KAPITEL 6

Freitag, 12. September

Der Freitag vergeht für Maxine wie im Flug, während die Notfallvorbereitungen für den Launch weitergehen. Sie registriert um sich herum ein schier endloses Chaos, weil Dev, QA und Ops versuchen, Hunderte von Puzzleteilen für das Deployment zu koordinieren. Dwayne hatte recht, denkt sie. Und es ist zu spät, ihre Wette noch auf Sonntag zu ändern.

Um fünf Uhr nachmittags beginnt ganz nach Plan die Bereitstellung. Es gibt Gerüchte über verzweifelte Versuche, die ganze Geschichte in allerletzter Minute noch abzublasen, weil William, Chris und Bill nicht auftauchen. Diese Hoffnungen zerschlagen sich, als eine E-Mail von Sarah und Steve eintrifft, in der sehr deutlich gemacht wird, dass die Bereitstellung wie geplant erfolgen soll.

Maxine ist an diesem Abend um zehn Uhr noch im Büro. Inzwischen herrscht eine echte Panikstimmung, weil alle merken, dass die Dinge völlig schieflaufen. So spektakulär schief, dass sogar Dwayne, der sich im Phoenix-Wettspiel am pessimistischsten gezeigt hat, zu Maxine murmelt: »Es läuft noch schlechter, als ich dachte.«

Das ist der Moment, in dem Maxine wirklich Angst bekommt.

Um Mitternacht ist klar, dass eine bestimmte Datenbankmigration statt fünf Minuten fünf Stunden dauern wird, ohne dass es eine Möglichkeit gibt, sie zu stoppen oder neu zu starten. Maxine versucht irgendwie zu helfen, aber sie kennt sich mit den Phoenix-Systemen nicht gut genug aus, um zu wissen, wo sie am nützlichsten wäre.

Im Gegensatz dazu wird Brent auf jede erdenkliche Art und Weise angefragt und für so gut wie jedes Problem benötigt – ob bei der riesigen Datenbank-Kernschmelze, die gerade stattfindet, oder um Teamkollegen bei der Reparatur von Konfigurationsdateien zu helfen. Aus diesem Grund organisiert Maxine ein Team, das den Ausputzer spielt und Brent vor Unterbrechungen bewahrt, indem es die Probleme abfängt, die auch ohne ihn zu lösen sind.

Maxine bemerkt aber noch etwas anderes. Es müssen um die 200 Personen sein, die in irgendeiner Form am Release-Prozess beteiligt sind, aber der zeitliche Aufwand für die meisten von ihnen beträgt real vielleicht fünf Minuten. Sie müssen also stundenlang warten, um ihren kleinen Beitrag zu diesem entsetzlich langen, komplexen und gefährlichen Vorhaben zu leisten. Den Rest der Zeit verbringen sie mit … Beobachten und Warten.

Selbst mitten in solch einer Krise sitzen die Leute nur herum und warten. Um zwei Uhr morgens wird allen klar, dass die Gefahr besteht, dass alle Kassenterminals in jeder einzelnen der fast 1.000 Filialen abstürzen und Parts Unlimited in die Steinzeit zurückbeamen. Und bei all der Werbung, die dafür vom Marketing gemacht wurde, werden die Läden voll sein mit verärgerten Kunden, die nicht kaufen können, was ihnen versprochen wurde.

Brent bittet sie, sich einem Spezialkommando anzuschließen, das herausfinden soll, wie die Datenbankabfragen beschleunigt werden können, die immer noch fast tausendmal langsamer sind, als sie sein müssten, um die erwartete Last nach der morgendlichen Geschäftsöffnung zu bewältigen.

Stundenlang arbeitet sie mit einer Reihe von Phoenix-Entwicklern und Ops-DBAs – IDE und Browser ständig geöffnet. Sie sind absolut verblüfft, als sie feststellen, dass beim Anklicken eines Drop-down-Felds mit Produktkategorien die Datenbank mit 8.000 SQL-Abfragen geflutet wird.

Während sie noch an der Lösung arbeiten, steckt Wes den Kopf in den Raum: »Brent, wir haben ein Problem.«

»Ich bin beschäftigt, Wes«, antwortet Brent, ohne von seinem Laptop hochzuschauen. »Wirklich, das ist ernst«, unterstreicht Wes. »Die Preise von mindestens der Hälfte aller Produkte sind aus dem Webshop und den mobilen Apps verschwunden. Dort, wo eigentlich der Preis angezeigt werden soll, ist entweder gar nichts oder schlicht ›null‹ zu sehen. Screenshots findest du im Kanal #launch.«

Maxine wird blass und öffnet einen der Screenshots. Das ist viel gravierender als langsame Datenbankabfragen, denkt sie.

»Verdammt, ich wette, das ist ein weiterer kaputter Upload vom Pricing-Team«, konstatiert Brent, nachdem er einige Sekunden auf seinen Bildschirm gestarrt hat. Maxine beugt sich vor, als Brent verschiedene Admin-Screens und Produkttabellen aufruft – einige davon befinden sich innerhalb von Phoenix und andere auf Systemen, die sie nicht kennt.

Maxine macht sich Notizen, während Brent Protokolldateien abruft, SQL-Abfragen auf einer Produktionsdatenbank ausführt, weitere Tabellen in verschiedenen Anwendungen abruft … Erst als er ein Terminalfenster öffnet und sich bei einem Server anmeldet, fragt Maxine: »Was machst du da?«

»Ich muss mir die CSV-Datei anschauen, die sie hochgeladen haben«, antwortet er. »Ich schätze, ich kann eine im Temp-Verzeichnis auf einem der Anwendungsserver finden.« Maxine nickt.

Brent und Maxine starren nun mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm. Es handelt sich um eine kommaseparierte Textdatei mit Spaltennamen in der ersten Zeile – Artikelnummer, Großhandelspreis, Ladenverkaufspreis, Aktionspreis, Startdatum der Aktion … »Das sieht gut aus«, murmelt Brent.

Maxine stimmt zu und bittet: »Kannst du die Datei in den Chatroom kopieren? Ich würde mir das gern genauer anschauen.«

»Gute Idee«, sagt er. Sie importiert die Datei in Excel und einige andere ihrer Lieblingstools. Es sieht so weit alles gut aus.

Während Wes versucht, einen der Dev-Manager ans Telefon zu bekommen, versucht Brent, herauszufinden, wo genau das Problem liegt. Fast 30 Minuten später flucht er plötzlich. »Ich glaub es einfach nicht. Es ist ein BOM!«

Als er Maxines verwirrten Gesichtsausdruck sieht, fügt er hinzu: »Ein Byte Order Mark!«

»Nie im Leben«, murmelt Maxine und öffnet die Datei erneut, diesmal in einem Binärdateieditor. Sie starrt auf den Bildschirm und wundert sich, dass sie das übersehen konnte. Ein BOM ist ein unsichtbares erstes Zeichen, das einige Programme in eine CSV-Datei einfügen, um die Byte-Reihenfolge anzuzeigenob es sich also um ein Big-Endian- oder Little-Endian-Format handelt. Von einem BOM ist sie früher schon einmal voll erwischt worden.

Vor Jahren hatte ihr ein Kollege eine Datei gegeben, die aus SPSS, dem statistischen Analyseprogramm, exportiert worden war, woraufhin sie einen halben Tag damit verbrachte, herauszufinden, warum ihre Anwendung die Datei nicht wie erwartet laden konnte. Schließlich entdeckte sie, dass die Datei ein BOM enthielt, das als Teil des ersten Spaltennamens interpretiert wurde, sodass all ihre Programme beim Laden der Datei daran scheiterten. Was mit ziemlicher Sicherheit auch jetzt passiert, stellt sie fest.

Die intellektuelle Befriedigung, die sie verspürt, weil sie dieses spezielle Problem versteht, verfliegt schnell. Sie fragt Brent: »Das ist schon mal passiert?«

»Wenn du wüsstest«, antwortet Brent und rollt mit den Augen. »Jedes Mal ein anderes Problem, je nachdem, wer die Datei erzeugt hat. Die häufigsten Ursachen waren in letzter Zeit Dateien mit der Länge null bzw. Dateien ohne Datenzeilen. Und es ist nicht nur das Pricing-Team – wir haben überall solche Datenprobleme.«

Maxine ist entsetzt. Sie hätte zuallererst einige automatische Tests geschrieben, um sicherzustellen, dass alle Eingabedateien korrekt aufgebaut sind, bevor sie die Produktionsdatenbank beschädigen können, und dass in der Datei die richtige Anzahl von Zeilen enthalten ist.

»Lass mich raten. Du bist der Einzige, der weiß, wie man diese defekten Uploads korrigieren kann?«, fragt Maxine.

»Jepp«, hört sie Wes von hinten sagen. »Alle Wege führen zu Brent.« Maxine macht sich weitere Notizen, entschlossen, das genauer zu untersuchen und später etwas dagegen zu unternehmen.

Es dauert fast zwei Stunden, bis die Preistabellen korrigiert sind. Da Brent davon gesprochen hat, dass an vielen Stellen Dateninkonsistenzen auftauchen, überprüft Maxine die Datei noch ein weiteres Mal und ist sich dann sicher, dass darin eine erhebliche Anzahl von Produkteinträgen fehlt. Und da das Pricing-Team nicht am Deployment beteiligt war, weiß auch niemand, wie man sie mitten in der Nacht (oder am frühen Morgen, je nachdem) erreichen kann. Maxine fügt ihrer Liste der Dinge, die unbedingt angegangen werden müssen, einige Einträge hinzu, damit so etwas nicht wieder passiert.

Um sieben Uhr kommt Maxine zurück zum Datenbankteam. Sie arbeiten immer noch daran, die Abfragen zu beschleunigen – aber es ist zu spät. Es wird bekannt gegeben, dass an der Ostküste die Geschäfte öffnen.

Das Phoenix-Release ist noch lange nicht abgeschlossen. »Wir arbeiten jetzt seit 14 Stunden am Launch, aber die Rakete steht noch immer auf der Rampe«, bemerkt Dwayne mürrisch.

Maxine weiß nicht, ob sie lachen, feixen oder kotzen soll – solange voll betankte Raketen auf der Rampe stehen, sind sie extrem gefährlich und fliegen (im übertragenen Sinne!) gerne mal in die Luft.

Um acht Uhr morgens sind sie immer noch Stunden von einem funktionierenden POS-System entfernt. Sarah und ihr Team müssen alle Filialleiter auf die Verwendung von Formularblocks mit Kohlepapier vorbereiten, und in einigen Filialen wird man nur Bargeld oder Schecks akzeptieren können.

Der Rest des Samstags rast nur so an Maxine vorbei. Sie bleibt die ganze Zeit im Büro. Der Phoenix-Roll-out ist mehr als nur ein spektakulärer Fehlschlag – er ist das dramatischste Beispiel für den Verlust von Produktivdaten, das Maxine je erlebt hat.

Irgendwie hatten Sie es hinbekommen, eingehende Kundenaufträge zu korrumpieren. Zehntausende von Bestellungen gingen verloren, und eine gleich große Anzahl von Aufträgen wurde irgendwie dupliziert – manchmal drei oder vier Mal. Hunderte von Auftragssachbearbeitern und Buchhaltern wurden mobilisiert, um die Datenbankeinträge mit den Papierbestellscheinen abzugleichen, die gescannt per E-Mail oder per Fax aus den Geschäften geschickt wurden.

Shannon schickt allen Teilnehmern der Rebellion eine Nachricht, in der sie entsetzt berichtet, dass Unmengen von Kreditkartennummern der Kunden im Klartext übertragen werden – aber im Großen und Ganzen ist auch das nur ein weiterer Baustein der Phoenix-Katastrophe.

Um drei Uhr nachmittags schickt Kurt allen folgende Textnachricht:

Ich will nicht näher auf diesen Riesenhaufen Mist eingehen, aber Dwayne hat unser Wettspiel gewonnen. Herzlichen Glückwunsch, Dwayne.

Dwayne antwortet:

Nicht der Rede wert! Und: FUUUUUUUUUUUUUUUU …

Er postet ein Bild mit einem Stapel brennender Autoreifen.

Am Samstagabend gelingt es Maxine schließlich, nach Hause zu kommen und sechs Stunden zu schlafen, bevor sie wieder ins Büro zurückfährt. Dwayne hatte recht, das wird in die Annalen eingehen, denkt sie deprimiert.

Am Montagmorgen ist Maxine schockiert, als sie an einem Spiegel vorbeikommt. Sie sieht, genau wie alle anderen, völlig fertig aus – Ringe unter den Augen, strähnige Haare. Längst trägt sie keine sorgfältig gebügelten Blazer mehr. Jetzt sind es Jeans und eine zerknitterte Jacke, die einen Fleck auf ihrer ebenfalls zerknitterten Bluse verdecken soll. Nicht gerade elegant. Wie alle anderen auch – alle sehen aus, als hätten sie einen dicken Kater und die Nacht über in ihren Klamotten geschlafen.

Seit Samstagmorgen stürzt die neue E-Commerce-Website aufgrund des beispiellosen Besucheraufkommens kontinuierlich ab. In einem Status-Update-Meeting gab Sarah damit an, was für eine großartige Arbeit das Marketing geleistet habe, und forderte dann, dass die IT endlich ihren Job machen solle.

»Sie ist unglaublich«, murmelt Shannon. »Sie hat diese ganze Katastrophe erst ausgelöst! Wird sie dafür jemals zur Verantwortung gezogen werden?« Maxine zuckt nur mit den Achseln.

Es ist ein unglaubliches Blutvergießen. Die meisten In-Store-Systeme sind immer noch außer Betrieb – nicht nur die Kassen, sondern auch fast alle Backoffice-Anwendungen, die das Ladenpersonal unterstützen.

Aus Gründen, die nach wie vor für alle ein Rätsel sind, haben sogar die Unternehmenswebsite und die E-Mail-Server Probleme, wodurch auch kritische Informationen ihre Adressaten nicht immer erreichen – so mancher Entwickler bekommt keinen Zugang zu den gemeinsamen Chaträumen.

In Situationen wie dieser kaskadieren Technologieausfälle durch eine komplette Organisation, als würde eindringendes Wasser ein sinkendes U-Boot fluten.

Um konzentriert zu bleiben, holt Maxine sich aus der Küche noch einen Kaffee. Dwayne ist auch da und macht dasselbe. Sie nicken einander zu, und er sagt: »Hast du schon gehört, dass einige Hundert Angestellte nicht in die Firmengebäude kommen, weil ihre Key Cards nicht funktionieren?«

»Was?!«, ruft Maxine trotz ihrer Erschöpfung lachend. Dann berichtet sie: »Ich habe gerade mit jemandem gesprochen, der herauszufinden versucht, warum diverse Batch-Jobs nicht laufen. Er behauptet sogar, dass sich die Gehaltsabrechnung wieder verzögern könnte – hm, das zu fixen, überlasse ich anderen Leuten«, schließt sie mit einem kleinen Glucksen.

»Wow«, kommentiert Dwayne. »Ich frage mich, ob wir vielleicht eine Schnittstelle zu einer HR-Anwendung außer Gefecht gesetzt haben. Das könnte diese seltsamen Fehler erklären. Wir haben es ja auch geschafft, alles andere zu vermasseln.«

Während der Wiederherstellungsbemühungen hört sie den ganzen Tag lang Fragen wie: Warum scheitern all diese Transaktionen? Wo scheitern sie? Wie ist das System in diesen Zustand geraten? Welchen der drei Ansätze, die das Problem vielleicht fixen, sollen wir zuerst ausprobieren? Wird es sich dadurch verschlimmern? Wir glauben, wir haben es gefixt, aber ist es auch wirklich gefixt?

Wieder einmal bedrückt Maxine die Erkenntnis, wie sehr all diese Systeme miteinander verwoben sind. Es ist extrem schwierig, irgendeinen Teil des Systems isoliert zu verstehen.

Manchmal war es nahezu unmöglich, nicht in Panik zu geraten. Im Laufe des Tages hatte es sogar so ausgesehen, als würde die E-Commerce-Website von Parts Unlimited von einer externen Partei angegriffen, um Kreditkartennummern zu stehlen. Es hatte über eine Stunde gedauert, bis Shannon und das Sicherheitsteam eine E-Mail mit der Schlussfolgerung verschicken konnten, dass es sich »bloß« um einen Anwendungsfehler handele – wenn jemand den Einkaufswagen zur falschen Zeit aktualisiere, würden die vollständige Kreditkartennummer und der dreistellige Sicherheitscode eines zufällig ausgewählten Kunden angezeigt.

Die gute Nachricht war, dass es sich nicht um einen externen Hack handelte. Die schlechte Nachricht war, dass es sich tatsächlich um ein sicherheitsrelevantes Ereignis handelte, bei dem die Daten von Karteninhabern einer Gefährdung ausgesetzt worden waren – und wahrscheinlich ein Grund dafür, am nächsten Tag erneut auf den Titelseiten zu landen. Diese ganze Aufmerksamkeit und der Spott, der in den sozialen Medien explodiert war, hatten den Stress für alle nur noch verstärkt.

Maxine macht eine Pause und geht zurück zu ihrem Schreibtisch. Sie sieht den Entwickler, der letzte Woche so unbekümmert tat, was die Phoenix-Einführung anging. Er trägt frische Kleidung und scheint gut ausgeruht zu sein.

»Hartes Wochenende, nehme ich an?«, sagt er zu Maxine.

Maxine starrt ihn sprachlos an. Er arbeitet immer noch an Funktionen für die nächste Version. Die einzige große Veränderung für ihn besteht darin, dass all seine Meetings abgesagt wurden, weil die meisten Personen aktiv in die Phoenix-Krise eingebunden sind.

Er wendet sich wieder seinem Bildschirm zu, um an seinem kleinen Puzzleteilchen zu arbeiten, ohne sich darum zu kümmern, dass aktuell alle diese Teile überhaupt nicht zusammenpassen. Oder dass das gesamte Puzzle am Wochenende Feuer gefangen hat, zusammen mit dem Haus und dem kompletten Viertel.

Von: Alan Perez (Operating Partner, Wayne-Yokohama Equity Partners)

An: Dick Landry (CFO), Sarah Moulton (SVP of Retail Operations)

Cc: Steve Masters (CEO), Bob Strauss (Chairman)

Datum: 15. September, 08:15

Betreff: Phoenix-Freigabe **VERTRAULICH**

Sarah und Dick,

ich habe die letzten Schlagzeilen über das Phoenix-Release gelesen. Kein guter Anfang. Ich frage mich erneut, ob Softwareentwicklung eine Kernkompetenz von Parts Unlimited ist. Vielleicht sollten wir das Outsourcing der IT prüfen?

Sarah, Sie haben die große Zahl von Freelance-Entwicklern erwähnt, die Sie zusätzlich unter Vertrag genommen haben. Wie lange dauert es, bis sie ihren vollen Beitrag leisten? Wenn Sie ein Verkaufsteam vergrößern, dauert es eine gewisse Zeit, bis neue Verkäufer die Planziele erreichen. Können neue Entwickler schnell genug integriert werden, um wirklich etwas zu bewirken? Oder werfen wir nur gutes Geld dem schlechtem hinterher?

Mit freundlichen Grüßen, Alan

Von: Sarah Moulton (SVP, Retail Operations)

An: Alle IT-Mitarbeiter

Cc: Alle Führungskräfte des Unternehmens

Datum: 15. September, 10:15

Betreff: Neue Regeln im Change-Management bez. der Produktivumgebung

Vielen Dank für Ihre harte Arbeit, die dazu beigetragen hat, unseren Kunden Phoenix bereitzustellen. Dies ist ein dringend notwendiger Schritt, um im Markt wieder mit unserer Konkurrenz gleichzuziehen.

Wegen der Beeinträchtigungen für unsere Kunden aufgrund unvorhergesehener Probleme, die durch das schlechte Urteilsvermögen bestimmter Mitglieder unserer IT-Abteilung entstanden sind, müssen ab sofort alle Änderungen der Phoenix-Produktivumgebung von mir sowie von Chris Allers und Bill Palmer genehmigt werden.

Änderungen, die ohne Genehmigung vorgenommen werden, führen zu Disziplinarmaßnahmen.

Vielen Dank, Sarah Moulton

Maxine liest die E-Mail von Sarah. Da schleicht sich eine neue, vielleicht sogar unheilvolle Dynamik in das Phoenix-Projekt. Bei allen Besprechungen von Ausfällen und Krisensitzungen bemühen sich die Führungskräfte vor allem darum, zu betonen, dass sie ihren Job erledigt haben, andere dagegen nicht – manchmal eher subtil vorgetragen, manchmal gänzlich unverhohlen.

Während die Rothemden darum kämpfen, das wütende Feuer im Maschinenraum einzudämmen, das das gesamte Schiff bedroht, halten sich die Brückenoffiziere weiterhin bedeckt, stellt Maxine fest. Einige nutzen die Katastrophe sogar zu ihrem politischen Vorteil, um einzelne Entwickler oder ganze Abteilungen für angebliche Pflichtversäumnisse zu bestrafen.

Offenbar ist niemand in der IT-Führung sicher – Maxine hört Gerüchte, dass sowohl Chris als auch Bill als Leiter von Dev und Ops entlassen werden könnten, und im Flurfunk hört man, dass die gesamte IT wieder ausgelagert werden soll. Die meisten glauben jedoch, dass es am ehesten William als Leiter der QA treffen könnte.

Was Blödsinn ist, denkt Maxine. William wurde weniger als 24 Stunden vor der Veröffentlichung mit der Leitung des Release-Teams beauftragt! Niemand kann gefeuert werden, weil er versucht, eine Katastrophe abzuwenden, oder?

»Es ist wie bei der TV-Show Survivor«, sagt Shannon. »All die Tech-Führungskräfte versuchen nur, die nächste Runde zu überleben. Alle flippen aus. Steve wurde degradiert, und Sarah versucht, alle davon zu überzeugen, dass sie das ganze Unternehmen retten kann.«

Später am Nachmittag lädt Brent Maxine zu einem Meeting ein. »Wir haben fast 60.000 fehlerhafte und/oder doppelte Bestellungen in der Datenbank, und wir müssen sie korrigieren, damit die Finanzleute genaue Umsatzberichte bekommen.«

Maxine hilft der Gruppe eine Stunde lang, das Problem zu lösen. Am Ende, als sie eine Lösung gefunden haben, sagt einer der Marketingmanager: »Das ist nicht meine Gehaltsstufe. Sarah ist im Moment überaus empfindlich gegenüber allen Änderungen. Ich muss mir erst ihre Zustimmung holen.«

Ah, der ›Apparat‹ in Aktion, genau wie Nörgel-Dave es vorausgesagt hat.Jetzt müssen Entscheidungen also nicht mehr nur von der nächsten Hierarchieebene abgesegnet, sondern noch eine weitere Stufe nach oben getragen werden. Alle Produktmanager müssen sich jeden Schritt von Sarah genehmigen lassen. Jemand murmelt: »Haben Sie etwas Geduld – sie antwortet nie direkt.«

Großartig, denkt Maxine. Sarah lähmt damit alle in diesem Raum noch weiter.

Im Laufe des Tages kommen schließlich alle Entscheidungen und Eskalationen zum Stillstand, selbst bei Notfällen, womit Maxine nicht gerechnet hat. Sie erkennt den Grund: Jeder Manager besteht darauf, am Kommunikationsprozess beteiligt zu werden. Warum? Sie wollen schlechte Nachrichten zuerst mitbekommen, damit sie nicht ahnungslos erscheinen und die Nachrichten bei der Weitergabe nach oben bei Bedarf noch schönfärben können.

Maxine teilt diese Beobachtung gerade Kurt mit, als sein Telefon klingelt. Als sie seinen säuerlichen Gesichtsausdruck sieht, fragt sie: »Was ist los?«

»Es ist Sarah«, antwortet er. »Sie sagt, dass sie von Wes und mir widersprüchliche Informationen über die korrumpierten Auftragsdaten erhält. Jetzt muss ich ihr wahrscheinlich eine halbe Stunde lang alles Mögliche erklären, während ich hier zwei echte Notfälle habe.«

Kurt stürmt davon, bevor sie ihm viel Glück wünschen kann. Maxine schüttelt den Kopf. Der Mangel an Vertrauen und die zu vielen frei flottierenden Informationen führen dazu, dass alle Abläufe immer mehr ins Stocken geraten.

Am Dienstag nimmt Maxine an einem von Wes geleiteten Treffen teil, bei dem es um weitere mysteriöse intermittierende Ausfälle sowohl der E-Commerce-Website als auch der Kassensysteme geht.

Sarah hat E-Mails verschickt, manche in KOMPLETTER GROSSSCHRIFT, um alle daran zu erinnern, wie wichtig das Problem ist. Aber jeder weiß längst, worum es geht – Bestellungen zu bearbeiten, ist eine der wichtigsten Aufgaben eines Einzelhandelsunternehmens.

Der Raum ist fast leer, obwohl es sich um einen Ausfall der Stufe Sev-1 handelt.

Offenbar haben sich die meisten krankgemeldet. Der Phoenix-Launch hat den Leuten lange Arbeitszeiten mit wenig Schlaf in tage- und nächtelangem engem Kontakt aufgezwungen. Jetzt fallen alle um wie die Fliegen. Von denjenigen, die für diesen Notfall benötigt werden, ist keiner mehr gesund und im Büro. Überhaupt sind nur noch zwei Mitarbeiter gesund genug, um am Meeting teilzunehmen.

Maxine schaut auf, als sie Sarah dröhnen hört: »Was können Sie dagegen tun? Wer kann das fixen? Unsere Filialleiter brauchen unsere Hilfe! Ist niemandem klar, wie wichtig das ist?«

Maxine starrt Sarah ungläubig an und stellt fest, dass sie müde aussieht und nicht so makellos wie sonst. Selbst Sarah übersteht das Phoenix-Massaker nicht völlig unbeschadet – trotz ihrer teflonartigen Eigenschaft, die der Grund dafür ist, dass sie in ihrer dreijährigen Amtszeit bei Parts Unlimited fast nie für irgendetwas die Schuld bekommen hat.

Wes wirft die Hände in die Höhe. »Was wir dagegen tun können? Nichts. Das gesamte Supportteam ist krank. Selbst Brent ist gerade krank nach Hause gegangen. Die Datenbank-Admins sind krank. Obwohl uns auch die überaus kompetente Maxine zur Verfügung steht, kenne ich diesen Dienst nicht gut genug, um etwas anderes zu tun, als die Systeme neu zu starten – also genau das, was die Supportteams ebenfalls schon machen.«

Maxine sieht, dass Wes ebenfalls krank wird – seine Nase ist verstopft, und er sieht schrecklich aus. Dicke Tränensäcke unter seinen rot angelaufenen Augen, heisere Stimme – sie fragt sich plötzlich, ob sie selbst auch so schlecht aussieht wie er.

»Das ist nicht akzeptabel, Wes«, sagt Sarah. »Der Geschäftsbetrieb hängt von uns ab. Die Filialleiter hängen von uns ab. Wir müssen etwas tun!«

»Nun, das waren die Risiken, vor denen wir Sie gewarnt haben, als Sie vorgeschlagen haben, mit der Phoenix-Einführung weiterzumachen – aber Sie haben darauf per E-Mail geantwortet, dass wir ›ein paar Eier zerschlagen müssen, um Omeletts zu machen‹, richtig? Wir tun, was wir können, aber abgesehen davon, ein paar Server neu zu starten, gibt es nichts, was wir tun können.«

Wes fährt fort: »Aber dafür sollten wir hierüber reden: Wie schaffen wir es, dass unsere Leute gesund genug bleiben, damit sie noch ihre Arbeit erledigen können? Und wie können wir dafür sorgen, dass sie nicht aus Unzufriedenheit kündigen? Chris hat erzählt, dass zwei seiner wichtigsten Engineers in der letzten Woche hingeschmissen haben. Bei Ops haben wir ebenfalls zwei Leute verloren, und es kann sein, dass noch drei weitere dazukommen. Wer weiß, wie viele bereits aktiv auf Stellensuche sind?

Und wenn das passiert, stecken wir – sorry – wirklich in der Scheiße, denn dann haben wir ständig so unterbesetzte Meetings wie jetzt«, sagt Wes mit einem halbherzigen Lachen, das sich in Husten verwandelt.

Er schnappt sich seinen Laptop und schickt sich an zu gehen. Bevor er geht, setzt er hinzu: »Sarah, ich weiß, Sie finden es seltsam, dass wir niemanden mehr auf der Ersatzbank haben, der dieses wichtige Problem lösen kann, aber so ist es nun einmal. Wenn Sie helfen wollen, werden Sie Arzt, oder lernen Sie etwas über Middleware. In der Zwischenzeit lassen Sie uns bitte einfach in Ruhe, denn wir geben unser Bestes.«

Maxine mag die Art, wie Wes seinem Groll freien Lauf lässt – er ist furchtlos und sagt immer, was er denkt.

Sie macht sich im Geiste eine Notiz, um der Rebellion die Rekrutierung von Wes vorzuschlagen.

Als sie an die Rebellion denkt, wird ihr noch einmal klar, wie wichtig diese Gruppe ist. Für sie selbst ist sie ein Leuchtturm der Hoffnung. Maxine weiß, dass sie aus Schlafmangel ein bisschen durch den Wind ist, aber die Rebellion hat einige der besten Engineers des Unternehmens in ihren Reihen. Und sie könnten alle erlösen von … von … all dem hier.

Wir müssen die Rebellion beisammenhalten und unsere wichtige Mission weiterverfolgen, denkt sie sich.

Sie schickt Kurt eine Textnachricht:

Egal was passiert, wir dürfen unser Dockside-Meeting am Donnerstag nicht canceln.

Seine Antwort kommt sofort.

Große Geister denken ähnlich. Ich habe sogar eine Überraschung für uns.

Bis in zwei Tagen!

Am Donnerstag haben sich die Dinge wesentlich stabilisiert. Die eklatantesten Mängel und Leistungsprobleme in Phoenix wurden behoben. Und es hilft, dass der Kundenverkehr extrem nachgelassen hat. Wer möchte in einen Laden oder einen Webshop gehen, in dem keine Bestellungen entgegengenommen werden können? Das hat zur Folge, dass nicht mehr die ganze Nacht durchgearbeitet werden muss. Maxine konnte heute Morgen bis zehn Uhr schlafen. Als sie zur Arbeit fuhr, hat sie gemerkt, wie sehr sie sich auf das abendliche Dockside-Meeting freut.

Wie versprochen, schrieb Kurt eine Nachricht an alle Rebellen:

Ich werde mich etwas verspäten. Dwayne und Maxine, bitte geht die üblichen Punkte durch, einschließlich der Bereitstellung von Build-Umgebungen. Ich werde einen ganz besonderen Gast mitbringen.

Maxine ist sich ziemlich sicher, dass heute Abend alle da sein werden.

Aber obwohl sie lange geschlafen hat, fühlt sie sich nicht gut. Sie hofft verzweifelt, dass sie sich bei ihren Kollegen nicht angesteckt hat. Trotzdem ist sie froh, wieder am Phoenix-Build zu arbeiten.

Als sie an diesem Abend beim Dockside ankommt, freut sich Maxine, die anderen alle wiederzusehen. Sie möchte wissen, wie sie an einen Widerständleraufkleber für ihren Laptop kommt, und will sich über ihre Erlebnisse austauschen. Sie ist überrascht, dass alle wütend und niedergeschlagen aussehen.

Sie wirft ihre Jacke über die Stuhllehne und sagt fröhlich: »Hallo zusammen! Warum schaut ihr alle so miesepetrig?«

Dwayne schaut sie an. »Du musst die E-Mail lesen. Sie haben gerade William gefeuert.«

Von: Chris Allers (VP Development)

An: Alle IT-Mitarbeiter

Datum: 18. September, 16:58

Betreff: Personelle Veränderungen

Mit sofortiger Wirkung wird Peter Kilpatrick (Frontend-Dev-Manager) das Unternehmen verlassen. William Mason (QA Director) wird beurlaubt. Wir möchten uns insbesondere für ihre Beiträge zur Entwicklung unseres Unternehmens bedanken.

Bitte richten Sie alle E-Mails, die die Frontend-Entwicklung betreffen, an Randy und alle QA-bezogenen Mails an mich.

Vielen Dank, Chris

Maxine fällt beim Lesen der Botschaft in sich zusammen. Die Hexenjagd hat begonnen. Adam schüttelt wütend den Kopf. »Ich war kein großer Fan von William«, sagt er, »aber ihm die Schuld für alles zu geben, ist falsch.«

In der E-Mail von Chris wird seine eigene Schuld an der Phoenix-Katastrophe nicht erwähnt. Und obwohl Maxine kein Fan von Bestrafungsaktionen oder Sündenbock-Denken ist, kommt es ihr doppelt unfair vor, dass die ganze Schuld dem Technologiebereich zugeschoben und niemand von der Geschäfts- oder Produktseite verantwortlich gemacht wird.

Nörgel-Dave schaut angewidert von seinem Telefon auf. »Für Peter gilt das Gleiche – er hat auch nur getan, was seine Chefs verlangt haben. Was für eine beschissene Show.«

»Das ist so dermaßen daneben«, murmelt Shannon. »Ich nehme nicht an, dass es hilfreich wäre, eine Petition oder so zu schreiben, oder? Ihr wisst schon, um unseren Protest gegen die Entlassung zu zeigen?«

Adam sagt: »Niemand, der wichtig ist, wird zur Verantwortung gezogen! Wir sollten …«

Plötzlich hört er auf zu reden und starrt mit offenem Mund auf etwas hinter Maxine. »Heilige Scheiße!«, bringt er schließlich heraus. Auch Adams Tischnachbarn schauen schockiert auf irgendetwas hinter ihr.

Maxine dreht sich um und sieht Kurt hereinkommen. Neben ihm Kirsten, die Leiterin des Projektmanagements.

»Mein Gott«, hört Maxine Adam sagen. Er sieht verängstigt aus, schließt seinen Laptop und steht auf, als wolle er sich vom Acker machen.

»Um Himmels willen, setz dich wieder hin, Adam«, sagt Maxine. »Es ist ja nicht so, als würde die CIA auftauchen. Keiner von uns hat irgendetwas verbrochen – benimm dich vernünftig.«

Nörgel-Dave lacht nervös, aber wie alle anderen hat er seinen Laptop bereits geschlossen, als ob er etwas zu verbergen hätte.

Kirsten trägt einen schicken Blazer, der zwei Klassen edler als Maxines übliche lässige Geschäftskleidung wirkt und vier Klassen besser als die Kapuzenpullis, T-Shirts und Bowlinghemden, die die anderen am Tisch tragen. Die übrigen Besucher der Bar bekommen Stielaugen und fragen sich, wer diese Anzugtype hierher eingeladen hat.

Maxine weiß, dass schon sie selbst im Dockside etwas unpassend wirkt, aber wow, Kirsten sieht völlig deplatziert aus – so als wäre sie ohne Handy auf dem Weg zu einer Veranstaltung für die Seniorpartner großer Anwaltskanzleien gewesen und hätte direkt vor der Tür einen Platten gehabt, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als im Dockside um Hilfe zu bitten.

Kurt schaut sich um, lächelt und sagt: »Für diejenigen unter euch, die Kirsten nicht kennen: Sie leitet das Projektmanagement, die zweifellos vertrauenswürdigste Abteilung bei Parts Unlimited trotz ihrer Verbindung zu uns, den Technologieleuten.« Kurt lacht. »Alle wichtigen Unternehmensinitiativen laufen über Kirsten und ihre Projektmanagement-Kleriker, und sie berichtet regelmäßig an Dick Landry, unseren CFO, wie der Laden läuft.«

Das stimmt, denkt Maxine. Kirsten ist wirklich die Hohepriesterin der Ordnung und der Disziplin. Sie bewertet jede wichtige Unternehmensinitiative mit Rot, Gelb oder Grün, was für beteiligte Personen karrierefördernde oder karrierebeendende Folgen haben kann. Neben Sarah und dem VP of Sales ist Kirsten die vom CFO in seinen Townhall-Meetings am häufigsten erwähnte Person.

Nachdem sie sich gesetzt hat, gießt Kirsten aus dem Krug auf dem Tisch erst sich selbst und dann Kurt ein Bier ein. Danach stellt Kurt Kirsten alle einzeln vor und zeigt dann auf Maxine: »Maxine ist der jüngste Zugang in unserer auserlesenen Truppe von Rebellen. Sie wurde wegen des Problems mit dem Gehaltsabrechnungslauf zum Phoenix-Projekt strafversetzt, und natürlich sind ihre enormen Talente seitdem völlig vergeudet worden. Das heißt, bis wir sie rekrutiert haben, um die bestehende gleichgültige, überkommene, übermächtige Ordnung … äh … zu stürzen.« Kurt schaut plötzlich etwas verlegen, als ihm dämmert, dass Kirsten Teil dieser Ordnung ist. »Anwesende natürlich ausgenommen«, schließt er.

Kirsten erhebt lediglich ihr Glas als Antwort.

Kurt fährt fort: »Es hat sich ergeben, dass Maxine auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung und aus lauter Langeweile damit begonnen hat, sich um wiederholbare Phoenix-Builds zu kümmern, eine Aufgabe, der sich die Phoenix-Teams seit weit über einem Jahr entzogen haben. Wir glauben an viele großartige und edle Dinge, aber in einer Sache sind wir uns alle einig, und zwar, dass es eine der dringendsten und wichtigsten Aufgaben in der Entwicklung ist, die Durchführung von Builds wieder in Gang zu bringen. Sobald wir wieder kontinuierliche Builds fahren können, sind auch automatisierte Tests möglich. Haben wir automatisierte Tests, können wir Änderungen schneller und sicherer durchführen, ohne dass wir danach stundenlang manuell testen müssen. Und das ist, glaube ich, der entscheidende erste Schritt, um bessere Ergebnisse zu liefern – und das auf sichere, schnelle und zufriedenstellende Art und Weise.

Ohne kontinuierliche Builds sind wir wie ein Autohersteller ohne Montagelinie, wo jeder tun kann, was er will, frei von irgendwelchen Planzielen«, fährt er fort. »Wir müssen dahin kommen, Probleme in Build- und Testphasen zu entdecken, nicht während der Bereitstellung oder gar in der Produktivumgebung.

Ich wollte das schon vor einem Jahr angehen, aber mein Chef – genauer, mein kürzlich ausgeschiedener Ex-Chef – fand das nicht so wichtig. Deshalb habe ich Leute aus meinem Team heimlich daran arbeiten lassen und einige der besten Entwickler und Engineers im Unternehmen rekrutiert, die bereit und in der Lage waren, dabei zu helfen. Und Maxine war in der erstaunlich kurzen Zeit seit ihrer Versetzung bereits eine große Hilfe«, fügt er hinzu.

Kurt hält inne. »Stoßen wir gemeinsam an auf William – wir beide hatten unsere Differenzen, aber er hat es sicher nicht verdient, dass man ihm die Schuld für das gesamte Phoenix-Fiasko in die Schuhe schiebt.«

Maxine hebt ihr Glas, wie alle anderen auch. Sie nimmt sich die Zeit, mit allen am Tisch anzustoßen.

Mit Blick auf Kirsten sagt sie: »Es klingt verrückt, Kirsten, aber ich glaube, dass unsere Gruppe wirklich etwas bewirken kann. Ich habe gesehen, dass Entwickler monatelang auf eine Dev-Umgebung warten. Der Mangel an Entwicklungsumgebungen und zentralisierten Builds bremst uns in jeder Hinsicht. Tatsächlich hören die meisten Dev-Teams irgendwann ganz auf, auf Umgebungen oder Builds zu warten, und schreiben einfach nur noch isolierten Code, ohne sich darum zu kümmern, ob er tatsächlich mit dem System als Ganzem funktioniert.«

Maxine fährt fort: »Schauen Sie sich an, was letzte Woche bei der Veröffentlichung von Phoenix passiert ist. Bessere Engineering-Prozesse hätten das meiste davon verhindert. Was für eine Verschwendung …«

»Wir sind alle der gleichen Meinung«, stimmt Nörgel-Dave zu. »Aber jetzt mal raus damit, Kirsten, was tun Sie hier?«

Kirsten lacht. »Ich habe schon lange das Gefühl, dass wir in unserer Firma mit Technologie nicht richtig umgehen. Und damit meine ich nicht nur die Katastrophe beim Phoenix-Launch. Schauen Sie sich nur all die Dinge an, die Phoenix dringend erfüllen soll, die aber nach Projektplan noch Jahre entfernt sind.

Kurt erzählt mir seit Monaten von der Arbeit, die die Rebellion leistet. Aber mein Aha-Moment kam, als Kurt mich darauf hinwies, dass wir ein System geschaffen haben, in dem Hunderte von Engineers selbst einfachste Dinge nicht ohne ein unglaubliches Maß an Kommunikation und Koordination erledigen können«, erklärt sie. »Sicher, es ist unsere Aufgabe, die wichtigsten Projekte im Unternehmen zu überwachen. Aber im Idealfall sollte jeder in der Lage sein, das, was er braucht, auch ohne unsere Hilfe zu erreichen. Langsam glaube ich, dass das Projektmanagement zu einer Armee von Bürokraten degeneriert ist, die wegen all der gegenseitigen Abhängigkeiten in jede noch so kleine Aufgabe hineingezogen wird.

Wir verfolgen die Arbeit von fast 300 Personen, die in den verschiedenen Bereichen von Phoenix arbeiten. Aber der tatsächliche Aufwand ist sogar noch größer«, fährt sie fort. »Man meint, man habe vielleicht 30 Teams à 10 Leute, wobei jedes Team in der Lage wäre, Dinge unabhängig von den anderen zu erledigen. Aber manchmal ist es eher so, als hätten wir ein einziges Team von 300 Leuten – oder vielleicht auch 300 Teams mit jeweils einer einzelnen Person. In jedem Fall läuft etwas grundsätzlich falsch …«

Sie dreht sich zu Kurt. »Was war das für ein Begriff, den Sie benutzt haben? Wassermelonenprojekte? Außen grün, aber innen rot? Das trifft aktuell auf alle unsere IT-Projekte zu«, bemerkt Kirsten sarkastisch.

Sie fährt fort: »Ich bin seit 15 Jahren hier, und wir haben die ganze Zeit dieses Spiel von Outsourcing und Insourcing der IT gespielt. Beim letzten Mal hat unser CIO – man glaubt es kaum – verkündet, dass Parts Unlimited ›nicht länger im People Business tätig‹ sei, und alle IT-Projekte ausgelagert. Wir haben den größten Teil davon schließlich wieder zurück ins Unternehmen geholt, meist aber in schlechterem Zustand als zuvor. Und bei einigen grundlegenden Dingen haben wir gar die Fähigkeit verloren, sie selbst zu tun. Letztes Jahr mussten wir in unserem Data Warehouse eine einfache Änderung am Datenbankschema vornehmen. Wir haben eine entsprechende Anfrage an unsere übliche Liste von Outsourcing-Partnern weitergeleitet. Es hat etwa drei Wochen gedauert, bis wir Kostenvoranschläge bekamen. Sie behaupteten, die Änderung würde etwa 10.000 Stunden dauern«, sagt sie. »Bevor wir die IT ausgelagert haben, hätten wir das in ein paar Stunden erledigen können.«

Maxine rechnet im Kopf nach. Aus ihrer Beratertätigkeit weiß sie, dass ein voll ausgelasteter Engineer etwa 2.000 Stunden pro Jahr arbeitet – das sind 40 Stunden pro Woche, 52 Wochen pro Jahr, Urlaub und Überstunden einmal ausgeklammert. Sie bricht in Gelächter aus. »Das wären fünf Vollzeitstellen über ein Jahr, nur um eine Änderung an einer Datenbankspalte vorzunehmen?! Das mache ich in höchstens einer Viertelstunde!«

»Jepp«, bestätigt Kurt mit einem traurigen Lächeln. »Eine solche Änderung im Data Warehouse erfordert die Beteiligung von zwei oder drei verschiedenen Outsourcern. Es finden Besprechungen mit den Kundenbetreuern der einzelnen Teams statt. Jeder Account-Manager berechnet Honorar und verlangt eine Machbarkeitsstudie. Es dauert Wochen, bis sich alle technischen Mitarbeiter auf einen Änderungsplan geeinigt haben, und selbst dann sausen noch wochenlang Tickets hin und her. Es bedarf einer superheldischen Anstrengung, um die Änderung tatsächlich durchzuführen.«

Dwayne lacht laut. »Und das findest du schlimm? Das ist noch gar nichts! Wir hatten in unseren Werken früher gleichzeitig drei verschiedene Netzwerk-Switches im Einsatz: einen für den internen Betrieb innerhalb einer Fabrik, einen für Mitarbeiter und als Gast-Wi-Fi und einen für all unsere Anlagenlieferanten, die Verbindung nach Hause zu ihrem Mutterschiff aufnehmen mussten.

Vor einigen Jahren, wahrscheinlich während der Budgetierungssaison, stolperte irgend so ein Erbsenzähler über die drei unterschiedlichen Switches und beschloss, dass ein einziger auch reicht. Das macht ja scheinbar auch Sinn, oder?«, fährt er fort. »Ohne jemanden zu fragen, setzten sie das also um. Und zwar nicht nur in einem Werk, sondern in einer ganzen Menge von Werken. Sie ersetzten die drei Switches durch einen größeren, leistungsfähigeren und verlagerten dann den gesamten Netzwerkverkehr darauf«, erzählt Dwayne. »Was sie jedoch nicht wussten, war, dass es drei verschiedene Outsourcer gab, die die drei unterschiedlichen Netzwerke verwalteten. Nun mussten also alle drei Dienstleister, die früher mit ihren eigenen separaten Switches arbeiteten, mit einem gemeinsamen Switch klarkommen und traten sich plötzlich die ganze Zeit gegenseitig auf die Füße.

Innerhalb einer Woche fiel in einer der Fabriken das gesamte Netzwerk aus – absolut nichts und niemand aus dem Inneren der Fabrik konnte noch Kontakt zur Außenwelt aufnehmen. Niemand bekam Informationen über die Produktionsplanung, niemand konnte Nachbestellungen versenden, die Anlagen erhielten keine Wartungsupdates – alle Schnittstellen waren tot!« Dwayne fährt fort, immer noch erschüttert vom Ausmaß des damaligen Netzausfalls.

»Das Einzige, was noch funktionierte, war das Faxgerät. Mitarbeiter aus allen Abteilungen standen Schlange, um Dinge wegzufaxen, wie die wöchentlichen Produktionsberichte an die Geschäftsführung, Bestellungen von Rohstoffen und so weiter«, berichtet Dwayne.

Maxine bricht in Gelächter aus. »Ich erinnere mich daran – es war unglaublich. Für einige Systeme, die sich nicht mehr mit den Netzwerkdruckern verbinden konnten, mussten wir vor Ort spontan ein paar USB-Drucker besorgen. Es war wie ein Rückfall in die 1970er-Jahre für fast eine ganze Woche.«

Adam murmelt von der anderen Seite des Tischs: »Ja, genau wie wir es an diesem Wochenende mit den Systemen in den Filialen gemacht haben.«

Dwayne nimmt sich noch ein Bier, lehnt sich zurück und genießt die Aufmerksamkeit der anderen. »Ihr fragt euch wahrscheinlich, warum es eine Woche gedauert hat, den Dienst wiederherzustellen? Tja, die ganze Zeit über hat einfach niemand die Verantwortung für das übernommen, was passiert war. Alle drei Outsourcer stritten ab, dass sie etwas damit zu hätten, selbst als wir ihnen die Protokolldateien vorlegten, aus denen eindeutig hervorging, dass einer von ihnen die Konten der beiden anderen deaktiviert hatte. Offenbar hatte eine Firma es satt, dass die eigenen Änderungen von den anderen Outsourcern mit Füßen getreten wurden, also sperrten sie die anderen einfach aus.«

Alle brüllen vor Lachen, nur Maxine fällt die Kinnlade herunter.

Dwayne fährt fort: »Eine Woche lang gaben sich alle drei Outsourcer gegenseitig die Schuld, und das Netzwerk blieb tagelang inaktiv. Das Ganze eskalierte bis hin zu Steve. Jepp. Dem CEO. Selbst nachdem er seine CEO-Kollegen bei den drei Outsourcern gemeinsam am Telefon hatte, dauerte es noch fast 24 Stunden, bis das Netzwerk wiederhergestellt war.«

Während alle spöttisch lachen, fasst Maxine langsam zusammen: »Das ist wirklich interessant. Netzwerk-Switches zu konsolidieren, ist ja an sich keine schlechte Idee. Aber bis dahin konnten drei Teams unabhängig voneinander in ihren eigenen Netzwerken arbeiten. Und als alles über einen einzigen Switch lief, waren sie plötzlich aneinandergekettet, konnten nicht mehr unabhängig voneinander arbeiten, mussten miteinander reden und sich koordinieren, um sich nicht gegenseitig zu stören, richtig?«

Mit Ehrfurcht in der Stimme fährt sie fort: »Und ich wette, nachdem sie jetzt gemeinsam auf einen Switch angewiesen waren, mussten die Teams einen Masterplan erstellen, um ihre Aufgaben aufeinander abzustimmen. Und ich wette sogar, dass sie Projektmanager darauf ansetzen mussten, obwohl sie vorher wahrscheinlich keinen gebraucht hatten.«

»Das ist doch wirklich unglaublich!«, fährt Maxine fort, voll in Fahrt.

»Der eigentliche Beweggrund hieß Kostensenkung, aber am Ende haben sicher alle Beteiligten draufgezahlt. Außerdem wette ich, dass jetzt alle länger für ihre Arbeit gebraucht haben, weil alle kommunizieren, koordinieren, Genehmigungen einholen mussten, mit Projektleitern, die die ganze Arbeit umstellen und die auftretenden Konflikte entschärfen mussten.

Oh, mein Gott. Es ist genau wie im Phoenix-Projekt«, bricht es aus ihr heraus.

Am ganzen Tisch herrscht Schweigen, und alle starren Maxine in einer Mischung aus Erschrecken und dämmernder Erkenntnis an.

»Du meinst, dass alles, was mit dem Phoenix-Projekt nicht stimmt, unsere eigene Schuld ist?«, fragt Shannon.

Kirsten sieht verunsichert aus, die Stirn gerunzelt, sagt aber nichts. »Ja«, sagt Maxine. »Ich glaube, wir haben selbst dafür gesorgt.«

»Sie haben recht, Maxine. Sie sind kurz davor, Größe und Ausmaß der Herausforderungen, die auf Sie warten, wirklich zu verstehen«, tönt eine Stimme hinter Maxine.