Ermington Road. Das Problem mit Flip Nels Handy war, dass Fish behauptet hatte, es sei bei Flip Nel. Also viele Faden tief. Das hatte er sogar eidesstattlich beteuert. Jetzt jedoch saß Fish mit den Einzelteilen des Handys am Küchentisch. Wenn er es zusammensetzte und anschaltete, würde das vielleicht Alarmglocken im Netzwerk auslösen. Vielleicht. Allerdings war es eher unwahrscheinlich, dass die NPA-Jungs diese Nummer beobachteten. Wissen konnte man es jedoch nicht. Dann brauchten sie nicht viel zu tun und würden vor seiner Tür stehen.
Eine unangenehme Vorstellung.
Allerdings war es ein Risiko, das er eingehen musste. Fish legte also SIM-Karte und Akku ein und schob den Deckel zu. Er wartete, bis das alte Nokia seine kleine Melodie von sich gab. Dann hörte er sich noch einmal die Aufnahmen an.
Das Geräusch des Mercury 800 bei konstanter Geschwindigkeit. Flip Nel rief über das Tuckern des Motors, über das Hüpfen des Bugs auf dem Wasser hinweg: »Hier ist es gut. Genau hier!«
Genau hier würde der Ort sein, wo er starb. Genau hier war ein Ort mitten im Ozean.
Mein Gott, verdammt. Fish schloss die Augen. Er wollte nicht mehr in seinen leeren Hintergarten schauen, wo er das Boot immer gelagert hatte. Die noch beschlagnahmte Maryjane. Flip Nels selbstgewähltes Sprungbrett ins Reich der Toten.
Dann das geflüsterte »Schau unter Caitlyn Suarez. Du willst die Suarez-Akte, sie liegt in meiner Küche.«
Fish öffnete die Augen und brachte die Küche um sich herum wieder ins Blickfeld. Das schmutzige Geschirr, das sich in der Spüle stapelte, die Fotos auf dem Tisch. Vickis zerstörtes Mietauto. Die Schatten von drei Männern, die wie Geister seine Küche bevölkerten: Bill & Ben, Mart Velaze. Zwischen ihnen Caitlyn Suarez. Fish sah sie in Jeans und T-Shirt vor sich. Rauchend. Diese Belustigung in ihren Augen. Als ob sie mehr wüsste als die anderen.
Schau unter Caitlyn Suarez.
Fish unterbrach die Aufnahme an dieser Stelle und spielte sie zurück. Was zum Teufel hatte Flip genau damit gemeint, dass er unter Caitlyn Suarez schauen solle? Wo sollte er unter Caitlyn Suarez schauen? Da dämmerte es ihm: in den Telefonkontakten dieses Handys. Oh, Mann.
Unter S.
Der erste Name in Flip Nels Kontakten war Rings Saturen. Zweimal. Zuerst war eine Adresse in Montague Gardens gespeichert, ein hübscher Name für ein Industriegelände. Als Zweites standen da eine Telefonnummer, Schrägstrich Sa 08:30.
Es folgte Caitlyn Suarez. Die gleiche Art des Eintrags. Zuerst waren GPS-Koordinaten aufgelistet, dann eine Telefonnummer, Schrägstrich und die Initialen GM.
Es waren keine Initialen, die ihm etwas sagten. Bei der Handynummer wurde er zu einer Voicemail durchgestellt.
Fish notierte die Koordinaten in einem Notizbuch. S33.728718 E18.870293. Schaltete das Handy wieder ab und nahm den Akku heraus. Er schätzte, dass es höchstens vier Minuten aktiv gewesen war. Lange genug, um die Neugierde zu wecken, falls es jemand überwachte. Das sollte er nicht vergessen.
Fish tippte die Koordinaten auf seinem Laptop bei Google Maps ein. Eine Stelle in der Agterpaarl-Region wurde angezeigt. Er erinnerte sich daran, dass ihm Caitlyn Suarez von einem Wochenendhaus erzählt hatte, das sie und Kweza renoviert hatten. Irgendwo im Weingebiet. Sie hatte nicht verraten, wo es genau lag. Ein Klick auf die Satellitenansicht zeigte einen Punkt an einer Kreuzung. Dort waren Weinberge, Weizenfelder und Brachflächen zu erkennen. Wenn man etwas rauszoomte, konnte man ein Netz aus Wegen, Pfaden und unbefestigten Straßen sehen. Viele Anzeichen menschlicher Behausungen gab es hier nicht. Vereinzelte Farmen. Ein paar Scheunen. Möglicherweise Hütten von Farmarbeitern. Fish zoomte näher an zwei der Farmen heran. Beide schienen bewohnt zu sein: ordentlich gemähte Rasenflächen, vor einer Wäsche auf einer Leine. Er kehrte zu dem Punkt an der Kreuzung zurück. Folgte von dort einem Feldweg zu einigen Häusern und zoomte wieder heran. Das waren leerstehende Gebäude, verfallen. Dahinter ein Weg zu einem größeren Haus. Schwer zu sagen, ob das Haus bewohnt war.
Fish lehnte sich zurück. Er vermutete, dass sich die Koordinaten nicht in der Akte befanden, da Flip Nel extra erklärt hatte, er solle unter dem Namen Caitlyn Suarez nachschauen. Die Frage lautete: warum nicht? Vielleicht weil er es noch nicht überprüft hatte? Flip war ein irre gründlicher Typ gewesen.
Fishs Handy klingelte: Estelle. Die letzte Unterhaltung, die er jetzt brauchen konnte, war eine mit seiner Mutter. Er ließ sie zu seiner Voicemail durchstellen. Dann hörte er sie sich an: »Gehst du nie ans Telefon, Bartolomeu? Ich warte dringend auf diese Informationen, um die ich dich gebeten habe. Vor allem jetzt, nachdem der Präsident vielleicht Russland besucht. Melde dich bei mir, Barto, und zwar bitte mit etwas Nützlichem.«
»Interessant, dass der Präsident auf Reisen außerhalb des Landes geht«, sagte eine Stimme aus Richtung der Hintertür. Eine Stimme, die Fish kannte. Er blickte sich um zu Mart Velaze, der auf der Schwelle stand. Janet hüpfte hinter ihm aufgeregt hin und her. »Mister Fish, Mister Fish, das ist der Mann, von dem ich Ihnen erzählt habe. Das ist er, wirklich.«