13. KAPITEL
Lincoln
Das unverwechselbare Geräusch, wie der Hahn einer Schrotflinte gespannt wird, ist das Letzte, was ich hören will, als ich die Tür zum Haus des Kommodores öffne.
»Du Mistkerl! Das war meine Forelle. Ich habe ein ganzes gottverdammtes Jahr darauf gewartet, sie zu fangen.« Magnus Gables Stimme ist ebenso deutlich wie das Geräusch der Schusswaffe.
»Ist doch nicht meine Schuld, dass du ein miserabler Angler bist!«
Wieder ertönt das Spannen eines Schrotflintenhahns.
Herrgott noch mal.
»Hey! Lass die …«
Zwei Schüsse fallen.
Ich schiebe die Tür auf und stürme ins Haus, um zu sehen, wie der Kommodore von seinem Elektrorollstuhl aus erneut anlegt. Blut tropft von seinem Gesicht.
»Du hast mich verfehlt, du Mistkerl!«
»Sir, da ist Blut!«
Goose springt von den Dielen der Veranda auf und trottet auf mich zu. Diesem verdammten Hund scheint das Abfeuern der Waffen deutlich weniger auszumachen als mir.
Der Kommodore schüttelt den Kopf, wobei Blut auf die lederne Armlehne spritzt. »Splitter. Ist nur ein Kratzer. Gables Schrotmunition hat ein Loch in das gottverdammte Haus gerissen. Jetzt werde ich seine Fenster zertrümmern.«
»Stellt sofort das Feuer ein, sonst rufe ich die Polizei und hetze sie euch beiden auf den Hals!« Ich brülle so laut, dass mich auch Magnus nicht überhören kann, selbst wenn er ziemlich taub ist.
»Du hast ein Weichei großgezogen, Riscoff!«, schreit Magnus. »Meine Verwandtschaft würde sich eine Waffe schnappen und mitschießen!«
Ich zücke mein Handy, da ich an diesem Morgen nicht in der Stimmung bin, mich erschießen zu lassen. »Das ist eure letzte Chance, bevor ich den Sheriff rufe.«
Der Kommodore wirft mir einen strengen Blick zu. »Steck das verdammte Handy weg. Du lässt mich schlecht dastehen.« Blut strömt über eine Seite seines Gesichts und färbt seinen weißen Bart rot.
»Hier ist mein Angebot: Ihr vertagt eure Fehde, damit ich Erste Hilfe leisten und mich dann mit dir ums Geschäft kümmern kann. Danach, sobald ich wieder weg bin, könnt ihr zwei euch nach Herzenslust beschießen.«
Der Blick des Kommodores würde einen geringeren Mann zu Tode ängstigen, aber ich habe genug von diesem Quatsch. Ich werde nicht zulassen, dass Magnus Gable ihm heute eine Kugel verpasst, nicht wenn ich immer noch an meiner Strategie arbeite, um mir seine Großnichte zu schnappen.
Der Kommodore wischt sich Blut vom Gesicht und schaut auf seine Hand. »Superkleber und Panzerband sind in der Küchenschublade. Ich brauche keinen verdammten Erste-Hilfe-Kasten. Und pass ja auf, wie du mit mir redest. Du bestimmst nicht über mich, Junge. Ich bestimme über dich. Vergiss das nicht.«
Ich spanne den Kiefer an. »Vielleicht sollte ich einfach zulassen, dass ihr zwei euch gegenseitig umbringt, dann hätte ich sehr viel weniger Probleme, um die ich mich kümmern muss.«
Der Kommodore spuckt wütend, als ich mich in Richtung Küche aufmache.
Ich respektiere den Mann und die Opfer, die er gebracht hat, um die Riscoff Holdings zu dem zu machen, was sie heute sind. Aber er lebt in der Vergangenheit, und wir werden nicht prosperieren, indem er dort bleibt. Ich habe die letzte Nacht damit verbracht, noch einmal die Informationen für die Übernahme zu überprüfen, die ich tätigen will. Nicht nur weil ich mich damit von Whitney ablenken wollte, sondern auch weil wir die Firma erneut vergrößern müssen. Ansonsten werden wir eingehen, statt zu florieren.
Das wird dem Kommodore nicht gefallen. Ich weiß es bereits, aber ich brauche seine Einwilligung, um an der Versteigerung teilnehmen zu können, damit wir uns eine der lukrativsten neuen Technikfirmen unter den Nagel reißen können. Diese Firma verfügt über das Know-how, das wir brauchen, um die nächste Generation des Transportwesens zu revolutionieren.
Ich schnappe mir eine Handvoll Papiertücher und reiße Küchenschubladen auf, um die Sachen zu finden, die der alte Mann haben will. Er bräuchte eine Haushälterin. In der letzten Schublade liegt abgesehen von allerlei Kleinkram ein Stapel Papiere. Direkt vorne ist der Superkleber, und ich nehme die Dokumente heraus, um nach dem Panzerband zu suchen.
Ich erstarre, als mein Blick auf einen Brief fällt, der aus einem hellbraunen Umschlag rutscht. Auf dem Umschlag steht der Name meines Vaters.
Was zum Teufel ist das?
Ich vergesse die beiden alten Männer, die sich gegenseitig mit ihren Schrotflinten bedrohen, und ziehe den Brief ganz aus dem Umschlag. Vier Worte fallen mir sofort ins Auge.
ANTRAG AUF EINEN VATERSCHAFTSTEST
Was zum Teufel ist hier los?
Ich überfliege den Rest des Dokuments. Laut dem Datum ist es drei Monate alt. Im Briefkopf steht, dass es von einer Anwaltskanzlei in New York stammt. Sie wollen eine DNA-Probe … von meinem verstorbenen Vater.
Zum Teufel mit dem Superkleber und dem Panzerband. Der Kommodore kann bluten, bis er mir verrät, was in aller Welt es hiermit auf sich hat und warum er es nicht erwähnt hat. Ich umklammere den Brief und marschiere damit auf die Veranda hinaus. Dabei habe ich Magnus Gables Haus den Rücken zugewandt.
»Was zum Teufel ist das?« Ich halte den Brief hoch. »Wer will einen Vaterschaftstest?«
Der Kommodore lässt die Schrotflinte auf seinen Schoß sinken und dreht den Rollstuhl so, dass er mich anschauen kann. »Leg das zurück.«
»Auf keinen Fall. Du musst mir erzählen, was es damit auf sich hat. Wenn es jemanden gibt, der versucht, sich einen Teil der Familienfirma unter den Nagel zu reißen, weil er sich dadurch schnellen Reichtum verspricht, müssen unsere Anwälte der Sache so schnell wie möglich ein Ende machen.«
Die Miene des Kommodores wird strenger. »Das geht ganz allein mich etwas an.«
Ich mustere den alten Mann, den ich immer nur als vollkommen skrupellos erlebt habe, wenn es um seine geschäftlichen Konkurrenten ging. Ganz zu schweigen von dieser dämlichen Fehde mit den Gables. Irgendetwas stimmt hier nicht.
»Du solltest diese Person vernichten. Warum versteckst du den Brief? Glaubst du, dass eine Chance besteht, dass da etwas dran ist?«
Er senkt den Blick zum Boden der Veranda. Dann verstaut er die Schrotflinte ein wenig sicherer und fährt mit seinem surrenden Elektrorollstuhl auf mich zu. »Wir können drinnen darüber reden. Wir sollten nicht riskieren, dass Gable uns belauscht, während wir über unsere schmutzige Wäsche sprechen.«
Ich gehe aus dem Weg, während der Kommodore im Wohnzimmer verschwindet. Sobald wir beide im Haus sind, schließe ich die Tür.
»Dann hältst du die Sache also für echt.«
Er dreht sich herum, um mich anzusehen, doch seine Miene ist undeutbar. Er atmet ein und dann lange aus, während er mit einem Daumen auf den hölzernen Griff der Schrotflinte tippt. Mein Verstand rast mit jeder Sekunde, die ohne eine Antwort von ihm vergeht, schneller.
»Roosevelt war kein Heiliger, so viel ist klar. Es wäre nicht weiter überraschend, wenn er ein paar uneheliche Kinder in die Welt gesetzt hätte.«
Der Kommodore hätte mir ebenso gut in den Bauch schießen können. Roosevelt ist mein Vater. Oder besser gesagt: Er war es.
»Ist das dein Ernst?« Ich habe meinen Vater nie als Heiligen gesehen. Ganz und gar nicht. Aber die Vorstellung, dass er andere Kinder haben könnte, ist etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich auch nur darüber nachdenken müsste.
Was. Zum. Teufel?
»Es ist möglich«, sagt der Kommodore einfach nur.
»Und was unternimmst du deswegen? Wir müssen es wissen. Wir müssen Entscheidungen treffen. Handeln. Eine Strategie entwickeln.«
Mein Verstand rast mit Lichtgeschwindigkeit. Die Erbfolge der Riscoff-Familie ist noch nie infrage gestellt worden. Seit dem Tag meiner Geburt bin ich der Riscoff-Erbe gewesen. Seit über einhundertsiebzig Jahren sind die Firma und das Vermögen an den ältesten männlichen Nachkommen weitergereicht worden, und jedem anderen Nachkommen steht rechtmäßig nichts zu.
»Ich habe mich darum gekümmert. Unauffällig, weil ich nicht wollte, dass der Familienname schon wieder durch den Dreck gezogen wird.« Er kneift die Augen zusammen und schaut mich an. »Das können wir nicht gebrauchen.«
»Du hast denen gesagt, dass sie keine DNA-Probe erhalten können, richtig?«
Der Kommodore nickt langsam und sieht plötzlich aus, als wäre er um zwanzig Jahre gealtert. »Sie wollen die Leiche exhumieren. Laut dem letzten Brief habe ich dreißig Tage Zeit, um zuzustimmen. Danach reichen sie einen Antrag beim Gericht ein.«
Mein Kopf füllt sich mit statischem Rauschen.
Sie wollen den Sarg meines Vaters öffnen. Seine Leiche herausholen. Um herauszufinden, ob es einen weiteren potenziellen Riscoff-Erben gibt, der Anspruch auf das Familienvermögen erheben könnte.
Das wird nicht passieren.
»Herrgott noch mal.« Meine Stimme klingt rau, und ich schüttle den Kopf. Ich schaue dem alten Mann in die Augen. »Was haben sie gesagt, als du ihnen mitgeteilt hast, dass das auf gar keinen Fall passieren wird?«
Er hebt das Kinn. »Ich habe noch nicht geantwortet. Ich denke noch darüber nach.«
Ich blinzle zweimal und starre ihn an, als würde ich die Sprache, die er spricht, nicht verstehen. »Das soll doch wohl ein verdammter Witz sein.«
»Rede nicht in diesem Ton mit mir, Junge. Ich treffe die Entscheidungen.« Er umfasst beide Armlehnen seines Rollstuhls. »Wir können wegen dieser Angelegenheit kein Gerichtsverfahren gebrauchen. Wie würde uns das deiner Meinung nach dastehen lassen? Und denk auch mal an deine Mutter! Sie würde verdammt noch mal den Verstand verlieren.«
Die Realität der Situation trifft mich. Wenn sie meinen Vater ausbuddeln, wird meine Mutter einen Herzinfarkt bekommen. Vielleicht nicht buchstäblich, aber ihre Reaktion wäre nah genug dran. Sie könnte das niemals verkraften. Aber warum würde Kommodore Riscoff, der Mann, der sich niemals zu irgendetwas zwingen lässt, das zulassen?
»Sie wollten einen Vergleich, und du hast abgelehnt, oder?«
Er nickt knapp. »Danach kam der Antrag auf Exhumierung.«
»Verdammt. Sie müssen wirklich denken, dass diese Person der Sohn meines Vaters und älter als ich ist. Nur so ergibt es finanziell betrachtet Sinn, der Sache auf den Grund zu gehen.« Wieder schaue ich dem alten Mann in die Augen. »Willst du alles einem vollkommen Fremden überlassen? Jemandem, der sich die letzten zehn Jahre lang nicht die Finger wund gearbeitet hat, um dein Erbe zu schützen und zu bewahren? «
Der Blick des Kommodores wird steinhart. »Mir gefällt das alles nicht. Und ich habe noch nicht den Löffel abgegeben. Ich kann mein Testament jederzeit ändern, wenn ich will. Du tätest gut daran, das nicht zu vergessen, Junge. Ich entscheide immer noch, wer was bekommt. Wenn ich meine Meinung ändere, gibt es keine Familientradition, die mich zu irgendetwas verpflichtet.«
Ich lege den Kopf in den Nacken, starre zur Holzdecke hinauf und versuche verzweifelt, in dem Chaos, das gerade in mein Leben hereingebrochen ist, klar zu denken. Als ich mich gesammelt habe, schaue ich zum wiederholten Mal in die dunkelbraunen Augen des alten Mannes.
»Was soll ich tun? Denn wir können etwas dagegen unternehmen. Sie brauchen einen Gerichtsbeschluss für die Exhumierung.«
Er spannt den Kiefer an. »Ich habe mich noch nicht entschieden, wie ich vorgehen will. Aber ich würde mich sehr viel besser fühlen, wenn ich wüsste, dass die Zukunft der Familie gesichert ist, indem die Linie weitergeführt wird.«
Ich starre ihn an und weiß nicht genau, warum ich schockiert bin, aber ich bin es. »So willst du die Sache regeln? Du willst, dass ich irgendeine Frau schwängere, um dann darauf zu hoffen, dass es ein Junge wird, damit du das sichere Gefühl haben kannst, dass die Familienlinie weitergeführt wird?«
Er presst die Lippen zusammen. »Heirate die Frau, bevor du sie schwängerst.«
»Ich habe deine Spiele jahrelang mitgespielt.« Ich mache einen Schritt auf ihn zu und balle die Hände zu Fäusten. »Ich habe alles getan, was du je von mir verlangt hast. Aber hier ist bei mir Schluss.«
Eine schwere Stille legt sich über uns. Dann lehnt sich der Kommodore in seinem Rollstuhl zurück.
»Du willst nicht dafür sorgen, dass wir eine neue Generation von Riscoffs bekommen? Dann gibt es für mich keinen Grund, nicht herauszufinden, wer dieser andere Erbe sein könnte.«
Ich beiße die Zähne so fest zusammen, dass ich befürchte, sie zu zerbrechen. Als ich die Wut, die durch meinen Körper rauscht, einigermaßen unter Kontrolle habe, spreche ich schließlich wieder. »So willst du das also machen?«
Der Kommodore lächelt, als wäre er Niccolò Machiavelli persönlich. »Du wirst dich fügen. Das tust du immer. Sorg nur dafür, dass es nicht dieses Gable-Mädchen ist.«