»Kriege ich einen Fuzzy Navel?«
Ich schaue auf und sehe April Lester zwischen Grady Jones und Rich Hensburg an der Bar stehen. Erwartungsvoll schaut sie mich an. Ich nicke und räume schnell die letzten Cocktailgläser, die ich gerade abgespült habe, ein und greife nach der Schnapsflasche.
»Also, kommst du jetzt mit mir nach Hause?«, fragt Rich April und wirft ihr einen skeptischen Blick zu.
Grady lacht leise auf, während ich in mich hineingrinse. April dreht sich nur weg und sieht genervt aus.
All diese Leute sind Stammgäste. April geht normalerweise nie alleine nach Hause, und jeder weiß das. Rich macht halbherzige Witze darüber, um sein Gesicht zu wahren, wenn sie ihn immer wieder abblitzen lässt. Anscheinend sind ihr einziges Limit ältere Männer. Alle anderen sind Freiwild für sie. Aber es schadet ja nichts, wenn er es weiterhin versucht. Vielleicht hat er eines Abends Glück.
Nicht, dass ich sie dafür verurteile. Was weiß ich schon? Sie ist eine gute Kundin und gibt viel Trinkgeld. Ich muss nur ein Auge auf sie haben, wenn Cole in der Nähe ist. Ich habe sie schon mit verheirateten Männern flirten sehen, also wird sie vor dem festen Freund einer anderen nicht haltmachen.
Ich gieße den Orangensaft ein, lege eine Serviette vor sie auf den Tresen und stelle das Glas darauf. Sie nimmt sich einen Strohhalm und das Glas. »Danke«, trällert sie und dreht sich dann sofort um, um zu ihrem Tisch zurückzugehen.
Ich schaue ihr nach und sehe, wie sie sich zu zwei Männern setzt, die ich hier auch schon mal gesehen habe.
Manchmal erinnert sie mich an meine Mom. Ich bin mir nicht sicher, warum, denn sie sehen sich überhaupt nicht ähnlich. Meine Mom war blond – ist blond –, und April hat braune Haare. So dunkelbraun, dass sie fast schwarz aussehen.
Aber sie müssten im selben Alter sein. April muss auf die vierzig zugehen und zieht sich an, wie meine Mom es in meiner Erinnerung getan hat. Kurze Röcke, flatternde Seidenoberteile, Schmuck und hohe Absätze.
Wie Cam. Meine Schwester hat den sexy Stil meiner Mom geerbt.
Ich frage mich, ob meine Mom mittlerweile mit einem Mann zusammen ist oder ob sie immer noch ihre Freiheit braucht, die sie gebraucht hat, als ich sieben Jahre alt war. Ich vermisse sie nicht. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Aber ich frage mich trotzdem, was sie jetzt macht.
Ich schreibe Aprils Drink auf ihre Karte und nehme mir ein Handtuch, um die Gläser abzutrocknen.
Aber dann geht die Eingangstür auf, und eine Stimme ertönt dröhnend: »Scheiße, hier ist ja tote Hose.«
Ich schaue auf, und sofort stellen sich die Härchen auf meinen Armen auf. Mein Freund kommt mit ein paar Kumpels im Schlepptau rein, aber es ist die allzu vertraute Stimme, die mir eine Gänsehaut verursacht.
Jay McCabe, mein Ex-Freund, schlendert langsam durch die Tür und nimmt sich sehr viel Zeit, als wäre er immer noch der Star-Quarterback der Highschool und warte auf seinen Applaus. Es ist schon irgendwie lustig, wie unattraktiv er geworden ist, je besser ich ihn kennengelernt habe. Mein Rückgrat versteift sich, und ich bin sofort auf der Hut.
Cole kommt mit ein paar Jungs und Elena Barros in die Bar, und ich sehe, wie er die Stirn runzelt und sich seine Miene verfinstert, als er erst zu Jay und dann zu mir schaut.
Sie unternehmen nichts zusammen, aber manchmal sind sie zufällig auf denselben Partys. Ich nehme an, Jay ist mit seinem Gefolge hierhergekommen, und Cole ist ihm gefolgt, um sicherzugehen, dass ich okay bin.
Jay lässt seinen Blick durch den Raum schweifen, bis er auf mir haften bleibt. Ein leichtes Lächeln legt sich um seine Mundwinkel. Sofort wende ich meinen Blick ab, und mein Magen verkrampft sich.
Ich versuche, so zu tun, als würde er mich nicht mehr interessieren, aber ich glaube, er weiß, dass er gewonnen hat. Er sollte in einem verdammten Gefängnis sitzen, nach dem, was er mir angetan hat. Aber das tut er nicht, weil ich vor zwei Jahren zu verängstigt und einfach erbärmlich war.
Ich wünschte, jemand würde ihm wehtun.
Und noch besser wäre es, wenn ich diese Person sein könnte.
Cole kommt auf mich zu, während seine Freunde mit Leuten reden, die sie kennen. Er öffnet die Klappe und kommt hinter die Bar. Mit einem entschuldigenden Blick tritt er hinter mich und legt seine Arme um meine Hüfte.
»Was tust du da?«, frage ich, während ich mit einem Handtuch ein Glas trocken reibe.
Ich spüre, wie er mit den Schultern zuckt. »Ich habe dich lange nicht gesehen und vermisst.«
Ich muss lachen und versuche, mich zu entspannen. »Mir geht’s gut. Du musst dir um mich keine Sorgen machen, wenn ich arbeiten bin.«
Er vergräbt seine Nase in meinem Nacken, und wir wissen beide, dass er sich nur Sorgen macht, weil Jay hier ist.
Ich lege meine Hand über seine und spüre die kleine Narbe auf seinem Daumen. Dann atme ich seinen Geruch ein. Er sieht frisch und gut aus, definitiv besser als heute Morgen. Keiner kann einen Kater so gut auskurieren wie er.
»Du weißt, dass es schlecht fürs Geschäft ist, wenn ihr Freund hier abhängt«, sagt Shel tadelnd, als sie vor der Bar vorbeigeht und ein Tablett mit Gläsern abstellt.
Shel benimmt sich wie die Clubbesitzerin in Coyote Ugly . »Man muss verfügbar erscheinen, aber niemals verfügbar sein« … oder so. Das Problem ist, dass das Grounders eine dreckige Bar in einer Kleinstadt ist, also wird das Trinkgeld so oder so keine Rekorde brechen. Egal, ob mein Freund hier ist oder nicht.
Cole kuschelt sich an meinen Hals, und ich muss lächeln, weil ich mich so sicher an seinem Körper fühle. Die Stimmen seiner Freunde klingen zu uns rüber, während es immer lauter wird im Raum. Ich schaue auf die Uhr und sehe, dass es fast Mitternacht ist.
Und es ist Mittwochabend. Cole muss morgen arbeiten.
Ich hole tief Luft und drehe meinen Kopf, um ihn anzuschauen. »Du weißt, dass wir uns diese fehlenden Stunden heute nicht wirklich leisten konnten.« Und wenn er heute Abend feiert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er sich morgen auch wieder krankmeldet und noch mehr Geld verliert. Wir müssen immer noch Rechnungen von der alten Wohnung bezahlen, und ich werde meinen Anteil übernehmen. Aber er muss mir auch dabei helfen. Wenn er noch einen Tag blaumacht, dann werde ich laut.
Aber er blickt nachdenklich zu mir runter. »Ich bin nicht dumm, Baby«, versichert er mir. »Ich weiß schon, was du mir sagen willst, okay?«
»Und du weißt auch, dass du verdammtes Glück hast, deinen Führerschein noch zu haben, oder?«, schimpfe ich noch ein bisschen mehr. Ein Eintrag wegen Trunkenheit am Steuer ist das Letzte, was wir jetzt noch brauchen können. Und er fordert sein Schicksal ständig heraus.
Besonders nach alldem, was passiert ist. Wie kann er nur so leichtfertig sein?
Ich blicke gedankenverloren auf unsere Narben.
»Was täte ich nur ohne dich?«, sagt er, und sein Atem kitzelt mich am Ohr.
Ich ziehe mich zurück. »Deine Wäsche selbst waschen, zum Beispiel.«
Aber er lacht nur und hält mich noch ein bisschen fester. »Es tut mir leid, dass ich so ein Loser bin.«
»Das warst du nicht immer.«
Er zieht eine Augenbraue hoch und drückt mich grinsend gegen die Bar. »Es gibt ein paar Dinge, in denen ich gut bin, richtig?«
Er hebt mein Kinn hoch und küsst mich auf den Hals.
Ich spüre ein Kribbeln auf meiner Haut und schnappe nach Luft. »Cole …«
Okay, ja. Du bist nicht in allem schlecht.
Er hat es immer geschafft, mich zum Lachen zu bringen, und er kann gut küssen. Ich wünschte nur, er würde es zu Hause öfter tun. Er hat mich in letzter Zeit kaum angefasst.
Und heute will er gleich schon wieder weggehen.
Ich drehe meinen Kopf zu ihm und küsse ihn gierig, aber dann ziehe ich mich schnell zurück und grinse. »Nicht hier«, tadle ich ihn.
Ich drehe mich um und räume ein paar leere Bierflaschen vom Tresen.
»Es tut mir wirklich leid, weißt du?«, flüstert er mir ins Ohr. »Ich wollte nicht, dass wir aus der Wohnung fliegen und jetzt bei meinem Dad wohnen müssen.«
Ich nicke und bin mir sicher, dass er es ernst meint. Er ist ein guter Kerl, und ich kenne seine besten Seiten. Im Moment ist er neben der Spur, aber er hat mir zur Seite gestanden, als es kein anderer getan hat. Also will ich daran glauben, dass er sich wieder fängt.
Ich schaue zu Jay und erinnere mich daran, wie Cole mein einziger Freund war, als ich mit diesem Arschloch Schluss gemacht habe. Alle anderen waren auf Jays Seite.
»Ist mein Dad nett zu dir?«, fragt er und lässt mich los.
»Natürlich. Warum sollte er nicht?«
Er zuckt mit den Schultern. »Ich will nur sichergehen. Er war schon mal ein richtiges Arschloch. Hat meine Mom oft betrogen und so. Deshalb verstehen wir uns nicht gut.« Er hält inne und fügt dann hinzu: »Nur um die Anspannung zu erklären, die du sicherlich zwischen uns spürst.«
Betrogen? Warum hat er mir das nicht vorher erzählt? Mein Gott.
Aber das hört sich gar nicht nach Pike an. Er kommt mir nicht so oberflächlich vor.
Aber Menschen verändern sich. Vielleicht war er vor zwanzig Jahren ein anderer Mann.
Aber Moment …
»Ich dachte, du hättest gesagt, deine Eltern haben sich getrennt, als du zwei warst?«, frage ich.
Wenn er so jung war, wie kann er sich dann daran erinnern?
»Ja.« Er geht langsam zum Ende des Tresens. »Ich weiß nur, was sie mir erzählt hat. Es war anscheinend nicht schön, also glaub ihm nichts. Er schubst Frauen gerne herum. Wahrscheinlich ist er deswegen immer noch Single.«
Nun ja, sein Dad hat heute Morgen verblüfft ausgesehen, als er versucht hat, mir zu sagen, dass ich zu Hause bleiben soll, ich ihm aber nicht gehorcht habe. Wahrscheinlich ist er es gewohnt, dass die Leute seinen Befehlen folgen. Coles letzte Bemerkung macht also irgendwie Sinn.
»Wir gehen ins Cue «, sagt Cole zu mir, klappt die Schranke hoch und tritt auf die andere Seite der Bar. »Wir sehen uns zu Hause.«
»Komm nicht so spät heim«, sage ich leise.
Seine Schicht fängt morgen erst um zehn an, aber ich will ihn sehen, wenn er nach Hause kommt. Wir hatten heute nicht viel Zeit zusammen.
Er und seine Freunde verlassen die Bar, um im The Cue Billard zu spielen. Jay wirft mir noch einen letzten Blick zu, bevor er ebenfalls zur Tür geht und einen Arm um Shawna Abbot legt. Sein Blick fällt auf meine Brust, bevor er mich teils gierig, teils bedrohlich anschaut.
So geht das schon seit zwei Jahren. Aus Angst, ihn zu reizen, nehme ich all seine ekelhaften Blicke in Kauf. Aber solange er mich in Ruhe lässt, kann ich versuchen, ihn zu meiden und so zu tun, als wäre er nicht da.
Beide Grüppchen verlassen die Bar, um irgendwo anders ihren Spaß zu haben, aber bevor sich die Eingangstür wieder schließen kann, kommt meine Schwester mit ein paar ihrer Kolleginnen herein. Alle Blicke im Raum richten sich auf die scharfen Frauen in ihren knappen Oberteilen und den Stöckelschuhen.
Sammy Hagars The Girl Gets Around tönt aus der Jukebox, und Cam geht zur Bar. Sie hält sich an der Kante fest, vollführt einen kleinen Tanz und singt lippensynchron mit.
Sie ist eben eine echte Partyqueen.
»Schon Feierabend?«, frage ich sie über die Musik hinweg und schaue auf die Uhr an der Wand. »Ich bin hier noch mindestens eine Stunde beschäftigt.«
»Das passt schon.« Cam winkt ab, greift über den Tresen und holt sich den Rum und ein Cocktailglas. »Wir müssen sowieso noch ein bisschen chillen, bevor wir ins Bett gehen.«
Sie gießt sich etwas Rum ein und füllt den Rest des Glases mit Diet Coke.
Ich gebe ihr ein paar Eiswürfel ins Glas, bevor ich mich anderen Kunden am Tresen zuwende.
Ich gebe Grady und Rich frisches Bier aus, fülle das Glas von Shels Ehemann, der Videopoker spielt, auf und mixe drei Cosmopolitan für ein paar Ladys, die ihre Ausgaben von Deepak Chopras The Book of Secrets auf dem Tisch liegen gelassen haben, die sie jede Woche mitnehmen, damit ihre Ehemänner denken, dass sie wirklich zu einem Treffen des Buchclubs gehen.
»Willst du hier kurz einspringen?«, ruft Shel Cam zu. »Ich muss mal eben Bier aus dem Lager holen.«
Cam wirft Shel einen genervten Blick zu, kommt aber dann zu mir hinter die Bar. Shel geht den Flur entlang Richtung Kühllager.
»Leer das Trinkgeld aus und stell das Glas wieder hin«, rufe ich meiner Schwester am anderen Ende des Tresens zu. »Meinen Anteil bekommst du nicht.«
Sie lacht und grinst mich süffisant an, während sie ihre Hände in die Hüften stemmt. Ich drehe mich um, um einen Screwdriver für einen weiteren Gast zu mixen, und in dem Augenblick wedelt sie mit einem dicken Geldbündel vor meinem Gesicht herum.
»Als ob ich deine Münzen brauchen würde, Baby«, erwidert sie spöttisch.
Meine Augen werden groß, und mir klappt die Kinnlade runter, als ich, nach Luft schnappend, auf das Geldbündel starre. »Was zum Teufel …?« Ich reiße es ihr aus der Hand und blättere die Scheine durch. Ich sehe viele Ein-Dollar-Scheine, aber auch eine beeindruckende Menge an Zehn- und Zwanzig-Dollar-Scheinen.
»So sieht es aus, wenn man die Miete an einem Abend verdient, Süße.« Sie reißt es mir wieder aus der Hand. »Wir hatten einen Junggesellenabend.«
Viele betrunkene Kerle, die mit Geld nur so um sich werfen. Ich beobachte, wie sie das Geld zurück in ihre Tasche schiebt, und runzle die Stirn über das Funkeln in ihren Augen. Es macht Sinn, dass sie viel mehr Trinkgeld bekommt als ich. Ich arbeite in einer Bar. Sie arbeitet in einem Club. Sie unterhält die Leute, ich schenke Drinks aus.
Aber es muss schön sein, jeden Abend nach Hause zu gehen und zu wissen, dass man morgen die Rechnungen bezahlen kann. Dass man in den Supermarkt gehen und alles in den Einkaufswagen laden kann, was man will.
Ich schaue ihr in die Augen und kann sehen, dass sie dasselbe denkt. Ich könnte es leichter haben, wenn ich das Angebot ihres Chefs annehmen würde.
Ich würde dort als Barkeeperin nicht so viel Trinkgeld machen wie meine Schwester, aber auf jeden Fall mehr als hier.
Aber obwohl The Hook schnelles Geld verspricht, ist der Club kein schöner Ort. Die Männer betrachten Cam als Freiwild, und sie muss viel Scheiße aushalten.
Trotzdem … ich bin es langsam leid, mir jeden verdammten Tag Sorgen ums Geld zu machen.
Ich mache mich wieder an die Arbeit, kann aber ihren Blick in meinem Rücken spüren. Ich weiß, dass sie denkt, ich bin ein Hamster im Laufrad.
»Sag nichts«, murmle ich.
Sie schnaubt auf. »Ich habe gar nichts gesagt. Kein Wort.«
»Danke«, sage ich, als ich eine Stunde später aus Cams Mustang steige. Ich klappe den Beifahrersitz nach vorn und hole meine Handtasche vom Rücksitz. Dabei werfe ich einen schnellen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob Coles Auto in der Einfahrt steht.
Nope. Nur Pikes Truck.
Ich schüttle den Kopf.
»Morgen arbeitest du nicht, oder?«, fragt Cam.
Ich drehe mich zu ihr um. »Nein, aber am Samstagabend. Ich schreib dir meinen Plan.«
»Okay.«
Dann schließe ich die Autotür und suche den Hausschlüssel in meiner Tasche. »Hab dich lieb, mach’s gut«, rufe ich noch.
»Ach, ich hab dir übrigens was gekauft!«, ruft Cam durch das geöffnete Beifahrerfenster. »Schau in deinen Rucksack, wenn du in deinem Zimmer bist. Probier’s aus. Wart ab, wie es sich anfühlt.«
Ich bleibe stehen und drehe mich mit skeptischem Blick zu ihr um. »Nicht schon wieder ein Vibrator …«, stöhne ich.
Sie wirft ihren Kopf in den Nacken und lacht über das Geschenk, das sie mir letztes Jahr zum achtzehnten Geburtstag gemacht hat. Es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn sie es mich nicht vor den ganzen Partygästen hätte öffnen lassen.
»Nicht so was«, sagt sie. »Aber es ist definitiv was, das Cole und du zusammen genießen könnt.« Dann deutet sie mit dem Kinn auf das dunkle Haus hinter mir. »Oder vielleicht auch … ähm … der Herr des Hauses. Der andere Mann in deinem Leben.«
Sie wackelt mit den Augenbrauen, und ich werfe ihr einen bösen Blick zu. »Jetzt will ich das Geschenk gar nicht erst öffnen.«
»Nacht!«, ruft sie und fährt aus der Einfahrt.
Miststück. Ich liebe meine Schwester, aber sie weiß, wie sie mich in peinliche Situationen bringen kann.
Nachdem ich die Tür aufgesperrt habe und eingetreten bin, schließe ich sie wieder hinter mir, drehe den Schlüssel im Schloss um und blicke mich im dunklen, aufgeräumten Wohnzimmer um. Ich gehe weiter in die Küche, das kleine Ofenlicht wurde angelassen, wie ich es gerne mag. Im Spülbecken steht kein Geschirr, und ich atme aus und genieße das Gefühl, in ein ordentliches Haus zurückzukommen.
Ich schleiche die Treppe hoch, und das Haus um mich herum hüllt mich in unheimliches Schweigen. Als ich den dunklen Flur entlanggehe, sehe ich Pikes Schlafzimmertür direkt vor mir. Sie ist geschlossen, und es scheint kein Licht durch den Türspalt.
Ich öffne die erste Tür links, mache das Licht an und finde das vor, was ich erwartet habe. Das Bett ist leer. Cole ist immer noch weg.
Ich stelle meine Tasche und den Rucksack ab, schließe leise die Tür und ziehe das Handy aus meiner hinteren Hosentasche und beginne zu tippen:
Ich bin zu Hause. Wo bist du?
Dann warte ich darauf, dass die drei kleinen Punkte erscheinen, die mir zeigen, dass er antwortet.
Aber als nach ein paar Minuten immer noch nichts kommt, werfe ich das Handy aufs Bett.
Er muss in acht Stunden in der Arbeit sein, und er sollte besser dort erscheinen. Sonst werde ich ihn nicht mitnehmen, wenn ich genug Geld gespart habe, um hier wieder auszuziehen.
Ich kicke die Schuhe von den Füßen, gehe Richtung Bett und bin bereit, mich darauf fallen zu lassen, als mir plötzlich wieder einfällt, was meine Schwester gesagt hat. Ich drehe mich um, nehme meinen Rucksack und setze mich damit aufs Bett. Ganz oben liegt eine rosa Geschenktüte, die ich nicht dort reingetan habe. Sie ist von Victoria’s Secret.
Ich packe das Geschenk aus und habe sofort Stoff in den Händen. Ich unterdrücke ein Stöhnen, als meine Hoffnung zunichtegemacht wird. Ich ziehe den cremefarbenen Spitzenslip und das dazugehörige Mieder heraus, das nicht groß genug aussieht, um viel zu verhüllen. Der Ausschnitt ist tief, und das Top ist nicht mal lang genug, um meinen Bauch zu bedecken.
Es ist definitiv hübsch. Und sexy. Verdammt sexy. Cole hätte seine wahre Freude daran, wenn er mich darin vorfinden würde.
Er wäre ohne Vorspiel sofort auf mir.
Aber warum hat sie mir das gekauft? Es ist ja nicht so, als würde ich keine sexy Unterwäsche anziehen. Ich brauche keine Nachhilfe darin, wie man einen Kerl auf sich aufmerksam macht, vielen Dank auch.
Aber dann bemerke ich einen Zettel auf dem Bett, der bei der Unterwäsche dabei gewesen sein muss. Ich nehme ihn und lese, was darauf steht.
AMATEUR-ABEND!
Mach dich nass! (Oder zumindest dein T-Shirt)
27. Mai, 21 Uhr
The Hook in der Jamison Lane
Hauptgewinn 300 $ !!!
»Super.« Ich lache leise auf und lasse den Flyer und die Unterwäsche kopfschüttelnd fallen. Meine eigene Schwester will, dass ich mich ausziehe. Was ist nur los mit ihr?
Ich werde nicht jedem alten Sack in der Stadt meine Brüste zeigen, nur um vielleicht dreihundert Dollar zu gewinnen. Ich kann im Grounders arbeiten, wo ich einige Leute mag, wo ich Musik hören kann und einen Job habe, bei dem ich Trinkgeld bekomme, das ich nach jeder Schicht in meine Tasche schiebe. Aber es gibt nichts, das ich an einem Wet-T-Shirt-Contest genießen würde – außer ich bin betrunken. Vielleicht.
Ich gehe sicher, dass die Rollläden geschlossen sind, dann ziehe ich mein Oberteil aus und knöpfe meine Jeans auf. Ich lasse alles auf den Boden fallen, greife an meinen Rücken, um den BH zu öffnen, und hole mir ein T-Shirt aus der Kommode.
Aber dann halte ich inne und werfe einen Blick auf die neue Unterwäsche auf dem Bett. Cole könnte bereuen, dass er so lange weggeblieben ist, wenn er nach Hause kommt und sieht, was er verpasst hat.
Ich ziehe meine Unterhose aus und die neue Wäsche an. Auf der Kommode steht meine Tasse mit Stiften, aus der ich eine Schere nehme und die Etiketten abschneide.
Ich stehe vor dem Spiegel, fahre mir mit den Fingern durch das Haar und zupfe die Wäsche über meiner Hüfte und an den Brüsten zurecht. Dann drehe ich mich um und betrachte mich von hinten im Spiegel.
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Cam ist nicht dumm. Es ist der perfekte Farbton an mir, da meine Bräune schon sichtbar ist. Der Slip sitzt perfekt auf meiner Hüfte, und auch ohne Bügel im BH kommen meine Brüste forsch und schmeichelhaft zur Geltung. Ich fahre mit der Hand über meinen glatten, flachen Bauch und die Kurven meiner Hüften entlang, während ich mir wünschte, dass jemand hier wäre, um den Anblick zu genießen und mich zum Lächeln zu bringen.
Mir wird ganz warm zwischen den Oberschenkeln, und ich muss daran denken, was für einen Unterschied andere Klamotten machen. Ich streife mir einen Träger über die Schulter und genieße es, dass ich mich so sexy fühle. Meine Klit beginnt zu pochen, und jetzt bin ich definitiv in Stimmung.
Schnell streife ich mir den Träger wieder über die Schulter, nehme mein Handy und schreibe Cole erneut, der immer noch nicht geantwortet hat.
Ich brauche dich jetzt hier, Baby. *Zwinker, zwinker*
Ich warte, aber die drei kleinen Punkte tauchen nicht auf. Also öffne ich die Spotify-App auf meinem Handy und mache leise Run to You an, während ich mich aufs Bett fallen lasse.
Jetzt bin ich hellwach.
Und angetörnt.
Ich schließe die Augen, lasse die Musik unter meine Haut kriechen und fahre langsam mit den Fingerspitzen über die Innenseiten meiner Oberschenkel, bis ich ein angenehmes Kribbeln auf der Haut verspüre. Sanft fasse ich mir zwischen die Beine, kreise meine Hüften und reibe an mir. Mein Blut erhitzt sich, und mein Puls geht schneller, als meine Klit prickelt.
Ich stöhne auf und spüre, wie meine harten Nippel gegen den Stoff drücken. Mit der anderen Hand umfasse ich eine Brust und drücke sie, während ich meinen Kopf zur Seite lege und mir das Haar ins Gesicht fällt.
Manchmal frage ich mich, ob ich das tun könnte, was meine Schwester tut. Wenn ich das ganze Geld sehe, das sie nach Hause bringt, und wenn ich die Geldsorgen und den Stress satthabe – könnte ich es dann einfach tun?
Ich drehe mich um, gehe auf meine Knie und beuge mich mit den Händen zwischen den Oberschenkeln nach vorne. Meine Brüste presse ich mit den Armen zusammen, sodass sie üppig aus dem Mieder hervorquellen. Als ich mit dem Kopf kreise, liebkost mein Haar meinen Rücken, und mit geschlossenen Augen beginne ich, mich zur Musik zu bewegen.
Nein, ich kann nicht tun, was sie tut. Ich will nicht, dass mir all diese Männer zusehen.
Aber ein Mann? Mein Freund zum Beispiel? Ein Mann, der mich begehrt und der mich mit gierigem Blick verschlingen würde, wenn ich für ihn tanze …
Er beobachtet mich. Ich bin in einem dunklen Raum, habe eine glänzende, weiße Bühne unter mir und sanftes, lila Licht über mir. Ich bewege mich auf allen vieren, schlängle mich über den Boden und beiße mir auf die Unterlippe, während ich mich nach vorn beuge, meine Oberschenkel spreize und meine Knie in den Boden drücke.
Er ist ganz weit dahinten, aber er ist hier. Er ist der Einzige. Ich gehöre ganz ihm. Er versteckt sich im Schatten und lehnt seine Schulter gegen die Wand, während er mir zuschaut. Ich kreise langsam meine Hüften, necke und reize ihn, bevor ich wieder auf die Knie gehe, mich am Bettgestell festhalte und mich bewege und tanze.
Der Träger meines Mieders fällt mir über die Schulter, und ich nehme meine nackte Brust in die Hand, während ich ihn ansehe. Die Zigarette – oder Zigarre – hängt locker in seiner Hand, und der Rauch steigt in die Luft empor. Er scheint sie völlig vergessen zu haben und starrt mich nur an.
Mir fällt ein, dass Cole nicht raucht, aber der Gedanke verschwindet, so schnell er gekommen ist.
Ich will, dass er mir zuschaut. Ich will, dass er mich begehrt. Ich spüre, dass er mich will, und das gefällt mir. O ja, und wie es mir gefällt. Sieh mir weiter zu. Ich frage mich, wie sein Mund schmeckt. Wie sich seine Zähne anfühlen. Meine Nippel werden noch härter und sehnen sich nach einem Mund.
Ich werde dich zum Höhepunkt bringen. Sieh mir einfach nur zu. Immer weiter und weiter.
Ich lehne mich auf meine Hände zurück, kreise schneller und härter mit den Hüften, und ich kann spüren, wie meine Haut mit Schweiß bedeckt ist, während ich meine Klit reibe und meinen Hintern für ihn bewege.
Nur für ihn.
»O Gott«, stöhne ich und fühle, wie sich mein Orgasmus aufbaut. »Ich komme. Ich komme …«
Aber dann hallt ein lauter Knall durchs Haus, und ich reiße meinen Kopf hoch und öffne die Augen. Scheiße!
Ich erstarre und lausche. Der Boden im Flur knarzt, und jemand geht den Gang entlang und dann die Treppe runter. Ich springe hastig aus dem Bett, für den Fall, dass es Cole ist.
Ich habe doch nicht seinen Vater aufgeweckt, oder? Das war so dumm! Was, wenn das Bett geknarzt hat?
Mein Gesicht brennt vor Scham, und ich schleiche zur Schlafzimmertür und öffne sie einen Spalt. Im Flur ist es immer noch dunkel, aber ich höre jemanden reden und dann unten eine Tür zuschlagen.
Stirnrunzelnd überquere ich den Flur, verstecke mich im Bad und schließe die Tür. Ohne das Licht anzumachen, gehe ich ans Fenster und öffne eine Seite.
»Nein, mach dir keine Gedanken. Es macht mir nichts aus, dass du mich deswegen geweckt hast«, höre ich Pike sagen. Er steht neben dem Pool und telefoniert. »Babys sind unberechenbar. Nimm dir alle Zeit, die du brauchst. Wir kommen die nächsten Tage schon klar.«
Er hat eine graue Jogginghose, aber kein Oberteil an, streicht sich mit der Hand über den Kopf und gähnt. Meine Schultern entspannen sich etwas. Wahrscheinlich hat ihn der Anruf geweckt.
Er nickt und sagt zu wem auch immer: »Schreib uns, wenn das Kind geboren ist. Gratuliere, Mann.«
Dann lacht er, und meine Muskeln entspannen sich vollends. Das wäre vielleicht peinlich gewesen, wenn er mich gehört hätte.
Ich will gerade das Fenster wieder schließen, da sehe ich, wie er etwas von einem der Gartentische nimmt und es in seinen Mund steckt, während er weiter seinem Gesprächspartner lauscht.
Ich halte inne und mache große Augen, als ich sehe, wie er sich eine Zigarre ansteckt. Meine Nackenhaare stellen sich auf, und mein Puls rast. Schnell schließe ich das Fenster, ohne darüber nachzudenken, ob er mich hört.
Was zum Teufel …? Ich habe ihn nie rauchen sehen. Warum sollte mir das in den Sinn gekommen sein …?
Hastig gehe ich in mein Zimmer zurück, schließe die Tür und ziehe mir die Unterwäsche aus. Mit einem T-Shirt und Shorts bekleidet mache ich die Musik und das Licht aus und klettere ins Bett.
Cam und ihre blöden, unterschwelligen Botschaften. Vielen Dank auch.
»Hey, Corinne! Ist Dad zu Hause?«, frage ich ins Telefon.
Ich höre, wie sich meine Stiefmutter am anderen Ende der Leitung bewegt und wie eine Tür quietschend geöffnet wird. »Chip!«, schreit sie – durch das jahrelange Rauchen ist ihre Stimme mittlerweile ziemlich heiser. »Es ist Jordan!«
Die Tür quietscht erneut, und ich glaube zu hören, wie die Fritteuse in der Küche angeht. Fast kann ich das körnige Linoleum bis hier unter meinen Füßen spüren. Ich bin so froh, dass ich nicht mehr in diesem Wohnwagen lebe, auch wenn das bedeutet, dass ich Coles Dad auf der Tasche liegen muss.
»Brauchst du Geld?«, fragt sie, während sie darauf wartet, dass mein Dad ans Telefon kommt. »Wir haben nämlich keins. Dein Dad hat sich vor ein paar Wochen den Rücken verrenkt und konnte seitdem nicht arbeiten. Es ist also gerade wirklich knapp.«
Ich blinzle. »Nein, ich …«, stammle ich und ärgere mich über ihre Frage. »Ich brauche kein Geld.«
Und wenn, dann wären sie die letzten Menschen, die ich fragen würde. Mein Vater hat nie Geld für mich, außer es brennt ihm ein Loch in die Tasche. Einer der vielen Gründe, warum meine Mutter weggelaufen ist.
Aber zumindest ist mein Dad bei uns geblieben.
»Chip?«, ruft sie wieder, wendet sich dann aber den Hunden zu. »Aus dem Weg, ihr zwei.«
Ich schüttle den Kopf und komme zu dem Schluss, dass eine einfache Textnachricht besser gewesen wäre. Wenn mein Dad es zum Telefon schafft, werde ich nur auflegen und mich darüber ärgern, dass er genauso gefühlskalt ist wie diese Frau. Zum Glück musste ich nicht allzu viel Zeit mit meiner Stiefmutter im Wohnwagen verbringen. Ich bin gegangen, sobald ich konnte.
»Ich wollte euch nur wissen lassen, dass ich umgezogen bin, falls ihr meine neue Adresse braucht.«
»O ja, richtig.« Ich höre, wie sie einatmet, und weiß, dass sie raucht. »Du bist mit Cole ins Haus seines Vaters gezogen. Das haben wir gehört.«
»Ja, ich …«
»Chip!«, schreit sie wieder und unterbricht mich mitten im Satz.
»Ist schon gut.« Erschöpft reibe ich mir die Augen. »Das war der einzige Grund, warum ich angerufen habe. Du musst Dad nicht holen, wenn er es sowieso schon weiß. Wir hören uns … ein andermal.«
»Okay.« Sie bläst Rauch aus. »Dann pass mal gut auf dich auf, und ich rufe dich in einer Woche oder so mal an. Dann kannst du zum Abendessen kommen oder so.«
Ich verkneife mir ein verbittertes Lachen. Es ist nicht lustig. Eigentlich ist es traurig. Aber sie legt auf, ohne darauf zu warten, dass ich mich verabschiede, und ich lege seufzend das Handy aufs Bett.
Weder mein Dad noch meine Stiefmutter sind schlechte Menschen, auch wenn mich keiner von beiden an meinem Geburtstag angerufen hat.
Ich wurde nie geschlagen oder verbal misshandelt. Einfach nur irgendwie vergessen. Sie haben immer was Schönes in ihrem Leben gewollt, und es war zu viel verlangt, sich von der Verantwortung oder der Fürsorge für ihre Kinder die kleinen Freuden verderben zu lassen, die ihnen Bier und Bingo-Abende verschafft haben.
Nachdem Cam in ihre eigene Wohnung gezogen ist, hatte ich keinen mehr zum Reden. In dem Wohnwagen war ich ein Niemand, und ich will mich nie wieder so alleine fühlen.
Ich nehme meinen Block vom Bett und widme mich wieder den Hausaufgaben für meinen Sommerkurs heute. Mein Buch liegt geöffnet vor mir, und ich klicke auf meinen Bleistift, um die Mine zu verlängern.
Es klopft an der Tür, und ich hebe angespannt den Kopf.
»Herein?«, sage ich, aber es klingt eher wie eine Frage. Cole würde nicht klopfen. Also muss es sein Vater sein. Habe ich Wäsche im Trockner gelassen? Den Ofen nicht ausgeschaltet? Schnell gehe ich im Kopf meine Checkliste durch.
Die Tür schwingt auf, und Pike steht im Türrahmen, die Hand immer noch am Türgriff.
»Ich bestelle Pizza zum Abendessen«, sagt er. »Kommt Cole bald heim?«
Ich spiele mit dem Stift in meinen Händen. »Einer seiner Freunde wurde befördert«, erkläre ich. »Sie veranstalten eine Party auf der Farm seines Vaters. Er wird mit Sicherheit erst spät heimkommen.«
Er bleibt einen Moment dort stehen, und seine große Statur nimmt den ganzen Türrahmen ein. Mein Blick fällt auf die Tattoos auf seinen Armen, also schaue ich schnell nach unten und tue so, als wäre ich in meine Hausaufgaben vertieft.
»Gehst du nicht hin?«, fragt er weiter.
Ich deute auf die Unibücher vor mir.
Er nickt verständnisvoll. »Na gut …« Er schaut mich einen Moment lang unsicher an und fährt dann fort: »Aber du musst auch was essen, oder? Welche Pizza magst du?«
»Nein, ist schon okay«, sage ich kopfschüttelnd zu ihm. »Ich habe schon gegessen.«
Sein Blick fällt auf den Teller mit dem zur Hälfte aufgegessenen Erdnussbuttersandwich, und ich weiß, was er jetzt denkt. »Okay.«
Er will gerade die Tür schließen, hält aber dann inne. »Du weißt, dass du dich nicht hier oben verstecken musst, oder?«
Ich blicke auf und spanne mein Rückgrat an. »Ich verstecke mich nicht.« Ich lache halbherzig, aber ich glaube nicht, dass er es mir abnimmt.
»Du hilfst im Haushalt«, sagt er. »Du revanchierst dich dafür, in diesem Haus wohnen zu dürfen. Wenn du also den Pool nutzen willst oder Freunde einladen … dein Zimmer verlassen … dann ist das in Ordnung.«
Ich benetze meine Lippen. »Ja, ich weiß.«
»Okay«, sagt er schließlich. »Dann werde ich wohl meine Pizza alleine essen. Und wie immer noch tagelang Reste übrig haben.«
Er seufzt theatralisch auf.
»Dann bestell besser keine zu große«, murmle ich und schaue wieder auf meinen Block.
Aber sein leises Lachen, bevor er die Tür schließt, sagt mir, dass er meine schnippische Bemerkung gehört hat.
Mit Sicherheit hat er in all den Jahren, in denen er hier schon alleine gelebt hat, schon viele Pizzen bestellt. Er versucht also nur, nett zu sein und mir das Gefühl zu vermitteln, willkommen zu sein. Was toll von ihm ist, und ich weiß es zu schätzen, aber deswegen fühle ich mich nicht weniger wie eine Schmarotzerin. Ich kann ihn nicht auch noch eine Pizza für mich kaufen lassen.
Und dann denke ich daran, wie alleine ich mich im Wohnwagen meines Vaters gefühlt habe und wie alleine ich mich manchmal mit Cole fühle. Vielleicht ist Pike Lawson es leid, alleine zu sein, alleine zu essen, alleine fernzusehen. Und ich bin Gast in seinem Haus, und vielleicht möchte er die Leute kennenlernen, die unter seinem Dach leben? Das klingt nur logisch.
Und vielleicht bin ich es auch leid, und vielleicht habe ich immer noch Hunger, und Pizza klingt eigentlich ziemlich gut.
Ich atme tief aus und schiebe den Block von meinem Schoß, bevor ich aufstehe. Schnell gehe ich zur Schlafzimmertür, mache sie auf und schaue hinaus.
»Joe’s Pizza ?«, rufe ich ihm hinterher.
Er bleibt kurz vor dem Treppenabsatz stehen, dreht sich um und schaut mich an. »Natürlich.«
Es ist die beste Pizzeria der Stadt, also ist die Frage eigentlich völlig überflüssig. Ich verlasse mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir. »Halbe-halbe?«