Kapstadt. Bei Sonnenaufgang war der Himmel hinter den Bergen gelb. Von der Atlantikküste, von den Weinbergen, von den Industriegebieten, vom tiefen Süden der Halbinsel strömten Scheinwerfer auf die Altstadt zu. Aus den Autoradios kamen Nachrichten über ISIS-Enthauptungen, Bombenanschläge, Flüchtlingstragödien. Inländisch: das teure neue Flugzeug des Präsidenten, die Sexualtriebe eines Politikers, die stetig sinkende Währung. In den Zügen, Bussen und Minibus-Taxis sangen die Pendler Lieder der Hoffnung und der Wiedergutmachung.
Ermington Road. Fish Pescado starrte von seinem Küchenfenster in seinen Hintergarten hinaus. Er dachte an Vicki, an die unkonzentriert wirkende Vicki. Vicki, die sein Bett in der Dunkelheit verlassen hatte. »Ich kann nicht bleiben, Babes. Zu viel zu tun. Ruf mich später an, am späten Nachmittag – okay?« Da war etwas an ihr, was er nicht einordnen konnte. Als ob sie nur so tat als ob. Vicki, die sich gewöhnlich völlig beim Sex verlieren konnte. Diese Vicki, seine Vicki wirkte auf einmal zurückgenommen. Dann wandte sich Fish stirnrunzelnd in Gedanken dem NPA-Mann zu, Moosa. Und dem hämisch grinsenden Columbo. Deren Schikane aus keinem ersichtlichen Grund. Nur um ihn einzubuchten. Um seine Nachforschungen hinsichtlich des ermordeten Energieministers zu behindern. Um ihn davon abzuhalten, weiter das Verschwinden von Caitlyn Suarez zu untersuchen. Er fragte sich, wo er anfangen sollte. Und ob er nicht zuerst einmal surfen gehen könnte.
Wembley Square. Vicki Kahn blickte von ihrem Fenster auf die Gesundheitsapostel in ihren Jogginganzügen. Auf die Anzugträger in ihren Anzügen, die androgynen Firmenangehörigen, die einen neuen Tag ansteuerten. Sie dachte an Fish, an den unkonzentriert wirkenden Fish. Fish, der sich gewöhnlich ihrem Sex hingab, als würde er surfen. Kenntnisreich. Aufmerksam. Subtil. Fish, der nicht er selbst war. »Genau, Vics. Ich rufe an.« Der nicht versuchte, sie zu überreden, noch zu bleiben. Es kam auch kein Vorschlag, sich zu einem Brunch im Tiger’s Milk zu treffen, um sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen. Später, sie würden es später klären. Ihre Gedanken wanderten zu Dr. Robert Wainwright. Zu der bevorstehenden Operation.
City Bowl. Mart Velaze rief an dem offenen Tor Krista Bishop an. Er wurde zu ihrer Voicemail durchgestellt. Zog seine Pistole und schlich auf das Grundstück. Dachte: und jetzt? Sein Handy vibrierte. Die Stimme. »Häuptling, wo sind Sie?« Er erklärte es ihr flüsternd. Als Antwort hörte er: »Sie haben sie, unseren Gast. Finden Sie mehr heraus und berichten Sie mir.« Kein Wort davon, wer sie waren. Die Amerikaner, vermutete Mart Velaze.
Rosebank. Dr. Robert Wainwright wurde vom Telefon geweckt. Er streckte eine Hand unter der Decke hervor, hielt den Apparat an sein Ohr und nannte seinen Namen. »Robert, unsere Freunde werden in einer Stunde bei Ihnen sein. Jetzt liegt es an Ihnen. Enttäuschen Sie uns nicht. Wir verlassen uns auf Sie.« Die Stimme von Direktor Ato Molapo. Robert Wainwright richtete sich in dem Sessel auf. Die ganze Nacht über hatte er dort geschlafen. Halb dösend und sich hin und her drehend hatte er mit schmerzenden Knochen auf den Anruf gewartet. In das leer daliegende Haus hineingelauscht. Das Summen des Kühlschranks. Das Flattern eines Nachtfalters gegen den Schirm der Stehlampe. Das Knarzen des Dachs in den kalten Stunden vor Sonnenaufgang.
Wembley Square. »Robert«, sagte Vicki in ihr Handy. »Was ist los?«
»Eine Stunde. Sie sind in einer Stunde hier, um mich abzuholen. Oh, Gott. Oh, mein Gott.« Robert Wainwrights Stimme klang leise und bedrückt.
»Es wird gut gehen, Robert. Tun Sie einfach, was man von Ihnen verlangt. Und behalten Sie immer Ihr Handy bei sich.«
Sie legte auf und wählte Henry Davidsons Nummer.
»Es geht los.«
»Das glaube ich auch.«
»Warum erzähle ich Ihnen das dann?«
»Weil ich von Ihnen die Bestätigung brauche. Und ich möchte Ihnen Hamba kahle wünschen, wie wir sagen. Passen Sie auf sich auf, Vicki.« Er hielt inne. Vicki stellte sich vor, wie er das Toupet von einem Ständer nahm. »Das letzte Nacht, das war frech von Ihnen. Sogar unverantwortlich, wurde mir mitgeteilt. Es bedarf einer größeren Selbstbeherrschung, meine liebe Vicki. Unsere Taschen sind nicht so gefüllt wie die unseres Präsidenten.«
Ermington Road. Fish saß wieder am Fenster, diesmal mit Buttertoast und einer Cafetière. »Das ist eine verdammt ungünstige Zeit für einen Anruf, Fish Pescado. Ich bin in meinem verdammten Auto und stecke in einem verdammten Stau.«
»Es ist dringend«, entgegnete Fish.
»Das ist es bei dir immer, mein Freund.«
»Bitte, Boet.«
Hörte, wie der Mann seufzte. »Du meinst also eine junge Frau, Anfang bis Mitte zwanzig. Das sind nicht gerade eine Menge Anhaltspunkte.«
»Von denen kann es nur wenige geben«, meinte Fish. »In deiner Branche.«
»Glaubst du? Du wärst überrascht.«
»Die ist verdammt attraktiv. Schwimmt viel.«
»Ich kenne doch nicht jeden in der Welt der Sicherheitsdienste. Ich bin nur der Verbandsvorsitzende.«
»Sie muss weiterempfohlen worden sein. Sie muss einen ziemlich guten Ruf haben.«
»Hör zu, ich melde mich. Lass mir ein paar Minuten Zeit, okay?«
Fish starrte in den Hintergarten und überlegte, wie er die Maryjane aus der Polizeiverwahrstelle holen sollte. Das würde ein Spaß werden. Dachte an Flip Nel am Boden des Meeres. Dachte an die verschwundene Polizeiakte über Caitlyn Suarez. Er fragte sich, ob die Polizei oder die Geheimagenten oder wer auch immer die Bilder von Flips Überwachungskameras gelöscht hatten. Wenn sie diese überhaupt entdeckt hatten. Wahrscheinlich nicht. Sie würden kaum vermuten, dass ein Detective wie Flip Nel Kameras in seinem Haus installieren würde.
»Für den Fall, dass diese räuberischen Schweine mir was antun, Boeta. Sie sollen nur kommen, dann werden wir ja sehen, wer hier wem was antut. Geheimkameras für Verbrecher. Jawohl, die Dreckskerle sollen nur kommen.«
Flip Nels Vorstellung von einem sicheren Zuhause.
Fishs Handy klingelte. »Das ist wahrscheinlich diejenige, die du suchst. Sie heißt Krista Bishop. Ihr gehört Complete Security. Gehörte früher mal ihrem Papa und einem Typen namens Pylon Buso. Willst du die Adresse? Ich habe zwei bekommen.«
Fish sagte: gerne. Und dass er gerne beide hätte.
City Bowl. Mart Velaze hielt an der offenen Schiebetür inne. Er untersuchte das Schloss. Hier war ein Profi am Werk gewesen. Schnell und effektiv. Hatte die wachsame Krista mit geschlossenen Augen erwischt. Mart Velaze trat von der Veranda ins Wohnzimmer. Sah Blut auf dem Boden. Einen Fußabdruck. Bereits getrocknet. Er lauschte. Dachte: Scheiße, nicht gut. Wie sollte er Mace Bishop das beibringen? Er schlich durchs Zimmer zur Treppe. Starrte durch die Dunkelheit in das untere Stockwerk hinunter. Keine Bewegung, kein Laut. Eilte leise hinab. Das Gästezimmer, in dem sich Caitlyn Suarez aufgehalten hatte, war leer. Er schlich an der Wand entlang weiter zu Kristas Schlafzimmer.
Strand Street. Vicki nahm die Schlüssel entgegen, die ihr der Mann von der Autovermietung reichte. Unterzeichnete die nötigen Formulare: ein VW Polo, weiß.
Ehe sie losfahren konnte, klingelte ihr Handy. Henry Davidson.
»Schlechte Nachrichten, Vicki. Offenbar sind Sie nicht die Einzige, die sich gerade ein Auto mietet. Unsere Jungs haben ihren Golf gegen einen BMW eingetauscht. Schön, wenn man diese Art von Budget zur Verfügung hat. Wir können gegen diesen Tausch nichts tun. Im Grunde war er wohl zu erwarten. Eine gute Übung und so. Trotzdem ärgerlich. Jetzt gibt es leider keinen Peilsender mehr. Nur noch Wainwrights Handy und Ihr Geschick.«
Wunderbar, dachte Vicki. Sagte: »Offenbar hat sich in der Voliere nicht viel geändert.«
»Aber, aber. Sie wissen, wie es über den Sarkasmus so schön heißt?«
»Wohin fahre ich, Henry? Sie müssen doch zumindest eine Ahnung haben.«
»Das habe ich. Draußen, in den großen Ödflächen. Ich glaube, man nennt sie die Koue Bokkeveld. Felsen, Gestrüpp, Wüstentodesottern, endlose Weiten, riesiger Himmel. Eine dramatische Landschaft, wenn man so etwas mag. Irgendwo dort haben wir geheime Anlagen. So geheim, dass es mir schwerfällt, sie genau zu lokalisieren. Aber es wird sich alles rechtzeitig zeigen. Das tut es immer. Selbst wenn wir in einem langsamen Land leben, wie die Königin zu Alice sagt.«
Rosebank. »Ich hole ihn«, erklärte Muhammed Ahmadi und parkte den Wagen in der stillen Straße. »Es ist das Beste, wenn du hinten sitzt.«
»Später fahre ich auch mal«, meinte Mohammad Hashim. »Das ist das Beste.«
Muhammed Ahmadi nickte. Er schürzte seine Lippen, um säuerlich zuzustimmen.
Die Männer stiegen aus dem Wagen und sahen die Straße auf und ab. Keine Frau in einem roten MiTo.
»Alles in Ordnung«, sagte Mohammad Hashim. Er ließ seine Schultern kreisen, streckte sich und spuckte einen Kaugummi auf die Straße. »Dann hole mal unseren lieben Freund.« Er grinste Muhammed Ahmadi an.
Muhammed Ahmadi antwortete nicht. Er ging durch das Gartentor und den Pfad hinauf zur Haustür. Diese öffnete sich, ehe er klopfen konnte. »Es freut mich, Sie wiederzusehen, Dr. Wainwright.« Muhammed Ahmadi streckte die Hand aus und berührte den Wissenschaftler am Oberarm. »Sind Sie bereit für unsere kleine Tour? Haben Sie einen Koffer?«
Robert Wainwright schob eine Reisetasche heraus.
»Als Vorsichtsmaßnahme muss ich Sie um Ihre Geräte bitten, ja? Handy? Ein iPad? Sie haben keinen Laptop, oder?«
Robert Wainwright schüttelte den Kopf.
»Dann Ihr Handy, bitte, Herr Doktor.«
Wieder schüttelte Wainwright den Kopf. »Das brauche ich. Ich muss meine Frau kontaktieren können.«
Muhammed Ahmadi lächelte. »Daran haben wir bereits gedacht, Herr Doktor. Deshalb haben wir auch ein Handy für Sie mitgebracht. Es ist unser Geschenk an Sie.« Er holte ein altes Nokia-Handy aus seiner Jackentasche. »Es ist nicht die beste Technologie. Das tut uns leid. Aber Sie können problemlos Ihre Frau und Ihre Söhne anrufen. Sie müssen mich nur fragen. Bitte lassen Sie also Ihre Geräte zu Hause.«
Robert Wainwright legte sein Handy auf ein Tischchen im Eingangsbereich.
»Ich muss in Ihrer Tasche nachschauen. Bitte.«
Muhammed Ahmadi holte aus seiner Tasche ein iPad und ein weiteres Handy. »Wie ich sehe, sind Sie ein Mann mit vielen Verbindungen«, sagte er. Zog den Reißverschluss der Tasche wieder zu. Lächelte. »Jetzt können wir los. Bitte verriegeln Sie noch Ihr Haus vor den Kapstädter Dieben.«
City Bowl. Mart Velaze bemerkte die Einschusslöcher in der Tür des Schlafzimmers. Genau entlang einer Linie platziert. Auf dem Boden war eine Reihe Blutstropfen zu sehen. Getrocknet. Langsam drückte er die Klinke nach unten und versuchte die Tür zu öffnen. Keine Bewegung. Er rief: »Krista? Krista?« Keine Antwort. Er wich zurück und trat zu, so dass sein Schuh direkt das Schloss traf. Immer und immer wieder. Bis die Tür endlich aufbrach.
Stal Plein. »Das ist meine Handynummer, die Sie gerade anrufen.«
Dr. Ato Molapo hörte die Irritation in Gogol Moosas Stimme. Aber wer hatte hier das Recht, irritiert zu sein? Wer stand hier unter Druck?
»Wir hatten ausgemacht: kein Handykontakt.«
Der Direktor bemühte sich, nicht selbst wütend zu werden. Er lief über das feuchte Geröll, wobei seine Wangen von der kalten Morgenluft prickelten. Es wurde allmählich Winter. Fragte: »Wann werden Sie die Frau haben, Kommissar?«
»Heute. Das habe ich Ihnen doch schon gestern Abend gesagt. Wir haben die Akte, wir haben die Beweise. Wir wissen, wo sie sich aufhält. Sie wird heute Morgen verhaftet.«
Molapo starrte eine Statue an: ein Offizier auf einem Pferd, das sich aufbäumte. Streckte die Hand aus und wischte den Morgentau vom Stiefel des Soldaten. »Ich bin derjenige, der Bericht erstatten muss. Ich bin derjenige, der sich alles anhören muss, wenn es wieder vermasselt wird.«
»Diesmal wird es keine Probleme geben.«
Molapo schnippte mit der Hand und trocknete sie an seinem Hosenboden. »Das kann ich also dem Genossen Staatssekretär mitteilen?«
»Das können Sie.«
»Hundertprozentig?«
»Natürlich. Was ist mit Ihrem Mann?«
»Mein Mann ist dort, wo er sein soll.«
»Er ist auf unserer Seite?«
»Das wissen Sie.«
»Wollte nur noch mal nachfragen.« Ein leises Lachen. »Wir wissen, wo sich seine Familie befindet.«
»Gut«, meinte Molapo. »Ich auch. Aber wen Sie brauchen, ist die Frau.« Er legte auf. Trat zu der Barriere, die den Parlamentsbezirk umgab. Er rief den Genossen Staatssekretär an.
Autobahn N7. Vicki Kahn hielt sich zwei Autos hinter dem blauen 320i. Es gab genügend Verkehr aus der Stadt, um ungesehen folgen zu können. Später auf dem schmalen Stück durch das Olifants Valley hätte sie mehr Mühe. Langsame LKWs, Landarbeiter in klapprigen Bakkies – wenn sie hinter einen von denen geriet, würde sie den BMW aus den Augen verlieren und abgehängt werden. Selbst wenn sie unbemerkt durch das Tal kam, lag die lange gerade Straße Richtung Norden dahinter. Wenn sie dort losbretterten, würde es schwer werden, mitzuhalten. Wenn sie es nicht taten, würde es schwer werden weit genug zurückzubleiben, um ihnen unbemerkt zu folgen.
Vicki seufzte. Kein leichtes Leben. Sie schob eine ihrer Lieblings-CDs in den Player. Melissa Etheridges 4th Street Feeling. Eine tröstliche Musik, die sie jetzt brauchte.
Sie nahm auf ihrer Freisprechanlage einen Anruf von Fish entgegen. Es war zwar nicht gerade Nachmittag, aber so war Fish nun mal.
»Wie geht es dem Ex-Sträfling?«
Fish lachte. »Er will ein Date.«
»Du hattest doch erst eines vor ein paar Stunden.«
»Das war dann, jetzt ist jetzt. Du bist zu schnell gegangen.« Eine Pause. »Schöne Musik. Deine Freundin Melissa mal wieder.«
»Stimmt.«
»Hör zu, Vics. Ich komme in die Stadt rein. Hast du Zeit zu einem Mittagessen?«
»Tut mir leid, Babes. Das klappt nicht. Ich bin auf der Straße.«
»Echt? Hast du gar nicht gesagt.«
»Das hat sich auch spontan ergeben.«
»Noch vor dem Frühstück? Krass. Und wo?«
»Es geht um einen Farmarbeiter-Disput. Draußen im Gramadoelas.«
»In welchem Teil des Gramadoelas genau?«
»Koue Bokkeveld.«
Fish stieß einen Pfiff aus. »Das ist ja irre weit weg. Sitzt du hinterm Steuer?«
»Wie du hören kannst. Nur ich und Melissa.« Sie drehte die Lautstärke der Stereoanlage höher. »I’m fancy-free …«
»Ich weiß. And I’m falling up. Wie lange bleibst du da, was meinst du?«
»Ich hoffe, einen Tag. Höchstens zwei. Mehr als zwei, und ich brauche frische Wäsche. So here’s to me.« Vicki sang weiter.
Stal Plein. »Genosse Direktor«, sagte der Genosse Staatssekretär. »Sie sind ja heute ein früher Vogel. Aber Sie werden trotzdem keine Würmer auf unserem Rasen finden.« Er kicherte. »Was haben Sie uns zu berichten?«
»Es geht um die Frau.« Ato Molapo blickte über den Regierungsbezirk in Richtung des offiziellen präsidialen Büros: De Tuynhuis.
Wann hatte der Mann zuletzt einen Fuß dort hineingesetzt? Wann hatte er einmal länger dort verweilt als nur für eine kurze Stippvisite? Selbst im Parlament war er, wenn er es recht bedachte, garantiert nicht mehr seit dem Attentatsversuch gewesen. Und davor auch nicht gerade häufig.
Heutzutage wurden alle Geschäfte vom Bambatha-Palast aus geregelt. Genauer gesagt, aus dessen Bunker.
Man konnte nicht behaupten, dass Direktor Ato Molapo den Palast nicht kannte, geschweige denn den Bunker. Er hatte schon häufig in dessen Gemächern gesessen, hatte Champagner genippt, Wimbledon geschaut und zahlreiche Videos von berühmten Tennisspielen. Es war von Vorteil, Schwiegersohn zu sein.
Das Gerücht ging um, der Präsident sei ein gebrochener Mann. Beinahe ein Krüppel durch die Schussverletzung. Dass Bambatha seine Grandezza verloren habe. Es kursierten Geschichten von Kühen auf den Rasenflächen, selbst auf den Terrassen, und Unkraut auf den Tennisplätzen. Einige der Gästehäuser seien verriegelt, ihre Stoeps ungepflegt, Farbe bröckle von den Mauern. Die Armee der Putzleute, Gärtner und Köche sei in ihre fernen Dörfer zurückgekehrt.
Alles Gerüchte.
Bambatha war so strahlend wie eh und je. Der Präsident hatte sich von der Schusswunde erholt. Er war noch immer von Bienen und Bienenhäusern fasziniert. Jedes Mal, wenn die Familie zusammenkam, gab es einen Besuch bei den Bienenhäusern. In der mittäglichen Hitze liefen alle unter großen Schirmen zu der Plantage, wo die Bienen gehalten wurden. Auf dem Weg dorthin pries das Familienoberhaupt den Honig der afrikanischen Bienen – seine wertvollen Inhaltsstoffe, seine Heilkräfte. Wie Bienenstöcke in jedem Dorf diesem Wohlstand und Gesundheit bringen würden. Wie der globale Honigmarkt durch Investitionen in Bienen von den Ufern des Limpopo bis zum Kap der Guten Hoffnung kontrolliert werden könnte.
Bei jedem Familienfest war auch der Genosse Staatssekretär anwesend. Er stand stets etwas seitlich und mischte sich nie ein.
»Genosse Direktor«, hörte Molapo den Genossen Staatssekretär sagen, »erzählen Sie mir von der Frau.«
Der Mann hatte eine weiche Stimme, fast wie die einer Frau. Molapo kannte den Klatsch: Er sei ein Stabane – ein Abtrünniger, ein Homosexueller. Einmal hatte der Präsident erklärt, er würde jeden Ungqingili niederschlagen, der vor ihn trete. Doch jetzt hatte es der Schwule sogar bis in den Bunker geschafft.
»Heute Morgen. Mir wurde mitgeteilt, dass sie heute Morgen verhaftet wird. Es gibt neue Beweise.«
»Das habe ich schon mal gehört. Diese ganze Angelegenheit ist höchst enttäuschend. Warum hat man die Frau nicht längst wegen des Mordes am Minister verhaftet?«
»Ich bin nicht die NPA«, entgegnete Molapo.
»Aber Sie sind ein Mann unseres Präsidenten«, erwiderte der Genosse Staatssekretär. »Sie gehören zur Familie. Er vertraut Ihnen in dieser Beziehung. Sie müssen das alles organisieren.«
»Das werde ich, Genosse Staatssekretär.«
»Das letzte Mal, als sie verhaftet werden sollte, ist sie verschwunden.«
»Ganz bestimmt wird sie sich sehr bald in Polizeigewahrsam befinden.«
Schweigen.
Molapo räusperte sich. Er streckte die Hand nach dem nassen Geländer aus, um sich besser in der Welt zu verorten.
»Sobald Sie wissen, dass die Frau verhaftet wurde, dann rufen Sie mich an. Sie rufen mich an, während Sie die Frau hinter Gitterstäben betrachten. Ist das klar, Genosse Direktor?«
Direktor Dr. Ato Molapo sagte, das sei es.