»Was meinen Sie damit, dass wir alle unsere Leute verlieren?«, fragt Kurt mit schockiertem Blick. Das Treffen mit Steve und Dick liegt eine Woche zurück, und Maxine ist zufrieden damit, wie schnell der vereinbarte Plan vorankommt. Bill, Maggie und Kurt sind dabei, den Innovationsrat zusammenzustellen, und die Arbeit im Unicorn-Projekt, das aktuell den umfangreichen Launch der Weihnachtskampagnen vorbereitet, geht schneller voran denn je.
Das Orca-Team studiert weiterhin die Daten aus der Thanksgiving-Kampagne, und es ist sicher, dass es daraus genug gelernt hat, um dieses Mal eine noch höhere Rücklaufquote zu erzielen. Alle diesbezüglichen Erfahrungen und Ergebnisse fließen in die Panther-Datenplattform ein. Es kümmert sich weiterhin auch darum, die Infrastruktur zur Bewältigung des erwarteten Ansturms zu stabilisieren.
Jedoch scheinen viele der Dinge, die sie nach dem aufregenden Treffen mit Steve und Dick am vergangenen Freitag für selbstverständlich gehalten hatten, nicht mehr sicher zu sein. Aus diesem Grund hat Chris Kurt und Maxine in sein Büro gerufen.
»Es waren nie ›deine Leute‹, Kurt. Ihnen wurde vorübergehend eine Gruppe von Engineers für das Unicorn-Projekt ausgeliehen«, sagt Chris. »Alle diese Leute wurden bereits anderen Projekten zugeteilt, die in wenigen Wochen mit Start des neuen Finanzjahrs beginnen. Das sind alles wichtige Geschäftsprojekte, bei denen für die Beteiligten viel davon abhängt, dass sie voll besetzt sind. Die verantwortlichen Manager machen uns die Hölle heiß, weil wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeitweise neu zugewiesen haben, und haben sich zu einer Revolte zusammengetan.«
»Aber warum jetzt?«, fragt Kurt ungläubig. »Was hat alle so verärgert?«
Chris lacht humorlos. »Sarah hetzt und stachelt alle an. Bill arrangiert ein weiteres Treffen mit Steve und Dick, um herauszufinden, wie sie mit dem Blödsinn umgehen sollen, den Sarah abzieht.«
»Nicht zu glauben, dass Sarah eine Gegenrebellion anzettelt«, murmelt Kurt, scheinbar beleidigt, weil Sarah nach seinem eigenen Drehbuch vorgeht.
Einige Stunden später textet Bill:
Fahren Sie wie geplant fort. Wir werden herausfinden, wie diese Stellen wieder besetzt werden können. Wir stecken mitten in einer riesigen politischen Auseinandersetzung. Sarah und ein Teil des Boards stehen auf der einen Seite und wir zusammen mit Steve und Dick auf der anderen.
Im Laufe des Tages stellen sie fest, dass Sarah in der Tat eine unglaublich effektive Guerillakämpferin ist, nachdem sie in der vergangenen Woche bereits erfolgreich ihre Gegentruppen aufgestellt hat.
Maxine ist wider Willen beeindruckt von Sarahs Einfallsreichtum, der sie gleichzeitig völlig verrückt macht. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als dass Sarah einfach aufgibt und verschwindet.
»Sarah ist in vielerlei Hinsicht eine eindrucksvolle Persönlichkeit«, erklärt sie ihrem Ehemann beim Abendessen. »In einem etwas anderen Universum hätte Sarah als starke Kraft für das Gute wirken können. In einem Superheldenfilm wäre sie die besonders begabte Person, die sich nach einem traumatischen Lebensereignis in die Bösewichtin verwandelt. Und dann alles daransetzt, jeglichen Funken an Freude auszulöschen, der in ihrer Nähe aufkeimt.«
Am Montagmorgen treffen sich Kurt und Maggie mit Bill, um Sarahs Bemühungen abzuwehren, sie zu unterminieren. Maxine ist nicht dabei, sondern arbeitet mit Nörgel-Dave weiter an einem technischen Problem, das sowohl die Unicorn-Kampagnen als auch die Kernanwendung von Phoenix gefährdet. Im Laufe des letzten Monats hatten sie damit begonnen, Unmengen an automatisierten Tests für Phoenix einzurichten, damit es einfacher und sicherer wird, Änderungen vorzunehmen. Die Bemühungen waren extrem erfolgreich. Allerdings braucht diese Vielzahl an Tests jetzt Stunden, und die Entwickler fangen an, ihre Änderungen nicht mehr einzuchecken, weil sie nicht so lange auf die Testergebnisse warten wollen.
Schlimmer noch: Einige der automatisierten Tests schlagen zeitweise fehl. Letzte Woche hat sie schaudernd gesehen, wie ein Entwickler sie in so einem Fall einfach erneut durchgeführt hat – erwartungsgemäß ohne anderes Ergebnis. Also ließ er sie ein drittes Mal laufen, als säße er in einem Kasino am einarmigen Banditen. Beim dritten Mal liefen sie dann gegen alle Logik anstandslos durch. So darf man Entwicklung einfach nicht betreiben, dachte Maxine voller Scham und Abscheu.
Als sie erkannte, dass dies bald zu einem neuen Engpass für die Entwickler führen würde, beauftragte sie die Teams, die Phoenix-Tests zu parallelisieren, sodass sie auf mehreren Servern verteilt ausgeführt werden konnten. Aber sie entdeckten, dass die parallele Ausführung der Tests Phoenix gelegentlich zum Stillstand brachte oder gar abstürzen ließ – und wenn das während der Tests geschah, würde es wahrscheinlich auch im Produktivbetrieb passieren.
»Maxine, wir haben es auf eine nicht abgefangene Ausnahme eingegrenzt – irgendwo im Phoenix-Modul für die Bestellabwicklung«, sagt Nörgel-Dave. Maxine sitzt mit ihm und einem weiteren Entwickler an aufgeklappten Laptops. Als sie den Code aufruft, weicht sie zurück. »Wow!« – sie ist sprachlos, als sie die Datei herunterscrollt … und scrollt … und scrollt …
»Ja«, sagt Nörgel-Dave lachend. »Das sind 2.000 Zeilen Code, um festzustellen, ob wir an den Bestellort liefern können. Ein Framework, das von einer Gruppe von Softwarearchitekten stammt, die es vor rund 15 Jahren entworfen haben, also lange vor Phoenix. Sogar das TEP-LARB hat erkannt, dass das ein schrecklicher Fehler war, aber die Leute, die für dieses Modul verantwortlich waren, sind längst nicht mehr im Unternehmen.«
Maxine blättert und blättert, verblüfft darüber, dass sie keinerlei Geschäftslogik entdecken kann, sondern nur Boilerplate-Code: Schleifen, die durch die Bestellungen, Auftragspositionen, Einzelposten iterieren, genauso gefährlich wie der Code der beiden Schulmädchen vor so vielen Monaten. Überall gibt es Nullkontrollen, aber auch Typprüfungen, Typumwandlungen, Downcastings und alle möglichen schrecklichen Verrenkungen, um an die gewünschten Daten zu gelangen, durch Aufzählungstypen oder polymorphe Supertypen ohne konkrete Untertypen. Es gibt so viele Objektmethoden, dass man sie kaum auseinanderhalten kann: getOrderLines, get-ItemLines, getShippingLines …
Sie ist so verblüfft, dass es ihr fast die Sprache verschlägt. »Das ist … unglaublich«, bringt sie endlich heraus, vollkommen entsetzt und ungläubig. Sie schließt die Augen, versucht, ein optimistisches Gefühl in sich hervorzurufen, und erinnert sich an das Hoare-Prinzip: »Es gibt zwei Möglichkeiten, Code zu schreiben: entweder so simpel, dass er offensichtlich keine Fehler enthält, oder so komplex, dass er keine offensichtlichen Fehler enthält.«
»Meine Herren, wir werden diesen ganzen Mist aufräumen«, sagt Maxine mit einem Maß an Zuversicht, das ihr selbst fast etwas zu verwegen erscheint. Sogar Nörgel-Dave wirkt eingeschüchtert. Sie mahnt: »Dieser Code sollte viel einfacher sein. Wir müssen doch nur den Bestimmungsort aus der Bestellung auslesen, richtig? Das sollten wir ja wohl schaffen!«
Sie verbringen zwei Stunden damit, Tests rund um den Code zu schreiben, um sicherzustellen, dass sie wirklich verstehen, wie er funktioniert, und fangen dann an, allgemeine Operationen zu extrahieren und sie dorthin zu verschieben, wo sie hingehören. Maxine verbessert so weit möglich die Klassenhierarchie, hält sich aber an funktionale Programmierprinzipien und verwendet moderne Typen und ihre idiomatischen Map-, Reduce- und Filterfunktionen, genau wie im berühmten Google MapReduce-Konzept, von dem Shannons Panther-Projekt inspiriert ist.
Bis mittags haben sie die 2.000 Zeilen Code auf 500 reduziert. Nörgel-Dave grinst. »Das ist erstaunlich, Maxine. Das ist wahrscheinlich das erste Mal seit über fünf Jahren, dass jemand mutig genug war, diesen Code anzurühren.«
»Seit acht Jahren«, meint der andere Entwickler. »Der neue Code ist schön! Und ich glaube, ich habe das Problem gefunden. Hier sind ein paar Zeilen, die nicht in einem try-catch-Block verpackt sind.«
Als Maxine auf seinen Laptop schaut, sieht sie sofort, dass sie das Problem gefunden haben. »Gute Arbeit!« Jetzt, da sie den Sumpf trockengelegt haben, ist das Problem offensichtlich.
Als die anderen beiden zum Mittagessen gehen, bleibt Maxine zurück und will eine Idee ausprobieren. Sie öffnet ein neues Fenster auf ihrem Laptop. Sie kopiert die Daten, die das Team den Vormittag über bearbeitet hat, und beginnt damit, den Code in Clojure von Grund auf neu zu schreiben.
45 Minuten später ist Nörgel-Dave wieder da und gibt Maxine ein Sandwich. Er fragt: »Warum grinst du so?«
»Oh, nur wegen der Ergebnisse eines kleinen Experiments«, sagt sie. »Ich habe unseren Code in einer funktionalen Programmiersprache unter Verwendung der integrierten Datentypen und der Standardbibliothek neu geschrieben, um zu sehen, ob ich ihn noch weiter vereinfachen und reduzieren und die Notwendigkeit der Ausnahmebehandlung beseitigen kann.«
»Und?«, fragt Nörgel-Dave. Sie dreht ihren Laptop, um es ihm zu zeigen.
»Heilige Scheiße«, sagt er und starrt ungläubig auf ihren Bildschirm. »50 Zeilen Code.«
Maxine lacht, weil sie weiß, dass sich die anderen davon inspirieren lassen und versuchen werden, gleiche Ergebnisse zu erreichen oder diese sogar noch zu toppen. Sogar für sie war dies eine außergewöhnlich eindrucksvolle Umsetzung des Ersten Ideals von Lokalität und Einfachheit.
Die Arbeit, die sie heute Morgen geleistet haben, wird parallelisiertes Testen ermöglichen und damit blitzschnelle Ergebnisse liefern, was sicherlich auch noch weit in der Zukunft für enorme Produktivitätsvorteile sorgen wird, weil die Entwickler schneller vorankommen und direkte Rückmeldungen zu eventuellen Fehlern erhalten. Es ist praktisch das Gegenmodell zu technischen Schulden. Ungefähr wie beim Zinseszinseffekt. Wenn man Entwickler kontinuierlich ein wenig produktiver macht, wirkt sich das exponentiell aus.
Maxine lächelt, als sie sieht, wie Nörgel-Dave seinen Laptop aufklappt, immer noch aufgedreht wegen ihrer Erfolge. Er sagt: »Oh-ha.«
Auf seinem Bildschirm ist die Unikitty-CI-Statusseite zu sehen. Maxine schaut nach, ob der Fix, den sie vor dem Mittagessen eingecheckt haben, die automatischen Tests überstanden hat. Allerdings leuchtet keinerlei Grün, denn die Tests sind überhaupt nicht gelaufen. Was sie sehen, sind über 50 Jobs, die alle noch auf Ausführung warten.
»Das ist nicht gut«, meint Nörgel-Dave. »Der gesamte Unikitty-CI-Cluster ist down. Alle Builds sind hängen geblieben.«
Verärgert schaut Maxine auf seinen Bildschirm. Sie flucht. Das ruiniert ihren eigentlich glorreichen Moment von Triumph und Ruhm.
Er sagt: »Im #ci-unikitty-Kanal drehen alle durch. Keiner kann Tests durchführen.«
Immer wenn Unikitty streikt, haben sie einen ganzen Haufen verärgerter »Kunden«: ihre Entwicklerkollegen. Nichts könnte deutlicher zeigen, dass Unikitty eine Plattform ist, die sie wie ein Produkt und nicht bloß als internes Projekt behandeln müssen. Wenn man seine Nutzer zufriedenstellen will, muss man ständig am Ball bleiben.
Sie machen sich auf die Suche nach dem Unikitty-Team. Und finden Dwayne, Kurt und zwei weitere Engineers in einem Konferenzraum, alle dicht um Brents Laptop gedrängt. »Gutes Timing. Die ganzen Dev-Manager beschweren sich, dass die Teams ihre Arbeit nicht erledigen können«, sagt Kurt und schaut aus dem Knubbel auf. Maxine ist überrascht, wie ausgezehrt er aussieht. Seine Tränensäcke sind geschwollen.
Kurt hatte ein paar harte Wochen, denkt sie. »Ausgerechnet jetzt können wir uns diese Ablenkung nicht leisten!«
»Das ist es doch, was wir immer wollten, oder? Kunden!«, sagt Maxine mit einem breiten Lächeln. »Du wolltest, dass die Menschen die Infrastruktur, die wir schaffen, zu schätzen lernen? Nun, dein Wunsch wurde erfüllt. Denn wenn es ihnen egal wäre, würden sie sich nicht die Mühe machen, sich zu beschweren.«
Die Übernahmerate von Continuous-Integration-Praktiken war erstaunlich groß: Fast ein Drittel aller Entwicklerteams setzt Unikitty in ihrer täglichen Arbeit ein. Aber sie haben Probleme, es hochzuskalieren, um mit der Nachfrage Schritt zu halten.
Sie schaut auf ihre Uhr. Es ist fast Mittag. Entwickler neigen dazu, ihren Code vor der Mittagspause einzuchecken, was wahrscheinlich dazu geführt hat, dass Unikitty ausgefallen ist. Unikitty hat deutlich zu heftige Wachstumsschmerzen, denkt Maxine.
Kurt seufzt. »Im Chatroom schreiben viele Dev-Manager, dass sie unsere unzuverlässigen Build-Server satt haben und dass sie ihre Teams aus Unikitty abziehen. Sie wollen die Builds wieder auf die alte Art und Weise durchführen.«
Maxines Lächeln erstarrt auf ihrem Gesicht. »Du machst Witze, oder?« Zurückzukehren zu den schlechten alten Zeiten, wie in ihren ersten Tagen beim Phoenix-Projekt – das wäre unerträglich. Das wäre nicht nur ein Rückschlag, es wäre eine echte Katastrophe.
Was geschieht gerade? Es scheint, als gingen alle Fortschritte, die sie mit den Phoenix-Entwicklern und durch die Erfolge beim Black-Friday-Launch und im Unicorn-Projekt gemacht hatten, wieder verloren. Sie wurden langsam in den Sumpf zurückgezogen mitsamt aller Engineers, die sie befreit und produktiv gemacht hatten.
Es ist fast halb fünf, bis das Unikitty-Team endlich wieder alles in Gang gebracht hat. Aber jetzt stehen so viele Builds und Tests in der Warteschlange, dass es fast Mitternacht sein wird, bevor alle Arbeiten abgeschlossen sind.
»Kaum zu glauben, dass es ein streikender Netzwerk-Switch war«, meint Dwayne.
Maxine schüttelt ungläubig den Kopf. Dieser erneute Hardwarefehler bei Unikitty ist peinlich. Von Anfang an war die Technik aus allen möglichen Resten zusammengeschustert worden, die Kurt und das Team aus fast jedem Winkel der Firma zusammenkratzt hatten.
Es gab versagende Festplatten, Stromausfälle und jetzt auch noch Probleme mit der Netzwerkhardware. Sie hasst es, hoch qualifizierte Engineers mit Schraubenziehern herumlaufen, Servergehäuse öffnen und an der physischen Infrastruktur herumfummeln zu sehen.
Sie selbst hat viele schöne Erinnerungen an Hardwarebasteleien, sowohl während ihres Berufslebens als auch zusammen mit ihren Kindern. Als junge Engineer hatte sie es geliebt, diese riesigen Kartons mit den neuesten, heißesten Geräten direkt auf der Laderampe zu öffnen und die Technik dann in den Racks zu stapeln. Sie hat es auch gemocht, die Sicherungsbänder zu wechseln.
Heutzutage gilt diese Art von Arbeit als eher geringwertig, vor allem wenn man sie mit den Opportunitätskosten der Arbeit vergleicht, die sie machen sollten, nämlich die digitale Zukunft von Parts Unlimited zu gestalten.
Ihre Aufgabe war es, Code zu schreiben und nicht mit der Hardware herumzuspielen, auf der der Code läuft.
»Ich sage es nur ungern, aber ich glaube, Unikitty pfeift auf dem letzten Loch«, sagt Maxine zu Dwayne. »Wir können eine solch unternehmenskritische Aufgabe nicht länger auf Hardware betreiben, die Brent unter irgendeinem Schreibtisch findet. Und es geht nicht nur um Hardwareprobleme – die Build-Server unterscheiden sich auch alle voneinander. Auf dem einen Server dauert ein Kompilierauftrag manchmal zehnmal so lange wie auf einem anderen. Wir verbringen zu viel Zeit damit, alles irgendwie am Laufen zu halten. Wir müssen etwas dagegen unternehmen – bald.«
»Sehe ich ganz genauso. Wir sind bloß im Moment alle unglaublich beschäftigt«, antwortet Dwayne und zuckt mit den Achseln. Dem kann Maxine nicht widersprechen.
Wie zu erwarten war, kommt bald darauf das dicke Ende. Dienstagmorgen berichtet Kurt im Meeting seines Teams: »Chris hat mich bei seinem Mitarbeitertreffen nicht nur vor allen anderen zusammengestaucht, sondern hatte auch Rick eingeladen, der wiederum einen Plan vorgestellt hat, einen CI-Dienst einzurichten, der mit Unikitty konkurrieren soll.«
»Rick?!«, fragt Dwayne in einer Weise, die genauso geschockt und ungläubig klingt, wie sich Maxine gerade fühlt. »Rick würde einen CI-Dienst nicht mal erkennen, wenn der ihm in den Hintern beißt!«
Kurt fällt in sich zusammen. »Sarah hat anscheinend überall herumposaunt, dass Unikitty das gesamte Unternehmen gefährdet und dass unsere Arbeit eingestellt werden sollte.«
Schweigen breitet sich am Tisch aus.
»Erstaunlich, dass man uns für alles Schlechte, das passiert, verantwortlich macht. Die Toiletten im zweiten Stock sind gestern kaputtgegangen, und daran sind wir sicherlich auch schuld«, sagt Nörgel-Dave.
Kurts Telefon vibriert. Er nimmt es und starrt mehrere Momente lang auf den Touchscreen. Er schaut zu Maxine. »Wir müssen los. Bill hat gerade ein Treffen mit Maggie organisiert. Noch mehr schlechte Nachrichten, glaube ich.«
Maxine sieht, dass Bill kurz hochschaut, als seine Assistentin Ellen sie, Kurt und Maggie in sein Büro führt. »Es gibt Probleme«, sagt er, steht auf und nimmt sein Klemmbrett in die Hand. »Wir treffen Steve und Dick in einer Viertelstunde in Gebäude 2. Ich werde Sie auf dem Weg informieren.«
Als sie nach draußen gehen, sagt er: »Sarah hat Bob und den Rest des Vorstands davon überzeugt, alle Ausgaben mit sofortiger Wirkung einzufrieren. Und Steve hat gerade herausgefunden, dass sie die fünf Millionen Dollar nicht freigeben, die er für die Innovationsbemühungen bereitstellen wollte.«
Bill schüttelt den Kopf. »Diese Sarah ist eine echte Nummer, was?«
»Ich habe viel von ihr gelernt. Sie ist eine unglaubliche Expertin in der Absatzförderung, aber sie hat noch nie Softwareprojekte geleitet«, bemerkt Maggie. »Sie hat hohe Erwartungen an alle, was großartig ist, aber es gibt definitiv ein paar blinde Flecken, was das Managen von Menschen und Teams angeht – sie ist nicht gerade der fürsorgliche Typ.«
»Nein, ist sie wohl nicht«, stimmt Bill zu und verzieht sein Gesicht. »Ich habe ein wirklich schlechtes Gefühl bei dieser Besprechung.«
Als sie den großen Konferenzraum betreten, merkt Maxine sofort, dass etwas nicht stimmt. Steve und Dick sind hier, ebenso Chris. Aber überraschenderweise auch Kirsten und, sehr unheilverkündend, auch Laura Beck, die VP of Human Resources.
Wenn die Leiterin der Personalabteilung an einer Sitzung teilnimmt, ist das normalerweise kein gutes Zeichen, denkt sich Maxine. Zu ihrer Überraschung erkennt sie im hinteren Teil des Raums Erik, der sich die historischen Bilder anschaut, die an der Wand hängen. Er winkt ihr kurz zu.
Wenigstens ist Sarah nirgendwo zu sehen, denkt Maxine.
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagt Steve und blickt mit grimmigem Gesichtsausdruck von einem ausgedruckten Arbeitsblatt hoch. »Sie haben wahrscheinlich gehört, dass Sarah den Vorstand erfolgreich davon überzeugt hat, dass wir unsere Kosten nicht erhöhen sollten, bevor wir unsere Gewinnzahlen bekannt geben.
Leider sind das nicht die einzigen schlechten Nachrichten«, sagt er. »Gestern Abend hat mich der Vorstand angewiesen, die Kosten im gesamten Unternehmen um drei Prozent zu senken. Sarah und unser neues Board-Mitglied Alan haben die anderen davon überzeugt, dass der Erfolg der Black-Friday-Kampagne enorme Effizienzen freigesetzt hat; deshalb bräuchten wir nicht mehr so viele Mitarbeiter.«
Maxine hört viele im Raum schnaufen. Sie selbst fühlt sich, als müsse sie sich gleich übergeben. Oder weinen. Oder beides.
Ich kann nicht glauben, was gerade geschieht, denkt Maxine. Ich habe das Gefühl, dass ich mitverantwortlich bin. Schließlich habe ich selbst mit dafür gesorgt, das Unicorn-Projekt auf die Erfolgsspur zu bringen und den Samen für die Innovationsinitiative zu säen.
Und jetzt sollen auf unerklärliche Weise diese erfolgreichen Bemühungen, auf die sie so stolz ist, dazu führen, dass eine Menge unschuldiger Menschen ihren Job verliert. Verdammt, Sarah, denkt sie.
»Tut mir leid, Leute. Ich weiß, dass das überraschende Neuigkeiten sind, wenn man an die durch Unicorn generierten Umsatzzuwächse denkt. Ich dachte wirklich, der Vorstand würde uns mehr Zeit lassen«, sagt Steve.
»Sie haben wahrscheinlich im Kopf schon mitgerechnet«, fährt er fort. »Um dieses Einsparungsziel zu erreichen, müssen wir den Personalbestand im gesamten Unternehmen um etwa 150 Mitarbeiter reduzieren. Und um die Innovationsbemühungen aus dem internen Geschäftsbetrieb zu finanzieren, müssen wir an anderer Stelle Kosteneinsparungen von fünf Millionen Dollar vornehmen oder die Personaldecke um weitere 40 Mitarbeiter absenken.«
Maxine hört weiteres schweres Atmen am Tisch, als die Opferzahlen steigen. Sie selbst bekommt kaum noch Luft und spürt, wie ihre Augen tränen.
Sie blickt zu Laura, der Personalchefin. Das wird also eines dieser Treffen.Jetzt, da die Einsparungsziele feststehen, wird jeder zunächst sein Spielfeld verteidigen und versuchen, seinen Anteil am Kuchen zu behalten. Sobald die Einsparungsanteile vereinbart sind, wird jeder eine Liste mit den Namen der zu entlassenden Personen aufstellen. Dabei werden sie entscheiden müssen, ob Sally wichtiger ist als Sam oder umgekehrt.
Maxine fühlt sich entsetzlich. Sie wirft einen Blick in die Runde und sagt: »Hier geht es nicht um Zahlen, sondern um Menschen. Menschen mit Familien, die von ihnen abhängig sind. Menschen, die mit ihren gepackten Sachen unter dem Arm die Gebäude verlassen werden. Sie werden gehen, einer nach dem anderen, während die anderen dabei zusehen, voller Angst, dass ihr Name als Nächstes auf einer Liste stehen wird, und sich fragen, wann die Manager endlich damit fertig sein werden, Leichen aufzutürmen. Und dann erst wird eine E-Mail von Steve an alle Mitarbeiter rausgehen, in der er verkündet, dass die Säuberungsaktion beendet ist – versüßt mit einigen optimistischen Bemerkungen und natürlich mit der Aufforderung an alle, mit weniger Personal mehr zu leisten.«
Alle lassen ihre Köpfe hängen. Plötzlich will Maxine mit all dem nichts mehr zu tun haben. Sie wünscht sich, dass die Dinge wieder so werden, wie sie waren. Sie wünscht sich, sie hätte sich nie der Rebellion angeschlossen. Sie wollte doch bloß die Builds in Gang bringen, damit die Entwickler wirklich produktiv sein können. Sie hat sich nicht vorstellen können, dass die Rebellion Einfluss darauf haben würde, wer bleiben darf und wer gehen muss.
Hätte ich geahnt, dass meine Teilnahme an der Rebellion solche Folgen haben kann, denkt sie, während sie sich umschaut, hätte ich mich bedeckt gehalten, mich nur um meinen eigenen Kram gekümmert und die Füße stillgehalten, so wie Chris es mir empfohlen hatte.
»Ich habe wirklich geglaubt, sie würden uns wenigstens bis Januar Zeit geben«, sagt Dick und schüttelt den Kopf. »Zweck dieses Treffens ist also, dem Vorstand einen Plan vorzulegen, wie die Betriebskosten um 15 Millionen Dollar gesenkt werden können. Und wenn wir die Innovationsbemühungen finanzieren wollen, müssen wir die Kosten sogar um 20 Millionen Dollar senken.
Steve und ich haben uns bereits mit den Leitern der einzelnen Unternehmensbereiche getroffen und sie gebeten, Pläne zu erstellen, wie sie ihren jeweiligen Anteil zum 20-Millionen-Dollar-Ziel beisteuern wollen«, sagt er. »Und deshalb haben wir Sie alle heute eingeladen. Wir brauchen von Ihnen einen Plan, wie wir die Kosten der IT-Abteilungen um zwei Millionen Dollar reduzieren – das sind insgesamt etwa 15 Stellen quer durch alle Teams.«
Maxine rechnet nach. Das sind mehr als vier Prozent des IT-Personals des Unternehmens. »Nein! Das ist furchtbar. Angesichts all dessen können wir die Innovationsbemühungen nicht finanzieren. Selbst das ist es einfach nicht wert, so viele Menschen zu entlassen«, sagt Maxine. Sie sieht, wie sich alle Köpfe zu ihr drehen, manche mit hartem, überdrüssigem Blick, andere voller Mitgefühl, als wäre sie ein Kind, das gerade herausgefunden hat, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt.
»Maxine, an diesem Tisch sind wir leider alle schon zu sehr an Entlassungen gewöhnt«, sagt Bill. »Ich gehe davon aus, dass wir alle unsere wichtigste Aufgabe darin sehen, heute einen Weg zur Finanzierung der Innovationsbemühungen zu finden. Sonst ist alles, was Sie bisher getan und erreicht haben, umsonst gewesen. Wenn wir die Gelder nicht freimachen können, werden wir einen langsamen Tod sterben. Wenn wir nicht in Innovationen investieren, werden wir wieder in der Position enden, aus der wir gerade kommen: im Markt unterlegen und ausmanövriert.«
Chris wendet sich an Maxine. »Bill hat recht. Wir müssen es machen.«
Maxine schüttelt nur den Kopf, immer noch fassungslos über den menschlichen Blutzoll.
Steve sieht Maxine an. »Ja, die Innovationsbemühungen sicherzustellen, ist unsere wichtigste Aufgabe. Wenn ich das nicht glauben würde, hätte ich einfach mit Rücktritt gedroht. Schließlich kann der Vorstand auch ohne mich Kosten einsparen. Aber die anstehende Aufgabe ist so wichtig, dass wir alles tun müssen, damit der Innovationsrat seine Chance bekommt.«
Maxine fühlt sich nur noch schlechter.
»Aber warum? Warum ist diese Innovationsinitiative so wichtig für Sie?«, fragt Maxine schließlich Steve.
Steve sieht für einen Moment nachdenklich aus. »Was Erik letzte Woche gesagt hat, war richtig. Als Unternehmen müssen wir beweisen, dass wir eine tragfähige Wachstumsstrategie haben und dass wir Werte auch anders schaffen können als durch Kostensenkungen. Gemäß Lehrmeinung gibt es zwei gegensätzliche Arten, wie Unternehmen geführt werden, was sich darauf auswirkt, wie in einem Unternehmen geplant wird und wie Investoren es wahrnehmen. Auf der einen Seite steht der Weg, auf dem Alan und Sarah Werte schaffen wollen, einfach indem sie Kosten senken. Man quetscht aus dem operativen Betrieb noch das letzte Quäntchen Gewinnmarge. Einige Unternehmen florieren auf diese Weise oder schaffen es zumindest, jahrzehntelang so zu tun, aber die meisten segnet irgendwann das Zeitliche und sie verschwinden«, erklärt Steve.
»Wenn man in diesem Modus unterwegs ist, veranstaltet man oft nur finanztechnische Spielchen«, sagt Steve und deutet auf Dick. »Um unsere Verluste einzudämmen, mussten wir einige Vermögenswerte zu Geld machen. Das ist ein bisschen so, als würde man seine Möbel verkaufen, um seine Hypothek abzubezahlen. Irgendwann gehen einem die Dinge aus, die man noch verkaufen kann, und der tägliche Betrieb lässt sich nicht mehr finanzieren, was zu weiteren Entlassungen führt.
Im Gegensatz dazu kann man sich in einem Unternehmen auch dafür entscheiden, alles auf Wachstum auszurichten. Wie ich schon sagte: Wer nicht wächst, stirbt einen langsamen Tod. Projekt Unicorn hat uns allen gezeigt, dass wir tatsächlich noch wachsen können: indem wir neue Angebote schaffen, die die Kunden annehmen, indem wir unseren Konkurrenten Marktanteile wegnehmen, indem wir schlicht das machen, was alle erfolgreichen Unternehmen tun«, sagt Steve mit einem dünnen Lächeln. »Und wenn wir die Einnahmen steigern, steigern wir schließlich auch die Gewinne. Und wir verschaffen uns damit die Möglichkeit, innovativ zu sein und neue Wetten einzugehen, was wiederum das Wachstum beschleunigt und unsere Relevanz für die Zukunft sichert.
Investoren belohnen Wachstum«, sagt er. »Unser Aktienkurs ist bereits gestiegen, und wir haben noch nicht einmal unsere aktuellen Ertragszahlen publiziert. Die ersten Analysten erhöhen ihre Kursziele. Das bedeutet, dass wir an der Börse mit einem steigenden Umsatzvielfachen bewertet werden. Vor ein paar Monaten wurden wir noch mit weniger als dem Einfachen des Umsatzes der letzten zwölf Monate bewertet, was fast schon eine Beleidigung ist, die zeigt, dass erwartet wird, dass wir weiter schrumpfen werden. Wenn wir die aktuellen Quartalsergebnisse bekannt geben, werden wir hoffentlich so bewertet wie andere gesunde Einzelhandelsketten auch. Und mit der Zeit werden wir vielleicht noch höher taxiert als ein Unternehmen, das sein Marktsegment dominiert, definiert und vielleicht sogar umwälzt.
Bill hat absolut recht, Maxine«, sagt er. »Am einfachsten wäre es, schlicht dem Board zu gehorchen. Richtig wäre es aber, dem Innovationsprogramm eine Chance zu geben. Es ist Mist, aber als Führungspersönlichkeiten muss uns klar sein, dass tiefere Einschnitte hier der richtige Weg sind, weil nur dadurch ein potenzieller Wachstumspfad geschaffen wird.«
Maxine fühlt sich immer noch schlecht, während die Manager ihre Verhandlungen darüber beginnen, in welchen Abteilungen die 18 Stellen letztlich gestrichen werden. Sie debattieren, ob sie einige wenige sehr erfahrene Mitarbeiter einsparen sollen oder, mit dem gleichen Kosteneffekt, eine größere Anzahl von Nachwuchsleuten. Sollen Teamleiter entlassen werden oder normale Mitglieder? Angestellte freigestellt oder Freelancer gekündigt werden?
Als sie es nicht mehr aushält, entschuldigt sich Maxine, um einen Spaziergang zu machen – nur um dem Drama kurz zu entfliehen.
Als sie eine halbe Stunde später zurückkehrt, hat Chris der Einsparung von zwei Dev- und fünf QA-Positionen zugestimmt, höchstwahrscheinlich leistungsschwächere Engineers und Manager. Bei Bill sind es sieben Stellen in den Bereichen Helpdesk, Server und Netzwerkadministration, inklusive einer Leitungsposition. Maxine hofft, dass Derek ungeschoren davonkommt, ganz zu schweigen von ihrem alten MRP-Team.
Überraschenderweise hat Kirsten sieben Projektleiter vorgeschlagen und darauf hingewiesen, dass die Rebellion die Arbeitsweise der Teams verändert hat. »Langfristig wollen wir unsere Abhängigkeiten nicht verwalten, wir wollen sie beseitigen«, sagt sie. »Das ist die Arbeitsweise und die Unternehmenskultur, die wir brauchen, was zur Folge hat, dass weniger Projektmanager benötigt werden. Maxine hat wiederholt gezeigt, wie man das erreichen kann. Und wir müssen noch viel weiter gehen.«
Einerseits ist Maxine beeindruckt von der Professionalität, die alle an den Tag legen. Aber als sie einige der Namen hört, die zur Entlassung vorgeschlagen werden, und sie selbst als Grund dafür angeführt wird, dass die Jobs von Leuten aus Kirstens Team gestrichen werden sollen, hat Maxine wieder das Gefühl, dass sie sich gleich übergeben muss.
»Sie werden wahrscheinlich noch tiefere Einschnitte vornehmen müssen, als Sie denken«, meldet sich Erik von der gegenüberliegenden Seite des Tischs aus zum ersten Mal seit Beginn des Treffens zu Wort. Maxine hatte fast vergessen, dass er dort ist.
»Oh, toll«, kommentiert Bill.
»Als wir uns das letzte Mal trafen, erwähnte ich Sensei Geoffrey Moores drei Horizonte, aber ich hatte keine Zeit, sein Konzept von Core versus Context, also von Kern versus Kontext zu erklären, um das es bei den sogenannten ›vier Zonen‹ geht«, sagt Erik. »Sensei Moore stellte fest, dass viele Unternehmen die drei Horizonte verstehen, aber dennoch nicht in der Lage sind, auf sinnvolle Weise in die nächste Generation von Innovationen zu investieren. Mit anderen Worten, sie investieren zu wenig in Core, weil sie von Contextbestimmt werden.
Kerne sind die zentralen Kompetenzen der Organisation. Dabei geht es um Dinge, für die Kunden Geld ausgeben und die von Investoren belohnt werden«, sagt er. »Kontext ist alles andere. Es sind die Cafeterien, die Pendelbusse zum Campus oder zwischen den Gebäuden und Tausende von Dingen, die Unternehmen tun müssen, um zu funktionieren. Sie sind oft unternehmenskritisch, wie z. B. Personalverwaltung, Gehaltsabrechnung oder allgemeine E-Mail-Funktionalität. Aber unsere Kunden bezahlen uns nicht für die tollen Lohn- und Gehaltsabrechnungsdienste, die wir unseren Mitarbeitern bieten.
Den Kontext nicht richtig zu managen, hat Sensei Moore als das Schlachtfeld der großen Unternehmen bezeichnet. Unternehmen, die durch den Kontext zu sehr belastet werden, sind nicht mehr in der Lage, angemessen in den Kern zu investieren. Es gibt eine Strategie für die Umwandlung eines Unternehmens, aber sie erfordert auch rücksichtslose Fokussierung und Hartnäckigkeit.«
Erik sieht Bill und Steve an. »Sie wissen, dass Technologie zu einer Kernkompetenz dieses Unternehmens werden muss und dass die Zukunft von Parts Unlimited davon abhängt. Aber wie viel von den 80 Millionen Dollar Ihrer Technologieausgaben betreffen den Kern, also den aktiven Aufbau von Wettbewerbsvorteilen, und wie viel davon den Kontext, der wichtig und vielleicht sogar unternehmenskritisch ist, aber dennoch weiter standardisiert, reduziert und vielleicht sogar ganz abgebaut oder ausgelagert werden muss?«
Bill sträubt sich. Bisher hat er immer bemerkenswert stoisch und zurückhaltend gewirkt, aber anscheinend hat Erik einen Nerv getroffen. »Sie sprechen von Outsourcing? Nach allem, was wir durchgemacht haben, Erik, sind wir uns nicht längst einig, dass die Auslagerung der IT viele der Probleme erst verursacht hat, die wir derzeit wieder korrigieren müssen?«
»Kaum!«, spottet Erik. »Sie alle haben doch bewiesen, dass Sie das Erste, Zweite und Dritte Ideal auch ohne Outsourcing reichlich gefährden können. Denken Sie stattdessen an das Fünfte Ideal, nämlich wirklich kundenorientiert statt silozentriert zu agieren. Wie Sensei Moore fragt: Für welche der von Ihnen gemanagten Anwendungen und Dienste würde ein Kunde etwas bezahlen? Welche davon bringen tatsächlich Wettbewerbsvorteile? Und bei welchen kann man sich auf externe Anbieter verlassen?
Vor 100 Jahren hatten die meisten großen Fabriken einen CPO – einen Chief Power Officer –, der die Prozesse zur Stromerzeugung leitete. Das war eine der wichtigsten Aufgaben im verarbeitenden Gewerbe, denn ohne Strom keine Produktion. Es war ein Kernprozess«, sagt er. »Aber diese Aufgabe ist völlig verschwunden. Elektrizität ist zu einem Wirtschaftsgut geworden, das man von einem Versorgungsunternehmen kauft. Es ist austauschbar, und Sie wählen die Lieferanten in erster Linie nach dem Preis aus. Man erzielt nur selten einen Wettbewerbsvorteil, indem man seine Energie selbst erzeugt. Es ist jetzt nur noch Kontext, nicht mehr Kern. Oder hätten Sie es gern, dass sich bei Parts Unlimited ein großer Mitarbeiterstab um die interne Energieerzeugung kümmern muss?
Wie Sensei Clay Christiansen einmal feststellte, behält man das, was ›nicht gut genug‹ ist, und lagert aus, was ›mehr als gut genug‹ ist«, sagt er. »Warum haben Sie sich für das Outsourcen der Point-of-Sale-Systeme der Cafeteria entschieden?«
Bill sieht nachdenklich aus und kratzt sich am Kinn. »Ich habe mein Team zusammen mit John, dem Chief Information Security Officer, Anwendungen identifizieren lassen, die personenbezogene Daten oder Kreditkartendaten speichern. So was ist praktisch Sondermüll. Wir sollten weder Zeit noch Energie darauf verschwenden, solche Daten zu schützen, sondern sie möglichst loswerden. Wir haben also bei uns nach entsprechenden internen Apps gefahndet und sie, wenn möglich, aus dem Verkehr gezogen. Und wenn wir das nicht konnten, haben wir einen externen Anbieter gesucht, der die Funktionalität für uns als Dienstleistung betreiben konnte.«
»Genau«, bestätigt Erik beim Aufstehen. »Ich fordere Sie und das Technologieteam auf, intensiv über das Fünfte Ideal nachzudenken und Bereiche des Kontexts zu identifizieren, auf die Sie verzichten können, um sich so von jahrzehntealten technischen Schulden zu befreien und von Dingen, die ihr Unternehmen seit Jahren oder vielleicht sogar Jahrzehnten gefesselt haben. Stellen Sie sich vor, was Sie erreichen können, wenn Sie diese Dinge nicht mehr am Hals haben. Auch wenn es kurzfristig vielleicht schmerzhafter ist, wird es langfristig einige unerwartete und entscheidende Dividenden abwerfen.
Steve, Sie haben Glück, dass es laut Sensei Moore Personen wie Bill und Maxine sind, die am besten geeignet sind, Kontext zu managen«, sagt Erik. »Das ist nie leicht. Sie brauchen jemanden, der das Geschäft wirklich versteht, jemanden, der nüchtern und pragmatisch ist und die Standardisierung im gesamten Unternehmen vorantreiben kann, dem wirklich das Wohl des gesamten Betriebs am Herzen liegt und der weiß, was Technologie leisten kann und was nicht.
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Sie die in Jahrzehnten angehäuften technischen Schulden einfach loswerden können«, spricht er weiter, »in der man sich von schlecht umgesetzter Automatisierung befreit, die auf schlecht organisierten Geschäftsprozessen beruht. Stellen Sie sich vor, wie es sich anfühlen würde, wenn man bewusst und sorgfältig aussuchen könnte, auf was man verzichtet und in was man stattdessen seine Zeit und Energie investieren will. Dick weiß, dass Einfachheit Effektivität ermöglicht und dass Komplexität dem entgegensteht. Wie sehr werden die Geschäftsprozesse durch Ihre eigenen internen Systeme und Abläufe behindert?«
Das lässt Maxine aufhorchen. Der Gedanke, die geschäftliche und technische Landschaft des Unternehmens zu vereinfachen, ist atemberaubend. Sie liebt die Arbeit an komplexen Geschäftsproblemen, aber es wäre so viel besser und einfacher, wenn sie nicht durch Jahrzehnte sinnloser Komplexitätszunahme und kumulierter Vernachlässigung behindert würden.
»Zum Schluss noch ein Hinweis an Sie, besonders an Steve«, fährt er fort. »Denken Sie gründlich darüber nach, wie jede einzelne Position, die Sie streichen, die Abläufe stören könnte, besonders wenn bei der Entscheidungsfindung die Lokalität des Ersten Ideals nicht gegeben ist. Was passiert zum Beispiel, wenn man bestimmte Manager entlässt?
Die mittleren Führungskräfte sind Ihre Schnittstelle zwischen Strategie und Ausführung«, sagt er. »Sie sind Ihre Prioritätensetzer und Ihre Verkehrspolizisten. Wir alle haben dieses Idealbild von kleinen Teams vor Augen, die unabhängig voneinander arbeiten, aber wer leitet die Teams aus Teams? Es sind Ihre mittleren Führungskräfte. Manche nennen sie spöttisch die ›eingefrorene Mitte‹, aber Sie werden feststellen, dass die richtige Entwicklung auf dieser Ebene entscheidend für die Umsetzung der Strategie ist.
Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand«, sagt Erik, der sich umdreht, um zu gehen. »Und halten Sie durch, Maxine. Wenn Sie kluge Entscheidungen treffen, kommen mit Sicherheit bessere Tage, wie düster es jetzt auch aussehen mag.«
Auf dem Weg zurück zu Gebäude 5 schweigen alle. Schließlich sagt Maxine zu Bill: »Sie reden nicht viel, oder?«
»Manchmal«, entgegnet er mit einem schmallippigen Lächeln.
»Nun, was halten Sie von diesem Treffen?«, stellt sie die Frage, die wahrscheinlich gerade jedem durch den Kopf geht.
Bill bleibt einen Moment stehen und schaut Maxine an. »Es war zum Kotzen. Einerseits hört es sich sehr nach dem gleichen Drill an, mit dem wir in Ops die ganze Zeit zu tun haben. Mit weniger mehr erreichen. Dies outsourcen. Jenes outsourcen. In der Vergangenheit hat das zu einigen unglaublich unklugen Entscheidungen geführt, und Leute wie wir müssen danach jahrelang den Dreck aufräumen. Und wenn schließlich alle erkannt haben, dass wir uns selbst ein Bein gestellt haben, müssen wir oft alles wieder ins Haus zurückholen. Das macht wirklich keinen Spaß.
Aber diesmal könnte es anders sein«, sagt er und setzt seinen rasanten Gang fort. »Steve und Erik haben völlig recht. Wir müssen einen Weg finden, die Innovationsinitiative durchzubringen. Das ist der Schlüssel für unser langfristiges Überleben. Zum ersten Mal in meiner Karriere glaube ich, dass wir die Art und Weise, wie wir mit Technologie umgehen, ändern und es ab jetzt richtig machen können – mit direkter Unterstützung der höchsten Ebenen des Unternehmens. Aber das wird nicht einfach werden«, sagt er. »Mir gefällt, was Erik über Kontext und Kern erzählt hat. Es gibt Dienstleistungen, die wir aus dem operativen Geschäft auslagern sollten. Einer der Bereiche, an die ich denke, ist mein altes Team der mittleren Datentechnik. Wir haben praktisch ein Archipel von Technologien geschaffen, die uns jahrzehntelang gute Dienste geleistet haben – während sich die IT-Industrie natürlich weiterentwickelt hat, sodass wir uns nach und nach immer weiter vom aktuellen Stand der Technik entfernt haben und gar nicht mehr in der Lage sind, von aktuellen Weiterentwicklungen zu profitieren. Vielleicht ist es an der Zeit, eine Brücke zurück aufs Festland zu bauen … oder vielleicht die Inselgruppe ganz zu verlassen.«
Er fährt fort: »Ich frage mich, ob wir die Mitglieder meines alten Teams umschulen und nachqualifizieren und neue Aufgaben für sie finden können, ohne die Betriebskosten in die Höhe zu treiben. Wir werden eine Menge neuer Stellen in der Innovationsinitiative einrichten. Ich möchte, dass sie eine Chance bekommen. Sie verfügen über so viel Fachkompetenz und institutionelles Wissen. Es wäre ein großer Verlust, wenn wir sie verlieren würden. Dasselbe gilt für Kirstens Projektleiter …«
Bill denkt im Stillen weiter, während er läuft. Was Maxine in Ordnung findet, denn sie fühlt sich jetzt noch besorgter als zuvor. Ist ihre alte MRP-Gruppe auch zu Bewohnern eines eigenen Inselarchipels geworden?
»Ich finde das alles scheiße«, sagt Kurt brütend.
Den Rest des Tages und auch noch am nächsten Tag sind Maxine und Kurt meist mit dabei, wenn Bill, Chris, Kirsten und ihre Teams sich bemühen, einen Plan für den verlangten Personalabbau auszuarbeiten. Obwohl Steve Dick gesagt hat, dass es seine Aufgabe sei, sowohl den Verfechtern des wert- wie auch des wachstumsorientierten Ansatzes zu helfen, beauftragt Dick zwei seiner Mitarbeiter, den Director of Business Operations und den Chefcontroller, sie zu unterstützen.
Maxine ist sehr beeindruckt von ihnen. Es sind zwei hartgesottene Geschäftstypen, die jeden Winkel des Unternehmens zu kennen scheinen.
Aber es ist dennoch eine äußerst trostlose Arbeit.
Maxine ist oft versucht, einen Spaziergang zu machen oder die Treffen ganz auszulassen, weil sie sich manchmal überwältigt fühlt von dem menschlichen Leid, das dadurch ausgelöst wird. Aber sie weiß, dass es wichtig, ja sogar entscheidend ist, jetzt alles richtig zu machen. Und sie will unbedingt ein Mitspracherecht bei dem, was passiert.
Zunächst musste jeder Abteilungsleiter seine Mitarbeiter in drei Kategorien einteilen: unverzichtbar, gewünscht und verzichtbar. Natürlich landeten nur wenige Personen in der dritten Rubrik. Anhand der drei Kategoriebezeichnungen war klar, dass die Manager dies als Gelegenheit nutzen würden, um Leute loszuwerden, die schon längst hätten entlassen werden sollen.
Aber im ersten Durchgang kamen bei Weitem nicht genug Namen zusammen. Also begannen Chris und Bill bei allen Managern die Schrauben anzuziehen, indem sie die Personen auf der »Wunschliste« ihrer jeweiligen Manager genauer unter die Lupe nahmen und verglichen. Nach fast einer Stunde dieses anstrengenden Kampfs erinnert sich Maxine an etwas, das Erik gesagt hat.
»Warten Sie. Erik hat uns darauf hingewiesen, die Dinge unter dem Gesichtspunkt des Prozessablaufs zu betrachten«, sagt Maxine. »Wir können diese Entscheidungen nicht nach Abteilung oder irgendeinem Beliebtheitswettbewerb treffen. Wenn wir zufällige Personen aus einem Wertstrom herausnehmen, könnten wir genauso viel Schaden anrichten wie die Erbsenzähler in Dwaynes Geschichte über die drei Netzwerk-Switches in der Fabrikanlage.
Und in unserer Welt, in der in unseren Entscheidungsprozessen derzeit nicht genügend Lokalität herrscht«, sagt sie, »sind es eigentlich nur die Manager, die herausfinden können, wie man die wichtigsten Arbeiten beschleunigt. Erik nannte sie die Verkehrspolizisten und die Prioritätensetzer.«
Sowohl Bill als auch Wes starren sie an. Bill sagt: »Gute Idee. Lassen wir das für einen Moment beiseite und konzentrieren wir uns stattdessen auf den Versuch, zwischen Kern und Kontext zu unterscheiden. Auf welche allgemeinen Technologiebereiche können wir verzichten?«
Maxine ist sich sehr wohl bewusst, dass das letztendliche Ziel dieser Übung darin besteht, die operativen Kosten zu senken. Sie müssen die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reduzieren.
Offensichtlich unglücklich darüber, dass er mithelfen soll, das Imperium, das er während des letzten Jahrzehnts mit aufgebaut hat, wieder zu zerschlagen, murmelt Wes: »Das fühlt sich total falsch an. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir darüber diskutiert, warum wir genau diese Sachen unbedingt brauchen.« Aber selbst er räumt ein, dass jetzt eine dringende und wichtige geschäftliche Notwendigkeit vorliegt. Als er sieht, wie Bill seine alte Midrange-Gruppe auf die Liste der zu eliminierenden Technologiebereiche setzt, stöhnt er.
»Heilige Scheiße. Es tut mir leid, Bill. Das ist echt hart«, sagt er und starrt auf das Whiteboard. »Okay, ich habe mich darüber lustig gemacht, dass sie wie aus der Zeit gefallen wirken, aber es sind nette Kollegen. Und ich habe nie Grund gehabt, mich über ihre Arbeit zu beschweren.«
»Danke, Wes«, honoriert Bill diese Bemerkung. »Aber ehrlich gesagt, gibt es da draußen genug SaaS-Anbieter, bei denen wir viele der Dienste buchen können, die wir hier aufgebaut haben. Das macht fünf abbaubare Stellen. Und wir könnten einen ganzen Technologiestack ausmerzen, zusammen mit all den damit einhergehenden Softwarelizenzen und Wartungsverträgen. Das sind weitere 100.000 Dollar an jährlichen Ausgaben, was einer weiteren halben Stelle entspricht.«
Wes sitzt schweigend da. »Nun, wenn Sie es so ausdrücken … ich gäbe ein Vermögen dafür, unser Helpdesk-System loszuwerden. Natürlich müssen wir uns einen Ersatzdienst besorgen, aber ich würde es definitiv lieber sehen, dass ein externer Anbieter dafür verantwortlich ist. Und da wären unsere E-Mail-Server. Und Lotus Notes, das – kaum zu glauben – immer noch in einigen Ecken herumgeistert, weil ein paar Verantwortliche sich lautstark beschwert haben und daran festhalten wollten. Ich denke, wir haben jetzt endlich genug Einfluss, diese Einwände zu überwinden.
Zusammengenommen sparen wir in diesem Bereich noch einmal Arbeit von locker drei Personen ein«, sagt Wes. »Davon würde ich allerdings zwei Positionen für andere Aufgaben vorhalten wollen. Ich hätte allerdings gern Gelegenheit, ein paar dieser auszumusternden Server mit einem Hammer zu malträtieren, bevor wir sie entsorgen.«
Maxine starrt Wes und Bill an. Die beiden verhalten sich nicht gerade großmütig, sind aber auch keine kaltherzigen Bastarde. Tatsächlich zieht sie diesen Ansatz dem Vergleich von Namenslisten zwischen den Abteilungen bei Weitem vor.
Davon inspiriert, fasst Maxine all ihren Mut zusammen und sagt: »Vielleicht sollten wir auch einen Blick auf die MRP-Gruppe werfen.« Als Chris sie überrascht anschaut, sagt sie: »Es gibt bestimmte Module, die absolut entscheidend sind, um uns einen Wettbewerbsvorteil zu sichern, wie zum Beispiel das Planungsmodul, das wir gerade von ›Build-to-Forecast‹ auf ›Build-to-Order‹ ändern, um On-Demand-Produktion zu ermöglichen. Aber den Rest könnte man auf ein kommerzielles Paket übertragen. Ich würde fünf Entwickler im Team behalten, um die Umstellung abzuschließen, aber das würde zehn Entwickler und QA-Leute und vielleicht zwei weitere Ops-Leute freisetzen …«
Sie fühlt sich schlecht. Die Menschen, die sie jetzt als reine Nummern behandelt, sind diejenigen wunderbaren Menschen, die ihr alles Gute für ihr Exil im Phoenix-Projekt gewünscht haben. Und das MRP-System hat sie fast sechs Jahre lang mit aufgebaut und gewartet. Sogar Erik hat es als softwarearchitektonische Meisterleistung gewürdigt.
Sie fügt schnell hinzu: »Das sind einige der besten Engineers im Unternehmen. Ich verbürge mich persönlich für jeden Einzelnen von ihnen. Wenn sie in Projekten wie Unicorn oder der Innovationsinitiative Aufgaben bekämen, könnten sie einen viel wertvolleren Beitrag für das Unternehmen leisten als beim MRP-System.«
»Du hast recht«, sagt Chris und blickt stolz auf Maxine. Sie fühlt sich erleichtert, als der Vorschlag endlich raus ist. Sie hatte sich schon den ganzen Tag über davor gefürchtet.
Bill fügt Maxines alte MRP-Gruppe auf dem Whiteboard den Bereichen Midrange, Cafeteria POS, Helpdesk, E-Mail-Server und Lotus Notes hinzu. Gemeinsam identifizieren sie insgesamt 18 Positionen, auf die sie verzichten können. Die Softwaredienste, die sie einkaufen müssten, würden jährlich 500.000 Dollar kosten.
Bill fügt eine weitere Spalte hinzu. »Wenn die Innovationsinitiative mit den vollen fünf Millionen finanziert wird, könnten wir damit potenziell 33 Stellen im Core schaffen. Wir könnten also alle Kollegen der Streichpositionen möglicherweise weiterbeschäftigen, wie Maxine vorgeschlagen hat, um wertvollere Arbeit als zuvor zu verrichten.
Also, lassen Sie uns weitermachen. Wovon könnten wir uns noch abkoppeln, damit wir mehr Leute im Kern einsetzen können? Welche Sachen laufen in unseren Rechenzentren, die für unsere Kunden uninteressant sind? Wir haben die Gehaltsabrechnung bereits ausgelagert. Welche anderen Backoffice-Funktionen könnten noch infrage kommen?«
»Wir haben drei ERP-Systeme«, bietet Maxine an. »Die ständige Integration der drei ist eine Quälerei. Tatsächlich befinden sich heutzutage alle drei im Besitz einer einzigen Firma. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, in den sauren Apfel zu beißen.«
Wes nickt. »Wenn wir uns auf ein einziges konzentrieren könnten, könnten wir zwei oder drei weitere Ops-Leute versetzen.«
»Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg«, sagt Bill. »Wie sieht es mit unseren HR-Systemen aus? Und denjenigen zur Provisionsberechnung und Vergütungsplanung … und unsere Zeiterfassungssysteme in den Werken …«
Bei der Erwähnung der Zeiterfassungssysteme, die eine zentrale Rolle bei dem Problem mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung gespielt und damit letztlich mit zu ihrer Verbannung geführt hatten, murmelt Maxine: »Auf Nimmerwiedersehen!«
»Ja, und unsere Desktop-Backup-Systeme«, fügt Wes hinzu, »vielleicht sogar unsere Telefonanlagen und Nebenstellen. Wir sind Hersteller und Einzelhändler, keine Telefongesellschaft.«
Wes’ Gesicht leuchtet auf. »Und es gibt zwei Rechenzentren, die wir schon vor Jahren hätten schließen sollen. Deren Unterhalt kostet uns wahrscheinlich eine Million Dollar pro Jahr. Könnten wir sie tatsächlich loswerden, wären das noch einmal vier Leute … Oh, und diese verdammten Kumquat-Server … Lasst sie uns ein für alle Mal verschrotten. Das sind weitere 100.000 Dollar an Unterhaltskosten.«
Als sie auf dem Whiteboard die wachsende Liste der verzichtbaren Kontextaktivitäten betrachtet, beunruhigt Maxine das keineswegs. Stattdessen fühlt sie sich inspiriert, wenn sie sich vorstellt, dass der Verzicht auf diese Dinge das Unternehmen in vielerlei Hinsicht befreien und den Engineers die Möglichkeit eröffnen könnte, in viel wichtigeren Bereichen zu arbeiten. Es gibt allerdings noch eine weitere Sache, die sie stört.
»Unser Unikitty-CI-Cluster ist ziemlich am Ende«, sagt Maxine. »Es ist wichtiger Kontext, aber dennoch Kontext. Ein paar unserer besten Leute arbeiten bei Unikitty. Auch wenn es die Produktivität unserer Entwickler ungemein gefördert hat, sollten wir einen kommerziellen SaaS-Anbieter finden und unsere besten Leute lieber an Dingen arbeiten lassen, für die es keine kommerziellen Anbieter gibt. Komm schon, Kurt, wie viel Zeit haben Dwayne und Brent damit verbracht, Unikitty immer wieder hochzupäppeln?«
»Verdammt«, bestätigt Kurt. Aber nach einem Moment sagt er: »Okay, fügen wir es der Liste hinzu.«
Dicks Finanzteam stellt seine Berechnungen vor. Alle starren wie gebannt auf die Ergebnisse. Sie haben Ausgaben in Höhe von fast vier Millionen Dollar identifiziert, die eingespart werden könnten, wobei 26 Stellen gestrichen werden.
Wenn sie aber 33 Stellen in der Innovationsinitiative einrichten würden, könnten sie fast alle wieder einstellen. Sofern die Leute bereit wären, neue Dinge zu lernen.
Maxine grinst.
Sie ist erstaunt, wie schnell Bill Termine bei Steve und Dick bekommt, und beeindruckt, dass er eine solch gute Arbeitsbeziehung zum CEO hat. Noch am gleichen Tag präsentieren sie den beiden die Vorschläge. Wenn Maxine einen Termin bei Chris haben will, dauert es oft mehrere Wochen. Sie fragt sich kurz, ob sie dabei das Problem ist oder Chris.
Als Bill den Plan vorstellt, machen sich Steve und Dick Notizen, stellen Fragen und nicken schließlich zustimmend.
Steve gefällt besonders, dass sie verzichtbare Bereiche anhand des Wertstroms identifiziert haben unter Beibehaltung der Prozessabläufe. Als Bill über ihren Wunsch spricht, talentierte Engineers zu versetzen und umzuschulen, damit sie zu den Innovationsbemühungen beitragen können, wirkt Steve sichtlich erfreut.
»Während meiner Zeit in der Fertigung in den 1990er-Jahren war ich für eine massive Umschulung der Belegschaft verantwortlich«, sagt er. »Wir haben viel investiert, damit die Arbeiter in einer neuen Ära überleben und erfolgreich sein können, in der man dafür bezahlt wird, nicht nur seine Hände, sondern auch seinen Kopf zu benutzen. Es war eines der erfüllendsten und lohnendsten Projekte meines Lebens. Wir müssen jetzt etwas Ähnliches mit den Arbeitskräften im Technologiebereich tun.
»Und damit meine ich nicht nur das Anbringen von Plakaten an der Wand«, sagt er. »Ich finde, wir sollten wirklich in unsere Mitarbeiter investieren. Vielleicht gründen wir eine Parts-Unlimited-Universität oder schaffen eine andere langfristige Form der Ausbildung, in der wir die nächste Generation von Führungskräften und Ingenieuren heranziehen, die wir für das langfristige Überleben des Unternehmens brauchen. Wir bezahlen sie einfach dafür, dass sie die dazu nötigen Fähigkeiten erlernen.«
Steve sieht so aufgeregt und lebendig aus, wie Maxine ihn noch nie zuvor gesehen hat. Selbst auf Dick springt der Funke über.
»Ich brauche dabei schon jetzt Ihre Hilfe, Steve«, sagt Bill. »Nehmen Sie mein altes Midrange-Team, das ich bis vor vier Monaten geleitet habe, als Sie mich auf den neuen Posten versetzt haben. Das Team arbeitet – ohne eigenes Verschulden – in einem Aufgabenbereich, der zum Kontext und nicht zum Kern gehört. Wir müssen uns um all unsere Mitarbeiter kümmern und ihnen eine lange und produktive Karriere ermöglichen. Sie verfügen über wertvolles Wissen, und wir wären Dummköpfe, wenn wir sie einfach entlassen würden.«
»Ganz genau«, sagt Steve. Maxine atmet erleichtert auf. Vielleicht kann diese ganze Sache doch noch zu etwas Gutem führen, denkt Maxine. Obwohl Sarah den Brand gelegt hat.
Dick hat sich Notizen gemacht und gelegentlich etwas auf seinem Taschenrechner getippt. »Wir brauchen Kostensenkungen in Höhe von 15 Millionen Dollar. Mit den Zahlen, die Sie genannt haben, sind wir fast am Ziel«, sagt er und schaut auf seine Mitarbeiter, die im Gegenzug nicken. »In der Fertigung werden wir die Herstellung unserer margenschwächsten Produkte einstellen. Davon sind 50 Arbeitnehmer betroffen, von denen 15 unsere derzeit offenen Stellen besetzen werden.
Der Leiter des Lieferantenmanagements plant weitere Einsparungen in Höhe von zwei Millionen Dollar, indem wir die Anzahl unserer Lieferanten reduzieren«, sagt er. »Wir nutzen das, um höhere Rabatte auszuhandeln und den Logistikaufwand zu reduzieren, und es sollte keine größeren Probleme mit sich bringen.
An der Einzelhandelsfront werden wir zehn der leistungsschwächsten Geschäfte schließen, was uns etwa drei Millionen Dollar einsparen wird«, fährt Dick fort. »Und den Rest erzielen wir durch Vorruhestandsregelungen und einige weitere Stellenstreichungen.«
Dick macht eine Pause, um sich das Arbeitsblatt anzusehen. »Ich denke, das ist ein ziemlich guter Plan. Das größte Risiko, das ich sehe, ist das operationelle Risiko beim Übergang auf die neuen Systeme. Sie mögen Kontext sein, sind aber dennoch unternehmenskritisch. Wir haben noch nie so viele Geschäftsprozesse geändert, geschweige denn gleichzeitig. Und ich bin sicher, dass wir es mit einem Haufen sehr unzufriedener Menschen zu tun bekommen werden, denen jede Menge Gründe einfallen werden, warum wir das so nicht machen können.«
»Und natürlich werden einige dieser Einwände zweifellos richtig sein. Das hier ist nur eine von uns Tabellenkalkulations-Cowboys erstellte Arbeitsliste«, sagt Bill. »Von unserer Position aus können wir nicht wirklich wissen, welche Auswirkungen das Abschalten dieser Systeme genau hat und was es für den Übergang braucht. Wir benötigen Zeit, um mit unseren Teams herauszufinden, was überhaupt möglich ist, und um einen realistischen Zeitplan zu erstellen.«
»Ein guter Vorschlag, Bill«, nickt Dick. »Steve, Sie müssen einen Weg finden, ihm etwas Zeit zu verschaffen.«
Steve schaut sich das Arbeitsblatt auf dem Bildschirm an. »Vielleicht bitten wir den Vorstand, statt der von ihnen geforderten drei Prozent Kürzung im Januar vor der Bekanntgabe der Quartalsergebnisse nur zwei Prozent zu kürzen, um bis zum Ende des nächsten Jahres auf vier Prozent zu kommen. Damit sollten sie zufrieden sein.«
»Nicht schlecht«, meint Dick grinsend. »Das wird Alan und seine Fraktion sehr glücklich machen.«
»Okay, ich werde versuchen, das dem Board nahezubringen«, sagt Steve. »Sobald wir die Genehmigung erhalten haben, möchte ich dies unternehmensweit bekannt geben und so offen wie möglich damit umgehen, damit sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf vorbereiten können.«
An Dick gerichtet, fügt er mit einem kleinen Lächeln hinzu: »Entschuldigung, Dick … Wir brauchen vielleicht noch ein paar Quartale lang solche Finanzierungsinstrumente, damit sich die Zahlen weiter in eine gute Richtung entwickeln.«
Maxine ist sehr erleichtert, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen bezüglich des Kostensenkungsplans nicht bewahrheitet haben. Sie fühlt sich dennoch nicht unbeschwert. Ihre akuten Ängste vor dem Worst-Case-Szenario werden stattdessen durch ein dumpfes, konstantes, nagendes Gefühl des Unbehagens abgelöst.
Für den Rest des Tages fühlt sie sich völlig erschöpft und ausgelaugt. Ihr linkes Augenlid zuckt fortwährend, und ihr Bauch tut weh. Zeitweilig kann sie anderen Menschen nicht einmal richtig in die Augen schauen. Eine schnelle Google-Suche bestätigt, dass diese Symptome wahrscheinlich auf anhaltenden Stress zurückzuführen sind. Solche Fragen des Personalmanagements sind der Grund dafür, dass sie nie Führungspositionen übernehmen wollte.
An diesem Abend zwingt sie sich zur Entspannung, trinkt ein paar Gläser Wein und schaut sich mit ihrem Mann die Game-of-Thrones-Folge »Der Regen von Castamaer« an, in der die berüchtigte »Rote Hochzeit« stattfindet, um sich von allem ablenken zu lassen, was mit der Arbeit zu tun hat. Sie ist fassungslos über die rücksichtslose Grausamkeit und die sinnlose Gewalt des Massakers zum Schluss der Folge, und sie und Jake lachen darüber, wie glücklich sie sich schätzen können, dass in modernen Arbeitsumgebungen heutzutage keine Massaker mehr stattfinden – auch wenn Sarah sicherlich ihr Bestes gegeben hatte, um eines anzuzetteln.