KAPITEL V

IN DEM HOCH ÜBER DEN WOLKEN SONDERBARE DINGE GESCHEHEN, EIN LEHRER VON NICHTS GEBISSEN UND AM ENDE ETWAS VERGESSEN WIRD

R’hee hatte Angst. Sie saß ganz still am Gang, hatte die Augen geschlossen und umklammerte Mengas Hand. In der anderen hielt der Hüne eine Dose Cola, die zwischen seinen riesigen Fingern beinahe winzig wirkte. Er hatte seinen Sitz in die Ruheposition gestellt, trug Kopfhörer und starrte versonnen auf den aus der Kabinendecke ragenden Monitor. Weil die Airline eher klein war, waren die Filme nicht besonders aktuell. Das Bordkino bot ein paar Star-Wars-Teile, irgendeinen Thriller mit Liam Neeson, einige romantische Schnulzen und ein Reihe Disneyklassiker. Menga hatte sich für König der Löwen entschieden. Den er allein im Rahmen dieses Fluges nun zum dritten und vermutlich nicht zum letzten Mal schaute. Der Flug würde lang genug dauern, und am Ende würde er den größten Teil der Dialoge wieder auswendig beherrschen. Auch wenn die ersten beiden Male nicht wirklich zählten. Weil er R’hee, die den Anblick der Wolken unter ihnen nicht ertragen konnte, hatte beruhigen müssen.

Seit sie im Inneren der Maschine saß, war ihre Laune im Keller. Das letzte Mal gelacht hatte sie kurz vor dem Flug, als sie und ihr Bruder draußen vor der Maschine mit zwei putzigen Hunden gespielt hatten, die kurz darauf in ihren Käfigen in den Laderaum des Fliegers verbracht worden waren. Jetzt, hier im Flugzeug und hoch über den Wolken aber, wo Hunde und Menschen einfach nicht hingehörten, hätten vermutlich auch die sie nicht mehr zum Lächeln gebracht. Obwohl Menga alles versucht hatte. Er hatte R’hee sogar erklärt, wie ein Flugzeug funktioniert. Dass es nichts anderes als ein großer Eisenvogel war, der sie in seinem Bauch sicher von einem Ort zum anderen trug. Doch sie, die wusste, wie schlecht Eisen flog und auf welchem Weg Dinge das Innere eines Vogels gewöhnlich verließen, hatte das alles andere als beruhigt. Da hatte es Menga auch nicht mehr geholfen, ihr zu erzählen, wie oft er selbst zuvor schon geflogen war und König der Löwen gesehen hatte. Für R’hee waren dieser Flug, das leichte Schwanken der Maschine im Wind und die Nähe zur Sonne noch schlimmer, als die Erlebnisse mit ihrem Bruder unten in den Höhlen. Zumal sie auch Angst hatte, Rarrn, mit dem sie sich morgen am Fluss hatte treffen wollen, niemals wiederzusehen. Menga konnte spüren, wie das Mädchen zitterte. Die nächsten Stunden würde sie vermutlich damit verbringen, die Augen zuzukneifen und seine Hand zu halten. Er konnte nur hoffen, dass währenddessen keiner von ihnen aufs Klo musste.

Mit Krigk jedoch verhielt es sich anders. Für den war der Flug ein Abenteuer. Menga hatte ihn beinahe mit Gewalt davon abhalten müssen, durch das Flugzeug zu springen. Der Junge konnte kaum still sitzen und Menga war froh, dass er inzwischen zumindest die Finger von seinem Verband ließ und die Wunde an seinem Oberarm endlich zu bluten aufgehört hatte.

Dem Jungen war die Aufregung anzumerken. Und Menga wusste genau, woher sie stammte. Es war nicht bloß das Flugzeug oder die Reise in die Fremde. Für Krigk war die Tatsache, dass der Schattenvater ihn und seine Schwester auf eine derart bedeutende Mission schickte, ein Zeichen dafür, dass er selbst jetzt noch und nachdem er in den Höhlen gescheitert war, der bedeutendste aller Nachtzähmer werden konnte. Und Menga wusste, dass der Junge dafür alles tun würde, was nötig war.

Schmunzelnd sah er, wie Krigk mit leuchtenden Augen hinab auf die unter ihnen dahinziehenden Wolken blickte. Und Menga glaubte beinahe zu spüren, wie das Herz des Jungen ebenso schnell wie das seiner Schwester schlug. Krigks Brust aber bebte nicht vor Furcht, sondern vor Tatendrang! Seltsamerweise und obwohl er den eisernen Vogel schon so oft unbeschadet wieder verlassen hatte, schlug auch Mengas Herz weit schneller als sonst. Der Grund dafür aber war ein anderer, ein weitaus hässlicherer, und der tätowierte Riese hoffte, dass Timon und Pumba ihm zumindest ein wenig dabei halfen, nicht an diesen Grund zu denken …

Menga hatte Whaku einst als junger Mann verlassen, um in Amerika zu studieren und dort die Sprache des Geldes und des Rechts zu erlernen. Vielleicht hätte auch er ein Nachtzähmer werden können. Aber die Ältesten hatten beschlossen, dass der Stamm ebenso jemanden brauchte, der wusste, wie man mit den Ungeheuern der Neuzeit umgehen musste. Mit Maschinen, die Wälder abholzten, gigantischen Wohnhäusern, die den Blick zum Strand verstellten, und Menschen, die den Stammesangehörigen erklärten, warum sie ihr Land und ihre Kultur verkaufen sollten. Und die Ältesten hatten recht gehabt. Auf den umliegenden Inseln gab es inzwischen mehr Touristen als Eingeborene und an ihren Stränden mehr Plastik als Muscheln.

Statt Nächtisch, die Sprache der Dunkelheit, zu erlernen, hatte Menga schließlich Internationales Recht studiert und sich mit Naturschutz und Wirtschaft befasst. Nach seiner Rückkehr war es mit seiner Hilfe bald schon gelungen, die Insel zu einem offiziellen Naturschutzgebiet zu machen, das nur mit besonderer Genehmigung bereist werden durfte. Und das hatte tatsächlich das Schlimmste von ihnen ferngehalten. Auch wenn er es nicht hatte verhindern können, dass man sie von den Booten aus mit Ferngläsern wie wilde Tiere beobachtete. Das aber war am Ende wohl der Preis dafür, dass sie auf der Insel unter sich bleiben konnten. Mit ihrem Wissen, ihren Göttern und ihrem Glauben. Dafür, dass ihre Trommeln dort nur für sie und ihresgleichen erklangen.

Inzwischen beherrschte Menga sowohl die Sprache der Tradition als auch die der Moderne. Er war die Verbindung des Stammes zur Außenwelt. Der Einzige, der die Geschwister sicher von der Insel in die Zivilisation bringen konnte. Und da der Schattenvater R’hee und Krigk eingeschärft hatte, dem gutmütigen Riesen zu gehorchen, würde es ihm, wenn nicht noch etwas dazwischenkam, ein Leichtes sein, den beiden den Weg zu weisen. Schließlich wusste er, wie man sich in dieser Welt verhielt, wenn man nicht auffallen wollte. Die Kleidung, die R’hee und Krigk trugen, hatte er besorgt. Alles, was seltsam wirkte, war im Bordgepäck verstaut. Er hatte bloß noch eine Tasche mit Handgepäck dabei, in der sich sein Laptop, eine kleine hölzerne Schatulle und die nötigen Papiere befanden. Der Schattenvater hatte alles von langer Hand vorbereitet. Weil er gewusst hatte, dass es irgendwann einmal so weit kommen würde. Darum waren R’hee und Krigk, abgesehen von Menga, auch die einzigen Stammesmitglieder, die überhaupt einen Pass besaßen. Und außer ihnen würde mit etwas Glück auf Whaku auch keiner sonst einen brauchen.

Bevor sie aufgebrochen waren, hatte Menga über das Smartphone in der Hütte des Schattenvaters Kontakt mit Watanabe, dem Nachtwahrer, aufgenommen. Auf Nächtisch hatten die beiden Meister sich über das Telefon verständigt und besprochen, wann die Geschwister in Deutschland ankommen würden.

Das Flugzeug war eine vergleichsweise kleine Maschine. Dreißig Sitzplätze, davon wiederum nur knapp die Hälfte belegt. Die meisten Fluggäste waren Geschäftsleute. Inmitten der Anzug- und Krawattenträger wirkten Menga und die Geschwister noch seltsamer, als sie es ohnehin schon taten. Der Flug verlief weitgehend ruhig, was von den dreien allerdings lediglich Menga beurteilen konnte. Krigk war es egal und was R’hee anging, war der Flug, wie immer er verlief, das Schlimmste, was ihr je widerfahren war.

Während der letzten Stunden hatten die Passagiere sich aneinander gewöhnt. Man musterte sich weniger argwöhnisch. Der Pilot hatte seine Durchsagen gemacht und selbst die Stewardess döste auf einem der vorderen Klappsitze. Alles war entspannt.

Bis die Bordbeleuchtung zu flackern begann.

R’hee schien es nicht einmal zu bemerken. Ihre Augen waren noch immer geschlossen. Und Mengas Aufmerksamkeit galt vor allem Simba. Einzig Krigk blinzelte verstört, weil er für den Bruchteil einer Sekunde verwundert ein finsteres schmales Etwas zu sehen glaubte. Eine dünne schwarze Schlange, die sich, in den kurzen Augenblicken, in denen das Licht komplett ausfiel, über die Kopfstützen Richtung Cockpit bewegte. Zwei Mal glaubte er sie im flackernden Licht zu sehen. Dann war sie wieder verschwunden. Und dabei war er nicht einmal sicher, ob sie wirklich da gewesen war. Krigk überlegte noch, ob er Menga davon erzählen sollte und wollte ihn gerade anstoßen, als plötzlich ein stechender Schmerz seinen Arm durchfuhr. Er spürte, wie Blut unter dem Verband herauslief. Seine Wunde hatte sich wieder geöffnet. Und weil er gleich darauf zu beschäftigt damit war, einen neuen Verband anzulegen, entging ihm auch, wie die merkwürdige, seltsam körperlose schwarze Schlange vor dem Cockpit durch die Fugen der geschlossenen Bodenluke in den Frachtraum hinabsickerte …

Das Flugzeug verfügte über zwei Laderäume. Im unteren herrschten, während die Maschine sich in der Luft befand, extreme Minustemperaturen. Der obere hingegen war isoliert und beheizt und für den Transport von Tieren und temperaturempfindlichen Waren vorgesehen.

Vom matten Licht einer grünen Notbeleuchtung erfüllt, standen in dem engen Raum zwei kleine Paletten mit exotischen Drachenfrüchten und einige Kartons mit Wein und Whisky, zwischen denen in zwei niedrigen Transportkäfigen jeweils ein Shih Tzu und ein Jonangi dösten. Die Hunde, mit denen die Geschwister von der Insel kurz zuvor noch gespielt hatten. Exotische Tiere, deren Besitzer ihnen ausreichend Beruhigungsmittel ins Futter gemischt hatten, dass sie jetzt teilnahmslos vor sich hin dösten und womöglich sogar davon träumten, eine Rolle im König der Löwen zu spielen. Zumindest, bis auch im oberen Frachtraum das Licht zu flackern und eine eigenartige Form von Dunkel durch die Luke ins Innere zu sickern begann.

Mit einem Mal waren beide Hunde trotz Beruhigungsmittel hellwach. Wütend begannen sie zu kläffen und auf- und abzuspringen, während die herabtropfende Finsternis sich langsam um sie herum ausbreitete.

Und dann, innerhalb kürzester Zeit, war es komplett dunkel im Frachtraum.

Obwohl das Notlicht noch immer brannte, war die Dunkelheit auf seltsame Weise stärker, verschluckte das Licht geradezu. Aus der undurchdringlichen Finsternis klang das Bellen der Hunde.

Dann war es plötzlich still. Im nächsten Augenblick war alles vorbei und die Dunkelheit verschwunden.

Wie zuvor erfüllte mattes grünes Licht den Laderaum. Wie zuvor standen zwischen den Paletten und den Kartons zwei Transportkäfige.

Jetzt allerdings … waren sie leer.

Mathe bei Dr. Grobholdt war kein Vergnügen. Nie. Zum einen, weil er wie ein verrückter Wissenschaftler wirkte und an der Tafel meist selbst durcheinanderkam. Zum anderen, weil sein zu offenes Hemd mehr von seinem Brusthaar zeigte, als irgendein Schüler sehen wollte. Haare waren bei ihm aber ein grundsätzliches Problem. David konnte sich, wenn Dr. Grobholdt ihn ansah, nie richtig konzentrieren. Weil er immer auf die Haarbüschel starren musste, die links und rechts aus seinen Ohren ragten und aussahen, als ob ein fusseliges Tuch im Kopf des Lehrers feststeckte. Eben dieses Tuch versaute David jeden mündlichen Test. Und jetzt, wo er dieses Problem Ayumi erklärte, war es auf einmal doppelt so lustig. Da sie die grobholdtschen Fusseln nicht sehen konnte, musste er sie nämlich umso genauer beschreiben. Die beiden saßen in der drittletzten Reihe. David flüsterte, so leise er konnte. Und Dr. Grobholdt, der wieder einmal verwirrt an der Tafel vor seinem eigenen Schaubild stand, hätte vermutlich gar nichts bemerkt, wenn Ayumi nicht plötzlich laut losgelacht hätte. Was David als Erfolg wertete. Weil sie sich das fusselige Tuch dank seiner Schilderungen offenbar hatte vorstellen können. Sein Triumph aber hielt nicht lange an. Als Erstes drehten sich nämlich alle anderen nach ihnen um. Wobei David in den Augen von Marvin und Leon tatsächlich so etwas wie Furcht oder zumindest Respekt zu erkennen glaubte. Die zwei hatten das Erlebnis auf dem Schulklo gewiss noch nicht vergessen und würden sich eine Zeit lang von ihm fernhalten. Seine anderen Mitschüler waren überwiegend verwirrt, während Ayumi, ganz in Schwarz und mit ihrer riesigen Fliegenaugensonnenbrille auf der Nase, vor Lachen gerade fast keine Luft mehr bekam. Und jetzt musste auch er losprusten.

»Was genau ist denn so witzig, Gliehm?«, fragte Dr. Grobholdt, der sich nun auch von der Tafel abgewendet hatte und David vorwurfsvoll anstarrte, der, was Ärger anging, natürlich schlechtere Karten als eine japanische Austauschschülerin hatte.

»Wir … also, wir haben gerade … haben …«, begann er zu stammeln. Marvin und Leon grinsten. Dr. Grobholdt hob zweifelnd eine Augenbraue.

»Da ich vermute, dass Sie gerade nicht die heitere Seite der Stochastik entdeckt haben, dürfte Ihre Vergnügtheit wohl mit etwas anderem als meinem Unterricht zusammenhängen, hm?«

Der Lehrer, der seine Schüler grundsätzlich zu siezen pflegte, funkelte ihn zornig an und war dann auch schon mit zwei großen Schritten an seinem Tisch. Ehe David sich’s versah, hatte Dr. Grobholdt nach dem kleinen Karton gegriffen, der aus seinem Rucksack herausragte.

Das Grinsen der beiden Fieslinge zwei Reihen vor ihm wurde breiter.

»Na, da wollen wir doch mal schauen, Gliehm, was Sie uns denn so Witziges mitgebracht haben!« Dafür war Dr. Grobholdt bekannt. Obwohl er wusste, dass er für derlei Ärger bekommen konnte, hatte er, wenn man ihn wütend machte, seine Finger schnell mal im Rucksack eines Schüler versenkt.

David sprang auf und versuchte noch, sich die Schachtel zurückzuholen, aber Dr. Grobholdt reckte sie triumphierend von ihm weg. Resigniert sackte David zurück auf seinen Stuhl, während sein Lehrer den kleinen Karton jetzt ans Ohr hob und zu schütteln begann.

Die anderen lachten. David vergrub das Gesicht in den Händen und flüsterte Ayumi leise zu, was gerade geschah. Jetzt war auch ihr nicht mehr nach Lachen zumute. Dr. Grobholdt kniff die Augen zusammen und versuchte herauszuhören, was da in der Schachtel gedämpft hin und her polterte. Als ihm das nicht gelang, öffnete er schließlich den Karton und griff hinein. Was er allerdings besser nicht getan hätte.

Mit einem entsetzten Aufschrei schleuderte der Lehrer die Schachtel im nächsten Moment weit von sich und starrte entsetzt auf seinen blutenden Zeigefinger.

Amad war es, der das Kästchen fing, bevor es zu Boden fiel. Verwirrt starrte er erst hinein und dann zu Dr. Grobholdt hinüber. »Aber … aber die Schachtel ist doch leer.«

Mit diesen Worten reckte er die offene Schachtel, in der tatsächlich nichts als gähnende Dunkelheit zu erkennen war, nach vorn. Alle blickten einander verwundert an. Die ganze Klasse. Und Dr. Grobholdts Finger blutete noch immer.

David allerdings wunderte sich nicht. Er kannte den Schattenhamster inzwischen gut genug, um zu wissen, wie sauer es das kleine Geschöpf machte, geschüttelt zu werden. Ayumi kicherte wieder. David stand auf und holte sich die Schachtel zurück.

Dr. Grobholdt hob seinen Zeigefinger. »Das wird Konsequenzen haben, Gliehm.«

»So, wie wenn man seine Finger nicht bei sich behalten kann, hm?«, murmelte David leise.

Aber sein Gegenüber hörte ihn doch und funkelte ihn zornig an. »Was war das, Gliehm? Was haben Sie da gerade gesagt?«

In diesem Moment wurde David allerdings vom Pausengong gerettet. Kaum dass die ersten Töne durch die Schule dröhnten, sprangen seine Mitschüler auf, griffen ihre Taschen und Rucksäcke und eilten am Lehrer vorbei aus dem Klassenraum. Verstört sah Dr. Grobholdt sich um. Lang genug, dass David die Schachtel wieder im Rucksack verstauen, Ayumi, die eilig ihren Stock auseinanderfaltete, bei der Hand nehmen und zusammen mit den anderen aus dem Klassenzimmer verschwinden konnte.

Statt dem aufmüpfigen Schüler nachzuschauen, betrachtete Dr. Grobholdt kopfschüttelnd seinen blutenden Finger.

Der Hausmeister staunte nicht schlecht, als David mit Ayumi im Schlepptau atemlos in seine Werkstatt platzte.

»Wenn du so außer Atem bist, hast du sicher wieder Ärger gemacht, nicht wahr, David?«, fragte der kleine glatzköpfige Mann mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen.

»Na ja, das mit dem Ärger war nicht direkt ich, Herr Klandt. Obwohl ich durchaus nicht unbeteiligt war.«

»Worum ging es dieses Mal?«, wollte sein Gegenüber wissen.

David öffnete seinen Rucksack, zog den kleinen Karton daraus hervor und murmelte: »Das würde ich Ihnen jetzt lieber nicht so genau erzählen. Vor allem, damit Sie da nicht noch mit reingezogen werden …«

Vorsichtig griff er in die Schachtel, um zu überprüfen, ob Rocky sich beruhigt hatte. David atmete auf, als der Schattenhamster sich in seine Handfläche schmiegte und er sein schattiges Fell spüren konnte.

Klandt hob die Brauen und blickte dann zu Ayumi hinüber, die auf ihrem Blindenstock lehnte. »So so, ich verstehe. Und das ist dann wohl deine blinde Freundin, von der du mir erzählt hast.«

David zuckte ein wenig zusammen. Freundin. Das klang seltsam. Gar nicht gut. So etwas konnte schnell zu Missverständnissen führen. Vor allem, wenn es sich herumsprach.

»Mitschülerin, Herr Klandt. Mitschülerin«, versuchte er klarzustellen.

Der Hausmeister grinste und streckte Ayumi seine Hand hin. »Klandt. Barabas Klandt, kleines Fräulein. Diese Rumpelkammer ist quasi Davids persönliches Pausenparadies und ich bin so etwas wie der Torwächter.«

Lächelnd ergriff Ayumi die behaarte Hand. »Freut mich. David hat schon ein bisschen von Ihnen erzählt. Und was mich angeht, dürfen Sie mich gern seine Freundin nennen.«

Als sie das sagte, errötete sie. Aber nur halb so sehr wie David, der sich hastig abwandte und so tat, als ob er sich für eine Reihe Energiesparlampen interessierte, die der Hausmeister auf dem Tisch ausgelegt hatte. Er nahm eine davon in die Hand, wendete sie zwischen den Fingern und betrachtete das Logo im Sockel. Ein kleines e. Darüber eine stilisierte Krone, darunter eine vierstellige Zahl.

»Wow, das sind ja alles Erebos 3000. Wusste gar nicht, dass die Schule so viel Geld in die Beleuchtung steckt.«

David pfiff durch die Zähne. Das war so ziemlich das Teuerste, was man sich überhaupt in die Fassung schrauben konnte. Und Erebos Industries war, wie sein Vater zu sagen pflegte, eine Marke von Weltruf.

Der Hausmeister jedoch winkte ab. »Tut sie nicht. Die sind quasi geschenkt. Weil die Schule, wie wir wissen, ja am liebsten gar kein Geld irgendwo reinsteckt. Aber wofür, wenn nicht für ein bisschen Gratislicht, hat man denn eine Glühlampenfabrik in der Stadt?«

»Und Praktikumsplätze«, fügte David hinzu.

»Was?«

»Gratislicht und Praktikumsplätze, Herr Klandt. Erebos. Ist halt der größte Arbeitgeber in der Gegend. Mein Vater sagt, dass sie das Werk sogar noch ausbauen wollen. Doppelt so groß. Seit Jahren machen die meisten Schüler hier ihr Schulpraktikum drüben in der Fabrik. Vor allem die, die’s nicht schaffen, sich um was anderes zu kümmern. Wussten Sie das nicht?«

»Ach, und wo machst du dein Praktikum, David?«, fragte Klandt feixend.

»Erebos«, murmelte David und zuckte mit den Schultern.

»Hab ich mir fast gedacht«, meinte der Hausmeister lächelnd. Ayumi kicherte. Und David, der tatsächlich zu faul gewesen war, sich um einen anderen Praktikumsplatz zu kümmern, überlegte, ob er etwas zu seiner Verteidigung vorbringen konnte. Bevor ihm jedoch eine gute Geschichte einfiel, summte Ayumis Mobiltelefon. Schmunzelnd hob sie es ans Ohr und lauschte der Kurznachricht. Ihr Telefon war zu leise, als dass David etwas verstanden hätte. Der alte Klandt schaut ihn an, nickte mit dem Kopf Richtung Ayumi und zwinkerte David verschwörerisch zu. Das war wohl so eine Männersache. So ein Respekt, mein Junge, hübsches Mädchen. Kann ich verstehen, dass die dir nicht aus’m Kopf geht. Er kannte so etwas. Zumindest theoretisch. Trotzdem wurde er jetzt erst einmal wieder rot, während er Ayumi dabei beobachtete, wie sie leise in ihr Telefon flüsterte. David blickte zu Klandt hinüber und nickte zögerlich. Er mochte sie wirklich. Und es war sinnlos, das zu leugnen. Der Hausmeister grinste zufrieden und Ayumi wandte sich aufgeregt David zu.

»Mein Großvater wartet im Wagen vor der Schule. Wir müssen zum Flughafen. Die Geschwister abholen. Sie müssten zusammen mit ihrem Begleiter bald da sein. Magst du mitkommen?«

David drehte den Kopf und schaute zur Uhr über Klandts Werkbank hinüber. »Na ja, ich hab eigentlich noch zwei Stunden Erdkunde.«

»Dein Lieblingsfach, nicht wahr?«, meinte sie.

Aus den Lautsprechern tönte der Gong zur nächsten Stunde. David zögerte. Seine Hand krampfte sich um den Schultergurt seines Rucksacks. Ihm war anzusehen, dass er mit sich rang.

Da meldete sich plötzlich der Hausmeister noch einmal zu Wort. »Also, wenn es jetzt um so was wie eine Entschuldigung geht, dann kann ich gern bezeugen, wie schlecht dir war, bevor du gegangen bist. Und dass du mir hier unten die Werkstatt vollgespuckt hast.« Klandt nickte ihm aufmunternd zu.

David hob den Kopf. »Hm. Also, wenn mir tatsächlich so schlecht ist, sollte ich Erdkunde vielleicht wirklich ausfallen lassen.«

»Das halte ich für eine ausgesprochen gute Idee, David. Vielleicht findest du draußen auf dem Parkplatz ja jemanden, der dich mitnehmen kann.«

»Oh, ich glaube, ich wüsste da wen!«, rief Ayumi, griff ihren Stock, nahm David bei der Hand und zerrte ihn in Richtung Tür. »Du hast recht. Der ist wirklich cool«, flüsterte sie ihm zu.

Als sie gingen, schaute der Hausmeister den beiden lachend nach.

Und keiner bemerkte dabei die Schachtel mit dem Schattenhamster, die die zwei auf der Werkbank vergessen hatten …