Sechsundvierzig

Tafelberg Road. »Es gibt Gerede, Häuptling«, erklärte die Stimme Mart Velaze. »Sehr, sehr viel Gerede macht die Runde. Überall. Von allen. In der Voliere. In den Taubenschlägen, in den Gängen. In den Toilettenkabinen. Hokkies ist ein passenderes Wort für diese Toilettenkabinen, finden Sie nicht? Irgendwie klaustrophobischer. Irgendwie für die Voliere geeigneter. Haben Sie es auch gehört, Häuptling, dieses Gezwitscher? In den Parks, hat man mir gesteckt, suchen die armen Russen nach den Brotkrumen der Israelis. Das sind wirklich aufgebrachte Vögel – ebenso wie die unserer eigenen Voliere. Höchst erregt, allesamt. Sie flattern hierhin und dorthin. Nur die Amerikaner hocken still in ihren Nestern. Selbst die sonst so zurückhaltenden Briten haben sich mit den Portugiesen zusammengetan. Wussten Sie, dass auch die Portugiesen einen Geheimdienst haben? Ich musste das erst nachschlagen. Er heißt Serviço de Informações Estratégicas de Defesa. Wie finden Sie das?«

Für Mart Velaze klang das nach keinem schlechten Akzent. Vielleicht hatte die Stimme die Jahre des Kampfes in Mosambik verbracht.

»Ziemlich lang. SIED abgekürzt. Übersetzt heißt das Strategischer Verteidigungs-Nachrichtendienst. Alles ziemlich harmlos. Nichts mehr von PIDE an sich. Jedenfalls behaupten sie das. Und sie sind ganz und gar für unsere liebe Freundin Caitlyn Suarez. Selbst die Kommunisten gurren sanft untereinander. Solch besorgte alte Vögel, die Kommunisten. Nach dem versuchten Attentat auf den Präsidenten sind sie allerdings nur noch brüchige Tontauben. Alle schießen auf sie. Aus Spaß und im Ernst. Aber ich komme vom Thema ab. So ein Riesenaufwand wegen einer einzigen Frau. Ich kann es kaum glauben. Bitte warten Sie einen Moment.«

Habe ich eine Wahl, dachte Mart Velaze und behielt das nun stumme Handy am Ohr. Er lehnte sich an sein Auto. Die Sonne schien warm auf seine Brust, während er den säuerlichen Geruch der Bergvegetation einatmete. Manche liebten dieses Aroma. Für Mart Velaze roch es nach Katzenurin.

Dann: »Wo sind Sie gerade?«

Er erklärte ihr, dass er unweit der Talstation der Seilbahn sei und gerade auf die Stadt hinunterblicke.

»Schöne Aussicht«, sagte sie. »Sie müssen von dort …« Die Stimme beendete den Satz nicht.

»Ja.« Er konnte die Häuser in der Glencoe Avenue sehen. Ebenso wie die blauen Lichter. Er sah das letzte Haus in der Straße. Ein schönes Haus. Ein tragisches Haus – all die Gewalt, die es miterlebt hatte.

»Hören Sie, Häuptling. Geht es Ihnen gut?«

Nein, dachte Mart Velaze. Sagte: »Ja.«

»Das ist alles schwer. Es tut mir so leid. Ich weiß …«

Der Rest blieb unausgesprochen in der Luft hängen. Mart Velaze antwortete nicht. Es mochte zwar mit Krista vorbei gewesen sein, aber …

»Ich komme jetzt zum nächsten Punkt, Häuptling. Es muss sein. Das soll keine Respektlosigkeit bedeuten, verstehen Sie? Es geht um Folgendes: Wir waren für Miss Suarez verantwortlich. Nicht leicht, zugegebenermaßen. Eine absolute Geheimoperation. Keine Unterstützung. In alle Richtungen abzustreiten. Aber das ist mein Problem, nicht Ihres. Weil sie so ein Rätsel ist, flattern die ornithologischen Vereinten Nationen hier rund um Company’s Garden herum wie kurz vor einem Sturm.«

Kann man so sagen, dachte Mart Velaze. Caitlyn Suarez hatte sie allesamt ausgetrickst. Sie und ihre Betreuer. Wer auch immer diese sein mochten. Wer auch immer die Fäden bei diesem Spiel zog. Das Bewachen durch den Sicherheitsdienst war nur Fassade gewesen.

Er schluckte, um die Galle nicht hochkommen zu lassen. Hielt die Augen auf die Straße und die Aktivitäten dort unter ihm gerichtet. Soweit er das mitgekriegt hatte, war es ein schneller Zugriff gewesen. Professionell. Nicht wie der vorherige Versuch. Kein Zögern diesmal. Die Agenten waren mit genauen Angaben ins Haus eingebrochen. Sie wussten, wohin sie mussten. Wer sich in welchem Zimmer aufhielt. Wobei sie auch Glück hatten. Sie mussten Krista erwischt haben, als sie gerade nicht aufgepasst hatte.

»Und jetzt, Häuptling? Wohin nun?«, wollte die Stimme wissen. »Sollen wir sie gehen lassen? Sollen wir sie suchen? Beachten wir die Tatsache, dass ein nationales Interesse berührt wird?«

Wir finden heraus, wer das alles getan hat, dachte Mart Velaze.

»Akzeptieren wir die stillschweigende Übereinkunft, uns rauszuhalten, oder folgen wir dem alten Appell der Trommeln, die zur Schlacht rufen?«, fuhr die Stimme fort.

Wir begleichen die offenen Rechnungen, dachte Mart Velaze.

»Vielleicht …« Die Stimme hielt inne. »Vielleicht wenden Sie sich an diesen Privatdetektiv, den sie als Tarnung benutzt hat … Vielleicht weihen Sie ihn in ein oder zwei Geheimnisse ein. Warnen ihn. Das ist bei solchen Leuten immer eine gute Methode, um ihr Interesse zu wecken. Ja, das gefällt mir. Schauen Sie mal, was das bewirkt. Man weiß nie. Wenn wir ein paar Probleme machen, werden vielleicht alte Fraktionen wiederbelebt. Vergessen Sie nie Miss Marple – manchmal können diese Amateurdetektive sehr hilfreich sein. Mal sehen, was Sie hinbekommen, Häuptling. Gehen Sie es ruhig an. Das werden Sie natürlich auch, ich kenne Sie. Sterkte, wie man auf Afrikaans sagt, mein trauernder Freund – Stärke. Bis zum nächsten Mal. Mögen die Vorfahren mit Ihnen sein.«