Rosebank. Vicki Kahn parkte den MiTo am Bordstein. Sie sah sich in der Straße um. Etwas weiter vor ihr standen ein paar Autos, einige hinter ihr. Niemand Offensichtliches ließ sich blicken. Dass es eine Überwachung gab, war also unwahrscheinlich. Ein ruhiger Vorort von Akademikern. Nicht einmal ein Gärtner war zu sehen, wie er gerade eine Hecke schnitt.
Dachte: Versuche ich es auf die sanfte oder auf die harte Tour?
Auf die harte.
Sie setzte ihr Geld auf die harte Tour.
Vicki sah zum Haus hinüber. Hübsch, dieser spätviktorianische Stil. Zwei Autos in der Einfahrt. Ein Camry-Kombi und davor ein Ford Fiesta. Niedlich, dass es hier keine hohen Mauern, keinen Elektrozaun und kein elektronisches Sicherheitstor an der Straße gab. Keine Kameras. Keine Gegensprechanlage. Man ging durch das Gartentor, wie sie das jetzt tat, und den Weg hoch zum Haus. Keine Gitter vor den Fenstern. Man klingelte an der Tür: dingdong. Man wartete. Durch das getüpfelte Glas konnte man sehen, wie jemand näher kam. Kein Spion, um zu prüfen, wer da war, ehe man aufmachte. Völliges Vertrauen. Das Leben war in Ordnung. Als ob es keine Barbaren gäbe, die durch die Straßen zogen. Als ob es statistisch gesehen nicht mehr Einbrüche, Überfälle mit schwerer Körperverletzung und Morde gäbe. Nein. Nicht hier. Wie Fish lebten auch die Wainwrights in einem anderen Universum. Obwohl sie nur nach nebenan schauen mussten, um der Wirklichkeit zu begegnen. Nebenan stand ein verbarrikadiertes Haus. Von oben bis unten.
Schade, dass die Wainwrights nun diesen Weckruf bekamen.
Dr. Robert Wainwright öffnete einen Spalt breit die Tür. Hinter ihm sagte seine Frau Belinda: »Wer ist das, Robert? Was will sie hier?«
»Lassen Sie mich rein, Robert«, sagte Vicki. »Wir müssen reden.«
»Müssen wir nicht. Ich habe Sie gebeten, uns in Ruhe zu lassen. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich raus bin. Das alles geht mich nichts an.«
»Das tut es sehr wohl, Robert. Das wissen Sie auch. Sie sind verwickelt. Ich habe die Fotos gesehen, ich weiß, wie sehr Sie verwickelt sind. Ihre ganze Familie ist jetzt verwickelt.«
»Wie?«, fragte Belinda. »Wie haben Sie die Fotos gesehen?«
Vicki drückte gegen die Tür. Von Robert Wainwright kam kein Widerstand. Sie trat in den Flur.
»Sie ist vom Geheimdienst«, sagte Robert.
»Ist mir egal. Ich will sie nicht hier haben.«
Vicki fragte: »Wo können wir reden?«
Sie spürte, dass es im ganzen Haus seltsam still war. Ein düsteres Licht herrschte überall durch die zugezogenen Vorhänge, und am Ende des Gangs entdeckte sie zwei Jungen in Schuluniform, die sie verängstigt anstarrten. »Ein Glas Wasser, bitte. Belinda?« Vicki wandte sich an die Frau. »Bitte, wenn Sie nichts dagegen haben.« Sie sah, wie Robert seiner Frau zunickte, die jedoch immer noch feindselig wirkte.
Er zeigte auf das Zimmer zu Vickis Rechten. Sie betrat ein Wohnzimmer: zwei mit Chintz bezogene Sofas, die zu einem L zusammengeschoben waren, sowie ein Ohrensessel im floralen Sanderson-Design, der ihnen zugewandt dastand. Sie setzte sich in den Sessel.
Robert Wainwright zog die Vorhänge einen Spaltbreit auf. Blieb stehen.
»Sie sind ziemlich dreist, hier zu mir nach Hause zu kommen.«
»Setzen Sie sich, Robert.«
Robert Wainwright achtete nicht auf ihren Vorschlag.
Vicki sagte: »Es tut mir leid. Es gibt keine andere Möglichkeit, das zu machen. Außerdem müssen Sie schnell handeln. Bitte setzen Sie sich, wir müssen reden.«
Robert Wainwright setzte sich.
Vicki spürte, dass sie einem Geschlagenen gegenübersaß. Er ließ die Schultern hängen und wirkte ganz anders als der Mann, den sie zuvor auf der Lichtung neben dem Wasserbecken getroffen hatte.
»Ich kann das nicht.« Er sprach leise und hielt den Kopf gesenkt, während er auf seine Füße starrte, die noch immer in den Wanderstiefeln steckten.
»Sie müssen. Es gibt jetzt keine Alternative mehr.« Vicki lehnte sich zurück. »Sie glauben vielleicht, dass es das Beste sei zu fliehen, aber dem ist nicht so. Sie planen, bei Ihrer Familie Unterschlupf zu finden. Tun Sie das nicht. Eine schlechte Idee. Familien kann man leicht finden. Freunde wären in dem Fall sicherer. Noch besser ein Mietshaus außerhalb von Kapstadt. Natürlich keine Schule für die Kinder. Belinda schließt den Salon. Es sollte bloß eine Woche dauern. Höchstens zehn Tage.« Sie blickte zu Belinda auf, die ein Glas Wasser in der Hand hielt. »Sobald sie einmal loslegen, dauern solche Sachen nie lange.« Sie nahm das Wasser und trank einen Schluck. »Ja?«
Belinda setzte sich neben ihren Mann. Die Jungen standen unter der Tür. »Sobald wer mit was loslegt?«
»Das ist nur so ein Ausdruck.« Vicki rieb sich den Mund mit dem Handrücken ab.
»Es geht um unser Leben.«
»Einen Moment.« Robert stand auf, geleitete die Jungen aus dem Zimmer, wobei er ihnen noch etwas zuflüsterte, und schloss dann die Tür. Er wandte sich an Vicki: »Was meinen Sie mit Ja?«
Vicki schaute von dem Mann zu seiner Frau. Beide wirkten höchst alarmiert. In Panik. Sie rutschte auf dem Sessel weiter nach vorn.
»Ich meine, dass es das Beste wäre, so zu handeln. Ihre Familie irgendwohin in Sicherheit zu bringen.«
»Das Beste? Da draußen sind zwei Iraner, ich habe sie kennengelernt, das sind hinterhältige Schweine, die meine Familie bedrohen. Wir reden hier nicht über etwas Abstraktes. Es geht um unsere Sicherheit. Um unser Leben.«
»Genau. Weshalb Ihre Frau und Ihre Söhne eine Weile an einen anderen Ort müssen. Nicht unbedingt weit weg. Montagu, Hermanus, wenn Sie weiter wollen, dann Knysna. Selbst Johannesburg wäre okay.«
»Und Robert? Was passiert mit Robert?« Belinda hatte die Hand auf das Knie ihres Mannes gelegt.
Vicki lächelte. Versuchte das, was im Agentenausbildungsbuch »Sanfte Beschwichtigung« genannt wurde. »Robert geschieht nichts. Ihm wird nichts geschehen.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Die brauchen ihn, Belinda, und wir brauchen ihn. Er wird unter unserem Schutz stehen.«
Robert Wainwright schnaubte verächtlich. »Schutz – dass ich nicht lache.«
»Hören Sie, diese Aufnahmen sollen Sie verunsichern. Ihnen Angst machen. Wenn Sie, Belinda, an einem sicheren Ort sind und wenn Robert das tut, was man von ihm verlangt, wird das bald ein Ende haben.« Vicki trank mehr Wasser und stellte das Glas auf ein Beistelltischchen.
»Warum kann man diese Männer nicht verhaften?« Belindas Augen funkelten. »Ich verstehe nicht, warum das nicht geht. Oder auch ihren Chef. Verhaften Sie ihn doch.«
Vicki dachte: Mein Gott, Robert hat ihr schon zu viel erzählt. Viel zu viel. »Das können wir nicht. Noch ist nichts passiert.«
»Aber Sie wissen, was diese Leute planen. Robert hat es Ihnen erzählt. Es handelt sich um eine illegale Verschwörung. Verhaften Sie sie.«
»Wir werden uns darum kümmern. Dafür brauchen wir Roberts Insiderinformationen. Er ist der Einzige, der uns dabei helfen kann.«
»Und dafür wollen Sie ihn opfern?«
Vicki wandte den Blick nicht ab. »So ist das nicht.«
»Es klingt aber so. Dass Sie ihn als Köder benutzen.«
»Belinda.«
»Nein, Robert. Es geht um uns. Um unser Leben. Unsere Familie. Wir haben darüber gesprochen.«
»Okay.« Vicki lehnte sich zurück. Hielt inne. »Betrachten wir die Sache einmal anders herum. Und zwar von der Seite dieser Männer. Die brauchen Robert. Ohne ihn können sie diese Angelegenheit nicht abschließen. Aber Robert ist unwillig mitzuarbeiten. Um ihn zu brechen, schrecken sie nicht davor zurück, seine Schwachstelle zu nutzen – und zwar Sie, seine Familie.« Wieder machte sie eine Pause. Belinda sah sie nicht mehr an, sondern blickte aus dem Fenster. »Es gibt kein Entkommen, Belinda. Diese Männer haben einen Auftrag, und ihnen wird durch korrupte Staatsbeamte unserer Regierung geholfen.« Vickis Blick war auf Wainwright gerichtet. »Das Beste, was wir tun können, ist, es geschehen zu lassen. Dann verhaften und die negativen Auswirkungen begrenzen.«
»Negative Auswirkungen? Es geht um unser Leben.« Belinda verlor die Nerven. Sie begann zu wüten, und ihr Gesicht lief dunkelrot an. Warum gerade sie? Warum die Kinder? Warum diese Spielchen? Warum benutzte man sie als Schachfiguren? »Spielzeug, das ist alles, was wir für Sie sind.« Ihre Heftigkeit ließ sie fast geifern.
Vicki beobachtete, wie Robert Wainwright einen Säureblocker einwarf, während er versuchte, seine Frau zu beruhigen. Er hielt sie fest. Belinda stieß ihn beiseite. Bis sie sich beruhigt hatte, schwiegen die anderen beiden.
Dann meinte Robert: »Danach kein Zeugenschutzprogramm. Kein Geheimversteck. Das haben Sie gesagt.«
»Das habe ich.« Vicki streckte sich nach dem Glas Wasser aus. »Wir sprechen hier nur über operative Geheimdienstinformationen.« Sie hörte sich selbst diese Worte verwenden – Henry Davidsons Ausdrucksweise.
Operative Geheimdienstinformationen.