KAPITEL ZWEI

 

Genoveva blieb nichts anderes übrig, als im großen Saal des Schlosses den Wutausbruch ihres Mannes still mitanzusehen. In den Momenten, in denen er nicht wütend war, war Altfor mit seinen längeren, gewellten braunen Haaren, den dinarischen Zügen und tiefdunklen Augen eigentlich ein gutaussehender Mann. Doch für Genoveva blieb er der rotgesichtige und tobende Mann, als hätte er keine andere Seite als diese.

Sie wagte es nicht, sich zu rühren oder seinen Zorn auf sich zu ziehen, und da war sie gewiss nicht die einzige. Er war umringt von den einstigen Dienern und Anhängern des Herzogs, die allesamt schwiegen und von denen niemand der erste sein wollte, Altfors Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Selbst Moira schien sich zurückzuhalten, auch wenn sie gut sichtbar in größerer Nähe zu Genovevas Ehemann stand als Genoveva selbst, und das in jeglicher Hinsicht.

„Mein Vater ist tot!“ schrie Altfor als hätten nicht alle Anwesenden bereits erfahren, was in dem Kampfgraben geschehen war. „Erst mein Bruder und jetzt mein Vater, ermordet von einem Verräter und keiner von euch hat Antworten für mich.“

Diese Wut fühlte sich für Genoveva gefährlich an, denn zu heftig und wirr versuchte sie, anstelle von Royce einen anderen Sündenbock zu finden. Sie wünschte, dass Royce jetzt hier gewesen wäre und gleichzeitig war sie froh, dass er es nicht war.

Ihr Herz war erfüllt von Schmerz, weil er nicht da war, und sie wünschte, dass sie etwas anderes hätte tun können als neben ihrem Ehemann zu stehen und ihm vom Rand des Grabens aus beim Kämpfen zuzusehen. Ein Teil von ihr sehnte sich danach, jetzt bei Royce zu sein, und Genoveva wusste, dass sie diesen Teil Altfor auf keinen Fall sehen lassen durfte. Altfor war viel zu wütend, und sie hatte sehr klar gespürt, wie sich dieser Ärger ganz leicht gegen sie richten konnte.

„Wird in dieser Situation niemand etwas unternehmen?“ fragte Altfor.

„Genau das wollte ich gerade fragen, Neffe“, sprach er harte Stimme.

Der Mann der jetzt in den Raum trat, schürte in Genoveva den gleichen Drang, sich zurückziehen zu wollen, wie ihn Altfor hervorrief. In Altfors Fall wollte sie sich der Hitze seiner Wut entziehen, doch von diesem Mann ging eine Kälte aus, die so kalt wie Eis zu sein schien. Er war etwa zwanzig Jahre älter als Altfor und hatte lichtes Haar und eine schlanke Gestalt. Er bewegte sich mit etwas fort, das auf den ersten Blick wie ein Stock aussah. Doch dann erblickte Genoveva den Griff, der aus der Hülle ragte und erkannte, dass es sich dabei um ein noch in seiner Scheide steckendes Langschwert handelte. Etwas an der Art, wie er sich darauf stützte sagte Genoveva, dass es eine Verletzung und nicht sein Alter sein musste, die ihn dazu zwang.

„Onkel Alistair“, sagte Altfor. „Wir hatten... mit dir hatten wir nicht gerechnet.“

Die Ankunft des Neulings schien auch in ihm ein gewisses Unbehagen auszulösen, und das überraschte Genoveva. Er schien stets alles ganz und gar unter Kontrolle zu haben, doch die Gegenwart dieses Mannes schien ihn komplett aus der Fassung zu bringen.

„Sicherlich nicht“, sagte der schlanke Mann. Seine Hand streifte über das Langschwert, auf dem er lehnte. „Da du mich nicht zu deiner Hochzeit eingeladen hast, hast du wahrscheinlich geglaubt, dass ich auf meinem Gutshof bleiben und die Stadt meiden würde, damit du unbehelligt nach dem Tod meines Bruders dein Unwesen treiben kannst.“ Er blickte zu Genoveva. Als hätte er die Augen eines Habichts, schien sein Blick sie sofort in der Menge auszumachen. „Glückwunsch zur Eheschließung, Mädchen. Es ist nicht zu übersehen, dass mein Neffe einen Sinn für das Stumpfsinnige hat.“

„Ich... so sprichst du nicht mit mir“, sagte Altfor. Er schien sich erst dann daran zu erinnern, dass er auch für Genoveva sprechen sollte. „Oder meiner Frau. Ich bin der Herzog!“

Alistair trat vor Genoveva, und jetzt zog er das Schwert aus der Scheide. Es sah ganz leicht in seinen Händen aus, breit und messerscharf. Genoveva erstarrte und wagte es kaum zu atmen als Altfors Onkel die Klinge in gefährliche Nähe zu ihrem Hals hob.

„Ich könnte diesem Mädchen den Hals durchschneiden und keiner deiner Männer würde mich daran hindern“, sagte Alistair. „Und du erst recht nicht.“

Genoveva brauchte gar nicht erst zu Altfor zu blicken, um zu wissen, dass er die Wahrheit sprach. Er gehörte nicht zu der Sorte Ehemann, die sich genug um ihre Frau scherte, um sie zu verteidigen. Keiner der Höflinge würde ihr helfen, und Moira... Moira blickte sie an als würde sie halb hoffen, dass Alistair seine Drohung wahr machte.

Genoveva musste sich selbst retten. „Warum würdet ihr mich umbringen wollen, mein Lord?“ fragte sie.

„Warum sollte ich das nicht?“ fragte er. „Ich meine ja, du bist hübsch: blondes Haar, grüne Augen, schlanke Gestalt, welcher Mann würde das nicht wollen? Doch sind Bauernmädchen nun wirklich nicht gerade schwer zu ersetzen.“

„Ich hatte geglaubt, dass meine Ehe mich über den Bauernstand gehoben hat“, sagte Genoveva mit fester Stimme trotz der Klinge vor ihrem Hals. „Habe ich etwas getan, dass Euch erzürnt hat?“

„Ich weiß es nicht, Mädchen, hast du das?“ fragte er, und seine Augen schienen in Genovevas nach einer Antwort zu suchen. „Eine Nachricht wurde auf den Weg gebracht. Sie sollte Auskunft darüber geben, welche Richtung der Junge, der meinen Bruder ermordet hat, eingeschlagen hat. Doch hat sie weder mich noch irgendjemand anderen erreicht bevor es zu spät war. Kannst du mir irgendetwas dazu sagen?“

Genoveva wusste genau, was geschehen war, denn sie selbst war es gewesen, die die Nachricht mit Verspätung weitergeleitet hatte. Das war alles gewesen, was sie hatte tun können, und dennoch fühlte es sich nicht genug an angesichts dessen, was sie für Royce empfand. Sie schaffte es, sich nichts anmerken zu lassen und tat unschuldig, denn das war die einzige Verteidigung, die ihr jetzt blieb.

„Mein Lord, ich verstehe nicht, was Ihr meint“, sagte sie. „Ihr habt selbst gesagt, dass ich nur ein Bauernmädchen sei; wie sollte ich eine solche Nachricht abfangen können?“

Sie fiel instinktiv auf die Knie, langsam, sodass sie sicherstellte, sich nicht selbst aufzuspießen.

„Eure Familie hat mir die Ehre gegeben“, sagte sie. „Euer Neffe, der Herzog, hat mich erwählt. Ich bin zu seiner Frau geworden und habe einen höheren Rang erworben. Ich führe ein Leben, das ich mir niemals hätte träumen lassen. Warum würde ich das in Gefahr bringen? Wenn Ihr wahrhaftig glaubt, dass ich eine Verräterin bin, dann schlagt zu mein Lord. Schlagt zu.“

Genoveva trug ihre Unschuld wie ein Schutzschild, und sie hoffte, dass es genügen würde, den Schwerthieb abzuwenden, der andernfalls gleich folgen würde. Sie hoffte es und hoffte es nicht, denn ein Stich ins Herz wäre wohl all dem gleichgekommen, was sie angesichts dessen, was mit Royce schiefgelaufen war, empfand. Sie hob den Kopf und blickte Altfors Onkel direkt in die Augen. Sie würde den Blick nicht senken und ihm nicht den kleinsten Hinweis auf das, was sie getan hatte, geben. Er zog das Schwert zurück als wollte er zum finalen Hieb ausholen... dann senkte er die Klinge.

„Es scheint mir, Altfor, dass deine Frau mehr Mumm hat als du.“

Genoveva konnte endlich aufatmen. Sie erhob sich während ihr Mann auf sie zu schritt.

„Onkel, genug mit den Spielchen. Ich bin der Herzog hier, und mein Vater – “

„Mein Bruder war dumm genug, dir seine Ländereien zu vermachen, doch glaubst du doch nicht ernsthaft, dass dich das zu einem wahren Herzog macht“, sagte Alistair. „Das braucht Führungskraft, Disziplin und den Respekt deiner Männer. Nichts davon besitzt du.“

„Ich könnte meinen Männern befehlen, dich in den Kerker zu werfen“, zischte Altfor.

„Das könnte ich auch“, erwiderte Alistair. „Wem glaubst du, werden sie gehorchen? Dem verhassten Sohn meines Bruders oder dem Bruder, der Armeen angeführt hat? Demjenigen, der die Spur des Mörders verloren hat oder demjenigen, der die Todesfront bei Haldermark gehalten hat? Einem Jungen oder einem Mann?“

Genoveva konnte die Antwort auf diese Frage erraten, und ihr gefiel nicht, welche Wendung das Ganze zu nehmen drohte. Ob sie es mochte oder nicht, sie war Altfors Frau, und wenn sein Onkel entschied, sich von seinem Neffen zu trennen, dann machte sie sich keine Illusionen über ihr eigenes Schicksal. Sie trat rasch zu ihrem Ehemann und legte ihre Hand auf seinen Arm. Was nach außen wie eine Geste der Unterstützung aussah, sollte ihn eigentlich davon abhalten, überstürzt zu handeln.

„Dieses Herzogtum geht den Bach runter“, sagte Alistair. „Mein Bruder hat Fehler gemacht, und solange diese nicht behoben sind, werde ich dafür sorgen, dass alles seine Ordnung hat. Erhebt irgendjemand unter den hier anwesenden Männern Einspruch gegen diesen Anspruch?“

Genoveva bemerkte die Klinge in seiner Hand, die offensichtlich darauf wartete, dass der erste Mann den Mund auftat. Das musste natürlich Altfor sein.

„Ich soll dir Gefolgschaft schwören?“ fragte Altfor. „Du erwartest, dass ich vor dir niederknie nachdem mein Vater mich zum Herzog gemacht hat?“

„Man kann auf zwei Arten Herzog werden“, zischte Alistair. „Auf Befehl des Herrschenden oder durch eigene Kraft. Trifft eines davon auf dich zu, Neffe? Oder wirst du niederknien?“

Genoveva kniete sich noch vor ihrem Ehemann nieder. Sie zog an seinem Arm, um ihn nach unten neben sich zu ziehen. Sie sorgte sich nicht um Altfors Wohlergehen, nicht nach allem, was er getan hatte, doch gerade hing ihr eigenes Wohlergehen von seinem ab.

„Nun gut, Onkel“, sagte Altfor, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich werde gehorchen. Es sieht so aus, als hätte ich keine Wahl.“

„Nein“, stimmte Alistair zu. „Die hast du nicht.“

Sein Blick streifte durch den Raum, und alle anderen knieten nacheinander nieder. Genoveva sah, wie Höflinge und Diener auf die Knie gingen. Sie sah, wie selbst Moira auf die Knie fiel, und ein kleiner, wütender Teil von ihr fragte sich, ob ihre sogenannte Freundin ihr Glück versuchen würde, Altfors Onkel zu verführen, so wie sie es in Altfors Fall getan hatte.

„Schon besser“, sagte Lord Alistair. „Jetzt will ich, dass sich weitere Männer auf den Weg machen, den Mörder meines Bruders zu finden. Wir werden ein Exempel statuieren. Keine Spielchen dieses Mal, bringt ihm einfach den Tod, den er verdient.“

Ein Bote in der Tracht des Hauses kam hereingerannt. Genoveva konnte sehen, wie er zwischen Altfor und Lord Alistair hin und her blickte und offenbar Schwierigkeiten hatte, zu entscheiden, wem der beiden er seine Nachricht überbringen sollte. Schließlich traf er die für Genoveva offensichtliche Entscheidung und wandte sich an Altfors Onkel.

„Mein Lord, vergebt mir“, sagte er, „aber in den Straßen unten gibt es Aufstände. Die Menschen in den Ländereien des alten Herzogs erheben sich. Wir brauchen Euch.“

„Um Bauern abzuschlachten?“ fragte Lord Alistair mit einem Schnauben. „Na gut. Versammle die Männer, die wir bei der Suche entbehren können, und sag ihnen, dass sie mich im Hof treffen sollen. Wir werden diesem Pack zeigen, wozu ein echter Herzog im Stande ist!“

Er marschierte sich auf sein in der Hülle steckendes Langschwert stützend aus dem Raum hinaus. Genoveva wagte es, erleichtert aufzuatmen als er fort war. Doch ihre Erleichterung war voreilig. Altfor war dabei, wieder aufzustehen, und seine Wut war greifbar.

„Raus mich euch, alle raus!“ schrie er dem versammelten Hof entgegen. „Raus, und helft meinem Onkel, diese Revolte niederzuschlagen oder helft bei der Suche nach diesem Verräter, aber steht nicht hier herum und lasst euch von mir noch einmal bitten!“

Sie machten sich daran, hinauszugehen, und Genoveva erhob sich, um sich ihnen anzuschließen, doch da spürte die Altfors Hand auf ihrer Schulter, die sie zurückhielt.

„Du nicht, Frau.“

Während Genoveva wartete, leerte sich der Saal und ließ neben ihr nur ein paar Wachen und schlimmer noch Moira zurück. Diese stand in einer Ecke, und ihr Blick versuchte nicht einmal, Mitgefühl auszudrücken.

„Du“, sagte Altfor, „sag mit sofort, welche Rolle du in Royces Verschwinden gespielt hast.“

„Ich... ich weiß nicht, wovon du sprichst“, sagte Genoveva. „Ich war die ganze Zeit hier. Wie hätte ich – “

„Halt den Mund“, unterbrach Altfor sie. „Wenn ich dabei nicht wie ein Mann aussehen würde, der seine Frau nicht unter Kontrolle hat, würde ich dir eine Tracht Prügel dafür verpassen, dass du mich für so dumm hältst. Natürlich hast du etwas damit zu tun; niemand sonst hier steht dem Verräter so nah wie du.“

„Die Straße ist voll von Menschen, die das Gegenteil beweisen“, sagte Genoveva und sprang auf die Beine. Vor Altfor hatte sie weniger Angst als vor dessen Onkel.

Nein, das entsprach nicht der Wahrheit. Sie hatte Angst vor ihm, aber es war eine andere Art der Angst. Von Altfor fürchtete sie einen plötzlichen Ausbruch an Gewalt und Grausamkeit, doch klein beizugeben würde einen solchen Ausbruch auch nicht abwenden.

„Die Straße?“ fragte Altfor. „Willst du mich nun auch noch mit dem Mob verhöhnen? Ich dachte, du hättest deine Lektion gelernt, doch das ist offenbar nicht der Fall.“

Jetzt packte Genoveva tatsächlich die Angst, denn Altfors Augen versprachen, dass ihr etwas noch schlimmeres als Gewalt drohte.

„Du wähnst dich in Sicherheit, weil du glaubst, dass ich meiner Frau nichts antun werde“, sagte Altfor. „Doch habe ich dir bereits klargemacht, was geschehen wird, wenn du dich mir widersetzt. Deinen geliebten Royce wird man finden, und dann wir man ihn töten. Wenn es nach mir geht, wird es ein langsamer Tod werden, viel langsamer als alles, was mein Onkel sich vorstellt.“

Dieser Teil macht Genoveva keine Angst, auch wenn der Gedanke, dass Royce ein Leid getan wurde, sie wie ein physischer Schlag traf. Dass er sich Altfors Einfluss hatte entziehen können, dafür hatte sie gesorgt. Er oder Lord Alistair hatten keine Chance, ihn zu kriegen.

„Dann sind da noch seine Brüder“, sagte Altfor und Genoveva stockte der Atem.

„Du hast mir gesagt, dass du sie verschonen würdest, wenn ich dich heirate“, sagte sie.

„Aber jetzt bist du meine Frau, und zwar eine widerspenstige“, konterte Altfor. „Die drei sind sowieso schon auf dem Weg zu ihrer Hinrichtung. Sie werden auf dem Todeshügel in kleinen Käfigen aufgehängt und ausgehungert werden bis man sie den Ungeheuren zum Fraß vorwirft.“

„Nein“, sagte Genoveva. „Du hast es versprochen.“

„Und du hast versprochen, eine folgsame Frau zu sein!“ rief Altfor ihr entgegen. „Doch was tust du? Du hilfst dem Jungen, den du schon lange hättest vergessen sollen!“

„Du... ich habe gar nichts getan“, insistierte Genoveva, denn es zuzugeben, hätte ihre Lage nur noch verschlimmert. Altfor war Teil des Adels, und er konnte ihr ohne Beweise und Gerichtsprozess nicht einfach etwas antun.

„Oh, du willst weiterhin dieses Spielchen spielen“, sagte Altfor. „Dann wird sich der Preis, den du dafür zahlst, noch erhöhen. Du interessierst dich viel zu sehr für das, was dort draußen in der Welt vor sich geht, also werde ich dir die Subjekte deines Interesse nehmen.“

„Was... was soll das heißen?“ fragte Genoveva.

„Deine Schwester war eine kurze nette Unterhaltung als du mir das erste Mal nicht gehorcht hast. Jetzt wird sie für das, was du getan hast, mit dem Leben bezahlen. Genauso wie deine Eltern und jeder andere in der Hütte, die du Zuhause nennst.“

„Nein!“ schrie Genoveva und griff nach dem kleinen Messer, das sie bei sich trug. Angesichts der schrecklichen Dinge, die ihr Mann vorhatte zu tun, fiel in diesem Moment alle Zurückhaltung und Vorsicht von ihr ab. Sie würde alles tun, um ihre Schwester zu beschützen. Alles.

Doch Altfor war schnell, seine Hand schloss sich über der ihren und schleuderte das Messer zu Boden. Er stieß sie grob zurück, sodass sie auf dem Boden landete während er über ihr thronte. Er blickte finster zu ihr hinab, und nur die Hand Moiras, die ihn zurückzog, hielt ihn davon ab, schlimmeres zu tun.

„Vergesst nicht, dass sie zum Adel gehört solange sie Eure Frau ist“, flüsterte Moira. „Wenn Ihr ihr etwas antut, dann wird man Euch wie einen Kriminellen behandeln.“

„Glaube nicht, dass du mir sagen kannst, was ich tun soll“, sagte Altfor zu Moira, die sich nun noch näher zu ihm beugte.

„Ich sage Euch nicht, was Ihr tun sollt, ich gebe Euch nur einen Rat, mein Lord, mein Herzog. Mit einer Frau und irgendwann einem Erben und dem Recht auf Eurer Seite könnt Ihr viel mehr erreichen.“

„Und warum sollte das für dich eine Rolle spielen?“ fragte Altfor und blickte zu ihr.

Wenn Moira diese Frage verletzte, dann zeigte sie es nicht. Der Blick, den sie der noch immer auf dem Boden liegenden Genoveva zuwarf, war vielmehr triumphierend.

 „Weil Euer Bruder, mein Ehemann, fort ist, und ich lieber die Liebhaberin eines mächtigen Mannes bin als eine Frau ohne Macht“, sagte Moira. „Und Ihr... Ihr seid der mächtigste Mann, den ich jemals getroffen habe.“

„Und deshalb sollte ich dich meiner Frau vorziehen?“ fragte Altfor. „Warum sollte ich einen Ableger meines Bruders wollen?“

Selbst Genoveva kam das wie ein grausames Spiel vor nachdem sie ihn bereits mit Moira erwischt hatte.

Doch was immer Moira wirklich empfand, versteckte sie sorgfältig.

„Komm mit mir“, schlug sie vor, „und ich werde deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen während deine Männer alle jene töten, die es verdient haben. Deine Männer, nicht die deines Onkels.“

Das räumte den letzten Zweifel aus, und Altfor zog sie zu sich, um sie zu küssen, auch wenn Genoveva und zwei weitere Wachen ihnen dabei zusahen. Er griff Moiras Arm und zog sie in Richtung des Ausgangs der großen Halle. Genoveva sah, wie Moira einen letzten Blick zurück warf, und die Grausamkeit in ihrem Lächeln schickte einen kalten Schauer über Genovevas Rücken.

Doch Genoveva war das in diesem Moment egal. Es war ihr egal, dass Altfor sie gleich auf eine Weise betrügen würde, wie er sie schon viele Male betrogen haben musste. Ihr war es egal, dass sein Onkel sie beinahe getötet hatte oder dass die beiden sie als Unannehmlichkeit empfanden.

Das einzige, worum sie sich jetzt sorgte, war die Sicherheit ihrer Schwester, und sie musste einen Weg finden, ihr zu helfen bevor es zu spät war. Altfor hatte vor, sie zu töten, und sie hatte keine Ahnung, wann genau es geschehen würde.