Der schwarze Mercedes der S-Klasse bog um die Ecke eines ehemaligen Möbelgroßhandels und rollte langsam die Straße zur Moschee hinunter. Die Spitze des Minaretts leuchtete rosa und golden vor dem blassblauen Himmel, der schnell hell wurde. Der Mercedes hielt hinter einem verbeulten Müllcontainer. Der leise rauschende Motor erstarb. Der Fahrer schaltete die Scheinwerfer aus, blieb aber im Wagen sitzen.
Ella stand zwanzig Meter entfernt in einer zurückgesetzten Toreinfahrt und beobachtete die Limousine auf der anderen Straßenseite. Der glänzende schwarze Lack reflektierte das Minarett der Moschee und den Himmel. Die Straße war menschenleer. Nur hinter einer der nächsten Ecken erklang das Scheppern von Mülltonnen, die über das Pflaster gerollt wurden.
Es war eine schmale Straße, gesäumt von Hinterhöfen voller Gerümpel und schmucklosen Backsteingebäuden mit verwitterten Mauern, in denen die Fenster von Gittern und Metallrollos gesichert wurden. Rote, schwarze, gelbe oder blaue Graffiti überzogen den zernarbten Verputz, flankiert von unverständlichen Botschaften auf Arabisch, Russisch und Türkisch. Zu beiden Seiten türmten sich Müllsäcke aus grauem Plastik zwischen Kunststofftonnen und klobigen Rollcontainern.
Dany stand hinter einem der Container, sodass Ella ihn sehen konnte und er sie, falls sie ihn brauchte.
Der Wind war frisch, aber es begann schon heiß zu werden. Von den Abfallsäcken und geplatzten Tüten stieg ein süßlicher Gestank auf. Aus den offenen Fenstern der Moschee drangen die murmelnden Stimmen von Männern, die ihr Morgengebet verrichteten. Das Scheppern der Container klang jetzt näher, und das Knirschen und Kreischen der Hydraulikkolben am Heck der Müllwagen übertönte die Gebete.
Ella sah auf ihre Uhr. Es war eine Minute vor sechs.
Genau um sechs schwang die Tür auf der Fahrerseite des Mercedes auf, und eine Hand hielt sich am Fensterrahmen fest, während ein Fuß in einem Schuh aus schwarzem Leder festen Halt auf dem Asphalt suchte. Nicht ganz ohne Mühe stieg ein schlanker, älterer Mann aus dem Wagen. Er trug einen silbergrauen Glencheckanzug und einen schwarzen Hut, dazu ein blassrosa Hemd mit weißem Button-down-Kragen und eine fliederfarbene Krawatte. Die Quasten seiner Slipper schimmerten, als wären sie einzeln mit einer Zahnbürste auf Hochglanz poliert worden.
Der Mann sah sich suchend um. Die Straße lag noch immer im Schatten. Ella trat aus der Toreinfahrt hervor, die zum Hinterhof eines Supermarktes gehörte. Sie hatte sich ein schwarzes Kopftuch umgebunden und trug eine Sonnenbrille, genau wie angekündigt. Sie wartete, bis der Mann in ihre Richtung blickte, dann winkte sie ihm.
Der Mann überquerte die Fahrbahn. Er bewegte sich überraschend flink, schaute weder nach rechts noch nach links, auch nicht zu der Ecke, hinter der das Scheppern der Tonnen und das Dröhnen des Mülltransporters immer lauter wurde. Im Gehen paddelten seine Hände neben den Oberschenkeln durch die Luft wie Entenflossen durchs Wasser.
Als er nah genug war, bemerkte Ella die schimmernden Manschettenknöpfe, fast zu extravagant für jemanden, der von Berufs wegen im Ruch gediegener Seriosität stehen musste. Aus der Brusttasche des Jacketts lugte ein gefälteltes Einstecktuch. Die Augen des Mannes waren hinter einer Sonnenbrille verborgen, aber Ella konnte durch die schildpattgefassten Gläser sehen, dass die Pupillen geweitet waren wie die eines nachtaktiven Tiers bei Mondfinsternis.
Er stirbt gleich vor Angst, dachte sie. »Doktor Freyermuth?«
Er blieb abrupt stehen und musterte sie, ohne zu antworten. Er hatte eine Gesicht, das alt war, ohne gealtert zu wirken, als hätte man ihn nach einem friedlichen Tod in jungen Jahren einbalsamiert wie einen ägyptischen Prinzen: blasse, gestraffte Haut, die Farbe von weißer Asche, und wachsame Augen, die sehen konnten, aber nichts preisgaben.
Er öffnete den Mund, sprach aber erst eine Sekunde später, wie eine Puppe, die dazu eine mechanische Stimme in ihrem Inneren in Gang setzen musste. »Doktor Bach?« Seine nervös zuckenden Lippen waren trocken, die Zähne teegelb.
»Ja.«
Freyermuths Blick flog an Ella vorbei. »Sind Sie allein?«
»Ja. Ist Ihnen jemand gefolgt?«
»Ich glaube nicht.« Freyermuth sah sich um, als wäre er nicht ganz sicher. Er presste seinen Hut mit der linken Hand gegen den Kopf, obwohl der Wind sich gelegt hatte. »Ich habe nicht viel Zeit. Lassen Sie uns schnell zur Sache kommen.«
Das Scheppern und Dröhnen der Müllabfuhr war jetzt schon ganz nah, und in der Mündung einer Seitengasse tauchte ein Mann in einer orangen Latzhose auf, der anfing, die Tonnen aus den Toreinfahrten auf die Straße zu rollen.
»Sind Sie im Besitz der DVD, von der wir gesprochen haben? «, fragte Ella.
Freyermuth trat einen Schritt auf sie zu, bis seine Hutkrempe sie fast berührte. »Ich habe Sie nicht verstanden. Was haben Sie gesagt?«
»Ob Sie die DVD haben, die ich am Telefon erwähnt habe! Hat Frau Schneider sie Ihnen geschickt?«
»Ja.«
»Wo ist sie? Im Wagen?«
»Nein.«
»Wo ist sie dann? Ich dachte, Sie bringen sie mit.«
»Ich habe es mir anders überlegt.« Freyermuth schaute zu den Müllmännern hinüber.
Mit orange blitzenden Lampen auf dem Dach des Führerhauses und dröhnendem Motor bog der kastenförmige Abfalltransporter in die Straße vor der Moschee. Der Lärm wirkte plötzlich doppelt so laut, als hätte der Wind bisher wie ein Filter gewirkt: Die Tonnen schepperten, die Hydraulikkolben im Heck des Lasters knirschten, die Häckselwalze fräste sich durch Blech, Holz und Pappe.
»Warum?«, schrie Ella dagegen an. »Warum haben Sie es sich anders überlegt?«
Der Anwalt betrachtete sie erstaunt. Er blinzelte. »Es ist zu gefährlich.« Er schrie jetzt auch. »Zu gefährlich. Ich habe sie mir angesehen. Ich habe mir die DVD angesehen. In den falschen Händen kann sie …« Er unterbrach sich. »Es ist zu gefährlich! «
»Ich dachte, Sie wären gekommen, um mir zu helfen?!«
»Ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Warum nicht?«
»Ich glaube Ihnen nicht. Es tut mir leid. Ich glaube Ihnen nicht.«
Ella riss sich das Kopftuch herunter. Nahm die Sonnenbrille ab. Starrte ihn an. »Aber warum nicht?«
»Ich habe mir die Wohnung angesehen«, Freyermuth schrie noch immer, »gerade eben. Ich konnte einfach reingehen, keine Absperrung, unversiegelt. Die Wohnung kam mir nicht vor wie der Schauplatz eines Verbrechens, nicht so eines Verbrechens, wie Sie es beschrieben haben – «
»Weil die Polizei alles beseitigt und gesäubert hat – «
Er wich zurück, als habe sie etwas völlig Verrücktes gesagt. »Warum sollte sie das tun?«
»Warum? Fragen Sie sich das wirklich?! Ihretwegen.« Ella hätte ihm am liebsten einen Stoß versetzt gegen die Brust oder eine Schulter, damit er endlich aufwachte. »Weil Sie einflussreich sind. Weil Sie Verbindungen haben. Weil Sie diese Verbindungen vielleicht spielen lassen könnten, wenn Sie gesehen hätten, wie es wirklich in Ihrer Wohnung aussah. Oder wenn die Presse Fotos davon veröffentlicht hätte – von einem Tatort, der ganz und gar nicht den Eindruck erweckte, dass da eine eifersüchtige Frau mal eben einer Rivalin einen Denkzettel verpassen wollte. Weil Mado mit Ihrer Tochter befreundet ist, und weil dieselben Männer jeden töten, dem sie vielleicht etwas anvertraut hat, auch Sonja, und die wollen nicht, dass Sie das wissen.«
Er glaubt mir nicht.
»Ich habe Videoaufzeichnungen, die das beweisen«, redete sie weiter. »Ich kann sie Ihnen zeigen, es ist alles gefilmt worden, der Überfall auf Mado, die Spurensicherung, die in der Wohnung aufräumt, man kann sogar einen der Männer erkennen. Sie müssen mir glauben!«
Die Sonne stand inzwischen schon hoch, und da, wo die Straße breiter wurde, lag ihr Licht weiß und grell auf dem Asphalt. Der Müllwagen rollte langsam in einer Wolke von Staub und Papierfetzen am Bürgersteig entlang.
»Ich bin nur aus einem Grund hier«, rief Freyermuth. »Ich will Sie warnen. Wenn Sie so etwas haben, solche Bänder – was immer es ist, werfen Sie es weg, vernichten Sie es. Stellen Sie sich der Polizei.«
»Damit ich für immer verschwinde wie Mado?« Ella schüttelte den Kopf. »Was ist das für eine Anwaltskanzlei, von der Madeleine Schneider gesprochen hat – Rochefort, Gladstone & Wentworth?«
Überrascht ließ der Anwalt seinen Hut los, gerade als der Wind wieder aufsprang. Der Hut wurde ihm vom Kopf gerissen, aber er konnte ihn mit beiden Händen wieder fangen. »Du meine Güte, was wissen Sie über die?« Er setzte den Hut nicht wieder auf, sondern schwenkte ihn in einer vergeblichen Geste gegen den Wind, der an seinem schütteren weißen Haar zerrte. »Sie müssen wirklich sehr vorsichtig sein!«
»Was sind das für Leute? Die stecken hinter alldem, oder? Hinter dem Überfall auf Mado, ihrer Entführung, den ganzen – «
»Mademoiselle Schneiders Anschuldigungen auf der DVD sind unsinnig, haltlos«, entgegnete Freyermuth. »Ich bin Patentanwalt, kein Wirtschaftsrechtler, deswegen habe ich mich in meinem Club erkundigt, mit ein paar Kollegen gesprochen, und alle waren derselben Meinung: ganz und gar unsinnig, absurd! Rochefort, Gladstone & Wentworth haben einen ausgezeichneten Ruf, überall auf der Welt! Herrgott, dieser Krach weckt ja Tote auf!«
Der Abfalltransporter hielt direkt vor der Einfahrt. Die Männer in den orangen Latzhosen kamen auf den Hof, packten zwei der zerbeulten Metallcontainer und mehrere Plastiktonnen und schoben sie rumpelnd über den rissigen Asphalt zur Straße. Hinter dem Müllwagen rollte langsam eine schwere Kawasaki vorbei.
Ella warf einen raschen Blick zu Dany hinüber. Er hatte sich weiter hinter die Laderampe des Supermarktes zurückgezogen, aber selbst auf die Entfernung, und obwohl er im Schatten stand, konnte sie erkennen, wie er sich vergeblich mühte, etwas von dem zu verstehen, was sie und Freyermuth redeten. Sein Kopf war leicht vorgeneigt, der Mund ein wenig geöffnet.
»Wann war das?«, fragte sie Freyermuth. »Wann haben Sie mit Ihren Kollegen gesprochen?«
»Letzte Woche.«
»Haben Sie irgendjemanden von der DVD erzählt?«
Freyermuth antwortete nicht.
»Haben Sie jemandem von der DVD erzählt?«, wiederholte sie.
»Nein!«
Er sagt die Wahrheit, dachte sie, aber trotzdem hat er Angst. Warum hat er Angst? Als er sich nach Rochefort, Gladstone & Wentworth erkundigt hat, wusste er noch nichts von Mados Verschwinden. Er wusste noch nichts von mir. Er hat sich die DVD angesehen, und dann kamen die Meldungen in den Medien, und auf einmal ist ihm klar geworden, dass er auch in Gefahr schwebt, er und seine Tochter.
Sie sagte: »Reden Sie mit niemandem darüber. Wenn Sie jemand davon erzählen und Mado stirbt, dann ist das Ihre Schuld.«
Freyermuth erstarrte. »Wissen Sie es denn nicht?«, fragte er überrascht.
»Was?
»Ich dachte, Sie wüssten es.«
»Was denn?!«
»Sie wurde gefunden.«
»Mado?«
»Es kam heute Morgen in den Nachrichten«, rief Freyermuth, gerade als die Männer in den orangen Latzhosen die geleerten Container wieder über den Hof zur Laderampe des Supermarkts rollten. »Ihre Leiche ist gefunden worden.«
Ella hatte das Gefühl, der Boden schwanke unter ihr, als rutsche sie ein weiteres Stück zum gefährlichen Rand der Erde. »Wo?«, fragte sie benommen. »Wann?«
»Gestern, in der Charité«, sagte der Anwalt schreiend und wedelte mit seinem Hut, als wollte er die Müllmänner damit vertreiben wie Krähen von frisch gestreutem Saatgut. »Offenbar ist sie dort ihren Verletzungen erlegen. Wann, scheint noch nicht ganz geklärt zu sein. Ebenso die genauen Umstände. In dem ganzen Durcheinander nach dem Brand in der Disko ist sie anscheinend mehrmals verlegt worden, von Station zu Station, und kurzzeitig wusste niemand, wo sie war. Die Klinikleitung hat ihr Bedauern darüber ausgedrückt, dass es zu diesem Fall von menschlichem Versagen kommen konnte.«
»Was ist mit der Leiche passiert?«, fragte Ella. Mutlosigkeit schlug wie eine schwarze Woge in ihr hoch und brach sich hinter ihren Augen. »Was haben sie mit ihr gemacht?«
»Es hieß, da sie keine lebenden Verwandten hätte, wurde sie eingeäschert.«
Sie haben alle in der Hand. Man kommt nicht gegen sie an. Sie lügen, und sie bringen andere dazu zu lügen. Sie töten, und sie bringen andere dazu, sie zu decken.
»Sie hat Verwandte!«, schrie sie. »Sie hat einen Bruder – Daniel! Er ist hier, in Berlin!«
Die Männer in den orangen Latzhosen arretierten die Räder der Metallcontainer und gingen weiter die Straße hinab, ohne auf Ella, Dany oder den Anwalt zu achten. Der Fahrer des Müllwagens rammte den ersten Gang ins Getriebe und gab Gas. Eine schwarze Dieselwolke nebelte die Fahrbahn ein, als er langsam losfuhr.
Hinter dem Müllwagen tauchte die Kawasaki wieder auf. Der Motorradfahrer, ganz in schwarzes Leder gekleidet, drehte langsam den Kopf, der Sichtschutz des Helms reflektierte die Sonne. Er bremste und zog einen länglichen Gegenstand aus einer an seiner Brust befestigten Tasche. Er schwenkte den Gegenstand wie einen Zauberstab in ihre Richtung.
Krachend schmetterten die Hydraulikkolben des Müllwagens ein Haus weiter den nächsten Container aufs Pflaster. Freyermuth trat einen Schritt auf Ella zu, als wollte er sie besser verstehen können. Doch statt zuzuhören, schrie er ihr etwas ins Gesicht, das im Getöse unterging. Sie starrte auf seinen Mund, sah, wie er die Worte formte, und verstand ihn noch immer nicht.
Auf einmal schien es, als wäre er ihr eine Sekunde in der Zeit voraus, nur eine Sekunde, in der er etwas in der Zukunft erblickte, das ihr noch entging. Sein Gesicht nahm einen erstaunten Ausdruck an, der jäh zu Entsetzen wechselte, und dann war die Sekunde vorbei und auch Ella sah, was er gesehen hatte: seinen eigenen Tod.
Etwas schlug lautlos in Freyermuths Hals und zerfetzte den weißen Button-down-Kragen. Aus dem Loch schlug Ella ein roter Sprühregen warm und feucht ins Gesicht. Eine zweite Kugel schleuderte ihr den Anwalt in die Arme, aber sie begriff nicht sofort, dass es Kugeln waren, dass es sich bei dem warmen, roten Dunst in ihrem Gesicht und auf ihren Armen um sein Blut handelte. Sie sah es, aber sie traute ihren Augen nicht.
Sie öffnete den Mund und schrie. Mühsam hob Freyermuth eine Hand und zog ihren Kopf zu sich herunter, und plötzlich war es so still, dass sie deutlich hören konnte, was er ihr sagte.
Es war so still, dass sie sah, wie die Müllmänner die Container zurückrollten, aber sie hörte das Scheppern nicht mehr und nicht das Gebrüll, mit dem sie den orangen Wagen weiterdirigierten.
Freyermuth war auf einmal sehr schwer. Sie konnte ihn kaum noch halten. Vorsichtig ließ sie ihn auf den Asphalt sinken. Jetzt erst bemerkte sie, dass seine Hand in die Tasche ihrer Jacke geraten war und langsam wieder herausrutschte. Sie beugte sich über ihn und riss sein Hemd auf, wieder ein Reflex, weil sie dachte, vielleicht lebt er noch, vielleicht waren die Schüsse nicht tödlich.
Aber er hatte keinen Puls mehr, und seine Augen unter der gesplitterten Sonnenbrille waren erfüllt vom wolkenlosen Blau des Himmels, dem grellen Glanz der Sonne, sogar vom winzig kleinen Spiegelbild einer Frau, die sich über ihn beugte. Von allem Möglichen waren sie erfüllt, nur nicht mehr von dem kleinsten Funken Leben.
Ella richtete sich auf. Der Motorradfahrer starrte zu ihr herüber, den Zauberstab noch immer in der ausgestreckten Hand. Die Hand ruckte mehrmals schnell hintereinander. Der Zauberstab warf winzige weiße Blitze aus, die rauchend durch die Luft segelten und neben dem Motorrad über die Fahrbahn hüpften. Rechts und links von Ella machte es plopp, plopp, plopp! im Asphalt, in den Plastiktonnen, im Mauerwerk.
Sie duckte sich, warf einen Blick zurück. Sah Dany, der über den Hof auf sie zugelaufen kam, unscharf, wie in Zeitlupe. Zu seinen Füßen sprangen kleine Staubfontänen auf – plopp, plopp, plopp! – , und einen Moment lang wusste sie nicht, was sie tun sollte. Das Blut dröhnte ihr in den Ohren wie eine dumpfe Brandung; sie hörte nur diese Brandung und den langsamen Schlag ihres Herzens.
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Plötzlich liefen Ton und Bild wieder synchron. Geduckt rannte sie vom Hof auf den Transporter zu, vorbei an Tonnen und Containern, schlüpfte zwischen die Männer in den Latzhosen. Dann war sie hinter dem schwankenden Müllwagen, sein Gestank nach fauligem Abfall, Dieselöl und warmem Gummi hüllte sie ein. Die Karosserie nahm ihr die Sicht auf den Motoradfahrer, und hinter einem Schleier aus Staub und Abgasen bewegte sie sich neben den massiven Gummireifen her, die türkisch brüllenden Männer in den Latzhosen hinter sich, die nächste Seitenstraße vor sich.
»Ella! Ella!«
Durch das Dröhnen hörte sie Dany rufen, aber sie blieb nicht stehen, denn lauter als seine Stimme und lauter sogar als den Lärm des Müllwagens vernahm sie in sich die Worte, die sie erst von Freyermuths Lippen gelesen und dann noch einmal deutlich mit seinen letzten Atemstößen gehört hatte.
Madeleine Schneider hatte keinen Bruder.