Melusine und Marie konnten wie erwartet nicht einschlafen. Nicht auszudenken, wie es ihnen ergangen wäre, wenn sie den Vollzug der Strafe wirklich miterlebt hätten. Vorhin hatten die Mädchen ihre Mutter nochmals gebeten, Philippa zu ihnen zu schicken, obwohl sie gehofft hatte, ihr Dienst sei bereits zu Ende. Natürlich war sie zu ihnen gegangen, in das mit schönen Möbeln und duftigen Vorhängen ausgestattete Zimmer im Obergeschoss. Sie war nicht oft hier, aber wenn sie den Raum betrat, durchflutete sie ein Gefühl der Dankbarkeit, in dem Wissen, dass es ein Leben abseits von abgewetztem Holz und kratziger Bettwäsche gab.
Wenn sie jemals Kinder bekam, dann hoffentlich solche reizenden Töchter wie die der Hohensteins. Beide grundverschieden, aber mit sonnigem Gemüt und einem Lachen, das wie Sonnenstrahlen ins Herz traf. Es war ein sorgloses Gelächter von unschuldigen Seelen und Philippa wusste aus eigener Erfahrung, dass in Häusern, in denen das Essen kaum zum Überleben reichte, oft wenig Freude und Gelassenheit herrschte.
Die Kinder waren endlich erschöpft eingeschlafen. Philippa war bereits spät dran, als sie das Untertor hinter sich ließ und den Weg zur Schütte einschlug, wo manchmal Soldaten exerzierten. Von Weitem sah sie ihn bereits warten. Caspars Schattenbild hätte sie unter Tausenden erkannt. Sie liebte es, wie er dastand, aufrecht, mit rot schimmerndem Vollbart und einer Klarheit im Gesicht, die sie an die Offenheit eines Gewässers erinnerte.
Von der Wilhelmslinde aus bot sich ein Blick Richtung Herborn zum Feldbachswäldchen, hinweg über die Felder, auf denen Hafer, Gerste und Dinkel wuchsen und hoffentlich für den Winter reichten, falls nicht anhaltender Regen oder Unwetter alles zunichtemachte.
Als sie etwas außer Atem vor ihm stehen blieb, umschloss er ihr Gesicht mit beiden Händen. „Philippa.“ Seine aschgrauen Augen strahlten, dass ihr ein wohliger Schauer über den Rücken lief.
„Ich hatte schon befürchtet, dass ich es nicht schaffe. Die Kinder, weißt du …“ Sie schluckte.
Er ahnte wohl die Worte, die sie nicht auszusprechen wagte. „Sie haben doch wohl gestern nicht zugesehen?“
Philippa schüttelte den Kopf. „Wir sind vor Ausübung des Urteils nach Hause gegangen. Aber das, was wir mitbekommen haben, war schon schlimm genug.“
Er nickte und zog sie weg vom Feldtor, an dem Wachen standen. Sie schlugen einen Fußweg ein, der aufwärts in Richtung Alte Rheinstraße führte. Hier draußen, fernab der Leute, ließ sich ungehindert reden.
„Ich fühle mich unendlich müde.“
„Ich kann dich verstehen. Das lässt niemanden kalt, was gestern geschehen ist.“ Sie sah zu ihm hoch. Er war fast einen Kopf größer und seine Schultern wirkten breiter, als sie in Wirklichkeit waren. „Das denkst du wirklich? Ich habe es anders in Erinnerung. Die Menschen haben gefeiert.“
„Das tun sie, um sich zu betäuben. Wenn sie ehrlich vor sich selbst sind, haben sie Angst, genauso zu enden.“
„Konntest du schlafen?“
„Nein.“
„Ich auch nicht.“
Sie hatte sich bei ihm untergehakt. „Ist sie bereits begraben?“, fragte sie leise. In ihrem Hals hing ein Kloß, der es ihr schwer machte, nicht laut loszuheulen. Bestimmt hatte man Elsa im Morgengrauen still und ohne Aufsehens verschachert.
Plötzlich blieb er stehen und schloss sie fest in seine Arme. Ehe sie sich’s versah, lag ihr Kopf an seine Brust gepresst. Jetzt flossen ihre Tränen wie eine nicht versiegende Quelle, als müsse sie ihm ihre Hilflosigkeit und Trauer überlassen. Es war ein tiefes, ergreifendes Sein, sich gehenlassen zu können, sich leichter zu fühlen, als sei sie nach Hause gekommen. Zu Caspar.
Sie hielten jetzt einander fest – nein, es war mehr: ein Umklammern. Nie mehr loslassen. Die Vertrautheit war durchdringend. Wie ein Moment für die Ewigkeit. Ein ergreifendes Gefühl von Erkenntnis um Einklang und Liebe.
Eine Weile standen sie so beisammen, bis sie zu ihm hochsah.
„Und … wo ist sie beigesetzt?“ Als er schwieg, setzte sie erneut an. „Hinter der Friedhofsmauer? Ich meine, außerhalb?“
Er atmete schwer. „Vorerst nicht.“
„Was? Soll sie nicht begraben werden? Soll ihr Leib etwa einfach verrotten? Ist … ist das im Nachhinein beschlossen worden?“, fragte sie fassungslos und machte sich von ihm frei.
Er sah sie traurig an. „Nein, das wurde im Urteil festgelegt. Doch irgendwie habe ich es verdrängt. Jetzt, wo alles vorüber ist, erscheint es mir sinnlos und unwürdig.“ Er schluckte und brauchte einen Moment, bevor er weitersprach. „Aber ich wüsste nicht, wer sie bestatten würde. Jedenfalls niemand aus Dillenburg.“
„Doch! Ich!“
Caspar griff nach ihrer Hand. „Philippa, sei doch vernünftig. Ich weiß um deine Freundschaft zu ihr, aber ich hoffe, du erklärst es nicht öffentlich. Womöglich sagt man dir noch etwas nach, das nicht stimmt. Hüte also deine Zunge.“
„Du machst mir Vorwürfe?“ Mit einem Mal schien der Zauber verflogen, als fühle sie nichts mehr von der unvergänglichen Verbindung, die eben noch untrennbar anmutete.
„Nein, bitte, ich … ich meine doch nur, dass du vorsichtig sein sollst, was du sagst.“
Sie sah ihn lange an, nickte dann und wischte sich über die Augen. „Können wir noch ein paar Schritte gehen?“ Wahrscheinlich hatte Caspar recht.
Sie nahmen schweigend den Weg hinunter ins Tal, das Richtung Donsbach wies, und wieder hoch bis zum Köppel. Dort bogen sie in einen schmalen Feldweg ein, der zum Marbachtor und in die Marbachstraße führte.
„Der Magister hat sich beschwert, dass man nicht weiß, wo man das viele Holz für den Wiederaufbau hernehmen soll“, sagte sie beim Blick auf die Schuttberge. „Wir könnten doch nicht den ganzen Stadtwald abholzen, hat er gemeint. Es werde schon seit ewigen Zeiten genug in den Wäldern gestohlen.“
Die abgebrannten Häuser würde man in drei Klassen, schlechte, mittelmäßige und gute, einteilen und entsprechend die Spendengelder vergeben. Hohensteins Vorschlag, im Zuge des Wiederaufbaus gleich die Straßen zu verbreitern, um den Funkenflug zu erschweren, war abgelehnt worden.
„Das wird sicher in Absprache mit unserem Fürsten, dem Amtmann und dem Stadtrat geklärt.“
Nur ein Teil der Leute würde problemlos Baumaterial kaufen und die Arbeiter bezahlen können. Wer in einer heruntergekommenen Hütte gehaust hatte, würde den Aufbau mit Nachbarn und Verwandten selbst erledigen und zusehen müssen, wie er an Holz und Lehm kam. Und wenn die fürstlichen Wälder für das Fachwerk herhalten mussten, wie würden die neu errichteten Häuser beheizt werden? Das Brennmaterial war doch seit jeher knapp.
Einige Kinder spielten zwischen Schutt und Asche Verstecken. Philippa war gerührt von ihrer Sorglosigkeit und dachte an den fehlenden Schulunterricht. Was für eine Zukunft würden sie haben? Und die Haigerer? Sie standen genauso vor dem Nichts und beweinten obendrein Tote. Von den übel zugerichteten Leuten, verletzt durch herabstürzende Balken oder Brandwunden, gar nicht zu reden.
Diese Gedanken schienen auch Caspar zu beschäftigen. Es war wie ein geheimes Verstehen. „Die Bezahlung der vier Präzeptoren Otterbein, Knipper, Habicht und Horch sowie Pfarrer Brand werden, wie du weißt, durch die Bürger Dillenburgs geleistet. Das wird gegenwärtig nicht möglich sein. Ich werde mich dafür einsetzen, dass sie von den Kollekten bedacht werden, vorausgesetzt, es gehen genügend Gelder ein, sonst können sie nicht unterrichten.“
Sie drückte seine Hand. Wie sehr mochte sie seine Einfühlungsgabe für andere und dass er sogar Verständnis für Räuber hatte, die aus der Not heraus handelten. Für viele Männer gab es andere Ziele und vor allem forderten sie unbedingten Gehorsam, sei es nun von der Ehefrau, den Kindern oder Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Barmherzigkeit oder Vergebung war bei ihnen nur selten zu finden.
„Ich wünsche mir für unsere Kinder eine gute Schulbildung“, sagte er und warf ihr einen Seitenblick zu. „Natürlich verstehe ich, dass Bauern oft die Feldarbeit vorrangig sehen, trotzdem sollten sie den Anordnungen des Landesherrn gehorchen und die Kinder zur Schule schicken. Wissen vertreibt Ängste und gibt Sicherheit und Zukunft. Wie denkst du darüber?“
„Du sprichst schon von Kindern, obwohl wir noch nicht einmal wissen, wo wir wohnen werden?“, fragte sie, statt eine Antwort zu geben, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Mir macht es nichts aus, in ein oder zwei Zimmern zur Miete mit dir zu leben“, bekannte Caspar mit fester Stimme. „Und ich verspreche, dich zu lieben, selbst wenn wir nicht immer einer Meinung sein werden.“
Er knüpfte seine Zuneigung nicht an Bedingungen – wie wunderbar! Wahrscheinlich hätten sie in einigen Zimmern zur Miete auch ihr Auskommen, wobei der Gedanke, in einem schönen Haus zu leben, verlockend war. „Natürlich sollten wir einander nicht nach unserem Wissen beurteilt werden, sondern nach all dem, was von Herzen kommt. Liebe, die wir schenken, Freude, die wir versprühen und Geborgenheit, die wir geben. Aber du hast recht, es würde mich traurig stimmen, wenn ich unsere Kinder nicht äußerst fördern und fordern würde. Es würde mir das Herz brechen, wenn sie keinen ehrenhaften Weg einschlagen würden. Ich werde bestimmt keine perfekte Ehefrau sein.“
Er zog ihre Hand an seine Lippen und drückte einen Kuss darauf. „Niemand ist vollkommen.“
„Ich werde dich sicher auch enttäuschen, obwohl ich es nie möchte“, sagte sie. „Wir müssen uns womöglich viel verzeihen.“
„Auch wenn unser Sohn Gerichtsschreiber würde?“
Ihre Augen blitzten amüsiert. „Solange du ihm nicht vorschreibst, welchen Beruf er ausüben muss, bin ich auf deiner Seite.“
Nicht weit vor dem Obertor schlugen sie den Weg zum Kirchberg ein, wo Caspar stehen blieb. „Ich muss nach meinem Vater sehen“, verabschiedete er sich. „Seine Gesundheit hat sich in den letzten Tagen nicht gebessert. Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl.“
Das hatte sie auch und senkte den Kopf. Alles schien plötzlich so ungewiss, dass es ihr den Hals zuschnürte …
Philippa hatte schlecht geschlafen. Die Angst vor der endgültigen Zurückweisung durch Bergwerksbesitzer Vogt hatte ihre Träume bestimmt. Oft war sie aufgewacht, versuchte sich einzureden, dass noch alles offen sei und fiel erneut in einen fahrigen Halbschlaf. Noch vor Sonnenaufgang war sie aufgestanden und saß jetzt in der voll besetzten Stadtkirche.
Während der Pfarrer noch ein paar Ankündigungen verlas, drehte sich Betradis zu ihr um und flüsterte: „Ich hab gehört, man habe unter den Zuschauern den Thies gesehen.“
Das klang unglaublich! Philippa beugte sich vor. „Ist das wahr? Wie abscheulich ist das denn!“
Betradis hob die Schultern und richtete mit einer Hand ihre verrutschte Haube. „Es sollen mehrere Leute bezeugt haben.“
„Er wird doch gesucht.“
Was Betradis dann sagte, konnte sie nicht mehr verstehen, denn einen kräftiger Rempler in die Seite ließ Philippa zusammenzucken.
„Weißt du nicht, was sich gehört?“, zischte die ältere Frau neben ihr mit erzürntem Gesichtsausdruck. „Still jetzt.“
Philippa kniff die Lippen zusammen und sah wieder zu Oberpfarrer Neuendorff auf der Kanzel, der ein Papier in der Hand hielt.
„… denn durch Gottes gnädiges Wirken in den Herzen der Gläubigen ist schon jetzt eine große, nein, eine beträchtliche Summe an Dukaten zusammengekommen. Sogar aus fernen Ländern, von Dänemark, über die Niederlanden bis zur Schweiz. Nun verlese ich, welche Summen eingegangen sind.“
Plötzlich herrschte im Gotteshaus eine fast heilige Stille. Die meisten, in der Mehrzahl müde Augen klebten an dem Mann im Talar, um jeden einzelnen Betrag zu hören, den er herunterleierte und dabei Orte nannte, die Philippa noch nie gehört hatte.
„Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“, zitierte Neuendorff eine Stelle aus dem Korintherbrief. „Wie sehr unser Herr und Gott die Herzen berührt hat, sehen wir anhand der bereits erhaltenen Gelder, die weiterhin beständig in großer Höhe eingehen. Es ist zu früh, die Gesamtsumme zu nennen, doch darf ich an dieser Stelle verkünden, was mit der Stadt Haiger beschlossen wurde. So können wir auch den geschwächten Witwen helfen …“
Das klang nach einer salomonischen Entscheidung, dachte Philippa. Man durfte den Räten und allen beteiligten hohen Herren ruhig zutrauen, das Beste für die Menschen hier und in Haiger zu wollen. Von ihrem Herrn bekam sie mit, dass es große Bemühungen gab, den Schutt so schnell wie möglich wegzuräumen und mit dem Bauen zu beginnen. Auf schnellstem Wege sollten die Leute wieder in Häuser unterkommen. Der Behelf in den Verschlägen, Zelten und Hütten musste ein baldiges Ende haben. Sie wollte sich nicht vorstellen, wie die Orangerie mit all ihren ausgefallenen Pflanzen und Bäumen aus fernen Ländern mittlerweile aussah, nachdem sie als Schlafplatz herhalten musste.
„Philippa!“ Ihre Freundin hatte sich erneut umgewandt und riss sie aus ihren Überlegungen. „Frag doch mal nach, warum ihn niemand festgenommen hat.“
Philippa nahm ein Taschentuch und hielt es vors Gesicht, als wolle sie sich schnäuzen. „Warum machst du das nicht?“, raunte sie, dabei huschte ihr ein Lächeln übers Gesicht. „Du bist doch noch näher an den Berichten.“
„Der Kanzleidirektor verrät nichts“, bedauerte Betradis und kicherte vor sich hin, „und seine Frau darf nichts sagen.“
Neuendorff war inzwischen von der Kanzel herabgestiegen und hatte seine Schäfchen entlassen, was die beiden jungen Frauen nicht mitbekommen hatten. Neben ihnen erhoben sich die Gottesdienstbesucher und auch Philippa sprang auf, um wie alle anderen Frauen aus der Bank zu drängen.
Während sie gemeinsam mit Betradis durch das Mittelschiff ging und die Freundin ihr ein paar Neuigkeiten erzählte, sah Philippa Caspar in der Menge. Freundschaftlich legte sie Betradis die Hand auf den Arm. „Du, sei mir nicht böse – wir reden ein andermal weiter, ja? Ich würde gerne noch kurz mit Caspar reden.“
Betradis nickte verstehend, zwinkerte ihr zu und verschwand inmitten der Gottesdienstbesucher. Enttäuscht bemerkte Philippa, dass Caspar jetzt aber nicht mehr zu sehen war. Doch bevor sie sich noch auf die Suche nach ihm machen konnte, tauchte er draußen urplötzlich vor ihr auf. Seine Augen leuchteten und nichts deutete auf die Verstimmung vom Tag zuvor hin.
„Hast du gut geschlafen?“
Sollte sie ihm gestehen, dass sie sich die halbe Nacht im Bett herumgewälzt hatte? „Es geht so“, druckste sie herum und sah an ihm vorbei auf das Tal, das sich in einem satten Grün und hellen Gelb jenseits der Dill bis zum Weinberg erstreckte.
Seine warme vertraute Hand ergriff ihre und sie sah zu ihm auf. Er rieb sich mit der freien Hand am Ohr, was er selten tat, und nur, wenn er nervös war.
Philippa vergaß die Leute ringsum und hielt seinem Blick stand, wie wohl sie jetzt fühlte, wie ihr Aderschlag drängte, es in ihren Ohren rauschte und Hals und Wangen glühten. Sie war viel zu verwirrt, um irgendetwas zu sagen.
Er bedeutete ihr mit den Augen, ihm zu folgen. Im Schatten der Kirche blieb er stehen, wo ein Weg vorbei hoch zum Schloss führte, den meist nur Bedienstete nutzten. Hier fühlte sie sich unbeobachtet. Seine Hand berührte sanft ihre Wange. „Hier haben wir als Kinder Streiche ausgeheckt“, lachte er unbeschwert, „und wenn uns der Pfarrer erwischte, war das gar nicht lustig.“
Als in ihrer Nähe eine Tür quietschte, sah sie sich um. Zwei Männer traten aus dem Hintereingang der Kirche und schlugen den Pfad zum Schlossberg ein. Sie hob das Kinn und sah Caspar an. Doch bevor sie etwas entgegnen konnte, hörte sie eine Stimme hinter sich und zuckte zusammen.
„Ach, hier bist du!“ Es war Grete – spionierte sie ihr nach?
Misstrauisch starrte Philippa sie an. „Was ist denn?“
Impulsiv trat Grete einen Schritt zurück und grinste. „Man hat den Thies Küster gesehen.“
„Was soll das, Grete? Geh heim. Ich komme gleich nach.“
„Wenn Hiltgunt in der Nähe ist, kann ich nicht reden.“ Philippas gekräuselte Stirn schien sie nicht aufzuhalten und sie schwatzte weiter: „Ich habe von meiner Schwägerin gehört, er sei auf dem Westerwald erkannt worden. Danach soll sich seine Spur in Richtung Rhein verloren haben.“
„Richtung Rhein? Was will er denn da? Findet man dort Arbeit?“
„Bestimmt. Von da gehen Schiffe in alle Welt.“
„Es reicht, Grete!“
Die Magd warf Caspar und Philippa noch einen triumphierenden Blick zu, raffte den Rock und bog um die Ecke auf den Kirchplatz.
Caspar legte beruhigend eine Hand auf Philippas. „Eine unangenehme Person“, meinte er, „du solltest dich vor ihr in Acht nehmen.“
„Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. So habe ich sie noch nie erlebt“, sagte sie mit einem Zittern in der Stimme. „Hoffentlich tratscht sie jetzt nicht jedem die Ohren voll, dass sie uns gesehen hat.“
Nachdenklich nickte Caspar. Grete hatte ihre heimliche Zweisamkeit gestört und sie in die Wirklichkeit zurückgeholt. Philippa würde trotzdem versuchen, gut mit ihr auszukommen, auch wenn sie sich danebenbenommen hatte. Schließlich war es wichtig, Hand in Hand zu arbeiten, wenn ihr Tun gelingen sollte.
„Er ist also abgehauen“, ergänzte Caspar mit leisem Ton die Neuigkeit um Thies Küster. „Wie erbärmlich.“
Philippa nickte. „Ein Mann ohne Charakter. Welch ein Unterschied zu dir, Caspar.“
Bei ihren Worten leuchtete sein Gesicht auf, er sah sie mit einem tiefen Blick an, von dem sie oft träumte, und zog sie in eine liebevolle Umarmung. Sie sog den würzigen Duft ein, den seine Haut verströmte, und fühlte sich unendlich geborgen.
Nach einer Weile löste sie sich von ihm, denn wie so oft war ihre gemeinsame Zeit begrenzt. Ihre Hände trennten sich nur widerwillig voneinander und Philippa seufzte. „Ich wünschte, wir wären schon verheiratet. Dann müsste ich jetzt nicht schon wieder heimgehen, um noch einiges für die Herrschaften zu schnippeln und zu schneiden.“
„Vielleicht können wir uns später, nach dem Abendessen, noch mal sehen? Was denkst du – vielleicht am Obertor?“ Er lockerte sein Halstuch. „Ich hab dir noch was zu erzählen, wofür wir wirklich ungestört sein sollten.“
Was zu erzählen? Dann war es wohl mehr als harmlos. Philippa hatte plötzlich einen dicken Kloß im Hals und nickte bedrückt. In ihr stiegen Tränen hoch und sie musste sich schnäuzen, voller Angst, dass es ein Abschied werden könnte.
Sie kehrten beide auf den Kirchplatz zurück. Ob er eine gute Nachricht hatte? Oder ein Bedauern, dass sein Vater mit der Wahl seines Sohnes nicht einlenken wollte? Und wenn es ein Nein war, würde sie dann jemals wieder fröhlich sein können?
Plötzlich stand Hiltgunt neben ihnen. Mit gekräuseltem Mund und einer Kopfbewegung mahnte sie heimzugehen. Philippa erschrak, als sie sah, dass sich der Platz geleert hatte. Hoffentlich würden sie nicht Anlass zu Gerede geben.
Als Caspar den Hut grüßend lüftete, hob Philippa entschuldigend die Schultern und stolperte hinter der Haushälterin her, die bereits Richtung Hohenstein marschierte. Wenn das Essen einigermaßen pünktlich auf dem Tisch stehen sollte, musste sie sich jetzt sputen.