IN DEM NEBEN EINEM VEGANEN EXPERIMENT SOWIE EINER SCHÜLERZEITUNG ZULETZT AUCH DER DÄMMERFLECHTER EINE ROLLE SPIELT
»Alles in Ordnung?«, fragte seine Mutter.
David stocherte gedankenverloren in seinem Mittagessen herum, von dem er allerdings nicht hätte sagen können, was es war. Die veganen Experimente seiner Mutter waren mit der Zeit ein wenig außer Kontrolle geraten. Seinem Vater ging es, was die Begeisterung betraf, ähnlich. Sein Gesicht sprach jedenfalls Bände.
Im Hintergrund, auf der Küchenanrichte, lief der Fernseher. Damit es nicht so still war, wenn sie sich beim Essen anschwiegen. Davids Vater war während seiner Mittagspause nie besonders gesprächig und seine Mutter wartete meist nur darauf, dass ihre beiden Jungs wieder aus dem Haus waren und sie ihre Ruhe hatte.
»David?«, setzte seine Mutter noch einmal nach. »Ist alles in Ordnung?« Ihm war vermutlich anzusehen, dass er in Gedanken ganz woanders war.
»Alles gut«, antwortete er, lächelte bemüht und schob sich einen weiteren Löffel Irgendwas in den Mund. Seine Mutter runzelte die Stirn. Im Hintergrund begannen die Nachrichten. Sein Vater schaute auf die Uhr und schob den Teller beiseite.
»Ich muss dann auch schon wieder los. Mittagspause ist gleich vorbei.«
Er küsste seine Frau beiläufig auf den Mund, knuffte seinen Sohn kumpelhaft in die Schulter und verließ die Küche. Vermutlich in der Hoffnung, in der Betriebskantine, auch wenn sie seinen Worten zufolge nicht die beste war, noch eine Bulette abgreifen zu können. Das hatten David und er nämlich auch schon mehr als einmal gemeinsam getan.
Heute allerdings nicht. Weil David einfach nicht aus dem Kopf bekam, was auf dem Schulklo geschehen war. Das Ding in der Dunkelheit. Leon und Marvin, die mit schreckensweiten Augen am Boden lagen. All das war so unheimlich, so unglaublich, dass er zum Mittag am liebsten überhaupt nicht heimgekommen und gleich weiter zu Ayumi gefahren wäre. Weil sie vermutlich die Einzige war, die wusste, was dort passiert war. Weil sie ihm schließlich das Röhrchen mit dem Schattending drin gegeben hatte.
Frau Drescher hatte er gesagt, dass er in der Schülerzeitung etwas über Ayumi und ihren Alltag schreiben wollte. Was seine Lehrerin natürlich so großartig gefunden hatte, dass sie ihm ihre Adresse ohne zu zögern gegeben hatte. Im schlimmsten Fall würde er tatsächlich einen Artikel schreiben müssen.
Während der Nachrichtensprecher im Fernsehen von einer Häufung mysteriöser Diebstähle in den vergangenen Nächten sprach, zog Davids Vater die Tür hinter sich zu.
Seine Mutter blickte ihren Sohn stirnrunzelnd an. Sie kannte ihn lang genug, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte. »Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst, ja?«
David nickte zögerlich, war sich allerdings sicher, dass seltsame Kreaturen aus Finsternis, die in kleinen Glasfläschchen wohnten und Rowdys auf dem Schulklo anfielen, nicht zu dem gehörten, worüber er mit seiner Mutter hätte sprechen wollen.
Die schaute ihn ernst an. »Hey, ich bin für dich da.« Sie machte eine kleine Pause und fügte dann in bedeutsamem Ton hinzu: »Auch wenn es um Mädchen geht.«
David verdrehte die Augen. »Ma! Nee. Echt jetzt. Ich hab grad wirklich andere Probleme.«
»Ich wollte ja nur, dass du weißt, dass du immer mit mir reden kannst. Über alles.«
»Prima.« Er nickte und lächelte seine Mutter halbherzig an.
Die wandte sich dem Fernseher zu, und David war froh, dass das Gespräch vorbei war. Ihrem Blick folgend bekam er so gerade noch die letzten Momente eines Berichtes mit, in dem die Zuschauer aufgefordert wurden, abends ihre Häuser abzuschließen und vorsichtiger zu sein. Weil offenbar des Nachts verstärkt Diebesbanden durch die Straßen zogen.
Hastig schlang David seine letzten beiden Löffel hinunter, sprang dann auf, küsste seine Mutter auf die Wange und eilte zur Tür. »Ich muss los, Ma. Hab noch was für die Schülerzeitung zu tun.«
»Vergiss deinen Schlüssel nicht, Schatz.«
David drehte noch einmal um und schnappte sich seinen Schlüssel von der Anrichte. Dann war er froh, zu Hause raus zu sein.
Auf einem Thron aus reiner Nacht saß inmitten des fensterlosen Raumes die Schattengestalt Meister Skadwas und lauschte ins Dunkel. Die Finsternis flüsterte ihm ihre Geheimnisse zu, erzählte ihm von dem, was im Dunkel geschah. Und wäre er nicht der Dämmerflechter, einer der letzten drei Meister, gewesen, er hätte in jenem Dunkel nichts gesehen oder gehört. So aber konnte er sogar die verschiedenen Arten Dunkelheit um ihn herum nicht nur unterscheiden, sondern verstand jedes Wort, das sie wisperten.
Hier, in seinem Nachtpalast, bewegte er sich ausschließlich in seiner Schattengestalt. Weil seine menschliche ihn nur unnötig verwundbar gemacht hätte. So aber war er ein Stück Nacht inmitten der Nacht. Jeder Meister beherrschte diese Fähigkeit, seinen Schattenkörper vom realen Körper zu trennen. Obwohl es unter Nachtzähmern als unehrenhaft galt und Spuren in der Wirklichkeit hinterließ. Skadwa aber scherten diese alten Regeln nicht. Weil die Nacht sein Zuhause war. Und die Wirklichkeit bald nicht mehr existieren würde.
Die Dunkelheit erzählte ihm von den Geheimnissen der Menschen und was diese im Verborgenen im Laufe der Nacht getan hatten. Sie raunte ihrem Meister von Verbrechen, Liebe und Abenteuern. Von der Stadt, die nach der Dämmerung nicht mehr die gleiche und nach Mitternacht sogar eine vollkommen andere war. Und Meister Skadwa war zufrieden. Alles entwickelte sich nach Plan. Während es um die Menschen herum mit jeder Nacht dunkler wurde, merkten diese nicht einmal, was wirklich vonstatten ging. Er musste bloß die letzten beiden Personen aus dem Weg schaffen, die ihm noch gefährlich werden konnten: die anderen beiden Meister. Den Schattenvater und den Nachtwahrer. Damit sie sich nicht gegen ihn verbünden oder gar einen weiteren Nachtzähmer ausbilden konnten. Sobald er diese beiden aus dem Weg geräumt hatte, würde sich bald schon eine nie da gewesene Nacht über die Welt legen. Finsternis ohne Ende. Für immer. Eine Dunkelheit, die er allein beherrschen würde. Weil niemand außer ihm ihre Sprache beherrschte oder ihre Regeln kannte.
Skadwa, der Dämmerflechter, der dritte Meister der Finsternis, war zufrieden. In seiner Schattengestalt lehnte er sich auf seinem Thron zurück und genoss die kühle, flüsternde Dunkelheit, die ihn hier, abseits der Wirklichkeit, umgab. Er lauschte und lächelte. Bis er plötzlich hochschrak. Er konnte es spüren. Etwas hatte sich verändert. Jemand hatte den Saal aus Nacht betreten. Jemand, der sich nun dem Thron inmitten der Dunkelheit näherte.
»Meister?«, drang leise eine beinahe menschliche Stimme durch die wispernde Finsternis. Und Skadwa befahl dem Dunkel zu schweigen. Er wusste, wer sich da so zielstrebig auf ihn zubewegte und nun in respektvoller Entfernung vor dem Thron stehen blieb. Einer seiner treuesten Diener. Selbst der Nacht entwachsen. Einer von zwei Zwielichtwichteln, die ihm zu Diensten waren. Gnista und Mörker. Kreaturen, die er selbst einst aus tiefster Dunkelheit im höchsten Norden herausgebrochen und in diese Welt gebracht hatte. Schergen, die im Licht nicht einmal existieren konnten.
»Was gibt es, Gnista? Habe ich dir nicht gesagt, dass ich bis zur Dämmerung nicht gestört werden will?«
»Das habt Ihr, Meister. Aber die Dinge geraten in Bewegung.« Der Klang der Stimme des Zwielichtwichtels hatte etwas vom Klappern alter Knochen, das sich mit geflüsterten Geheimnissen mischte.
»Was meinst du?«
»Meister Chaya. Er hat den Jungen losgeschickt, damit er Meister Kuro aufsucht.«
»Dann hat Krigk die Insel also verlassen …«
Ein zufriedenes Lächeln spannte sich über das Schattengesicht des Dämmerflechters. Sein Plan schien aufzugehen. Das Dunkel wucherte. Seine Macht wuchs.
Gnista war jedoch noch nicht fertig. »Nicht ganz Meister. Denn Krigk reist nicht allein.«
Skadwa richtete sich in seinem Thron auf und funkelte seinen Diener inmitten der Schwärze zornig an. »Was soll das heißen?«
Der bucklige Gnom zuckte zusammen und verneigte sich noch etwas tiefer. »Er … er reist in Begleitung seiner Schwester. Der Vertraute des Schattenvaters soll dafür sorgen, dass beide unbeschadet ans Ziel kommen.«
»Seine Schwester? Hat R’hee denn ihre Ausbildung überhaupt schon begonnen?«
»Nein. Nicht wirklich. Und auch Krigk ist noch nicht bis in die vierte Höhle vorgedrungen. Seine Schwester war jedoch zugegen, als er dem Dämmermahr begegnet ist. Sie war es, die ihn gerettet und das Notfeuer entzündet hat.«
Skadwa zögerte. Überlegte, ob das Mädchen eine Gefahr für seinen Plan darstellte. Doch solange alle anderen Teile reibungslos funktionierten …
»Aber der Mahr hat ihn wie geplant verwundet?«
»Ja, Meister. Das hat er.«
»Gut. R’hee wird uns kaum Ärger bereiten. Und abgesehen von den beiden Meistern bleibt, sobald wir Krigk ins Dunkel gestoßen haben, bloß noch das blinde Mädchen. Ayumi. Und für die habe ich auch schon einen Plan …«
Gnista atmete auf. Schon weil es ihm bei Weitem nicht immer gelang, einer Strafe zu entgehen, wenn irgendetwas schiefging. Meister Skadwa gab seinem Diener einen Wink. Gnista verbeugte sich untertänig und schlich durch das Dunkel davon.
Unterdessen streckte der Dämmerflechter seine Schattengestalt, lauschte weiter dem Dunkel und schwelgte in den Heimlichkeiten jener, die die Nacht nicht verstanden …
Auch jetzt auf dem Fahrrad bekam David das Bild nicht aus dem Kopf. Marvin und Leon, wie sie vor ihm kauerten und ihn anstarrten, als ob er sie selbst auf den Kachelboden geschleudert hätte. Oder zumindest dafür verantwortlich war. Dabei hatte er doch ebenso wenig wie sie gewusst, was passierte. Aber sicher war, dass es verdammt unheimlich gewesen war. Als ob ein wildes Tier durch das Dunkel getobt war, das sich, kaum dass das Licht aufleuchtete, komplett aufgelöst hatte. Als ob es nie da gewesen wäre. Ein Geschöpf, das erst durch ihn, David, hinausgelangt war, als er das kleine gläserne Röhrchen geöffnet hatte. Jenes Röhrchen, das er von Ayumi bekommen hatte, die ihn, obwohl er Angst im Dunkeln hatte, nicht ausgelacht hatte. Nicht so wie die anderen. Stattdessen hatte sie ihm zugeflüstert, dass es nicht falsch war, sich vor der Dunkelheit zu fürchten und ihm dann jenes kleine Glasding voll Finsternis gegeben. Fast, als ob sie mehr als andere über die Dunkelheit wusste. Vielleicht weil sie blind war. Oder weil sie ein Geheimnis hatte. Etwas, das sie mit der Dunkelheit verband. Und obwohl es hier um genau das ging, was David wie nichts anderes auf der Welt fürchtete, war er doch so neugierig wie selten zuvor.
Er musste dringend mit Ayumi sprechen. Allein. Unter vier Augen. Auch wenn zwei davon nichts sehen konnten.
Als er jetzt vor dem kleinen, am Rande eines Neubaugebietes gelegenen Haus ankam, konnte er, während er sein Fahrrad an den hölzernen Zaun schloss, das leere Glasröhrchen in seiner Hosentasche spüren.
Er musterte das moderne einstöckige Gebäude, das, klein wie es war, mit seinem flachen Dach, seltsam winzig wirkte. Außerdem hatte er den Eindruck, dass irgendetwas fehlte. Obwohl er nicht auf Anhieb sagen konnte, was es war.
Am Zaun entlang schlenderte David zum Gartentor und betrachtete dabei die penibel gestutzten Bäume in dem kleinen Garten. Dann sah er das Klingelschild. Auf einer hellen, in dunkles Holz eingefassten Steinplatte stand unter den entsprechenden japanischen Schriftzeichen in Großbuchstaben der Name WATANABE. Was dafür sprach, dass er hier wahrscheinlich richtig war. Aus dem unteren Teil der Tafel ragte ein kleiner metallener Klingelknopf. Nachdenklich wendete David das Röhrchen in seiner Tasche zwischen den Fingern. Dann streckte er die Hand aus und läutete zögerlich.
Obwohl zwischen Gartentor und Haustür gut fünf Meter lagen, konnte er die Klingel deutlich hören. Es war ein seltsamer Ton. Etwas, das er noch nie zuvor gehört hatte. Wie ein Gong aus einem fremden Metall, dessen Schwingungen er eher spüren als hören konnte. Ein unheimlicher Klang. Aber mit so etwas hatte er beinahe gerechnet.
David wartete. Nichts passierte. Er überlegte bereits, ob er noch einmal klingeln sollte, als sich plötzlich die Haustür öffnete und ein kleiner alter Mann heraus und in Richtung des Gartentors gewackelt kam. Er sah aus, wie man sich einen alten asiatischen Weisen vorgestellt hätte. David musste schmunzeln. Das wallende weiße Haar, der wirre lange Bart, buschige Augenbrauen und das von Falten zerfurchte Gesicht ließen den Alten, der tatsächlich kleiner als David war, wie eine Mischung aus Konfuzius und Meister Yoda wirken. Nur seine dunkle, seitlich mit undurchsichtigen Blenden versehene Brille wirkte auf eigentümliche Weise unpassend. Im ersten Moment glaubte David, dass der Alte ebenfalls blind war.
Da war der Greis auch schon am Tor, öffnete und nickte David aufmunternd zu. »Soso. Du bist dann wohl der Bursche, der das Dunkel fürchtet. Ayumi hat schon von dir erzählt.« Seine Stimme klang alt, aber kräftig. Sein Deutsch klar und akzentfrei. Kein bisschen wie Yoda. Und als ob sein Gegenüber spürte, was er dachte, senkte er den Blick und zwinkerte David über den Rand seiner Brille zu. »Und: nein, mein Junge, ich bin nicht blind. Aber ich reagiere sehr empfindlich auf Licht.«
David lächelte verlegen. Er fühlte sich ein wenig ertappt. »Ah! Na klar. Verstehe. Ich … ich wollte mit Ayumi wegen der Schülerzeitung …«
»Erzähl keinen Unsinn, Junge«, fiel der Alte ihm ins Wort. »Du hast den Grantelschwarz freigelassen. Und jetzt willst du wissen, was es damit auf sich hat. Also, komm rein und stell deine Fragen. Meine Enkelin wird sich freuen, dass du schon da bist.«
Davids Lächeln wurde noch verlegener. Er hätte wissen müssen, dass ein Weiser sich nicht so leicht belügen ließ.
Als der Alte ihn nun statt ins Haus auf eine überdachte Terrasse führte, stutze David.
Der Mann bemerkte seine Verwunderung und winkte ab. »Glaub mir, drinnen würde es dir nicht gefallen.«
Verwundert betrachtete David das Haus noch einmal genauer. Und jetzt begriff er auch, was es war, das ihn irritiert hatte: Es hatte keine Fenster.
Der Alte schien die Verwirrung in seinem Blick zu bemerken. »Genau.« Er nickte. »Und tatsächlich gibt es dort drinnen nicht mal elektrisches Licht. Ayumi ist blind und ich, nun ja, mir ist das meiste Dunkel schon zu hell.«
Bei den Worten des Mannes schauderte David unwillkürlich. Wobei sein Gegenüber natürlich recht hatte. Ohne Licht und Fenster hätte es ihm dort drin mit Sicherheit nicht gefallen.
Der Alte bedeutete David sich zu setzen und einen Moment zu warten. Dann verschwand er wieder im Haus.
Allein auf der Terrasse zurückgelassen blickte David sich nun erst einmal in Ruhe um. Durch eine gläserne Terrassentür konnte er ins Innere des Hauses sehen. Doch nur so weit, wie das Licht hineinfiel. Im Inneren war es komplett dunkel. Stirnrunzelnd wandte er sich wieder ab. Hier, im hinteren Teil des Gartens stand zwischen akkurat gestutzten Pflanzen ein gutes Dutzend hölzerner, lichtdicht verschlossener, matt lackierter Kästen in verschiedenen Größen. Er fragte sich noch, was sich darin wohl befand, als plötzlich Ayumi neben ihm stand. Sie hatte einen jener Kästen unter dem Arm, aber seltsamerweise ihren Blindenstock nicht dabei.
»Hi, David. Schön, dass du gekommen bist.«
»Hallo, ich wollte …«
»Der Grantelschwarz hat mir schon berichtet, was in der Schule passiert ist. Geschieht den beiden ganz recht. Von jetzt an werden sie dich ziemlich sicher in Ruhe lassen.«
»Ja, das denke ich auch. Aber ich … ich würde gern verstehen, was genau da passiert ist.«
Sie lächelte und es schien fast, als ob sie ihn hinter ihrer riesigen Sonnenbrille anblickte. »Das war etwas Dunkelheit mit einem eigenen Willen. Mehr nicht. Wenn du magst, erkläre ich es dir. Das wird allerdings ein wenig dauern. Aber wenn du es erst verstehst, wirst du womöglich auch keine Angst mehr davor haben.«
David schluckte. Er ahnte nicht einmal, was das bedeutete. Doch seine Neugier war einfach zu groß. Auch wenn es hier um Dunkelheit ging. »Erklär es mir.«
»Sehr schön. Das freut mich. Ich glaube, wir werden zusammen noch das ein oder andere Abenteuer erleben!« Ayumi umarmte ihn ungestüm und David kam sich merkwürdig vor. Im nächsten Moment aber löste sie sich bereits wieder und nickte ihm aufmunternd zu. »Fangen wir am besten gleich an!« Mit diesen Worten streckte sie ihm ihren Kasten entgegen.
David nahm ihn und betrachtete ihn genauer. Dunkles Holz, das Ganze ungefähr doppelt so groß wie eine Milchtüte, mit einer kleinen Klappe an der Oberseite.
»Mach ihn auf und schau hinein«, sagte Ayumi bestimmt.
Und David tat wie geheißen. Er nestelte ein wenig an dem Verschluss herum, öffnete die Klappe und blickte vorsichtig hinein. Aus dem Inneren starrte ihm dunkle, gähnende Finsternis entgegen, durch die er sogar den Boden des Kästchens erkennen konnte. Es war komplett leer. »Aber da ist ja gar nichts drin«, murmelte er enttäuscht.
Doch Ayumi schüttelte energisch den Kopf. »Steck deine Hand hinein«, befahl sie ihm.
David erinnerte sich an den Vorfall im Schulklo.
»Keine Angst«, flüsterte das blinde Mädchen.
Er glaubte ihr. Und begann kurz darauf, als er nun langsam seine Hand in den Kasten steckte, ungläubig zu staunen. Denn zwischen seinen Fingern fühlte er … Fell. Weiches, warmes Fell und einen winzigen Körper, kaum größer als ein Pfirsich. Wie ein kleines Tier, das sich eng an seine Hand schmiegte. Verwundert blickte er ein weiteres Mal in den Kasten. Doch abgesehen von seiner Hand war darin noch immer nichts zu sehen.
David musste leise auflachen, als er eine kleine raue Zunge an seinem Daumen zu spüren glaubte.
Ayumi grinste ihn breit an. »Das ist Rocky. Er ist ein Schattenhamster. Wie alle Kreaturen der Dunkelheit, ernährt er sich vom Dunkel selbst. Ein Schatten, der Schatten frisst. Und er gehört zur Gattung der niederen Zwielichtlinge. Aber das hört er nicht gern.«
»Das … das ist ja unglaublich!« David kicherte, während das Dunkel im Inneren des Kastens zaghaft an seinem Handballen zu knabbern begann.
Ayumi legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Glaub mir, David, wenn du das schon für unglaublich hältst, wirst dich auf einiges gefasst machen müssen …«