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Die Männer an der Schleuse: Es gab welche, die nur die Aufgabe zu haben schienen, den Besuchern ins Gesicht zu schauen, kurz und nicht ohne Wohlwollen. Andere standen fast versonnen nebeneinander an der Wand, die Hände vor dem Schritt gekreuzt, reglos. Gelegentlich bewegten sie lautlos die Lippen oder nickten, als hörten sie Stimmen, die außer ihnen niemand hörte. Es gab drei weitere, die mit leise pfeifenden Handscannern den männlichen Besuchern zu Leibe rückten, einen zarten Röntgenhauch über Brust, Rücken, Arme und Beine streifen ließen, ohne sie zu berühren. Die Männer und Frauen, die den Inhalt der Taschen auf ihren Monitoren kontrollierten, taten das in der starren Haltung eines Jagdhundes, der darauf wartet, endlich den vom Himmel geschossenen Fasan apportieren zu dürfen.

Keinen der Männer hatte Ella je gesehen. Auch die Frauen waren ihr unbekannt. Sie beschloss, sich nicht anzustellen; stattdessen drängte sie sich an den Schlangen der Wartenden vorbei. »Pardon, madame, pardon, monsieur.« Ohne jemanden anzusehen, den Blick immer zwischen die Köpfe gerichtet, erreichte sie die Spitze der Schlange und schob ihren Notfallkoffer hinter eine Aktentasche und einen Rucksack auf das Laufband.

Langsam bewegte sie sich vowärts, und dabei hatte sie das Gefühl, dass sie genau das Falsche tat, dass es einen anderen Weg geben musste, der ihr nur nicht eingefallen war. Ihr Koffer ruckelte auf die Scannerschleuse zu. Plötzlich erhielt sie einen Stoß in den Rücken, und im selben Moment spürte sie, dass die Wunde wieder zu bluten begonnen hatte. »Pardon, madame!« sagte eine kurzatmige Stimme, als sie herumfuhr, und es war nur ein älterer Mann, der sie um Verzeihung heischend ansah, »pardonnez-moi, s’il vous plaît!«

Aber als sie wieder nach vorn schaute, meinte sie zu sehen, wie zwei Sicherheitsmänner sich zunickten. Ihr Koffer fuhr gerade durch die Schleuse, sie konnte den Inhalt fast plastisch sehen. Der Mann am Monitor blickte auf und musterte sie. Sie merkte, dass sie stehen geblieben war. Sie ging weiter und griff nach ihrem Koffer, als sich einer der Sicherheitsmänner plötzlich entfernte. Jetzt konnte sie den Mann sehen, dem der erste zugenickt hatte, und da wusste sie, dass es ab hier nicht mehr zu einfach sein würde. Sie erkannte das tote Auge, den fahlen, leeren Perlmuttblick, der genau auf sie gerichtet war. »Madame«, sagte der Mann. »Madame le docteur …«, und winkte sie zu sich.

Der Mann am Scannerband nahm ihren Koffer herunter. Langsam ging sie auf den, der ihr gewinkt hatte, zu. Als sie nah genug war, hob er eine Hand, damit sie stehenblieb. »Je suis une des médecin de service«, sagte sie. Er nickte, »Je sais, madame.« Mit einem Handscanner fuhr er in einigen Zentimetern Abstand über ihre Weste, Brust, Arme, Rücken. Es zirpte ein paarmal an den Druckknöpfen, aber das schien ihn nicht zu interessieren. Er nickte wieder, sagte »merci, madame« und deutete auf ihren Koffer, den der Mann am Scanner ihr entgegenhielt.

Sie nahm den Koffer. Sie ging an dem Mann mit dem toten Auge vorbei. Sie drehte sich nicht um. Sie ging einfach weiter bis zum großen Saal, warf einen Blick hinein. Der Saal war riesig. Er fasste bestimmt mehrere Tausend Zuschauer, die auf ihren roten Polstersitzen wie in einem Amphitheater saßen, im Halbrund aufsteigender Reihen, unter einem schwarzen Plafond mit einem Firmament von weißen Punkstrahlersternen. Ganz unten befand sich eine Bühne, auf der ein langer Tisch mit zwölf Stühlen und Namensschildern vor den Plätzen stand. Es gab zwei Kameras rechts und links von dem Tisch, Mikrofone hinter jedem Namensschild und daneben jeweils ein Glas und eine Flasche Perrier. Hinter dem Tisch ragte eine große Leinwand auf, eine kleinere stand links daneben, und noch weiter hinten verbarg ein schwerer dunkelblauer Vorhang den Rest der Bühne.

Wenn du ein Attentäter wärst, was für einen Platz würdest du dir suchen? Hinter dem Vorhang? Unten vor der Bühne, in einer der vorderen Reihen? Oder ganz am anderen Ende, mit einem Gewehr mit Zielfernrohr, in der obersten Reihe oder noch höher, hinter dem Fenster, in dem Raum, in dem die Scheinwerfer bedient werden?

Ella entdeckte die Kameras und Mikrofone im Auditorium, von denen Lazare gesprochen hatte. Die meisten Aktionäre hatten inzwischen ihren Platz eingenommen, auch die Kameramänner standen bereit, und vor der Bühne war ein halbes Dutzend Sicherheitsleute in Position gegangen. Ein schlanker, dunkelhaariger Mann in einem silbergrau changierenden Anzug ging langsam die kleine Treppe zur Bühne hinauf, in der Hand einen Stapel Papiere. Irgendwo ertönte ein gedämpfter Gong wie in der Theaterpause, und das Stimmengemurmel, das die ganze Zeit in der Luft gehangen hatte, wurde leiser.

Du musst näher ran, dachte sie, in die Garderobe oder dahin, wo die Bilder der Kameras ankommen, wo die Monitore sind; wo man den ganzen Saal überblicken kann.

Sie ging draußen auf dem Gang weiter zur anderen Seite des Amphitheaters. Die letzten Teilnehmer der Versammlung eilten an ihr vorbei, um ihre Plätze einzunehmen. Der dicke blaue Teppichboden verschluckte das Geräusch ihrer Schritte. Die Ordner fingen an, die Türen zum Saal zu schließen. Ella nickte ihnen zu, und ein paar von ihnen nickten zurück. Am Ende des Gangs stand ein Feuerwehrmann im Gespräch mit einem Polizeibeamten, der einen Schäferhund an der Leine hielt. Als er Ella wahrnahm, hob der Hund den Kopf und schaute ihr entgegen. Seine Ohren waren steil nach oben gerichtet, die Augen rotbraun wie glasierte Kastanien.

Über den Köpfen der beiden Männer hing an einer Säule ein Monitor, auf dem der große Saal mit der Bühne zu sehen war. Die Bühne wurde von mehreren Scheinwerfern angestrahlt, der Saal versank langsam im Halbdunkel. Der Mann in dem silbergrauen Anzug trat an ein durchsichtiges Rednerpult aus Fiberglas.

Vergeblich suchte Ella zwischen den gerahmten Konzertplakaten und den großen Spiegeln an der Wand nach einem Pfeil zum Bühneneingang oder der Künstlergarderobe. Ihr war heiß unter der Arztweste, und der Koffer zog ihre Schulter nach unten; die Hüftmuskulatur spannte sich um die Wunde. Dann entdeckte sie neben einem Notausgang zum Treppenhaus einen verglasten Gebäudeplan mit den Fluchtwegen, falls ein Feuer ausbrach. Sie musste noch weiter, an dem Hund und den beiden Männern vorbei.

Auf dem Monitor eröffnete der Mann in dem silbergrauen Anzug die Versammlung mit den Worten: »Ladies and gentlemen, dear stockholders, the board of the Banque National d’Alsace is pleased to welcome you to it’s annual stockholder meeting«, bevor er kurz ins Französische wechselte und schließlich beim Englischen blieb.

Beim Klang der Stimme war Ella, als hätte sich irgendwo eine Tür geöffnet, durch die ihr ein eiskalter Windstoß ins Gesicht schlug. Der Anwalt! Der Mann, der sie in der Wohnung über dem Quartier de l’Horloge gefangen gehalten hatte; es war seine Stimme. Benommen blieb sie einige Sekunden lang stehen, starrte zu dem Monitor hinauf, zu dem Mann, der genauso fließend Englisch wie Deutsch sprach. Einen Moment lang war ihr, als hätte sie kein Gehirn mehr, nichts, womit sie Ordnung in ihrem Inneren schaffen konnte. Sie sah einen dritten Mann, sah ihn aus den Augenwinkeln, er kam von dort, wo sie eben noch gewesen war, aus der Richtung des Haupteingangs. Aber er war zu weit entfernt, sie konnte ihn nicht erkennen.

Der Hund schlug so heftig an, dass sie beinahe ihren Koffer fallen gelassen hätte. Nicht stehen bleiben, weitergehen, und sie ging weiter, bis sie einen der Männer rufen hörte: »Madame!« und gleich nochmal: »Madame, un moment, arrêtez-vous, vous avez – «, aber der Rest ging im Gebell des Hundes unter, nur das Wort sang verstand sie noch: Blut.

Sie blieb stehen und drehte sich um, und in der Bewegung erblickte sie sich selbst in einem der Spiegel und sah noch, dass ihre Weste genau in dem weißen Streifen über der Hüfte einen großen roten Fleck aufwies. Der Flic beruhigte den Hund, dessen Kastanienaugen auf den blutigen Fleck gerichtet waren. Der Feuerwehrmann kam auf sie zu, hilfsbereit, nicht argwöhnisch. Er sagte etwas, das sie nicht verstand. Er deutete auf eine Tür, neben der ein Toilettenzeichen angebracht war. Sie schüttelte den Kopf, begriff nicht, was er wollte. »Je suis médecin«, sagte sie, aber der Feuerwehrmann redete weiter auf sie ein, und sie sah jetzt auch, wie blass sie war, wie sie schwitzte. Ihr Gesicht glänzte im Spiegel.

Der Feuerwehrmann deutete auf den Boden, wollte, dass sie sich hinlegte. Aber sie schüttelte weiter den Kopf, und als er nach ihr griff, nach ihr oder nach dem Koffer, wich sie zurück. Er sah ernst aus, nicht verärgert, nur ernst und besorgt, und jetzt wurde er energisch, die energischen Hilfsbereiten waren die Schlimmsten, er versuchte sie zu beruhigen, mit sanfter Gewalt nahm er ihr den Koffer ab und legte ihn auf den Boden. »Vous-êtes blessée? «, fragte er. »Mir fehlt nichts!«, sagte sie heftig, und erst, als sie sein Gesicht sah, die plötzliche Vorsicht, merkte sie, dass sie Deutsch gesprochen hatte.

Er sagte etwas, das vermutlich bedeutete, er wolle sich ihren Rücken mal ansehen, das hätte sie jedenfalls gesagt, und dann hätte sie den Koffer geöffnet, und er öffnete den Koffer, und sie hätte eine Schere herausgeholt, um den Overall aufzuschneiden, und er sah die Pistole, und sie hätte keine Pistole sehen dürfen, aber da war eine, sie lag in dem Notfallkoffer, gleich obenauf, eine Walther PPK, die bei der Taschenkontrolle noch nicht da gewesen war.

Der Feuerwehrmann starrte auf die Waffe, und dann rief er: »Luc!« Der Flic näherte sich vorsichtig. Der Schäferhund zerrte an der kurz gehaltenen Leine. Der Mann mit dem Mantel, der Ella gefolgt war, begann zu laufen.

Unter der Walther lag etwas, das aussah wie ein Flugblatt, und sofort wusste Ella, was das war, obwohl sie nur ein paar fett gedruckte Worte von der Überschrift lesen konnte, LAZARE IST ERST DER ANFANG! TOD ALLEN BANKERSCHWEINEN, sogar auf Deutsch, natürlich sie war ja Deutsche, die Tatwaffe und das Bekennerschreiben. Auf dem Röntgenschirm war beides noch nicht zu sehen gewesen. Der Mann am Monitor muss sie in den Koffer getan haben, während der mit dem Handscanner mich abgelenkt hat.

Der Mann mit dem Mantel lief jetzt schneller. Etwas an ihm kam ihr vertraut vor, erst nur vage, doch dann immer deutlicher, und als er »Messieurs, attention!«, rief, erkannte sie auch die Stimme. Hauptkommissar Aziz, der Einzige, der sie zweifelsfrei identifizieren konnte, vom LKA-Beamten zum Terroristenjäger.

Sie handelte instinktiv. Sie versetzte dem Feuerwehrmann einen Tritt gegen die Schulter, griff nach der Pistole und dem Flugblatt und rannte auf den nächsten Notausgang zu. Der Schäferhund bäumte sich auf, bellte und zerrte, aber der Flic war zu überrascht, um ihn von der Leine zu lassen, und gleich darauf war Ella schon bei der Tür und riss sie auf. Im Laufen zog Aziz seine Pistole.

Ella stürzte durch die Tür, ein scharfer Schmerz, als risse jemand ein Stück aus ihrer Hüfte, dahinter der Treppenschacht, sie wusste nicht, wohin, nach unten oder nach oben? Sie entschied sich für oben, nahm immer mehrere Stufen auf einmal, steckte dabei die Walther in die Westentasche und holte ihr Handy heraus.

Anni, pass auf, sie wissen, dass wir hier sind, sie wussten es die ganze Zeit. Sie haben mir eine Pistole in den Koffer geschmuggelt und ein Bekennerschreiben. Jetzt haben sie mich da, wo sie mich immer haben wollten.

Sie hielt das Handy in der Hand, kein Netz, die dicken Betonwände. Sie lief, und auf der nächsten Etage zog sie die Tür auf, dahinter lag ein kahler Gang mit weiß getünchten Wänden, von Neonröhren beleuchtet. Sie musste einen Moment stehenbleiben, Luft holen. Sie lehnte sich gegen die Wand, glättete das Bekennerschreiben, das sie zusammengeknüllt in der Faust hielt, und las es:

»Tod allen Bankerschweinen. Schlachtet sie, wo ihr sie findet. In ihren Koben in Frankfurt, London, Paris oder New York, wo sie sich in ihrem stinkenden Geld suhlen. An ihren Schnauzen klebt das Blut von – «

Perfekt, dachte sie, wenn das an die Öffentlichkeit kam, wurde Lazare tatsächlich zum Märtyrer, aber anders, als er sich das vorgestellt hatte. Ein Opferlamm, geschlachtet von Globalisierungsgegnern; von radikalen Zellen, die alle Banken, alle Börsen, alle Finanzplätze vernichten wollten. Wer sich danach noch für eine schärfere Kontrolle oder staatliche Regulierung von Banken, Fonds und Börsengeschäften aussprach – wer auch nur darüber nachdachte –, musste befürchten, mit den Mördern von Saint Lazare in einen Topf geworfen zu werden.

Ella zog die Walther aus der Tasche und roch an der Mündung: Metall, Schwefel, Feuerstein. Das Magazin war leer.

Kürzlich erst abgefeuert, die haben an alles gedacht. Ich kann sie wegwerfen, aber ich kann sie nicht aus dem Gebäude schaffen, eine ungeladene Waffe, aus der geschossen wurde, mit meinen Fingerabdrücken darauf.

Die Tür am anderen Ende des Gangs wurde aufgestoßen. Ein Mann erschien im Rahmen und sah sie sofort. Sie starrten sich an. Aziz hielt seine Pistole noch in der Hand, mit dem Schalldämpfer nach unten. Blitzschnell riss er seine Waffe hoch. Er sagte etwas, das Ella nicht verstand. Sie sah nur seine Lippen, die sich bewegten, und dann sah sie, wie der Lauf der Pistole zuckte.

Sie rührte sich nicht. Sie sah kein Mündungsfeuer und keinen Pulverrauch, sie hörte nicht mal ein Plopp. Dicht neben ihrem Kopf zerplatzte die Glasscheibe eines Erste Hilfekastens an der Wand. Kleine Scherben spritzten ihr ins Gesicht, und da erst begriff sie, dass Aziz tatsächlich auf sie geschossen hatte.

Sie lief nach rechts, wo ein Pfeil zum Fahrstuhlschacht wies. Als sie den Gang hinunterhetzte, hörte sie ein zweites Projektil von der Wand abprallen. Die Fahrstuhltür war geschlossen, die Kabine stand auf einer anderen Etage. Ella schob die Walther in die Tasche und drückte den Rufknopf, wusste aber in derselben Sekunde, dass sie nicht stehen bleiben durfte. Das Treppenhaus – da, die Tür! Sie zerrte an der Klinke und dachte erst, die Tür wäre abgesperrt, doch sie war wieder nur schwer. Sie musste sich mit ihrem ganzen Körpergewicht dagegenwerfen. Dann gab die Tür nach, und ein Schwall warmer, ölig riechender Luft schlug ihr entgegen.

»Bleiben Sie stehen, Doktor Bach! Geben Sie auf! Wir kriegen Sie sowieso! Sie – «

Die Tür fiel zu und schnitt Aziz das Wort ab. Mit großen Sprüngen hetzte Ella die Betonstufen hinunter. Sie hörte ihre Schritte von den Wänden widerhallen, und sie hörte sich selbst keuchen, in schnellen flachen Atemstößen, und sie hörte ein surrendes Geräusch, und sie blieb stehen, um es genauer hören zu können, der Fahrstuhl!, und von irgendwoher weit weg vernahm sie eine Stimme, mikrofonverstärkt, aus dem großen Saal, und dann hörte sie, wie unter ihr die Tür geöffnet wurde, und sie lief weiter.

Als sie die nächste Etage erreichte, krachte ein Schuss über ihrem Kopf, diesmal kein Schalldämpfer, und gleich darauf noch einer. Im Laufen blickte sie nach oben, und da war der Mann mit dem Hauttransplantat und feuerte, aber die Kugeln prallten von den Stufen ab und heulten als Querschläger durch den Schacht. Im selben Moment erschienen zwei schwarz gekleidete Sicherheitsmänner auf einem Treppenabsatz über ihnen, einen Hund an der Leine. Der Mann mit dem Transplantat rief ihnen etwas zu, das wie là bas klang, und sie trampelten die Stufen herunter.

Ella rannte weiter, in großen Sprüngen, und bei jedem Sprung schoss der Schmerz von ihrer Hüfte hoch bis hinter die Stirn. Sie wusste nicht, wie viele Untergeschosse das Kongresszentrum hatte, aber bestimmt gab es dort unten mehr Möglichkeiten, ihren Verfolgern zu entkommen, und vielleicht fand sie auch noch andere Fahrstühle. Sie versuchte, sich das Gebäude vorzustellen wie eine dreidimensionale Computeranimation. Wo war sie? Wie weit ging es noch nach unten? Sollte sie die Tür zur nächsten Etage nehmen? Und da, musste sie dann da nach links oder rechts?

Der Weg zurück nach oben war ihr verstellt. Die Hundeführer waren schnell, die Pfoten des Tiers klickten auf den Stufen, aber es bellte nicht, nur sein hechelnder Atem war zu hören. Die Beleuchtung flackerte. Jenseits der Eisentür hielt der Lift mit einem mechanischen Seufzen. Ein Klappern verriet, dass die Kabine sich öffnete und wieder schloss. Dasselbe Seufzen, als sie sich wieder in Bewegung setzte. Ella hörte eine Sirene, die von weit draußen hereindrang, und aus der Tiefgarage einen Motor der gestartet wurde, gefolgt von quietschenden Reifen. Sie rannte weiter.

Wo ist der nächste Fahrstuhlschacht? Ich muss wieder nach oben, ich muss die Pistole loswerden, irgendwo verstecken, wo man sie nicht findet, und das Bekennerschreiben, das auch, ich muss muss muss –

Sie glühte vor Hitze und Angst. Auf jedem Absatz warf sie einen Blick nach oben. Die Hundeführer öffneten die Tür über ihr, zerrten das Tier mit sich, raus aus dem Treppenhaus, die laufen zum Fahrstuhl, sie wollen dir den Weg abschneiden, die Kabine surrte heran, wo ist Aziz?, und da war er, da war Aziz, drängte sich durch die Tür zur Treppe, an den beiden schwarz gekleideten Männern und dem Hund vorbei, und als er freies Schussfeld auf Ella hatte, drückte er ab.

Nichts geschah. Er drückte noch einmal ab, wieder nichts. Er blieb stehen, um nachzuladen, fluchte.

Ella rannte weiter, mit schmerzender Lunge. Und sie war schneller als der Lift, ja, tatsächlich, sie war schneller. Die nächste Tür, dachte sie noch, dann war sie schon da, zog sie auf und befand sich in der Tiefgarage, gleich neben dem Fahrstuhlschacht. Das Licht war hier unten schwächer, aber ausreichend. Die Reihen parkender Autos verlockten dazu, sich dazwischenzuducken, zu verstecken. Surrend näherte sich der Lift.

Ella überlegte fieberhaft. Gegenüber auf der anderen Seite der Garage, gab es noch mehr Türen. Wohin führen die? Du musst zurück in den großen Saal. Wenn dir nichts einfällt, sitzt du in der Falle. Entscheide dich, schnell! Da entdeckte sie den Feuerlöscher an der Wand, ein paar Meter von der Fahrstuhltür entfernt. Der Fahrstuhl kam näher und näher.

Sie riss den Feuerlöscher aus seiner Halterung. Er war schwer, sie brauchte ihre ganze Kraft. Sie ging in die Knie, brach den Sicherungsdraht auf und richtete die Düse des Schlauchs auf die Fahrstuhltür. Der Lift hielt, die Türen glitten zur Seite. Die beiden Sicherheitsmänner hatten ihre Pistolen gezogen, zielten aber zu hoch; nur der Hund war auf Ellas Höhe, und es war ein Dobermann, und jetzt knurrte er, und seine Lefzen gaben die spitzen Zähne frei. Es schien, als wollten sogar seine Augen sich losreißen und aus ihren Höhlen springen.

Ella drückte den Abzug des Feuerlöschers. In einem scharfen Strahl schoss weißes Pulver aus der Schlauchdüse und traf den Kopf des Tiers. Jaulend drehte der Hund sich einmal um sich selbst und verhedderte sich in der Leine. Ella richtete die Düse auf die beiden Männer, die Hände, die Pistolen, die Gesichter, hüllte sie in zischendes Pulver.

Der Dobermann warf sich geblendet gegen die Leine, zog seinen Führer aus der Kabine. Ella ließ den Feuerlöscher fallen, sprang auf und zur Seite, und der Hund stürzte an ihr vorbei. Sie machte einen Satz in den Lift, stieß auch den zweiten orientierungslosen Mann aus der Kabine. Mach schon, geh zu, Tür! In panischer Hast drückte sie auf sämtliche Knöpfe, mit Ausnahme des untersten und der beiden darüber, geh zu, verdammt!, und endlich schloss sie sich, bevor die beiden Hundeführer sehen konnten. Mit einem Ruck stieg die Kabine aufwärts.

Ella starrte die Knöpfe mit den erleuchteten Ziffern an. Auf welcher Höhe war Aziz inzwischen? Auf welcher Etage wartete der andere Mann? Wo war der nächste Zugang zum Amphitheater? Wie schnell konnten die beiden Sicherheitsmänner mit dem Hund ihr folgen? Wie viele waren noch hinter ihr her?