18. KAPITEL
Whitney
Gegenwart
Ich habe mich seit Monaten nicht mehr so entspannt gefühlt. Nach einer Massage und einer Gesichtsbehandlung, dank derer ich mich wie eine neue Frau fühle, führt man mich in den Schminkbereich, um diesen scheußlichen Bluterguss in meinem Gesicht zu überdecken.
Als ich den Raum betrete, sehe ich zu meinem Schrecken eine Frau, die ich kenne. »Gabi?«
»Whitney? Herrgott, das muss ja eine Million Jahre her sein.« Sie eilt auf mich zu und umarmt mich.
In den letzten paar Tagen bin ich öfter in die Arme genommen worden als in den ganzen letzten zehn Jahren, und das fühlt sich wirklich, wirklich gut an. Mir war nicht klar, wie sehr mir die Gesellschaft von Menschen fehlte, die mich nicht nur als »Ricky Rangos Ehefrau« kannten.
»Eher eine Million und eins. Ich wusste nicht, dass du wieder hier lebst.«
Gabi war auf der Highschool eine meiner engsten Freundinnen gewesen, aber wir verloren uns aus den Augen, als sie wegzog, um aufs College zu gehen, und ich in Gable blieb und darauf wartete, dass Ricky in L. A. der große Durchbruch gelang.
»Seit etwa zwei Jahren. Ich habe mich scheiden lassen und wollte meine Kinder nicht in der Nähe dieses Arschlochs großziehen, also lebe ich jetzt hier. Ich bin zweiunddreißig und wohne bei meinen Eltern. Ich habe es echt geschafft, weißt du?«
Ich lächle. »Ich bin gerade wieder bei meiner Tante eingezogen. Ich glaube, wir haben es im Leben beide zu etwas gebracht.«
Ihr Lächeln verblasst, als sie das helle Licht des Schminktischs einschaltet und den Bluterguss in meinem Gesicht sieht. »Wen muss ich dafür killen, dass er dir das angetan hat?«
Wärme breitet sich in mir aus. Es ist auch lange her, dass es in meinem Leben Menschen gab, die mir ohne zu zögern dabei helfen würden, eine Leiche zu vergraben.
»Das ist eine lange, langweilige Geschichte, und ich arbeite hart daran, sie hinter mir zu lassen. Momentan würde ich das Veilchen lieber verdecken und so tun, als wäre es nie passiert.«
»Das kann ich gut verstehen. Mein Ex hat mich einmal geschlagen. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Dank der ganzen Fotos, die ich gemacht habe, habe ich das alleinige Sorgerecht erhalten. Das war es wert, denn jetzt darf er meine Kinder nie wieder ohne Aufsicht sehen.«
Ich greife nach ihrer Hand und drücke sie. »Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest.«
»So ist nun mal das Leben. Mal läuft es schlecht, mal gut. Es liegt an uns, wie lange wir das Schlechte hinnehmen. Ich dachte, ich hätte gehört, dass du dich scheiden lassen wolltest, bevor … bevor dein Mann starb.« In ihren Worten schwingt der Anflug einer Frage mit, und ich nicke.
Ich weiß, dass mich die Geschichte für den Rest meines Lebens verfolgen wird, wohin ich auch gehe, also kann ich mich ebenso gut daran gewöhnen, wenn jemand darauf zu sprechen kommt. »Vermutlich hast du auch gehört, dass ich ihn umgebracht haben soll.«
Gabi senkt kurz den Blick, bevor sie mir wieder in die Augen schaut. »Ja, das habe ich gehört, aber ich habe es nicht geglaubt.«
»Damit gehörst du zu einer sehr kleinen Minderheit. Ich war nicht mal dabei, als es passierte. Aber seine Fans werden das niemals glauben. Sie wollen, dass ich in dieser Geschichte die Böse bin.«
»Tut mir leid, dass du dich damit herumschlagen musstest. Man sollte meinen, dass es toll ist, mit einem Rockstar verheiratet zu sein …« Sie wirft wieder einen Blick auf mein blaues Auge. »Aber offensichtlich hat es auch seine Schattenseiten.«
Ich nicke. »Die Presse und die Fans sind immer noch völlig außer sich, aber ich hoffe, dass sie mich hier nicht aufspüren werden. Zumindest für eine Weile nicht.«
»Von mir wird niemand erfahren, dass du wieder zu Hause bist. Das schwöre ich.« Sie beschreibt ein X über ihrem Herzen, wie wir es früher als junge Mädchen immer machten.
»Das weiß ich zu schätzen.«
»Und jetzt Schluss mit diesem Thema.« Gabi hebt mein Kinn mit zwei Fingern an, um mein Gesicht zu betrachten. »Wir überschminken das und sorgen dafür, dass du so verdammt heiß aussiehst, dass Lincoln Riscoff nicht wissen wird, wie ihm geschieht, wenn er dich sieht.«
Als sie seinen Namen ausspricht, erstarre ich. »Du … weißt davon?«
»Ich glaube, in dieser Stadt gibt es keinen einzigen Menschen, der nicht weiß, dass er bei deiner Hochzeit Einspruch eingelegt hat. Dieser Moment ist unvergesslich.« Sie hält inne, um Luft zu holen. »Ich bin mir sicher, dass es allen gefallen würde, wenn du ihn von dieser Zicke weglockst, die denkt, dass sie sich ihn geangelt hat. Uns allen ist klar, dass sie nur auf sein Geld aus ist, aber Mrs Riscoff scheint sie zu akzeptieren. Ich war mir absolut sicher, dass sie aus den Latschen kippen würde, falls Lincoln darüber nachdenken sollte, sich noch mal mit einer Frau zu verloben, die nicht ihren Ansprüchen genügt.«
Noch mal?
»War er vorher schon einmal verlobt?« Ich habe keine Ahnung, warum sich mein Hirn ausgerechnet auf diese Information stürzt. Ich muss eindeutig verrückt sein.
Abgesehen davon: Wieso wusste ich nicht, dass Lincoln verlobt war? Oh, Moment, weil ich zehn Jahre lang so getan habe, als würden Lincoln Riscoff und ganz Gable nicht existieren, während ich damit beschäftigt war, Ricky bei seiner Karriere zu unterstützen.
»Beinahe, aber dann hat man sie im Bett mit seinem Bruder erwischt, also hat sie keinen Ring bekommen.«
»Was?« Mein Ausruf hallt durch den Raum.
»Es war ein richtiger Skandal. Mrs Riscoff landete mit Brustschmerzen im Krankenhaus, aber wenn du mich fragst, wird diese alte Schreckschraube nicht so schnell sterben. Sie ist fest entschlossen, die Geburt des nächsten Riscoff-Erben zu erleben, bevor sie diese Erde verlässt.«
Dazu kann ich nichts sagen, denn verdammt noch mal , ich habe wirklich viel verpasst. Ich schlucke meinen Schock hinunter.
»Rutsch mal auf dem Stuhl ein wenig nach vorne. Ich werde dir die Geschichte erzählen, während ich dich schminke.«
Fast hätte ich gesagt, dass mich das nicht interessiert, aber wem will ich etwas vormachen? Natürlich will ich die Geschichte hören. Es ist so gut wie unmöglich, nicht alles erfahren zu wollen, was in meiner Abwesenheit mit Lincoln passiert ist.
Während Gabi Grundierung auf mein Gesicht aufträgt, frage ich: »Und dieses Mal heißt sie Maren Irgendwas?« Ich stelle die Frage so, als hätte ich mir den Namen der Frau, die Cricket beinahe von der Straße gedrängt hätte, nicht eingeprägt.
»Maren Higgins. Sie ist außerdem echt anstrengend. Sie hält sich bereits für die Besitzerin des Herrenhauses, obwohl Lincoln nicht mal auf dem Riscoff-Anwesen wohnt und sich schon seit Jahren nicht mehr dort aufhält. Zum Glück hat Ms Riscoff ihr klargemacht, dass sie nicht hier auftauchen und uns herumkommandieren kann, es sei denn, sie bezahlt den vollen Preis, also kommt sie nur selten her. Sie stammt aus der Stadt. Der Name ihrer Familie klingt nobel, aber sie sind die Art von wohlsituierten Leuten, die eine Finanzspritze benötigen. Als sie ihre Chance bei Hunter Havalin verspielt hatte, kletterte sie in der Nahrungskette weiter nach oben, weil die Riscoffs jede Menge Geld haben. Ich bin mir nicht sicher, warum sie sich nicht gleich auf Lincoln gestürzt hat, aber es haben schon ausgekochtere Frauen als sie ein Auge auf ihn geworfen und versagt. Allerdings habe ich immer noch keine Ahnung, warum er Monica heiraten wollte. Ich glaube, das versteht niemand.«
Gabi überhäuft mich gerade mit so vielen Informationen, dass ich Schwierigkeiten habe, sie alle zu verarbeiten … während ich die winzigen Flammen der Eifersucht austrete, von denen ich so tue, als würden sie nicht existieren.
Er gehört nicht mir. Das wird er nie. Es ist mir egal. Das ist nur unterhaltsamer Tratsch. Das ist alles.
Ich bin eine elende Lügnerin.
»Also ist Monica die Ex, die mit Harrison geschlafen hat. Wie lange ist das her?«, frage ich möglichst beiläufig, als würde ich nur Konversation betreiben. In Wahrheit bin ich wahnsinnig neugierig.
»Die Monica-Ära habe ich verpasst. Das war nur ein paar Jahre nachdem du die Stadt verlassen hast. Übrigens … sie hatte schwarzes Haar, blaue Augen und einen Körper, der aussah, als wäre er geradewegs einem schicken Dessous-Modekatalog entstiegen.«
Ich erstarre, während sich Gabi an meinen Augenbrauen zu schaffen macht.
Schwarzes Haar und blaue Augen? Das kann kein Zufall sein …
»Und Maren?«, versuche ich schnell das Thema zu wechseln. »Wie sieht sie aus?«
»Wie die Art von Frau, die man liebend gern hasst. Blond. Superschmale Taille. Tolle Brüste. Ellenlange Beine. Dauergebräunte Haut. Sie sieht umwerfend aus, und das weiß sie auch.«
»Klingt … reizend.« Das letzte Wort spreche ich in sarkastischem Tonfall aus.
»Oh Whit, Gott, du solltest sie mal erleben. Sie ist wie Regina George aus Girls Club . Führt sich auf wie eine Oberzicke, aber natürlich nur dann, wenn Lincoln nicht dabei ist. Als ich mich einmal um ihr Make-up kümmern musste, spielte ich mit dem Gedanken, etwas in die Grundierung zu mischen, um eine allergische Reaktion auszulösen, weil sie so schrecklich war. Wenn man mich dafür nicht gefeuert hätte, hätte ich es glattweg getan.«
»Herrje.«
»Ja, er pickt sich echt die besten Frauen raus. Wenigstens hat er bislang verhindert, dass sich daraus etwas allzu Ernstes entwickelt. In letzter Zeit wirkt es eher wie eine lockere Beziehung. Wenn du mich fragst, benutzt er sie nur für Gelegenheitssex. Und die arme Frau denkt, dass sie sich auf diese Weise den Riscoff-Erben schnappen kann. Meiner Meinung nach ist sie verrückt. Er wird nichts kaufen, was er auch umsonst bekommen kann, und dieser Mann kann alles umsonst bekommen.«
Ihre Worte treffen mich zutiefst.
Von mir hat er es auch umsonst bekommen … Und trotzdem wollte er mehr.
»Soll ich deine Augen natürlich oder mit mehr Glamour schminken?«, fragt Gabi und hält eine Lidschattenpalette hoch, während eine ihrer Kolleginnen mit einer Frau in Bademantel und Sandaletten hereinkommt. Sie setzen sich an den Tisch auf der anderen Seite des Raums.
»Natürlich ist gut. Ich brauche keinen Glamour. Schließlich will ich mich nicht aufbrezeln, um irgendwohin zu gehen.«
»Nein, aber man weiß nie, wem man begegnen wird …«
Wir beide wissen sehr genau, von wem sie redet, und ich will nicht mal darüber nachdenken, was passieren wird, wenn ich Lincoln das nächste Mal sehe. Selbst wenn ein Autofenster zwischen uns ist und ich so tue, als wäre er nicht da, komme ich kaum mit der Situation zurecht.
Ich wünschte, ihn einmal zu sehen hätte ausgereicht, um mir zu zeigen, dass er mir egal ist. Aber es hat nur gezeigt, dass ich mir jahrelang etwas vorgemacht habe. Mein Körper erwachte brüllend zum Leben, als wäre ich die letzten zehn Jahre lang schlafwandelnd durch die Welt gegangen.
Ich verdränge das alles und konzentriere mich auf das Schminken. »Solange du mein grandioses Veilchen abdeckst, werde ich klarkommen.«
Gabis Fröhlichkeit bekommt einen Dämpfer angesichts der unschönen Realität, die der Grund für meinen Besuch hier ist. »Verrätst du mir, wo du ihn vergraben hast? Den Kerl, der dich geschlagen hat?«
»Ich habe Anzeige erstattet. Ich hoffe, dass ich ihn niemals wiedersehen muss.«
»Gut gemacht. Irgendwann werden wir beide mal zusammen ausgehen, etwas trinken und uns gegenseitig auf den neuesten Stand bringen. Klingt so, als könnten wir das beide gebrauchen.« Sie hält kurz inne. »Und nur damit du es weißt: Niemand in dieser Stadt hat sonderlich viel für Ricky übrig. Ich garantiere dir, dass dir die Leute hier nicht die Schuld für das geben, was passiert ist.«
Ich muss meine ganze Willenskraft aufbringen, um weiter zu lächeln und die Tränen zurückzuhalten. »Danke. Das bedeutet mir sehr viel.«
»Natürlich, Whit. Du bist jetzt unter Freunden.«
Sie reicht mir ein Taschentuch, und ich tupfe vorsichtig an meinen Augen herum.
»Es ist eine Weile her, seit ich mit jemandem reden konnte, der keine üblen Hintergedanken hegte. Ich dachte, dass ich in L. A. ein paar gute Freundinnen gefunden hätte, aber dann musste ich zu meinem Schrecken feststellen, dass die Dinge, die ich ihnen anvertraut hatte, in den Klatschzeitschriften auftauchten.«
Gabi hält mitten in der Bewegung kurz inne. »Diese Miststücke. Ich hoffe, dass sie eine Geschlechtskrankheit bekommen.«
Ich verziehe die Lippen zu einem schwachen Lächeln. »Ja, nicht wahr? Bis dahin wusste niemand, dass er je einen Entzug gemacht hatte … Aber sie haben dieses Geheimnis schnell verbreitet.«
»Du bist auch während des Entzugs bei ihm geblieben? Gott, das wusste ich nicht.«
»Wir haben es geschafft, dass keiner Wind davon bekommen hat, weil ich ihm Rückendeckung gegeben habe. Wir haben so getan, als wären es unsere zweiten Flitterwochen auf Fidschi.«
»Davon habe ich gelesen! Also warst du gar nicht auf Fidschi?«
»Nein. Ich bin sechs Wochen lang im Haus geblieben, ohne vor die Tür zu gehen. Damit unsere Geschichte nicht aufflog, durfte mich ja niemand sehen.«
»Klingt, als hättest du für diesen Mann ein paar große Opfer gebracht.«
Ich zucke mit den Schultern. »Geht es nicht darum in einer Ehe? Um Opfer?«
»Ich bin durch mit diesem ganzen Mist«, sagt Gabi. »Jetzt geht es nur noch um mich und meine Kinder.«
»Amen.«
»Weißt du, abgesehen von einem gelegentlichen Abenteuer versuche ich es wirklich ruhig zu halten.« Sie hält inne. »Kennst du irgendwelche Typen aus Hollywood, die auf eine kleine Affäre aus sind? Ich halte viel von Fernbeziehungen.« Als ich lache, lächelt sie. »Schon gut. Ich hätte ohnehin keine Lust auf deren ganzes Theater.«
»Glaub mir, damit willst du nicht das Geringste zu tun haben. Diese Leute sind alle absolut falsch.«
Sie hält die Palette hoch. »Da wir gerade von falsch reden, lass uns dafür sorgen, dass du so natürlich hübsch aussiehst, dass Lincoln Maren vollkommen vergessen wird, sobald er dein umwerfendes Gesicht sieht.«
»Was hat sie hier zu suchen?«
Eine Stimme, die ich am liebsten für immer vergessen hätte, hallt schneidend durch den Raum. Ich schaue auf und sehe Mrs Riscoff, die in der Tür steht.