Dillenburg, 1723
Das Schreien war nicht zu überhören. Die Stimme klang schrill und verzweifelt zugleich. Philippa Schwarz, die junge Magd im Haus des Magisters von Hohenstein, stand am Küchentisch und hatte bis gerade mühsam den Teig auf dem mehlbestäubten Holztisch geknetet. Erschrocken hielt sie nun inne und fuhr sich mit dem Ärmel über die verschwitzte Stirn.
„Mach auf, Philippa!“
Wer rief denn nach ihr? Da! Jetzt hämmerte diese Person auch noch an die wuchtige Haustür aus Eiche. Philippa blies sich eine widerspenstige, hellbraune Haarsträhne aus dem Gesicht und das markante Gesicht von Caspar Vogt, dem jungen Ratsschreiber der Residenzstadt Dillenburg, von dem sie eben noch fantasiert hatte, verflüchtigte sich vor ihrem inneren Auge. Wie gut, dass niemand ihre Gedanken lesen konnte!
Noch immer klopfte es laut. Wer mochte das sein?
Sie zog die Augenbrauen zusammen. Ihre Herrschaften, Magister und Ratsherr Ulrich von Hohenstein und seine Frau Sybilla waren bestimmt noch nicht zurückgekehrt. Nach dem Mittagsmahl waren sie mit allen fünf Kindern aufgebrochen, um der kranken Tante in Donsbach einen Besuch abzustatten. Aber wenn sie es nicht waren, wer bat dann am frühen Nachmittag so vehement um Einlass?
Für einen Moment war es nun still. Noch nicht mal eine Fliege surrte. Doch dann setzte das durchdringende Pochen wieder ein und Philippa hörte erneut ihren Namen. Die Stimme musste zu einer Frau gehören. Sie klang nicht mehr so laut wie zuvor, aber immer noch deutlich hörbar. Vielleicht war es eine Nachbarin, die dringend Butter oder Eier borgen wollte, weil Gäste unangekündigt eingetroffen waren?
„Grete!“, rief Philippa.
Nichts rührte sich.
Warum mussten ausgerechnet heute Nachmittag ihre Haushälterin Hiltgunt und der alte Diener Enners gleichzeitig weg sein? Die Herrin hatte ihnen vorhin etliche Aufträge erteilt, die sie auf dem Markt erledigen sollten. Normalerweise mussten sie vormittags einkaufen, aber heute waren seltene Händler in der Stadt, sodass die Hausherrin entschieden hatte, die beiden nachmittags nochmals loszuschicken, um ein Tuch aus Flandern und ganz bestimmte Gewürze aus dem Orient zu kaufen.
Das Tuch hatte die Herrin am Vormittag ausgesucht und weil es so teuer war, sollte es jetzt mit von der Schneiderin vorgegebenen Maßen gekauft werden. Die Frau Magister sei dekadent, flüsterte man hinter vorgehaltener Hand, was das auch immer bedeuten sollte. Gertraud, die junge Ehefrau des Ratsherrn Horn, hatte jenen Ausdruck einmal beiläufig mit einer Spur von Bewunderung erwähnt.
Als Gewürze waren Pfeffer und Muskatnuss gewünscht. Gertraud, die beste Freundin der Herrin, wünschte sich seit langem ein Kind, und wie Philippa mitbekommen hatte, sollte eine um den Hals gehängte Muskatnuss dabei helfen.
Verwirrt dachte sie darüber nach, dass man hinter vorgehaltener Hand die merkwürdigsten Dinge flüsterte, wie man eine Kinderschar bekam. Philippa hatte gehört, dass eine Muskatnuss, die wie ein Talisman getragen wurde, Wunder wirken sollte. Von derart magischen Dingen hielt sie aber nichts. Sie vertraute auf die christliche Lehre und was Oberpfarrer Neuendorff in der einen oder anderen Predigt verkündet hatte: Kinder seien ein Segen und die Leibesfrucht eine Gabe Gottes.
Blitzschnell gingen ihr all diese Gedanken durch den Kopf, während das Klopfen weiterhin ertönte.
„Grete, da ist jemand an der Haustür!“, versuchte es Philippa noch einmal.
Doch die andere Magd gab keine Antwort. Wahrscheinlich jätete sie hinter dem Haus Unkraut. Philippa seufzte. Es würde ihr wohl nichts anderes übrigbleiben, als selbst nachzusehen. Mühsam befreite sie ihre Hände vom Teig, der pappig und wie ein leidiges Insekt an ihnen haftete, und wischte sich mit dem Handrücken nochmals über die Stirn. Das Kneten war und blieb eine mühselige, schweißtreibende Arbeit.
„Ich komme ja schon.“ Sie sagte es mehr zu sich selbst und blickte neugierig zum Küchenfenster, das zum Hof ging. Wie praktisch wäre es, läge die Küche neben der Haustür statt im Untergeschoss. Wie bei Ratsherr Horn, mit dem der Hausherr befreundet war. Dann hätte man gleich jeden Besucher im Blick.
Philippa versuchte mithilfe ihrer Schürze die Teigreste abzukriegen, aber der kleistrige Sauerteig ließ sich nicht restlos abwischen. Über ihrem braunen Rock und der leinenen Bluse trug sie eine bis eben mustergültig geplättete Schürze, die jetzt hoffnungslos ruiniert war.
„Philippa!“
Sie fuhr zusammen. „Jaaa!“ Sie starrte auf ihre klebrigen Hände. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als in diesem Zustand die Tür zu öffnen. Sie verließ die Küche und eilte die Treppe hoch. Mit dem Ellenbogen drückte sie auf den Türgriff, rutschte jedoch ab, sodass die Klinke gegen ihren Arm knallte. Ihr entfuhr ein Schrei, es tat böse weh.
Die schwere Tür schwang auf. Das Gesicht, das sie anstarrte, wirkte verzerrt und die weit aufgerissenen Augen ließen Philippas Herz rasen.
„Elsa? Was … was machst du denn hier?“
War das wirklich ihre Freundin aus Breitscheid, die sie seit Kindertagen kannte? Jetzt waren sie beide neunzehn Jahre alt, im heiratsfähigen Alter und dienten als Mägde. Was war passiert, dass Elsa wie vom Teufel gejagt mit verkrampftem Blick vor ihr stand? Eigentlich war sie das bezauberndste Mädchen im Dorf, aber nun klebten die tiefschwarzen Haare feucht und wirr am Kopf und ihre Haube hing wie ein abgeworfener Reiter an ihr herunter. Der elegante Glanz ihrer Mähne war verschwunden. Nie hatte Philippa Elsa derart aufgewühlt erlebt.
Elsa keuchte mehr als dass sie sprach. „Kann ich reinkommen?“
„Reinkommen?“ Philippas Mund blieb offen stehen. „Wie stellst du dir das denn vor? Das darf ich nicht!“ Nicht auszudenken, was Hiltgunt und Enners ihr an den Kopf werfen würden, wenn sie mitbekamen, dass jemand Fremdes die Türschwelle überschritten hatte. Verwirrt starrte Philippa auf die junge Frau vor ihr. „Aber was machst du hier in Dillenburg? In diesem Aufzug?“ Abgekämpft, mit Tränen in den Augen und blass. Außerdem war sie irgendwie merkwürdig angezogen. Ein seltsam anmutender erdfarbener Rock, der sie wie eine Matrone aussehen ließ, und mit schmutzigem Saum. Die helle Bluse und das Mieder waren fleckig und verschwitzt. Das Licht der Nachmittagssonne zeichnete Elsas Umrisse deutlich ab und malte lange Schatten auf den Fußboden.
Elsas Hände griffen nach Philippas. „Du musst mir helfen!“, flehte sie und sah sie aufgewühlt an.
Als erwache sie aus einer Ohnmacht, löste sich Philippa aus ihrem Griff und wich einen Schritt zurück, um das Gesicht ihrer Freundin zu betrachten. Meergrüne Augen unter hochgezogenen, fein geschwungenen Brauen verrieten Verzweiflung und Angst. Ihr Mund stand offen, wobei ihre makellosen Zähne sichtbar waren.
Mit einem Schluchzer schlug Elsa die Hände vors Gesicht. Instinktiv legte Philippa die Arme um sie und drückte sie an sich. Elsas Herzschlag jagte wie ein Pferd im Galopp. Sie roch verschwitzt, und dazu schien ein merkwürdig, süßlicher Geruch in der Luft zu schweben, den Philippa nicht zu deuten vermochte und der sich mit der Ausdünstung vermischte. Elsa schluchzte immer wieder laut auf und klammerte sich an Philippa wie ein Mieder, das zu eng geschnürt war.
„Aber was ist denn nur los?!“ Sie befreite sich aus Elsas Umklammerung und trat einen Schritt zurück „Was willst du hier? Musst du nicht arbeiten? Es ist Mittwoch!“
„Philippa, ich brauch deine Hilfe!“ Es klang mehr als bestürzt. Verstohlen sah sie sich nach allen Seiten um und senkte die Stimme. „Kann ich nicht doch reinkommen?“
Philippa hob den Kopf und ließ ihren Blick über die Straße schweifen, auf der ein Pferdekarren entlangholperte. Sonst war niemand zu sehen. Selbst von dem meist schreienden Kind des Schlosskommandanten nebenan drang kein Laut herüber. Doch ob jemand hinter einem Fenster verborgen Elsas Besuch beobachtete, konnte sie nicht ausmachen. Das Schicksal ihrer Vorgängerin kam ihr in den Sinn, als sei es gestern gewesen.
„Das geht nicht. Was denkst du, was passiert, wenn die Herrschaften erfahren, ich lasse jemand rein, während sie unterwegs sind? Dann kann ich auf der Stelle meinen Beutel packen!“
„Du musst mir helfen!“ In Elsas Augen standen Tränen. „Bitte! Das kriegt doch niemand mit.“
„Woher weißt du, dass ich alleine bin?“
Elsas Stimme klang zerknirscht. „Ich hab das Haus beobachtet.“
Irgendwo schlug eine Tür, dass Philippa zusammenfuhr. In ihrem Kopf arbeitete es. Sie konnte Elsa auf keinen Fall hereinlassen, wenn sie nicht ihre Stelle riskieren wollte. Wie sollte sie das begründen, wenn die Hohensteins zurückkehrten und Elsa in diesem desolaten Zustand antrafen? Hiltgunt und Enners würden ebenfalls eine Erklärung verlangen und an die Befehle erinnern, die Ulrich von Hohenstein den Bediensteten in seinem Haus gegeben hatte. Dazu gehörte, dass sie Bettler und überraschende Besucher nicht ins Haus lassen durften. Vor allem nicht, wenn die Herrschaften nicht zu Hause waren.
Elsas Aussehen gab ihr zu denken. Hier stimmte etwas nicht. Jetzt fing sie auch noch an zu zittern. Sollte sie nicht doch …? Nochmals glitten ihre Blicke an der Freundin entlang. Trostlosigkeit stand Elsa ins Gesicht geschrieben. Bluse und Rock waren zwar nicht zerrissen, der Rock aber mit bräunlichen Flecken übersät. Was hatte das alles zu bedeuten? So ungepflegt und zerlumpt hatte sie sie noch nie gesehen. Allerdings lag ihr letztes Treffen auch über ein halbes Jahr zurück. Ob sie überfallen worden war? Ja, so musste es gewesen sein. Dann musste sie ihr beistehen!
Eine innere Stimme wollte sie warnen, doch dann kam ihr eine Idee. Zögernd nickte Philippa und senkte die Stimme. „Komm bei Einbruch der Dämmerung in den Hof. Ich lasse die Küchentür angelehnt, die nach hinten führt. Meine Kammer, besser gesagt mein Bett, ist in einer Nische beim Herd.“ Beschwörend senkte sie die Stimme. „Sieh zu, dass dich niemand dabei beobachtet.“
„Ich danke dir!“, seufzte Elsa und zog sich geschwind mit beiden Händen die Haube tief ins Gesicht. Noch bevor Philippa etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und hastete weg Richtung Stadtkirche, bis sie hinter einer Hausecke aus Philippas Blickfeld entschwand.
Der schwere Brotteig lag wie ein böses Omen vor ihr auf dem Tisch, als Philippa zurückkehrte. Sofort machten sich Bedenken breit, falsch entschieden zu haben. Aber wer würde eine Freundin zurückweisen, wenn sie Hilfe brauchte? Daran zweifelte sie nicht. Diesen flehentlichen Blick konnte man nicht vortäuschen. Nicht Elsa. Sie war ihre Spielgefährtin gewesen, seit sie denken konnte.
Als sie vierzehn waren, ging Elsa nach Herborn als Magd und sie selbst diente bei einem Ehepaar, das sie ständig wegen Nichtigkeiten schlug. Dank einer göttlichen Fügung kam sie zu den Hohensteins. Schnell war sie sich bewusst, dass sie damit viel Glück gehabt hatte. Andere Dienstmägde litten jahrelang, ohne dass sie an ihrem Dilemma etwas ändern konnten. Sybilla von Hohenstein war streng, aber freundlich und gnädig, was man nur von wenigen Herrinnen behaupten konnte.
Philippa griff ins Mehl und formte aus dem Teig gleichmäßig große Kugeln, die sie mit dem Handballen und kreisenden Bewegungen zu Laiben flachdrückte. Bevor sie die Brote auf ein flaches, langes Holzbrett setzte, ritzte sie mit einem Messer ein H für „Hohenstein“ in die Mitte eines jedes Laibes.
Was war Elsa passiert? Hatte sie etwas Verbotenes getan? Freche Worte geäußert? Möglicherweise sogar etwas gestohlen?
„Das riecht aber gut!“ Enners stand plötzlich in der Tür. Sie hatte ihn gar nicht heimkommen hören. „Stell dir vor, die Händlerin hat mir sogar ein Stück von der Zimtstange geschenkt!“ Er hielt das kleine Gewürzstück vor Philippas Nase. „Na? Riecht doch gut, oder?“
Der Schrecken hätte nicht größer sein können. Hatte sie dermaßen lang Tagräume gehabt oder war es erst eben gewesen, dass Elsa an der Tür gewesen war?
„Äh … Zimt? Der muss teuer gewesen sein!“
Der alte Knecht grinste. „Soll die Köchin doch …“
Weiter kam er nicht, denn Hiltgunt steckte den Kopf zur Tür herein und sah von einem zum anderen. „War was?“
„Nein. Warum fragst du?“ Philippa war die Lüge zu schnell über die Lippen gekommen – jetzt stockte sie und wurde sich dessen bewusst. Ihre Wangen wurden heiß.
Hiltgunt musterte mit strengem Blick die Brotlaibe. „Du warst noch nicht im Backes?“ Jeder Ort hatte ein gemeinschaftliches Backhaus, durch das Holz eingespart und die Brandgefahr gemindert werden sollte. Philippa, wie auch viele der anderen Frauen liebten es, dort Brot zu backen, weil es immer wieder Gelegenheit für einen geselligen Plausch lieferte.
Philippa schüttelte den Kopf. „Ich gehe, wenn ich hier fertig bin.“
„Du musst mit dem Aufheizen sofort anfangen. Wie willst du das Feuer sonst noch rechtzeitig auf die richtige Temperatur kriegen?“ Hiltgunt trat neben sie und senkte die Stimme. „Hast du mir nichts zu beichten?“
Philippa schluckte und senkte den Kopf.
Die pausbäckige Haushälterin stupste sie sanft in die Seite und hob das Kinn. „Enners, nun sieh mal nach den Hühnern! Sie haben noch nichts zu fressen gekriegt. Die Abfälle stehen immer noch rum.“ Als Enners keine Anstalten machte, die Küche zu verlassen, wurde sie bestimmender. „Nun geh schon, wir müssen mal ein Frauengespräch führen.“
Der Knecht griff nach einem Eimer neben dem Herd und schlich aus der Küche. Hiltgunt sah der abgezehrten, vornüber gebeugten Gestalt hinterher, dann packte sie Philippa am Arm. „Ich hoffe für dich, dass er nicht gesehen hat, dass ein Weibsbild aus der Tür kam. Du kannst Gott danken, dass seine Augen trübe sind. Sonst würden hier die Kochtöpfe wackeln. Also sag mir, wer hier bei dir war.“ Sie strich ihre Schürze glatt und sah sie eindringlich an.
Ihre schlimmste Befürchtung war eingetreten. Philippa biss sich auf die Unterlippe. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen, zumindest annähernd. In kurzen Worten gestand sie, dass eine Freundin einen Rat gebraucht habe und sie danach gegangen sei. „Ich habe sie nicht reingelassen!“
„Kind, wenn ich nicht wüsste, dass du ein achtbares Mädchen bist, würde ich es der Herrin melden.“ Kopfschüttelnd fuhr sie mit einem Seufzen fort: „Nun sieh zu, dass du keine Dummheiten machst und geh wieder an die Arbeit!“
„Danke, Hiltgunt.“ Sie nickte der Haushälterin zu, deren Haar vollständig unter der Leinenhaube verhüllt war, was ihre roten Apfelbäckchen auffallend hervorhob. Mit ihrem weißen, tadellosen Kragen über der Weste machte sie dem Haus Hohenstein alle Ehre. Vielleicht kam ihr zugute, dass ihre Mutter Näherin gewesen war – deshalb duldete Hiltgunt auch weder einen abgesprungen Knopf noch eine aufgetrennte Naht. Sie ging als leuchtendes Beispiel voran, was die Herrin lobenswert fand.
Philippa respektierte die Herrin. Sie hatte eine Art, die es ihr leicht machte, Anordnungen zu befolgen. Andererseits erwartete sie unbedingten Gehorsam von der Dienerschaft. Vor einiger Zeit hatte es mal eine Magd gegeben, die eine Landstreicherin reingelassen hatte. Die Magd war mit Schimpf und Schande und ohne Lohn aus dem Haus gejagt worden. Niemand, der das mitgebekommen hatte, wollte das gleiche Schicksal erleiden. Sie am allerwenigsten. Doch wer würde seiner besten Freundin in einer Notlage nicht helfen? Irgendwie fühlte sie sich hilflos und ihre Kehle war trocken. Sie schlug die Augen nieder und erklärte mit kratziger Stimme: „Die Laibe sind backfertig. Ich hole nur schnell die Reisige im Schuppen.“
Die Familie war bereits zu Hause, als Philippa vom Backes zurückkehrte. Sie hatte den Ofen angeheizt und morgen früh würde die Glut nochmals richtig entfacht, bis das Backen losgehen konnte. Die jüngeren Kinder hüpften an ihr hoch und wollten auf den Arm genommen werden, was sie gern tat.
Schnell bereitete sie den Abendbrottisch und sorgte dafür, dass die Jüngsten ihre Milchsuppe und ihr Brot ohne Einwand aßen. Jakob und Georg, vier und fünf Jahre alt, zappelten gern am Tisch, was ihr Vater nicht duldete.
Nachdem sie die Kinder zu Bett gebracht hatte, das Geschirr gespült und die Küche gefegt war, wusch sie die Kaminseiten ab, die mit Delfter Kacheln umkleidet waren. Der Magister hatte sie von einem befreundeten Niederländer geschenkt bekommen, der im Fürstenhaus zu Gast gewesen war.
Die verwandtschaftlichen Beziehungen des Fürsten mit der Niederlande gingen auf den berühmten Ahnen Wilhelm von Oranien zurück und seitdem, hatte der Magister erwähnt, kamen immer wieder Niederländer ins Schloss zu Besuch.
Philippa betrachtete beständig fasziniert und staunend die Kacheln mit ihren blauen, religiösen Motiven aus dem Markusevangelium auf weißem Hintergrund. Ebenso stolz wie auf die ausländischen Keramiken war die Herrin auf ihre vielen blank geputzten Kessel, Kasserollen, Töpfe und Waffeleisen, die über dem Herd hingen.
Nachdem sie die Kacheln blitzblank poliert hatte, schaute Philippa nochmals nach dem Herdfeuer. Es war ihre oberste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es nicht ausging. Deshalb schlief sie auch nicht wie das übrige Gesinde unter dem Dach oder im Stall, sondern hatte ihr Nachtlager gleich neben dem Herd. Diese klitzekleine Schlafecke – es war nicht viel mehr als eine Lücke – ließ Philippa fast wie eine Hausherrin vorkommen. Möglicherweise deshalb, weil sie nicht wie andere Mägde zu dritt oder viert in einem Bett schlafen musste.
Es war bereits dämmrig, als sie erschöpft unter ihre Strohdecke schlüpfte. Wie abgemacht sperrte sie die Küchentür nach draußen nicht ab. Während sie so dalag, senkte sich die Dunkelheit über die Stadt. Teller auf den Holzborden an den Wänden zeichneten sich schemenhaft ab. Ein Teil des wuchtigen Holztisches, der Platz genug bot, dass Küchenmägde und Köchin gleichzeitig arbeiten konnten, erschien ihr wie eine schwarze Absperrung. Wie gern würde sie jetzt schlafen. Sie war todmüde. Irgendwann wurden ihre Augenlider schwerer und schwerer und die Nacht versenkte mit ihrer Schwärze sämtliche Gegenstände.
Ein Geräusch ließ sie hochschrecken und in die Nacht lauschen, doch es blieb still. Sie musste doch wach bleiben! Würde Elsa kommen? Würde sie tatsächlich unbemerkt bleiben? Was wäre, wenn Philippa einschlief und Diebe durch die unverschlossene Tür ins Haus gelangten? Oder die Hausherrin gerade in dem Moment noch mal nach einem Getränk fragte, wenn Elsa in der Tür stand?
Fragen über Fragen stürzten mit Gewissensbissen auf sie ein. Je näher der verabredete Zeitpunkt kam, desto wilder klopfte Philippas Herz. Erschöpft betete sie darum, dass Gott ihr verzeihen würde und ein Einsehen mit der Not ihrer Freundin haben mochte. Versprach der allmächtige Vater im Himmel nicht in einem der Psalmen, allen Menschen ein Retter zu sein, die ihn darum baten? Und rufe mich an am Tag der Bedrängnis; ich will dich erretten, und du wirst mich verherrlichen. Wie tröstend waren ihr heutzutage diese Bibelverse, obwohl es ihr als Kind keinen Spaß gemacht hatte, den Befehlen des Pfarrers zu gehorchen und die vorgegebenen Texte auswendig zu lernen.
Es war nur ein Schatten, der am Küchenfenster vorüberhuschte, doch um ein Haar hätte Philippa vor Furcht laut aufgeschrien. In dieser mondlosen Nacht war alles finster, mysteriös und beklemmend. Gerade in dem Moment, als die Kirchturmglocke die volle Stunde schlug, öffnete sich wie von Geisterhand die Tür. Das Quietschen ließ Philippas Atem stocken.