Dreiundfünfzig

Brandvlei Road. Im letzten Ort, durch den sie kamen, hatten sie in einer Seitenstraße geparkt und dort gewartet. Sie hatten einen unverstellten Blick auf die vorbeifahrenden Autos. Dr. Robert Wainwright wollte wissen, was los war.

Essen Sie ein Sandwich, hatte Mohammad Hashim vorgeschlagen.

Sie hatten alles für die Fahrt dabei. Außer dem Wasser gab es eine Kühlbox mit Sandwiches, Obstsäften und Äpfeln. Eine Thermoskanne mit Tee. Ein Tee, den Wainwright bisher nicht gekannt hatte. Wohlschmeckend. Vollmundig. Ließ Five Roses lächerlich wirken. Trotz seines Sodbrennens war Wainwright dem Rat gefolgt. Er hatte ein Sandwich gegessen, frisch von Woolworths. Hatte um eine weitere Tasse Tee gebeten. Mohammad Hashim erklärte: Keinen Tee mehr, trinken Sie einen Apfelsaft.

Er beobachtete, wie sich Mohammad Hashim selbst einen Tee eingegossen und dann die Thermoskanne an Muhammed Ahmadi weitergereicht hatte.

»Sorry, mein Freund«, sagte Muhammed Ahmadi und schüttete sich den letzten Tee in einen Becher. »Ich werde Ihnen eines Tages ein Paket mit Tee schicken.«

Das war der Unterschied zwischen den beiden Männern, klar und deutlich, dachte Wainwright. Ahmadi hatte Überreste von Mitgefühl, Hashim hingegen war nur noch ein Barbar.

Sie hatten dagesessen und Sandwiches mit Hühnchen gegessen, wobei Wainwright jedes Mal, wenn die Männer tranken, der Duft des Tees in die Nase stieg. Es hatte mindestens eine halbe Stunde gedauert.

Wainwright hatte erneut gefragt, warum sie angehalten hatten. Auch wenn er den Grund kannte.

»Niemand kann die ganze Zeit fahren«, erwiderte Muhammed Ahmadi.

Sie hatten die Fahrzeuge beobachtet: die Bakkies der Farmer, einen Viehtransporter, zwei SUVs. Bis das weiße Mietauto vorbeikam. Das ließ Mohammad Hashim fast hochschrecken. Er verschüttete beinahe seinen Tee. Die beiden Männer begannen auf Farsi miteinander zu streiten. Wainwright hatte einen Blick auf die Person hinter dem Steuer werfen können. Es war sie! Vicki Kahn, die Agentin.

Die Männer beruhigten sich und tranken ihren Tee zu Ende. Saßen weitere zehn Minuten da und beobachteten die Kreuzung. Ein dunkelbrauner SUV fuhr aus dem Ort, einer, von dem Wainwright glaubte, dass er zuvor hineingefahren war. Drei landwirtschaftliche Fahrzeuge. Ein Mann auf einem Fahrrad, neben dem ein Hund dahintrottete.

»Also, Sie glauben, es sind noch etwa zweihundert Kilometer?«, erkundigte sich Muhammed Ahmadi.

»Ja, in etwa«, erwiderte Wainwright und sog an einem weiteren Säureblocker.

Hashim sagte: »Wir müssen fahren. Los, fahren wir!« Er wies auf die Straße vor ihnen.

Sie fuhren. Muhammed Ahmadi wirkte völlig entspannt, während er durch den kleinen Ort kurvte und dann in die Brandvlei Road abbog.

Wainwright starrte auf die leeren Straßen und die geschlossenen Läden. Unterhalb einer verblichenen Werbung für ein Waschmittel saß eine Frau auf einem Stuhl mit gerader Lehne in der Sonne. Ihr Kiefer bewegte sich ununterbrochen, als ob sie kauen würde. Wie war wohl das Leben in einem kleinen Ort wie diesem? Wainwright strich mit Daumen und Zeigefinger über seine Augenlider. Zerbiss die Tablette zwischen den Zähnen, um eine Welle der Übelkeit zu unterdrücken. Die Übelkeit der Angst.

Es dauerte etwa eine Viertelstunde, ehe Mohammad Hashim etwas zu Muhammed Ahmadi sagte und in die Ferne zeigte. Wainwright rutschte auf der Bank nach vorne. Etwa zwei oder drei Kilometer vor ihnen war ein Auto zu erkennen. Der einzige Wagen, den sie gesehen hatten, seitdem sie den kleinen Ort verlassen hatten.

Sie holten den VW Polo rasch ein. Muhammed Ahmadi fuhr dicht auf und betätigte die Lichthupe.

»Was tun Sie da?«, rief Wainwright. Er lehnte sich in die Lücke zwischen den Vordersitzen. »Sie werden sie von der Straße abdrängen.«

Die Männer ignorierten ihn. Konzentrierten sich auf die Frau in dem weißen Wagen.

Es war eindeutig Vicki Kahn: die schwarzen Haare, die zarte Linie ihrer Schultern.

»Mein Gott, Sie werden noch einen Unfall bauen.« Wainwright versuchte den Schalthebel zu erreichen, weil er hoffte, ihn in den Leerlauf reißen zu können.

Dann bemerkte er erst die Waffe in Mohammad Hashims Schoß.

Wich zurück. Rief: »Was zum Teufel wollen Sie mit diesem Ding machen?«

Muhammed Ahmadi riss den Wagen auf die entgegengesetzte Fahrbahn, wodurch Wainwright zur Seite geschleudert wurde. Mit einer Hand stützte sich der Wissenschaftler auf der Rückbank ab, während er mit der anderen an Mohammad Hashims Schulter riss.

Der BMW fuhr nun beinahe gleichauf mit dem Mietwagen.

»Das können Sie nicht. Um Himmels willen.« Wainwright lehnte sich erneut vor, als ihm Mohammad Hashim den Ellbogen ins Gesicht stieß. Dann drehte er sich um und schlug mit dem Pistolengriff seitlich gegen Wainwrights Schädel. Einmal, zweimal.

Wainwright sackte nach unten und hielt sich den Kopf. Trotz des Schmerzes hörte er die Schüsse und das Klimpern von etwas, das die Heckscheibe traf. Er knallte gegen den Vordersitz, als Muhammed Ahmadi abbremste. Die Reifen quietschten schrill auf dem Teer. Die beiden Männer saßen da und brüllten sich auf Farsi an.

Wainwright richtete sich auf, als der Wagen rückwärts anfuhr. Er blickte seine blutverschmierte Hand an. Sah im Veld das weiße Mietauto auf der Seite liegen, der Zaun aus Draht und Pfählen an der Stelle niedergewalzt, wo das Auto hindurchgebrochen war.

Der BMW hielt neben dem Wrack. Die beiden Männer stritten noch immer.

Wainwright fasste nach vorne und schlug mit seiner blutigen Hand so lange auf Mohammad Hashims Kopf ein, bis dieser die Waffe auf ihn richtete. Er fluchte und schrie ihn an: »Willst du sterben? Du willst sterben, oder? Soll ich dich erschießen?« Der Pistolenlauf zwang Wainwright dazu, von ihm abzulassen. »Ich erschieße dich. Kein Problem.«

Daran zweifelte Wainwright keine Sekunde lang. In den Augen des Mannes war der Mörder deutlich zu sehen. Er spürte, wie die Pistole auf sein Gesicht geschlagen wurde und das Korn seine Wange aufriss.

Er fiel nach hinten. Mohammad Hashim richtete die Waffe auf den Polo und feuerte drei Mal.

Ehe Ahmadi Gas gab, kam es zu einem erneuten Geschrei zwischen den beiden. Wainwright richtete sich mühsam auf und blickte nach hinten zu dem Wrack. Weiß vor dem Hintergrund der grauen Erde. Keine Bewegung.

»Ihr Dreckskerle«, murmelte er, während er das Blut in seinem Mund schmeckte. »Ihr verdammten Mörder.«