Vierundvierzig

N7. »All das Ackerland«, erklärte Muhammed Ahmadi Dr. Robert Wainwright. »So viel Land. Wem gehört all das Land?«

Muhammed Ahmadi saß hinter dem Steuer. Der BMW fuhr am Tempolimit dahin: hundertzwanzig Stundenkilometer. Mohammad Hashim schmollte auf dem Beifahrersitz. Er hatte sich geweigert, hinten neben dem verängstigten Wissenschaftler zu sitzen.

»Wozu? Wie sollte er entkommen?«, hatte er gefragt.

Muhammed Ahmadi hatte beschlossen, dass es sich in diesem Fall nicht lohnte, eine Diskussion anzufangen.

Wainwright hing auf der Rückbank und starrte auf die Stoppelfelder hinaus, die bläulichen Berge in der Ferne. Sodbrennen und eine Panik in seiner Brust erschwerten ihm das Atmen. Immer wieder umkreiste er gedanklich den einen Satz: Das ist Wahnsinn, das ist Wahnsinn, das ist Wahnsinn. Man könnte mir was antun. Man kann mich töten. Er schloss die Augen und atmete flach, während es in seiner Brust quälend stach. Zumindest befanden sich Belinda und die Jungs in Sicherheit.

»Dr. Wainwright?«

»Was? Entschuldigung. Was haben Sie gesagt? Ich habe Sie nicht gehört.« Er sah die Augen des Mannes im Rückspiegel. Augen so undurchdringlich wie ein dichter Wald. Es war zwar der freundlichere der beiden, aber in seiner Freundlichkeit durchaus auch beängstigend.

»Ich habe Sie gefragt, wem dieses Land gehört.«

»Das ist unsere Kornkammer«, erklärte Wainwright. »Ich weiß nicht, wem der Boden gehört. Großen Landwirtschaftsbetrieben, würde ich vermuten.«

»Ja, nehme ich auch an. So etwas ist für die Sicherheit der Nahrungsmittelerzeugung eines Landes wichtig. Mir gefallen Ihre großen Farmen, Dr. Wainwright. Das ist … Wie sagt man? … Eindruckend.«

»Eindrucksvoll.«

»Eindrucksvoll. Danke. Ein neues Wort.«

Robert Wainwright sah, wie Mohammad Hashim Ohrstöpsel aus seiner Jackentasche zog und das Ende des Kabels in sein Handy steckte. Er wandte den Kopf, um auf die braune Landschaft zu blicken. Ihn interessierte ihre Unterhaltung nicht. Wainwright hörte das metallene Scheppern von Black Sabbath, blechern, ohne Rhythmus. Dieser Mann war furchterregend, kalt, gefangen in seiner Welt aus Metall. Kein Sinn für andere Menschen. Er war fähig zu töten. Im Rückspiegel bemerkte Wainwright die Augen des Fahrers.

Muhammed Ahmadi sagte: »Wissen Sie, der Iran hat auch eine große Landwirtschaft. Wir sind eine Wüste, und doch liefern wir der Welt Getreide. Das ist unglaublich, oder?«

»Ja, wahrscheinlich«, erwiderte Wainwright mit trockenem Mund. Er saugte seine Wangen ein, um Spucke zu sammeln. »Ich weiß nicht. Ich habe noch nicht viel über den Iran gelesen.«

»Für Sie gibt es auch keinen Grund, etwas über mein Land zu lesen, Dr. Wainwright. Sie sind Naturwissenschaftler. Sie lesen über Atomkraft.«

»Meistens.« Wainwrights Mund war noch immer staubtrocken. Er hätte am liebsten neben sich gefasst, um eine Flasche Wasser aus dem Sechserpack zu ziehen, das dort stand. Vage hörte er, wie Muhammed Ahmadi über sein Land weiterredete und über das Wunder, auf unfruchtbaren Böden Obst wachsen zu lassen. Über die Handelsbeziehungen zu anderen Nationen.

Robert Wainwright unterbrach ihn. »Kann ich bitte etwas Wasser haben?«

Die Augen des Mannes im Rückspiegel. »Natürlich, Dr. Wainwright. Die Wasserflaschen stehen neben Ihnen. Bitte, bedienen Sie sich.«

Wainwright streckte die Hand aus und zerrte eine Flasche aus der Plastikhülle. »Wollen Sie auch?«

»Nein, vielen Dank. Im Moment nicht.« Eine Pause, in der Wainwright den Deckel aufdrehte und zwei große Schlucke kaltes Wasser trank. Er hörte, wie Muhammed Ahmadi sagte: »In Afrika ist es viel leichter als in anderen Ländern. Glauben Sie mir. In Afrika kann man mit dem Dollar alles bekommen. In Afrika will jeder Geld. Was auch immer man verkaufen kann, findet man auf dem Markt. Stimmt das nicht?«

Muhammed Ahmadi nahm seine linke Hand vom Steuer und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Deshalb sind wir hier in Ihrem Land, Dr. Wainwright.« Er lachte. Ein gezwungenes Lachen. »Stimmen Sie mit mir überein. Ja?«

Wainwright schnitt eine Grimasse und zuckte die Achseln. Er schraubte den Deckel wieder auf die Flasche.

»Natürlich ist das so. Der Dollar bringt jeden Tag in Afrika etwas Neues.«

Vielleicht, dachte Wainwright. Ein bedrückender Gedanke, aber mit Molapos stillschweigender Duldung und seiner Gier – vielleicht hatte der Mann recht. Ihm wurde klar, dass er nicht besser war. Auch er hatte die Silberlinge entgegengenommen. Er war also in den Augen von Muhammed Ahmadi ein wahrer Afrikaner.

»Ruhe, bitte. Ruhe.« Mohammad Hashim wandte sich mit harter Stimme an sie. Er zog die Ohrstöpsel heraus und klopfte auf sein Handydisplay. »Ich bekomme einen Anruf.« Er hielt den Apparat an sein Ohr und sprach nun auf Farsi.

Wainwright dachte: Und jetzt? Seine Angst nahm zu. Mohammad Hashim lauschte, ohne etwas zu sagen. Am Ende des Gesprächs wünschte er seinem Gesprächspartner »Ma’al-salamah«. Dann redete er mit Muhammed Ahmadi, wobei das einzige Wort, das Wainwright verstand, Imam lautete.

Er sah, wie Muhammed Ahmadi einen Blick in den Rückspiegel warf. Die beiden Männer tauschten sich mit gereizten Stimmen aus.

Dann sagte Muhammed Ahmadi: »Schauen Sie bitte hinter sich, Dr. Wainwright. Ist da vielleicht ein Auto, das Sie wiedererkennen?«

Was ihm weitere zischende Worte von Mohammad Hashim einhandelte.

Wainwright drehte sich um, ohne den Sicherheitsgurt zu lösen, und sah nach hinten. »Das kann ich unmöglich sagen. Hinter uns fahren so viele Autos.« Er zwang sich hinzuzufügen: »Werden wir denn verfolgt?«

»Wie kommen Sie auf die Idee?« Mohammad Hashim sah ihn drohend durch die Lücke zwischen den Vordersitzen an. »Folgt uns diese Frau?«

»Welche Frau?«

»Die Frau, die Sie in Ihrem Haus besucht hat.«

Um nicht zu zeigen, dass seine Hände zitterten, drehte Dr. Wainwright wieder die Wasserflasche auf und nahm einen weiteren Schluck.

»Ja, Sie zeigen mir, dass es so ist. Das ist sehr dumm von der Frau, Dr. Wainwright.« Mohammad Hashim grinste. »Kennen Sie diese Straße?«

Wainwright nickte. »Ich bin schon hier entlanggefahren.«

»Bis dorthin, wo wir hinfahren?«

»Ja, zweimal.«

»Ist es eine vielbefahrene Straße?«

Wainwright schüttelte den Kopf. Runzelte die Stirn. Fragen, seltsame Fragen. Diese Männer stellten Fragen, aber man verstand nicht, was sie bedeuteten.

»So.« Mohammad Hashim hielt eine Landkarte hoch. »Bitte zeigen Sie mir die leere Straße.«

Wainwright zeigte auf eine lange, gerade blaue Linie. »Dort gibt es keinen Verkehr. Höchstens Farmer. Vereinzelte Touristen. Und Leute, die ihre Erzeugnisse verkaufen. Manchmal sieht man kilometerlang kein anderes Auto.«

»Gut, Dr. Wainwright. Danke.« Er wandte sich auf Farsi an Muhammed Ahmadi. Dann stöpselte er wieder Black Sabbath in seine Ohren.

Wainwright nahm noch einen Schluck. »Was ist los? Worüber reden Sie?«

Die Augen im Rückspiegel. Ein Lächeln. »Entspannen Sie sich, Dr. Wainwright. Wir ergreifen nur Vorsichtsmaßnahmen, damit alles problemlos läuft. Keine Sorge. Keine Bange – so sagt man doch auch? Wollen Sie jetzt das Ende der Geschichte hören, mein Freund?«

»Welche Geschichte?«, fragte Wainwright. Er dachte an die nette Frau, Vicki Kahn. Sie wirkte nicht wie ein harter Mensch. Sie konnte seine Position verstehen. In gewisser Weise hatte sie ihm sogar helfen wollen. Seiner Familie helfen wollen. Was würden sie mit ihr tun? Falls es sie war.

Muhammed Ahmadi schnipste mit den Fingern. »Die Geschichte darüber, warum wir Geschäfte mit Afrika machen, vor allem mit Ihrem wunderbaren Land.«

»Ach, die.«

»Ja, die Geschichte. In den kommenden Tagen wird es für Ihren Präsidenten so sein, als hätte jemand einen Hahn aufgedreht. Das sagt man doch so, oder? Einen Hahn aufdrehen? Wenn ein Strom herausfließt, um Ihre Eimer zu füllen? Ja?«

Wainwright bejahte.

»Für Sie ist es auch ein Hahn.«

»Vermutlich.«

»Sie werden Geld haben, Dr. Wainwright, sehr, sehr viel Geld. Sie können ein paar Sachen für Ihre Familie kaufen. Dafür ist Geld da. Und für Sie wird es hilfreich sein, nicht wahr, Dr. Wainwright? Das Geld, das wir Ihnen zahlen, wird sehr willkommen sein, denke ich. Glauben Sie das auch?«

Wainwright antwortete nicht. Er sah Muhammed Ahmadis Blick im Rückspiegel. »Denken Sie nicht? Ich schon. Bei einer Familie gibt es immer Ausgaben. Für einen Urlaub. Vielleicht für ein neues Auto. Für das Geschäft Ihrer Frau. Sie werden sehen, Dr. Wainwright, Sie werden dankbar sein, dass Sie zwei Männern aus dem Iran helfen konnten.«

Dr. Robert Wainwright spürte, wie sich seine Brust erneut verkrampfte. Aus seiner Jackentasche zog er eine Blisterpackung Säureblocker.