KAPITEL 19

Dienstag, 13. Januar

Von: Steve Masters (CEO, Parts Unlimited)

An: Alle Mitarbeiter von Parts Unlimited

Datum: 13. Januar, 08:45

Betreff: Sarah Moulton verlässt unser Unternehmen

Mit sofortiger Wirkung wird Sarah Moulton beurlaubt, die gerne mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen möchte. Maggie Lee ist ab sofort für den Einzelhandel verantwortlich. Pamela Sanders übernimmt das Produktmarketing, die Analystenbeziehungen und die Öffentlichkeitsarbeit. Für alle anderen Angelegenheiten wenden Sie sich bitte an mich. Wir danken Sarah für die Beiträge, die sie in den letzten vier Jahren für das Unternehmen geleistet hat.

Bis zum nächsten Townhall-Meeting!

Steve

Von: Alan Perez (Operating Partner, Wayne-Yokohama Equity Partners)

An: Steve Masters (CEO)

Datum: 13. Januar, 15:15

Betreff: Glückwunsch zu einem bemerkenswerten Quartal

Steve – vertraulich …

Glückwunsch zu einem bemerkenswerten Quartal. Auch wenn man sagt, dass zwei Datenpunkte noch keinen Trend machen, ist es trotzdem ein spannendes Ergebnis. Ihre Rekordumsätze am Black Friday und über die Weihnachtsfeiertage und die damit generierten Gewinnbeiträge sind bemerkenswert und verändern definitiv die finanzielle Lage des Unternehmens. Ich sehe hier den ersten Schimmer einer Wachstumsgeschichte.

Ich bin froh, dass wir Sie während dieses Turnarounds unterstützt haben. Viel Glück beim Quartalsabschluss, und ich freue mich auf die endgültigen Zahlen.

Cheers, Alan

PS: Zu schade, dass Sarah ihrer Vision nie ganz gefolgt ist. Sie hätte eine wirkliche Bereicherung sein können.

Maxine sitzt beim Januar-Townhall-Meeting in der zweiten Reihe. Aufgrund der Nachricht von Sarahs Abgang kann sie kaum aufhören zu grinsen. Und was noch besser ist: Chris hat ein Memo verschickt, demzufolge Kurts Freistellung aufgehoben ist und er von allem Fehlverhalten freigesprochen worden sei. Kurt sitzt neben ihr – und entgegen ihren wildesten Erwartungen spielen sie beide in der heutigen Tagesordnung ebenfalls eine kleine Rolle.

Um Punkt zehn Uhr schaltet Steve das Mikrofon ein und wendet sich an das Publikum. »Guten Morgen und ein frohes neues Jahr Ihnen allen. Und angesichts der fantastischen Feiertage und der hervorragenden Telefonkonferenz mit den Analysten, in der wir gerade eben die aktuellen Zahlen vorgestellt haben, möchte ich Ihnen mitteilen, dass das gerade abgeschlossene Jahr bisher das beste der Unternehmensgeschichte ist!« Alle im Auditorium applaudieren und jubeln. Maxine hat die enthusiastischen Presseberichte über dieses erstaunliche letzte Quartal bereits gesehen. Steve wiederholt zuerst wie üblich die Unternehmensmission und verkündet dann nähere Einzelheiten über die unglaubliche Leistung des Unternehmens im letzten Monat. Unter tosendem Applaus bittet er Maggie, die Bühne zu betreten. »Herzlichen Glückwunsch zu der guten Arbeit, die Sie bei der dringenden Bestandsprüfung geleistet haben, und zu Ihrer neuen Position als Senior VP des Einzelhandelsgeschäfts!«

Bis zu diesem Meeting war es immer Sarah, die über die Unternehmensstrategie sprach. Maxine ist froh und stolz, dass Maggie ihren Platz eingenommen hat und vor versammelter Mannschaft gewürdigt wird.

»Danke, Steve«, antwortet Maggie, die in ihrem Designeranzug richtig schick aussieht. »Ich mache es wirklich kurz. Im Dezember haben wir auf der ganzen Linie Rekorde aufgestellt: Umsatz, durchschnittliche Auftragsgröße, Konversionsrate bei beworbenen Artikeln und Marge. Sogar bei der Kundenzufriedenheit.

Aufgrund all der erstaunlichen Vorarbeit durch das Phoenix-Projekt waren die Unicorn-Teams zügig in der Lage, unsere neuen Kampagnenfähigkeiten zu entwickeln, mit denen wir Kunden in unsere Mobile-App, den Webshop und die Filialen locken konnten. Natürlich war das kein reiner Erfolg der Marketingabteilung. Es war eine aufregende, gemeinsame Anstrengung, an der natürlich auch das Filialpersonal und die Technologieteams beteiligt waren«, sagt sie. »Insbesondere möchte ich die hervorragende Arbeit von Kurt Reznick und Maxine Chambers sowie des gesamten Unicorn-Projektteams hervorheben.«

Maggie zeigt von der Bühne aus auf Maxine und Kurt und besteht darauf, dass die beiden aufstehen und winken, was Maxine auch zähneknirschend mitmacht.

Maggie zeigt eine Reihe von Diagrammen. »Kurz gesagt, aufgrund dieser unglaublichen Leistung konnten Steve und Dick das erste profitable Quartal seit fast zweieinhalb Jahren bekannt geben.«

Maxine hört, wie die Leute wild jubeln, und ihr ist klar, wie wichtig das für die Zukunft des Unternehmens ist. Maggie sagt mit einem breiten Lächeln: »Seien Sie versichert, das ist erst der Anfang. Steve wird uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen lassen. Tatsächlich hat er unsere Zielvorgaben erhöht, und wir arbeiten schon daran, sie zu erreichen. Ich danke Ihnen allen sehr!«

Sie gibt das Mikro zurück an Steve, der ihr nochmals für ihre großartige Arbeit dankt. »Ich möchte jetzt offiziell die Gewinner des Innovationswettbewerbs, den wir im Dezember durchgeführt haben, bekannt geben. Wir hatten damals 30 Teams ausgewählt, um ihre Ideen einer Gruppe von Juroren vorzustellen, die aus dem gesamten Unternehmen stammen«, rekapituliert er. »Es gab viele tolle Ideen, und ich bin hoch erfreut über die Entscheidung des Komitees.«

Zu Maxines größter Freude betreten Brent, Shannon, Dwayne und Wes die Bühne, um von Steve geehrt zu werden, ebenso die Teams, die das Bewertungssystem für die Servicestationen bzw. die vierstündige Ersatzteillieferung vorgeschlagen haben.

Steve zeigt auf die Personen auf der Bühne und sagt: »Es ist kaum zu glauben, aber alle Teams haben bereits zusammen mit Maxine und ihrer Gruppe daran gearbeitet, die Ideen weiter zu untersuchen, erste Prototypen zu entwickeln und diese zu testen. Wir werden vierteljährlich über die Ergebnisse berichten.«

Jedes Team stellt in einer fünfminütigen Präsentation eine erste Demonstration der bisherigen Entwicklung vor und beschreibt, was es als Nächstes plant, welche Ziele es sich für die nächsten drei Monate gesteckt hat und wo es noch Unterstützung braucht.

Maxine ist ausgesprochen beeindruckt von den bisherigen Ergebnissen.

Steve bedankt sich bei allen und bittet jedes Team, eine Erkenntnis oder Lehre zu benennen, die sie aus einem Fehler oder einem Experiment gewonnen oder gezogen haben. »Es ist wichtig, unsere Siege und unsere Niederlagen zu teilen«, erklärt er.

»Unsere Zukunft hängt von Innovation ab«, sagt er, »die nicht durch einen Prozess geschaffen wird, sondern von Menschen.« Er beschreibt noch einmal die drei Horizonte und die Schritte, die er unternimmt, um Menschen vom Kontext zum Kern zu führen.

»Als Unternehmen wollen wir niemanden vernachlässigen oder verlieren. Wir wollen in Sie, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in einem Umfang investieren, wie wir es seit den 1920er-Jahren nicht mehr getan haben, als der Gründer von Parts Unlimited es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die qualifizierteste Belegschaft im ganzen Land zu beschäftigen.

Deshalb sollen die Townhall-Meetings ab jetzt nicht mehr zweimonatlich, sondern monatlich stattfinden, und ich lade Sie alle ein, in dem speziell dafür eingerichteten Chatroom Fragen einzureichen – oder auch einfach ein Emoji zu posten«, sagt er und projiziert die bereits vorliegenden Fragen und Emojis hinter sich an die Wand.

Das ist aufregend und neu, findet Maxine.

Bevor er die Versammlung beendet, sagt Steve: »Oh, noch eine Neuigkeit. Ich möchte Bill Palmer gratulieren, der zum Chief Information Officer befördert wurde, wodurch ich diese Position nicht weiter in Personalunion bekleiden muss. Und ich freue mich, dass ich die Genehmigung des Vorstands erhalten habe, ihn – im Rahmen eines zweijährigen auf ihn zugeschnittenen Sonderprogramms – zum kommissarischen Chief Operating Officer zu ernennen.

Maxine schaut überrascht zu Bill hinüber. Davon hatte sie nichts geahnt. Kein Wunder, dass es immer nach einer hervorragenden Beziehung zwischen den beiden ausgesehen hatte. Sie klopft ihm auf die Schulter und sagt: »Herzlichen Glückwunsch, Bill.«

Wie versprochen, findet im Februar das nächste Townhall-Meeting statt. Von der Bühne aus sagt Steve: »Im Wechsel mit unseren normalen Townhall-Meetings wird es eines im heutigen neuen Format geben. Es dauert nur eine Stunde, und es dient hauptsächlich kurzen Ankündigungen und einer sich daran anschließenden offenen Runde für Fragen und Antworten.« Er spricht erneut über die Unternehmensvision und die Fokussierung darauf, mehr Core durch die Verringerung von Context zu ermöglichen.

Er sagt: »Bevor wir zur Fragerunde kommen, habe ich eine Ankündigung zu machen. Letztes Mal habe ich davon gesprochen, dass wir eine lernende Organisation werden müssen, damit wir nicht gegenüber unseren Konkurrenten das Nachsehen haben, die in dieser Hinsicht besser agieren als wir. Um diesen Aspekt zu fördern, richten wir – auf Initiative von Maxine Chambers– sogenannte ›Teaching Thursdays‹ ein: Lehr- bzw. Lerndonnerstage.«

Maxines Herz schlägt höher, als dieses neue Projekt erwähnt wird. Dafür hat sie sich stark gemacht, und jetzt wird das Projekt tatsächlich umgesetzt. Nicht nur für die Technologiebereiche, sondern für alle Beschäftigten im Unternehmen.

»Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen werden jede Woche Zeit bekommen, Neues zu lernen. Zwei Stunden lang soll jede und jeder anderen etwas vermitteln oder selbst etwas dazulernen. Die Themen sind dabei offen: Schauen Sie sich in einem anderen Geschäftsbereich um, nehmen Sie an unserem berühmten In-Store-Schulungsprogramm teil, verbringen Sie Zeit in unseren Filialen oder Produktionsstätten, setzen Sie sich mit einem Kunden oder unserem Helpdesk zusammen, lernen Sie etwas über Lean-Prinzipien oder -Praktiken, lernen Sie eine neue Technologie oder ein neues Werkzeug oder eine Methode zur besseren Karrieresteuerung kennen. Anderen als Mentor zu dienen oder von Kolleginnen und Kollegen zu lernen, ist das Wertvollste, was Sie tun können. Und gehen Sie davon aus, dass ich auch mitmache. Lernen ist eine ständige Aufgabe für uns alle, und wir werden daraus Wettbewerbsvorteile ziehen.«

In diesem Moment empfindet Maxine ein unglaubliches Gefühl professionellen Stolzes, und dadurch, dass Steve selbst teilnehmen will, geht er mit gutem Beispiel voran, auch um die Hemmungen zu verringern, die viele Menschen beim Lernen neuer Dinge empfinden. Führungskräfte müssen die von ihnen gewünschten Verhaltensweisen selbst an den Tag legen.

»Gute Arbeit, Maxine«, sagt Bill, der direkt neben ihr sitzt. »Das ist absolut großartig.«

Maxine kann nicht aufhören zu grinsen. Als Steve mit der Fragerunde beginnt, wird der Chatroom #ask-steve-townhall hinter ihm projiziert. Wie versprochen, fragt er die Anwesenden, wie sie über das Unternehmen denken, und bittet sie, eine Umfrage auszufüllen, bei der Emojis als Antworten ausgewählt werden können. Die Mehrheit antwortet mit einem Herz oder einem Smiley. Etwa fünf Prozent antworten mit dem Kothaufen-Emoji, woraufhin Steve sie ermutigt, ihm eine E-Mail über ihre Beschwerden bzw. mit ihren Verbesserungsvorschlägen zu schicken.

Am folgenden Donnerstag sitzt Maxine zusammen mit über 40 anderen Personen im vorderen Teil der Mensa. Es ist Teaching Thursday, und Shannon und ein Datenwissenschaftler halten ein Tutorial über den Einsatz von Machine-Learning-Modellen unter Verwendung realer Firmendaten aus der Panther-Datenplattform. Alle, einschließlich Maxine, sitzen vor aufgeklappten Laptops und folgen dem Vortrag.

Auch Steve sitzt mit geöffnetem Laptop neben ihr. Als Maxine auf das Buch über maschinelles Lernen starrt, das neben seinem Laptop liegt, fragt er: »Was denn? Ich war jahrzehntelang in der Logistik unterwegs. Ursprünglich wollte ich Mathematik an einer Graduate School studieren, hatte aber nicht das Geld dafür. Ich habe besonders lineare Algebra und Statistik gemocht. Ich kenne niemanden, der besser in Excel ist als ich. Aber es gibt auch noch eine Menge zu lernen.«

Maxine ist beeindruckt. Als sie sich im Raum umschaut, sieht sie viele ihrer ehemaligen MRP-Teamkollegen, einige Projektmanager sowie QA- und Ops-Engineers, deren Stellen gestrichen werden sollten. Einige scheinen nur widerwillig hier zu sein, aber die meisten sind mit Begeisterung eingestiegen, darunter auch Derek vom Helpdesk. Gut für ihn, denkt sie.

So schmerzhaft die Entlassungsentscheidung auch war – all diese Menschen hier zu sehen, die sich begeistert daranmachen, einige der angesagtesten und nachgefragtesten Skills zu erwerben, bringt Maxine zum Lächeln. Es beseitigt ihre Zweifel, ob diese Entscheidung nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für die Betroffenen die richtige war.

Maxine hat viel Verständnis dafür, dass dem Erlernen neuer Dinge oft psychologische Hemmungen entgegenstehen. Deshalb ist sie ganz bewusst dabei und zeigt, dass auch sie immer wieder Neues lernen muss.

Vor vielen Jahren, als sie an einem Workshop am MIT teilnahm, sagte ihr Dozent, dass erwachsene Lernende es oft verheimlichen, wenn sie eine neue Fähigkeit erwerben, sei es eine neue Sprache, Schwimmen oder sogar Golfen. Meistens entsteht das aus Verlegenheit oder Angst davor, dabei beobachtet zu werden, wenn man sich vermeintlich dumm anstellt.

Tatsächlich wollte sie selbst vor vielen Jahren besser schwimmen lernen. Sie hielt damals nicht einmal eine Bahn durch, ohne in der Mitte des Beckens eine Pause einlegen zu müssen. Es war ihr peinlich, und sie stellte sich vor, dass die anderen Schwimmer, Kinder wie Erwachsene, über sie lachten. Sie war unglaublich befangen wegen des Bademeisters, der auf seinem Stuhl saß und dessen Aufgabe es war, alle im Blick zu behalten.

Sie erinnert sich daran, dass sie sogar mit einem vorgetäuschten Hinken herumlief, damit der Bademeister sie aufgrund des Handicaps als schlechte Schwimmerin entschuldigen würde. Schließlich begann sie zur gleichen Zeit wie ihre Kinder, Unterricht zu nehmen, und nach Jahren des Trainings ist sie stolz darauf, dass sie eine ganze Stunde lang durchhält.

Sie möchte nicht, dass sich irgendein Engineer so fühlt wie sie damals im Schwimmbecken. Alle sind Lernende. Und deshalb ist Maxine froh, dass die Lerndonnerstage so viele Menschen erreichen.

Zwei Wochen später steht Maxine neben einem großen Berg von Kumquat-Servern auf dem Parkplatz direkt vor der Laderampe von Gebäude 5. Außerhalb des Parkplatzes liegt immer noch Schnee, und das Wetter ist eisig, was aber die fast 50 Menschen nicht davon abhält, sich hier zu versammeln.

Maxine weiß, warum so viele gekommen sind. Neben der Arbeit am Vier-Stunden-Lieferservice hat Maxine unermüdlich daran gearbeitet, Brent und Dwayne bei der Migration der Kumquat-Server zu helfen. Und jetzt, da ihre Arbeit beendet ist, wollen die Versammelten diesen alten Kumquat-Servern den Abschied bereiten, den sie verdienen.

Zu ihrem Erstaunen sind auch Steve, Dick und Bill dabei. Steve sagt: »Meine herzlichsten Glückwünsche an Wes und sein Team für das erfolgreiche Ausrangieren dieser alten, ausgelaugten Server. Unsere Aufgabe ist es, unseren Kunden zu dienen, und ehrlich gesagt, sind denen solche Dinge egal. Durch Ihre Arbeit können wir jetzt all die Energie, die wir bisher in den Unterhalt dieser Server gesteckt haben, in Kernaktivitäten reinvestieren, was unseren Kunden viel direkter zugutekommen wird. Ich werde Wes diese Geschichte im nächsten Townhall-Meeting erzählen lassen, damit wir sie alle zusammen feiern können. Und damit, Wes, übergebe ich an Sie«, sagt er unter dem Applaus des versammelten Publikums.

Wes tritt vor und wendet sich an die Menge. »Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen. Dies ist die erste von vielen Zeremonien, die wir noch abhalten werden, um uns von den Dingen zu verabschieden, die bislang unsere Rechenzentren bevölkert und uns täglich gequält haben. Ich bin vor fast 20 Jahren praktisch mit Kumquat-Servern aufgewachsen«, sagt er. »Ich habe fast alles, was ich heute weiß, an diesen Kisten gelernt. Damals waren sie ein technologisches Meisterwerk, verkörperten die absolute Spitze des damals Möglichen. Aber heutzutage sind sie der Fluch unseres Lebens. Die Middleware, die darauf lief, hat es ungemein erschwert, neue Aufgaben zu bewältigen. Sie waren anfällig für Abstürze, und, was noch schlimmer war, der gesamte Cluster brauchte für einen Neustart wegen der Überprüfung der Dateisysteme auf den Festplatten fast einen halben Tag.

Wir haben in den letzten Monaten intensiv daran gearbeitet, alle Anwendungen von diesen Rechnern entweder auf Allerweltsserver oder vollständig in die Cloud zu migrieren«, sagt Wes. »Und jetzt, da wir damit durch sind, können wir sie endlich aus unseren Rechenzentren und unseren Leben verbannen.«

Wes zieht einen riesigen Vorschlaghammer hervor. »Als einer derjenigen, der wegen dieser alten Knochen schon so manchen nächtlichen Notruf erhalten hat, erlaube ich mir das Vorrecht, den ersten Schlag zu setzen. Danach kann gern jeder ein paar Worte sagen und ihnen die Seele aus dem Leib prügeln.«

Und damit hebt Wes den Vorschlaghammer über seinen Kopf, ruft »Auf Wiedersehen, du furchtbarer Haufen 90er-Jahre-Sondermüll« und schlägt mit dem Hammer mitten in den Serverstapel. Es folgt eine Kakophonie zerbrechender Teile, und Maxine jubelt. Wes genießt noch ein paar Schläge und jubelt vor Freude. Er lacht und schreit: »Wow! Das fühlt sich gut an!«

Er gibt den Vorschlaghammer an Brent weiter, der ihn nimmt und brüllt: »Das ist dafür, dass du mich vor fünf Jahren fast jede Nacht geweckt hast!« Dann schwingt er den Vorschlaghammer durch, was zu weiteren schrecklichen Geräuschen führt. Er ruft: »Und das dafür, dass du mir meinen letzten Urlaub ruiniert hast, während meine Familie und ich in Disneyland waren«, und holt erneut aus.

Während sich Brent weiter an den ausrangierten Servern rächt, nimmt Maxine zusammen mit vielen anderen die Gewalttat mit ihrem Mobiltelefon auf – mit einem leicht wahnsinnigen Grinsen im Gesicht. Schließlich gibt Brent den Hammer weiter. Als Maxine sich anschickt, sich ebenfalls »zu verabschieden«, grinst Wes sie an: »Weißt du, es ist wirklich erstaunlich. Wir haben fast vier Tonnen Ausrüstung aus dem Rechenzentrum zum Recycling transportiert. Jetzt warten nur noch 15 weitere Tonnen!«

Wochen später hängt Maxine mit den anderen Rebellen im Dockside ab. Alle berichten, woran sie gerade arbeiten, und Maxine freut sich, dass alle genauso viel Spaß zu haben scheinen wie sie selbst.

»Diese Motorsensoren sind so cool! Sie werden in China hergestellt, aber die Firma, die sie entworfen hat, ist gar nicht so weit von hier entfernt. Ich glaube, es ist eine ziemlich kleine Firma«, sagt Shannon. »Wir haben einige Experimente zur Modifizierung der Software auf den Geräten durchgeführt. Sie sind mit ARM-Prozessoren bestückt, auf denen Linux läuft. Ich habe es geschafft, die Konfigurationen zu ändern und die Geräte neu zu flashen, sodass die Sensordaten jetzt an unsere Backend-Server gesendet werden statt an ihre eigenen.«

Sie lacht. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht legal ist und gegen ihre Nutzungsbedingungen verstößt, aber es macht verdammt viel Spaß. Wir werden ein Team hinschicken, um mit ihnen darüber zu sprechen, ob wir eine Art Joint Venture bilden oder ob wir ihre Produkte direkt als OEM herstellen können.

Der Datentransport und die Webseite sind Mist. Das stürzt mindestens einmal am Tag ab«, fährt Shannon fort. »Wir wollen einen umfangreichen Prozess zur Datenübernahme in der Cloud einrichten und dann alles in die Panther-Datenplattform einspeisen. Wir werden etwas entwickeln, mit dem Millionen von Sensoren problemlos verwaltet werden können«, sagt sie, sichtlich aufgeregt. »Ich möchte den Leuten, die diese Sensoren herstellen, zeigen, was wir entwickeln, und sie davon überzeugen, dass es das Klügste wäre, eine Partnerschaft mit uns einzugehen. Oder es wird der letzte Fehler sein, den sie als Unternehmen je machen werden.«

Beim Anblick von Shannons grimmigem Grinsen wird Maxine daran erinnert, wie wettbewerbsorientiert Shannon ist, auf eine gute Art und Weise.

»Übrigens, hättest du Interesse, dich unserem Team anzuschließen?«, fragt Shannon. »Wir könnten deine Hilfe auf der Anwendungs- und Datenseite wirklich gebrauchen. Daran gemeinsam mit Brent und Dwayne zu arbeiten, ist eine Wucht. Es ist ein Projekt, das wirklich unglaublich Spaß macht!«

Maxine blinzelt. Sie fühlt sich durch die Bitte sehr geehrt und in Versuchung. »Wer könnte dann für mich beim Vier-Stunden-Lieferservice einspringen?«

Shannon schaut sich um und zeigt auf all die neuen Gesichter. »Ich bin mir sicher, dass jeder aus dem MRP- oder den Midrange-Teams die Chance sofort ergreifen würde«, antwortet sie lächelnd.

Maxine nickt grinsend. Sie ist sich dessen genauso sicher.

Während des Townhall-Meetings im März wirkt Steve optimistischer denn je. Natürlich beginnt er wie immer damit, über die Unternehmensmission zu sprechen, bevor er erzählt, wie begeistert er von all den neuen Möglichkeiten ist, mit denen Parts Unlimited dazu beitragen kann, die Autos seiner Kunden verkehrstüchtig zu halten.

Er bittet Maggie auf die Bühne, die über die zweite Sitzung des Innovationsrats berichtet, bei der nach 90 Tagen des Experimentierens und erster Umsetzungen die Fortschritte der drei ausgewählten Initiativen bewertet wurden.

Der Werkstatt-Empfehlungsdienst hatte vielversprechend ausgesehen. Die Filialleiter fanden die Daten gut, aber es gab Komplikationen mit den Sales-Account-Managern, die für die Beziehungen zu jenen Werkstattbetreibern verantwortlich waren, die relativ schlechtes Feedback bekamen. Es würde mehr Zeit kosten, eine bessere Strategie für den Umgang mit solchen Werkstätten auszuarbeiten. Der Innovationsrat beschloss, die weitere Entwicklung dieser Idee aufzugeben und dafür den nächstplatzierten Vorschlag, nämlich die Idee, Dienstleistungen für Uber- und Lyft-Fahrer anzubieten, nachrücken zu lassen.

»Darüber hinaus«, so Maggie, »übertrifft das Projekt für den Vier-Stunden-Lieferservice unsere Erwartungen.«

Maxine sieht, wie Debra zu Maggie auf die Bühne kommt und berichtet, dass die Servicestationen das Angebot lieben. Für die Pilottests konnten sie mehr interessierte Werkstätten gewinnen, als sie bewältigen konnten, und den Teilnehmern eine begrenzte Anzahl wichtiger Ersatzteile anbieten, bei denen es auf eine schnelle Lieferung ankam.

Debra sagt: »Wir haben gelernt, dass viele Werkstätten mehrere Standorte haben und ihre Mechaniker oft dringend benötigte Teile von einem Ort zum anderen fahren müssen, was wiederum bedeutet, dass sie in dieser Zeit keine Autos reparieren können. Diese Firmen haben unseren Dienst natürlich sofort in Anspruch genommen.

Wir freuen uns, von den Werkstätten jetzt zu erfahren, welche Artikel sie am häufigsten mit anderen Standorten austauschen müssen, und wir überlegen, welche davon wir liefern können, einige schon nach 30 Minuten«, sagt sie.

Während Debra unter lautem Applaus die Bühne verlässt, begrüßt Maggie Shannon und Wes, die ein Update zum Motorsensor-Projekt geben. Sie zeigen einen Prototyp der mobilen Anwendung und der Website und berichten davon, dass sie mit zwei Sensorfirmen verhandeln und diese bei den Versuchen, einen Exklusivvertrag mit Parts Unlimited zu ergattern, gegeneinander ausspielen.

»Einige von uns haben sich Prototypen dieser Sensoren ins eigene Auto einbauen lassen, und wir können uns bereits jetzt ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen«, sagt Shannon. »Hier ein Beispiel dafür, wie man das tägliche Fahrverhalten auf einer Karte darstellen kann, wobei hervorgehoben wird, wo man die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten hat. Und hier sind Dashboards, die Wartungsprogramme anzeigen, sowie Warnmeldungen, die auf dringende mechanische Probleme hinweisen, wie z. B. zu hohe Öltemperatur oder zu niedriger Reifendruck. Stellen Sie sich nur all die erstaunlichen Funktionen und möglichen Anwendungen vor, mit denen wir unsere Kunden unterstützen könnten!

Wir wollen die Sensoren bereits zum Zeitpunkt des nächsten Townhall-Meetings im Mai vermarkten«, sagt sie. »Sobald wir einen Partner gefunden haben und sicher sind, dass alles zusammenpasst, beginnen wir mit der Auftragsannahme. Es wird eine erste Kleinserienproduktion sein, um zu testen, ob es eine echte Kundennachfrage gibt. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir die Sicherheitsaspekte im Griff haben. Wir wollen keine Daten sammeln, die für das Unternehmen eine Haftungsgefahr darstellen, und wir müssen unbedingt die Privatsphäre unserer Kunden schützen.«

Maxine applaudiert gemeinsam mit allen anderen, und sie freut sich mehr, als sie es in Worte fassen kann, dass sie jetzt Teil des Motorsensor-Teams ist, genauso wie viele ihrer ehemaligen MRP-Teamkollegen.

Wie versprochen, dankt Steve noch Wes und seinem Team für die Außerdienststellung der Kumquat-Server und dafür, dass sie es damit dem Unternehmen ermöglicht haben, sich noch stärker auf die Wertschöpfung für die Kunden zu konzentrieren.

Steve ist wirklich gut in so etwas, denkt Maxine. Und sie hätte nie gedacht, dass Wes und sein Team so stolz auf die Demontage eines Imperiums sein würden, das sie selbst mit aufgebaut hatten.

Während des Townhall-Meetings im Mai spricht Maggie über die neuesten Entwicklungen beim Motorsensor-Projekt, und Shannon verkündet die guten Nachrichten: »Als wir der Führung der Motorsensor-Firma unsere Entwicklungen gezeigt und die Stärke unseres Vertriebskanals bei ihren Zielkunden nachgewiesen haben, waren sie begeistert bereit, unsere Geschäftspartner zu werden«, sagt sie mit einem Grinsen. Oder vielleicht hatten sie auch nur Angst davor, was wir machen würden, wenn sie nichtmit uns zusammenarbeiten. Wie dem auch sei, sie haben zugestimmt, modifizierte Sensoren speziell unseren Spezifikationen gemäß herzustellen.

Wir bekommen bereits jetzt wöchentlich Bestellungen für Tausende Motorsensoren, und wir strengen uns an, mit der Nachfrage Schritt zu halten«, fährt sie fort. »Darüber hinaus freue ich mich sehr, dass sich unsere Investitionen in die Narwhal-Datenbank und die Panther-Plattform auszahlen. Alle Sensoren senden ihre Daten an unsere Plattform, wo sie von unseren Data Scientists und unserem Produktteam analysiert werden.«

Maggie bedankt sich bei Shannon und ergänzt dann: »Überraschenderweise ziehen wir damit eine völlig neue Kategorie von Kunden an. Wir haben festgestellt, dass darunter viele Fuhrparkmanager oder Solofahrer bei Rideshare-Firmen sind, also Personen, deren Lebensunterhalt davon abhängt, dass ihr Auto einwandfrei funktioniert. Diese Kunden können wir auf vielerlei Weise unterstützen!

Und eine weitere Überraschung ist, dass es viele Kunden gibt, die unsere Sensoren in Luxusautos einbauen, viele davon elektrisch betrieben. Diese Kunden sind meist technisch sehr versiert und an den Informationen interessiert, die wir ihnen zur Verfügung stellen, insbesondere an Bewegungsdaten und -kartierung. Diese demografische Gruppe ist äußerst interessant und könnte dem Unternehmen neue Absatzmöglichkeiten eröffnen, einschließlich aller Arten von Zusatzabonnements«, fährt sie fort.

»Tatsächlich führen wir gerade ein Experiment durch, bei dem wir die Kunden kontaktieren, sobald wir feststellen, dass der Reifendruck zu niedrig ist«, sagt sie. »Wir haben festgestellt, dass eine große Anzahl von Tesla-Fahrern wochenlang mit zu niedrigem Reifendruck unterwegs sind. Wir haben deshalb ein Angebot entworfen, jemanden direkt zu ihrem Auto zu schicken und vor Ort die Reifen aufpumpen und Verbrauchsflüssigkeiten auffüllen zu lassen, und wir waren verblüfft über die hohe Konversionsrate.

Das ist ein Marktsegment, das nicht besonders preisempfindlich ist«, sagt sie schmunzelnd. »Wir haben festgestellt, dass wir eine ziemlich hohe Gebühr verlangen können. Ich glaube, dass es noch viele weitere Dienstleistungen und Produktangebote mit hohen Margen gibt, die wir anbieten können.«

Maggie stellt dann eine neue Initiative vor, bei der Machine Learning eingesetzt wird, um über die Videoaufnahmen aus den Filialen die genauen Kundenbewegungen zu analysieren. Es wurde bereits herausgefunden, dass es bestimmte Kopfregal-Displays gibt, die extrem effektiv die Aufmerksamkeit wecken, was zu längeren Verweilzeiten führt, was wiederum ermöglicht, mehr Produkte zu verkaufen, höhere Preise zu verlangen oder sogar neue, verwandte Produktangebote einzuführen. Sie fanden auch Geschäfte mit ungewöhnlich hohen Abbruchraten, in denen die Kunden so lange in der Schlange warten mussten, dass sie schließlich einfach gingen. Sie konnten ebenfalls feststellen, dass sich die Aufstockung des Verkaufspersonals in diesen Filialen sofort bezahlt machte.

Es gab ein weiteres Pilotprojekt in einigen Filialen, bei dem die Store-Manager benachrichtigt wurden, wenn ein besonders kaufkräftiger Kunde mit installierter App den Laden betrat. Die Filialleiter waren begeistert und konnten so ihren ohnehin großen Ermessensspielraum nutzen, um diese Kunden mit ganz besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln. Wenn ein solcher Kunde die App nicht einsetzte, wurde der Filialleiter in dem Moment benachrichtigt, in dem beim Bezahlen eine Treuekarte vorgelegt oder die Kreditkarte benutzt wurde. Vielen Kunden ist die bevorzugte Behandlung so positiv aufgefallen, dass sie sich anerkennend darüber geäußert haben.

Als Nächstes kommt Debra zu Wort und berichtet spannende Neuigkeiten über das Vier-Stunden-Lieferprojekt. Als sie bereits zum Schluss kommt, sagt sie: »Sorry, ich muss noch eine kurze Geschichte erzählen. Beim letzten Meeting habe ich um hilfreiche Ideen gebeten, um schneller Kurierfahrer in neu zu erschließenden Gebieten zu finden. Jemand hat darauf hingewiesen, dass 90 Prozent unserer derzeitigen Transporteure bereits Motorsensoren gekauft haben. Deshalb haben wir in unserem jüngsten Testgebiet eine E-Mail an alle Motorsensor-Kunden der Gegend geschickt, die als Berufsfahrer bekannt waren. Die Resonanz war erstaunlich. Wir hatten innerhalb einer Woche genügend Kapazität. Das ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil, also vielen Dank an Darrin Devaraj, der das vorgeschlagen hat!«

Als Steve ihr dankt, fügt er hinzu: »Denken Sie daran, dass unser Geschäft auf dem Vertrauen unserer Kunden beruht. Wir haben uns gegenüber unseren Kunden verpflichtet, ihre Privatsphäre und ihre Daten zu schützen. Ich möchte Shannon Corman für die Entwicklung der Panther-Plattform danken, die es uns erlaubt, Daten in einen Wettbewerbsvorteil umzuwandeln und sie gleichzeitig auch im Dienst unserer Kunden zu schützen.«

Maxine grinst. Sie weiß, dass all dies nicht möglich gewesen wäre ohne Shannons ursprünglichen Vorschlag, der zur Entwicklung von Panther führte. Es wird behauptet, dass Daten das »neue Öl« seien, und dies sind nur einige der vielen Möglichkeiten, mit denen das Unternehmen aus Daten Wert schöpfen kann.

Indem sie die Daten jedem bei Parts Unlimited zugänglich gemacht haben, der sie braucht, haben sie den Zugriff darauf in gewisser Weise demokratisiert. Auch wenn die einzelnen Teams dezentralisiert arbeiten, können dennoch alle auf das umfangreiche Wissen des gesamten Unternehmens zugreifen. Diese Dynamik des Lernens und Teilens hat die Effektivität einiger der strategisch wichtigsten Bestrebungen im Unternehmen erheblich verstärkt. Erik wäre stolz, denkt sie.

Maxine macht einen Spaziergang, um sich eine Pause vom endlosen und aufregenden Wirbelsturm des Motorsensor-Projekts zu gönnen. Zweifellos ist es bereits jetzt ein durchschlagender Erfolg. Zuletzt wurden wöchentlich über 10.000 Sensoren verkauft, und Gerüchten zufolge wurde ihre Mobile-App gerade für einen Preis für interaktives Design nominiert.

Maxine und ihr Team haben viel Spaß, aber sie brauchen zusätzliche Unterstützung. Sie haben angefangen, sich bei Maggie für fünf weitere Engineer-Stellen einzusetzen, um die Umsetzung all der großartigen Ideen zu beschleunigen, die auf ihrer Roadmap stehen.

Aus einer Laune heraus beschließt Maxine, das Rechenzentrum zu besuchen. Sie schaut sich um, erstaunt darüber, wie es sich in den letzten fünf Monaten verändert hat.

Zuvor war es von Wand zu Wand und vom Boden bis zur Decke mit Servern vollgepackt gewesen, die in 19-Zoll-Racks montiert waren. Aber jetzt steht eine Fläche von 30 mal 15 Metern völlig leer, auf der auch die Regale bereits verschwunden sind.

Auf dem Boden wurde eine Reihe von auf Papier gemalten Grabsteinen mit Kreppband festgeklebt, auf denen die Geschäftssysteme vermerkt sind, die früher auf den entsorgten Servern liefen.

»E-Mail-Server: $ 163.000 jährliche Einsparungen.«

»Helpdesk: $ 109.000 jährliche Einsparungen.«

»Personalverwaltungssysteme: $ 188.000 jährliche Einsparungen.«

Es gibt fast 30 solcher Papiergrabsteine, und an einer nahe gelegenen Wand hängt ein Schild, auf dem steht: »Rack-Beerdigungen: Über 10 Tonnen veraltete Ausrüstung entfernt und recycelt … bis jetzt … Mögen sie in Frieden ruhen.« Die Zahl »10« war durchgestrichen und durch eine handgeschriebene »13« ersetzt.

Es sind auch Bilder von ausgebauten Geräten zu sehen. Das Foto von dem Berg ausrangierter Kumquat-Server bringt Maxine immer noch zum Grinsen. Sie weiß, dass im weiteren Verlauf des Jahres große Teile ihres alten MRP-Systems auf ein kommerzielles Angebot eines Drittanbieters umgestellt werden, sodass es in den Ruhestand versetzt werden kann. Sie unterstützt Glenn, ihren alten Manager, bei diesen Bemühungen. Glenns neu deklariertes Ziel ist es, die »weltbeste Fertigungslieferkette« aufzubauen, gemäß einer Übersicht einer bekannten Industrie-Handelsorganisation. »Ich bin ziemlich sauer, dass wir aus den Top Ten herausgefallen sind. Gebt mir drei Jahre, und mit deiner und Steves Unterstützung werden wir dann so weit sein, dass uns die ganze Branche beneidet.«

Insgesamt sollen 20 unterschiedliche Lagerverwaltungssysteme zu einem einzigen konsolidiert werden. Und sie werden auf eine aktuelle Version des ERP-Systems migrieren. Nahezu alle vorhandenen eigenen Anpassungen werden auf das umgestellt, was der Hersteller anbietet, es sei denn, die Eigenentwicklungen bieten Wettbewerbsvorteile, wie z. B. bestimmte wichtige MRP-Module – die verbleibenden Anpassungen werden in separate Anwendungen außerhalb des ERP ausgelagert.

Als Glenn sein extrem ehrgeiziges Ziel verkündete, war klar, dass sie mehr Spitzenkräfte brauchen, und er hatte keine Probleme, dafür ein Budget genehmigt zu bekommen – alle wissen, dass diese Projekte Parts Unlimited auf Jahrzehnte hinaus Vorteile verschaffen werden.

Es gab auch noch andere Überraschungen. Sie benutzten eine Technik namens Wardley Maps, um genauer bestimmen zu können, welche Teile der verschiedenen Wertschöpfungsketten man als Standarddienstleistungen besser outsourcen, welche man zukaufen und welche man im eigenen Haus behalten sollte, weil sie einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil sichern. Auf diese Weise ließen sich die unterschiedlichen Technologiestacks unter Berücksichtigung des geschäftlichen Kontexts in methodischer Weise bewerten.

Dabei stießen sie in direkter Nachbarschaft der MRP-Gruppe auf ein weiteres technisches Juwel: einen Eventbus, der die gesamten telemetrischen Sensordaten, die in den Produktionsmaschinen ihrer Fabriken anfallen, seit Jahren einwandfrei übertrug.

Als Maxine diesen Stack fand, konnte sie es kaum glauben – das war, auch wenn es damals dann erst einmal zurückgestellt wurde, genau das, was Shannon gesucht hatte, als sie das Panther-Projekt zum ersten Mal vorschlug. Obwohl Maxine sich selbst am liebsten in den Hintern getreten hätte, weil sie nicht früher daran gedacht hatte, wusste sie sofort, was damit zu tun war.

Dieser Eventbus steht nun im Mittelpunkt von Project Shamu und bildet die Grundlage einer massiven architektonischen Umwälzung, die schlussendlich fast alle Backend-Dienste und APIs im gesamten Unternehmen betreffen wird. Maxine weiß, dass dies eine der wichtigsten Technologieinitiativen im Unternehmen ist, denn damit wird ein Problem gelöst, das sie seit über einem Jahr beschäftigt. Beim ersten Minilaunch von Unicorn blockierte der Dienst für die Versandoptionen den gesamten Verkaufstrichter. Das war nur einer von 23 tief verschachtelten API-Aufrufen, die immer dann erfolgten, wenn jemand die Produktverfügbarkeit überprüfte.

Auch nach einem Jahr war dieses Problem noch nicht gelöst. Es war schlichtweg zu teuer, alle 23 APIs als Tier-1-Service bereitzustellen – das hätte eine 99,999-prozentige Verfügbarkeit, garantierte Antworten innerhalb von zehn Millisekunden und alle möglichen anderen Dinge erfordert, die viel Geld kosten.

Sie hatte sich immer gefragt, warum überhaupt 23 API-Aufrufe nötig waren, warum sie innerhalb von Millisekunden antworten mussten und warum ihre Ausführung so teuer war. Es ist ja nicht so, dass sich Transport- und Versandoptionen in Millisekundenabständen ändern – das passiert vielleicht alle paar Monate. Produktkategorien wurden nur einmal pro Quartal geändert. Produktbeschreibungen und Bilder änderten sich nur alle paar Wochen.

Viele dachten, das Problem könne man lösen, indem man die Ergebnisse zwischenspeichert. Aber aus Maxines Sicht würden funktionale Programmierung und Immutability eine viel elegantere, ja sogar schönere Lösung ermöglichen. Wenn sie all diese API-Anfragen als Werte darstellen könnten, die nur bei der Änderung eines ihrer Inputs neu berechnet werden, könnten sie die Anzahl der API-Aufrufe von 23 reduzieren … auf einen.

Maxine freut sich immer wieder über die Aha-Momente bei allen, denen sie diese Verwendungsmöglichkeit des Event-Sourcing-Verfahrens erklärt.

»Stellen Sie sich einzelne Dienste als Blätter an einem Baum vor, die jeweils Daten senden, die schließlich im Stamm landen. Ein Dienst kennt nur Produkte, ein anderer Dienst kennt nur Postleitzahlen oder Warenlager. Wieder ein anderer Dienst kombiniert beide, um zu beschreiben, welche Produkte in welchem Lager vorrätig sind. Ein weiterer Dienst kombiniert diese Information mit Versandoptionen, um den Kunden mitzuteilen, wie schnell sie das Produkt geliefert bekommen können. Und all diese Informationen landen in einem speziellen Schlüssel/Wert-Speicher.

Es sind jetzt nicht mehr 23 API-Aufrufe, die alle verfügbar sein und schnell reagieren müssen. Stattdessen gibt es nur noch einen API-Aufruf, bei dem anhand von Produkt-ID und Postleitzahl die passenden Versandoptionen und Lieferzeiten zurückgeben werden, ohne dass etwas berechnet werden muss«, erklärt sie dann. »Auf diese Weise können Millionen von Dollar pro Jahr eingespart werden!«

Aber das ist erst der Anfang und nur ein Bruchteil der Wertschöpfung, denkt Maxine. Es wird eine massive Vereinfachung des jahrzehntelangen Durcheinanders ermöglichen, mit dem sie bisher leben mussten. Sie werden dieses Muster für Kundenbestellungen, Bestandsverfügbarkeiten, Kundenbindungsprogramme, Aufträge der Werkstätten und Tankstellen einführen – für nahezu alles.

Alle diese Dienste werden voneinander entkoppelt, sodass die Teams unabhängig voneinander Änderungen vornehmen können und nicht mehr auf das Data-Hub-Team angewiesen sind, um Änderungen der Geschäftsabläufe und -logik umzusetzen. Wenn alles klappt – und Maxine wird dafür sorgen, dass es klappt –, wird Shamu den Data Hub und alle Punkt-zu-Punkt-API-Aufrufe im gesamten Unternehmen ersetzen.

Es wird die Verfolgung von Daten und Zuständen im gesamten Unternehmen einfacher, sicherer, belastbarer, verständlicher, kostengünstiger und schneller machen, und es wird zu besseren Geschäftsergebnissen, zufriedeneren Stakeholdern und glücklicheren Entwicklern führen.

Dabei werden funktionale Programmierungsprinzipien nicht bloß im Kleinen angewendet, sondern auch genutzt, um Aufbau und Architektur des gesamten Unternehmens zu gestalten. Ihre Technologielandschaft wird nun den Tech-Riesen ähneln und eine Agilität ermöglichen, die man sich im Moment nur schwer vorstellen kann. Sie kann sich keine bessere Umsetzung des Ersten Ideals von Lokalität und Einfachheit vorstellen. Sie weiß mit Sicherheit, dass sich daraus Wettbewerbsvorteile ergeben, auch wenn sie nicht genau weiß, wie – aber jedes Unternehmen, das nicht etwas in dieser Art unternimmt, wird einen langsamen, aber unvermeidlichen Niedergang erleben. Das wird der größte Triumph und die größte Leistung ihrer gesamten Karriere sein.

Während Maxine darüber nachdenkt, was sie erreicht hat, und über all die Erfolge, die sicherlich noch folgen werden, schaut sie sich noch einmal im Rechenzentrum um, das so viel leerer ist als bei ihren letzten Besuchen.

Es fällt ihr nach wie vor schwer, zu glauben, wie viel sie seit ihrer Verbannung ins Phoenix-Projekt erlebt hat. Damals wollte sie bloß einen Build auf ihrem Laptop zum Laufen bringen. Sogar bei dieser bescheidenen Aufgabe war sie auf Widrigkeiten und Hindernisse gestoßen, die damals unüberwindbar wirkten, selbst angesichts ihrer großen Erfahrung und all ihrer Fähigkeiten.

Sie hatte schon fast aufgegeben, als Kurt an sie herantrat und sie bat, sich der Rebellion anzuschließen und bei der Befreiung der Entwickler zu helfen, damit diese endlich tun konnten, was getan werden musste. Sie waren eine scheinbar verrückte Truppe von Außenseitern, die die alte, mächtige Ordnung stürzen wollten … und gegen alle Widerstände taten sie das auch.

Sie begannen als eine Gruppe von Rothemden, die im Maschinenraum gefangen war. Später gesellten sich mutige und gleichgesinnte Nachwuchsoffiziere hinzu, die bereit waren, mitzuhelfen. Und nach einer unerwarteten Entwicklung der Ereignisse fanden sie sich schließlich an der Seite der Brückenoffiziere wieder und halfen, das Blatt in einem kollektiven Überlebenskampf zu wenden, nur um schließlich sogar in politische Konflikte mit dem Sternenflottenkommando hineingezogen zu werden, das ihr Raumschiff auseinandernehmen und in Einzelteilen verkaufen wollte.

Maxine grinst. Sie denkt darüber nach, wie viel sie gelernt hat, wie oft sie kurz davor stand, endgültig aufzugeben, und wie die fünf Ideale ihr Hinweise boten, welche Kämpfe sie zu führen hatte und warum diese Kämpfe von Bedeutung waren. Und dass sie es ohne ein Team aus Teams um sich herum, die ihr Streben nach Exzellenz unterstützten, nicht geschafft hätte.

Sie starrt auf die Server, auf denen das MRP-System läuft, das sie sechs Jahre lang betreut hat. Sie stellt sich vor, wie sie in einigen Monaten wieder auf dem Parkplatz stehen wird, diesmal um den Abschluss der MRP-Migration zu feiern, und allen erzählt, wie stolz sie ist, dass die MRP-Systeme ihre Aufgabe so gut erfüllt haben, dass sie jetzt in Rente gehen dürfen.

Steve wird einige Worte sagen, und dann wird Wes ihr den Vorschlaghammer reichen.

Über all das nachzudenken, lässt sie lächeln, und so macht sie sich auf den Weg zurück an ihren Schreibtisch.