresslevel.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, schleudert Bill seine Waffe aus der Hintertür. »Läuft alles auf Vertrauen heraus.«
Vicki zögert. Hier ist ihre Chance.
»Überlegen Sie es sich gut«, meint Bill. »Wenn Sie jetzt auf mich zielen, bleiben Ben und Ihr Mann übrig. Sagen wir, dass jeder von ihnen zum Schießen kommt und jeder eine Kugel abkriegt. Im schlimmsten Fall könnten Sie Ihren Mann verlieren. Im besten Fall haben wir zwei Verwundete. So oder so wäre das Ergebnis unter diesen Umständen nicht gerade ideal.«
»Es sei denn, ich erschieße Sie.«
»Das könnten Sie tun. Wenn Sie darauf spekulieren wollen, dass Ihr Junge Ben niederknallt, ehe Ben zu Wyatt Earp wird.«
Vicki hasste seine vorlaute Art. Dieses Grinsen. Würde sich schon allein lohnen, ihn zu erschießen, um diese Visage zu verändern. Er sagte: »Sie sind Spielerin, soweit ich weiß. Wie stehen die Chancen? Drei zu eins, würde ich annehmen.«
»Ich würde auf Fish setzen.«
»Ich kenne Ben.«
Eine Pause. Schließlich sagt Vicki: »Schachmatt.« Wirft ihre Waffe ebenfalls zur Tür hinaus. Was das Grinsen auf Bills Gesicht noch breiter werden lässt – zu ihrem Verdruss. Sie humpelt zur Seite, als Fish und Ben den toten Muhammed an Armen und Beinen aus der Küche und über den schmalen Gang zur Stoep tragen. Sie ändern ihre Griffe und schwingen ihn dann auf den Rücksitz des Pritschenwagens. Bill tritt mit einer Decke hinzu und verbirgt den Leichnam darunter.
Vicki lehnt sich an Robert Wainwright, der ihr bis zur Stoep hilft. Sie sieht, wie Bill auf das Dach des Pritschenwagens schlägt und ruft: »Los geht’s, Ma’am.«
Aber Mira Yavari ist noch nicht fertig. Sie erklärt: »Fish Pescado, ich habe Sie angeheuert. Finden Sie Victor Kwezas Mörder für mich. Ich meine das ernst, Mister. Ich habe Sie dafür bezahlt. Sie schulden mir das.« Sie hebt den Blick, um Vicki anzusehen. »Adios, Freundin. Sie haben Mumm, Sie haben Energie. Passen Sie auf sich auf.« Damit fährt Caitlyn Suarez alias Mira Yavari davon, wobei ihre Hand noch eine Weile aus dem Fenster winkt.
»So, das hätten wir«, sagt Bill. »Nächster Schritt.«
Was heißt, dass Ben seine Five-SeveN an Fishs Schläfe hält und erklärt: »Jetzt ganz langsam, Kumpel.« Was heißt, dass Bill Fish die Ruger abnimmt und vorschlägt: »Gehen wir alle wieder hinein.«
Was heißt, dass sich Fish blitzschnell auf dem Absatz umdreht und Ben mit der Rückhand einen Schlag verpasst. Allerdings weicht Ben rechtzeitig aus, hält ihn am Arm fest und versetzt Fish einen Nackenschlag mit der Linken. Womit Fish auf Händen und Knien landet, Bill & Ben drohend vor ihm stehend.
»Das ist schon das zweite Mal, dass Ihnen das passiert«, stellt Ben fest. »Sie lernen nicht aus Ihren Fehlern, Cowboy.« Verdeutlicht das mit einem Tritt in Fishs Bauch. Das raubt Fish einen Moment lang die Luft, und er liegt auf der Erde.
»Verdammt, ihr Arschlöcher, das reicht.« Vicki hinkt die Stufen hinunter und schubst Ben. »Ihr seid hier nicht in diesem Scheiß-Guantanamo.«
Ben setzt an, um auch sie zu verprügeln. »He, Lady, nehmen Sie sich in Acht.« Schlägt nicht zu.
»Arschlöcher.« Vicki wendet sich ab und beugt sich zu Fish herunter, um ihn an der Schulter zu fassen. »Alles in Ordnung? Sprich mit mir. Sag was.« Fish gibt ein unverständliches Grunzen von sich. Sie sieht Bill & Ben an. »Kommt schon. Steht hier nicht rum. Helft ihm auf.«
»Sehen wir etwa wie Sanitäter aus?« Ben ist nun wieder völlig entspannt. Er hat sogar seine FN ins Holster zurückgeschoben. Winkt Robert Wainwright heran. »He, Kumpel, man braucht hier mal Ihre Hilfe.«
Vicki steht kurz davor, sie noch einmal als Arschlöcher zu bezeichnen, hält sich aber zurück. Stattdessen meint sie: »So viel zum amerikanischen Ehrbegriff.«
Bill kann wieder grinsen. »Kleine Planänderung, das ist alles. Keine Aufregung. Sie wollten uns wahrscheinlich sowieso übervorteilen, wir waren dann einfach schneller. Genau deshalb sind wir ja auch die Supermacht.«
Fish gelingt es, mit Wainwrights Hilfe aufzustehen. Er lässt sich Zeit, als müsste er erst mal sicherstellen, dass sich nichts mehr dreht. Vickis Einschätzung nach sieht er nicht gut aus. Sein Blick wirkt verschwommen, er schwankt und atmet keuchend. Nicht typisch für Fish. Normalerweise ist er jemand, der schnell wieder zu sich kommt. Sie sagt zu Robert Wainwright: »Wir müssen ihn auf die Stufen setzen. Und ihm dann etwas Wasser geben.«
»Falsch«, meldet sich Bill zu Wort. »Wir müssen alle reingehen.«
»Da drinnen liegt eine Bombe.« Vicki wird allmählich klar, was geplant ist. Sie sieht Ben mit seiner gezückten Five-Seven.
Bill wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Meiner Einschätzung nach bleiben uns noch achtunddreißig Minuten. Genügend Zeit.«
»Ich rühre mich nicht von der Stelle.« Vicki hält Robert Wainwright und Fish fest. »Wir rühren uns nicht von der Stelle.«
»Würde ich auch nicht«, meint Bill. »Ich würde drum bitten, mich gleich hier zu erschießen. Nur dass wir das nicht tun werden.«
Vicki ahnt es vorher und versucht sich zu ducken, aber Ben schlägt sie nieder. Mit voller Wucht.