21. KAPITEL
Whitney
Die Vergangenheit
»Triff mich in zwanzig Minuten im Flur im zweiten Stock.«
Ich wusste, dass ich nicht in diesem Haus sein sollte. Ich konnte nicht aufhören, über die Schulter zu schauen, auch wenn ich einen absolut guten Grund hatte, hier zu sein.
Die Haushälterin der Riscoffs hatte Verstärkung angefordert, um das komplette Anwesen für eine große Party, die sie morgen Abend veranstalten wollten, von oben bis unten zu reinigen. Und irgendeine verrückte Wendung der Ereignisse hatte dazu geführt, dass Tante Jackie das Angebot erhalten und es sofort angenommen hatte, weil die Bezahlung so gut war.
Wir waren seit etwa einer Stunde in diesem Haus, da kam Lincoln und entdeckte mich, als ich gerade die vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster im Salon putzte. Er hatte mir diese Worte ins Ohr geflüstert, während eine der anderen Hausangestellten nur wenige Meter entfernt gewesen war, um einen Kronleuchter zu reinigen.
Worte, die ich ignorieren sollte, wenn ich weiß, was gut für mich ist.
Wir hatten uns zwei Monate lang heimlich getroffen, und jedes Mal hatte ich mir vorgenommen, dass es das letzte Mal sein würde.
Ich bin eine riesengroße Lügnerin.
Ich konnte nicht auf ihn verzichten. Ich wollte es. Ich musste es. Aber ich konnte es nicht.
Ich schaute mich um und sah, dass die Frau in der schwarz-weißen Dienstmädchentracht, die wir zum Glück nicht tragen mussten, darauf konzentriert war, jeden einzelnen Kristall des Kronleuchters zu säubern, bevor sie ihn zurück an seinen Platz hängte.
Ich könnte mich davonschleichen. Ich könnte mich mit ihm treffen. Aber das sollte ich nicht tun. Jeder meiner Gedanken, der sich um Lincoln Riscoff drehte, enthielt die Worte »sollte nicht«, aber das hatte mich bislang noch nicht aufgehalten.
Ich ließ den Abzieher in den Eimer sinken und wandte mich an die Frau. »Gibt es hier eine Toilette, die ich benutzen kann?«
Sie schaute zu mir herüber. »Die Personaltoiletten befinden sich neben der Küche, im Keller und draußen in der Garage. Kommen Sie ja nicht auf die Idee, eine andere zu benutzen, sonst wird Mrs Riscoff Sie in hohem Bogen rauswerfen.«
Wenn sie wüsste, was ich mit ihrem Sohn mache, würde sie sogar noch mehr als das tun, da bin ich mir sicher.
Ich konnte kaum fassen, dass sie überhaupt Gables in ihr Haus ließ, um es zu putzen. Andererseits hatte es so geklungen, als hätte Jackies Freundin unseren Nachnamen gegenüber der leitenden Haushälterin nicht erwähnt, als sie uns anheuerte.
»Verstanden. Dann bin ich gleich wieder da.«
»Passen Sie auf, dass Sie sich nicht verlaufen. Ich habe meinen ganzen ersten Monat hier damit verbracht, wie ein Trottel herumzuirren, und wäre deshalb fast gefeuert worden.«
Ich nickte, lächelte höflich und verließ das Zimmer.
Mein Herz pochte, und meine Handflächen schwitzten, während meine Turnschuhe auf dem Marmorboden quietschten. Aus irgendeinem verrückten Grund kam mir die Szene aus Stolz und Vorurteil in den Sinn, in der Elizabeth an einer Führung durch Pemberley teilnimmt. Hatte sie sich dabei so gefühlt? Als wüsste sie, dass sie nicht dort sein sollte? Vermutlich, aber andererseits hatte Elizabeth auch gedacht, dass sie die Herrin von alldem hätte sein können. Im Gegensatz zu ihr war ich keine Hausherrin, sondern lediglich eine Geliebte, was ein grundlegender Unterschied war.
Ich würde niemals über dieses Anwesen herrschen. Ich schaute durch die breite Fensterfront auf die Schlucht hinaus, während ich daran vorbeiging.
Nein. Das hier ist nichts für mich. Die Riscoffs hielten ihre Geliebten vermutlich irgendwo sehr weit weg von ihren Ehefrauen versteckt.
Oh mein Gott. Wie konnte ich so was nur denken? Ich würde niemandes Mätresse sein. Niemals. Und Lincoln und ich konnten nicht öffentlich zusammen sein, warum schlich ich also auf Zehenspitzen auf die große Treppe zu, um mich mit ihm zu treffen?
Weil ich süchtig nach seinem Schwanz bin. Das war alles. Es war guter Sex. Großartiger Sex. Ich war total fasziniert von dem, was er im Bett zu leisten imstande war. Ich nickte, als würde ich mir selbst zustimmen, obwohl ich wusste, dass das alles Schwachsinn war. Ich steckte schon viel zu tief in der Sache drin. Ich empfand Dinge, die ich nicht empfinden sollte.
Ich schlich die Treppe hoch und schaute bei jedem Schritt über die Schulter zurück, weil ich darauf wartete, dass jemand meine Anwesenheit in diesem Haus bemerken und mich rausschmeißen würde.
Tut mir leid, ich habe mich verlaufen. Das war die beste Ausrede, die ich haben würde. Das funktionierte doch auch bei den festen Angestellten, oder?
Als ich den ersten Stock erreichte, ertönte zu meiner Linken eine Stimme im Flur.
Mist. Ich huschte die nächste Treppe hinauf, und mein Herz hämmerte, als ich den Absatz ereichte. Ich hatte kaum Gelegenheit, zu Atem zu kommen, denn schon packte mich jemand am Handgelenk.
Ich presste die andere Hand gegen meinen Mund und unterdrückte den Aufschrei.
»Ich habe nicht geglaubt, dass du kommst.«
Ich schaute in Lincolns perfektes Gesicht und hinterfragte jede einzelne Entscheidung, die ich im vergangenen Monat getroffen hatte.
Er war der Erbe dieses prachtvollen Anwesens. Ich war die Haushaltshilfe, zumindest für den heutigen Tag. Selbst wenn wir es versucht hätten, hätte die Situation nicht klischeehafter sein können.
»Ich kann das nicht.«
Sein Blick wurde eindringlicher. »Hör auf.«
Ich hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, als eine Treppenstufe knarrte. »Da kommt jemand«, flüsterte ich.
Lincoln verschränkte seine Finger mit meinen und zog mich nach rechts in den Flur. Es gab unfassbar viele Türen, aber er wusste genau, wohin er wollte. Er schob die fünfte Tür auf der linken Seite auf, zog mich hinein und schloss sie dann hinter uns.
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich habe gesagt, dass ich das nicht kann. Nicht hier. Wir befinden uns im Haus deiner Eltern
Er ließ die Lippen über mein Schlüsselbein wandern. »Eigentlich ist es das Haus meines Großvaters.«
»Das ist ein unwichtiges Detail. Außerdem arbeite ich gerade.«
»Nein, du hast jetzt Pause, weil ich dich seit einer Woche nicht gesehen und dich verdammt noch mal vermisst habe. Womit warst du so beschäftigt?«
Er hat mich vermisst. Ich hasste es so sehr, dass ich es liebte, diese Worte zu hören, aber ich konnte die Wärme, die sich in mir ausbreitete, nicht leugnen.
»Ich habe gearbeitet. Um Geld zu sparen. Das tun normale Leute.«
»An dir ist nichts normal.« Bevor ich eine empörte Erwiderung hervorbringen konnte, fuhr er fort: »Du bist außergewöhnlich. Unglaublich. Die erstaunlichste Frau, der ich je begegnet bin.«
»Du willst mich doch nur ins Bett bekommen.« Ich verdrehte die Augen, während ich die Komplimente aufsaugte.
Lincoln beugte sich zurück und schaute mich mit seinen grünbraunen Augen intensiv an. »Darum geht es hier nicht.«
Ich neigte den Kopf nach links. »Wirklich nicht? Wenn ich dir also verkünden würde, dass wir keinen Sex mehr haben werden, wäre das für dich vollkommen in Ordnung?«
»Nein. Aber es geht nicht nur um den Sex. Es geht um dich und mich und die Tatsache, dass die Zeit, die ich mit dir verbringe, die beste Zeit meines Tages, meiner Woche, meines Monats und meines verdammten Jahres ist. Du bringst mich zum Lächeln und zum Lachen und dazu, das Leben zu genießen. Ich wollte nicht nach Gable zurückkehren. Ich wollte mir hier keine Existenz aufbauen. Aber das hat sich geändert, und das liegt an dir.«
Manchmal hasste ich es, dass er so süß war und die Dinge, die er sagte, meine Schutzwälle zu Staub zerfallen ließen, bevor ich sie noch höher ziehen konnte. Welches Argument ich auch vorbringen wollte, es verblasste, als ich mit den Fingern durch sein dunkles Haar fuhr und seinen Mund auf meinen zog.
»Küss mich einfach. Ich habe dich auch vermisst.«
Als er mein Geständnis hörte, leuchteten seine Augen auf. Es war das erste Mal, dass ich etwas in der Art gesagt hatte.
»Verdammt noch mal, endlich.«
Seine Lippen pressten sich auf meine, und ich verlor mich in dem Kuss. Ich schlang ein Bein um seine Hüfte und drückte mich an ihn. Meine Brustwarzen drangen durch den Stoff meines BHs, und ich wollte ihn.
Auch wenn ich mir immer wieder einredete, wie sehr mir das Verbotene unserer Treffen zuwider war, lag doch etwas unbestreitbar Aufregendes darin. Der Gedanke daran, erwischt zu werden, jagte mir eine Heidenangst ein, aber er steigerte auch die drängende Lust in meinem Inneren um ein Tausendfaches.
Lincoln ließ eine Hand über meine Hüfte und unter meine abgeschnittenen Shorts gleiten. »Verdammt, trägst du heute keine Unterwäsche?«
Meine Wangen wurden vor Verlegenheit ganz heiß, denn jetzt musste ich zugeben, dass ich wollte, dass er mich in seinem Elternhaus auf diese Weise berührte. Dass ich wollte, dass das hier passierte. Dass es meinen schmutzigen Fantasien nicht besser entsprechen könnte, wenn ich es selbst geplant hätte.
Während er mit den Fingern über meine feuchten Schamlippen strich, stöhnte er. »Verflucht noch mal. Ich wollte nur ein kleines Vorspiel mit dir. Dich so scharf machen, wie ich es bin, und mich dann heute Abend mit dir treffen. Aber jetzt will ich auf keinen Fall, dass du dieses Zimmer verlässt, ohne dass ich in dir gewesen bin.«
Die Worte »Das geht nicht« lagen mir auf der Zunge, doch sie kamen nicht über meine Lippen.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte ich stattdessen.
Lincoln hob mich hoch und trug mich quer durchs Zimmer. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mit meinen Lippen über seinen gemeißelten Kiefer zu fahren, um der Inneneinrichtung des Zimmers, das eindeutig von einem Mann bewohnt wurde, mehr als einen flüchtigen Blick zu widmen.
»Ich wollte seit unserer ersten Nacht, dass du in meinem Bett bist. Hierher habe ich noch nie eine Frau gebracht.«
Ich schaute ihm in die Augen. »Noch nie?«
»Niemals. Nur dich. Und es fühlt sich so verdammt richtig an.«
Er drückte mich aufs Bett, und auch wenn ich wusste, dass das eine furchtbare Idee war, konnte ich nicht anders, als ihm zuzustimmen – es fühlte sich so richtig an.
»Mach schnell. Wir müssen uns beeilen. Ich brauche dich.«
Lincoln zog sich schnell aus und streifte sich ein Kondom über, während ich mir die Shorts vom Leib zerrte. Er schob meine Knie weiter auseinander und berührte mich mit seinem Schwanz.
»Du musst dich trotzdem heute Abend mit mir treffen. Ich will es langsam angehen. Mir Zeit nehmen. Ich hasse es, so hetzen zu müssen. Du verdienst etwas Besseres.«
In diesem Augenblick hätte ich alles gesagt, was er hören wollte, und es fiel mir nicht schwer, ihm zu versprechen, dass wir uns treffen würden.
»Ja.«
Er drang in mich ein, und meine Muskeln dehnten sich, um sich an seine Größe anzupassen. Ständig rechnete ich damit, dass das nächste Mal weniger unglaublich sein würde als das Mal davor, aber irgendwie trat das nie ein. Es war, als wäre Lincoln auf einer Mission, die zum Ziel hatte, meine Sucht nach ihm aufrechtzuerhalten. Und er gewann in jeglicher Hinsicht.
Als er meinen Kitzler mit dem Daumen berührte, biss ich in seine Schulter, um meinen instinktiven Aufschrei zu dämpfen. Mein Biss entmutigte ihn jedoch nicht. Er hatte den gegenteiligen Effekt. Lincoln wurde wild und nahm mich wie ein Besessener. Mein Orgasmus überrollte mich, und mein Körper verkrampfte sich heftig um ihn. Als Lincoln kam, dämpfte er seinen Schrei nicht. Das Brüllen erfüllte das Zimmer, und ich erstarrte unter ihm.
Oh. Verdammt.
»Lincoln, das muss jemand gehört haben!«, flüsterte ich hektisch.
»Verflucht«, murmelte er atemlos und ließ seine Stirn an meine sinken. »Ich habe es satt, mich zu verstecken, Blue. Ich habe es satt herumzuschleichen. Ich wünschte, wir könnten einfach …«
Ich küsste ihn, damit er nicht weitersprach. »Wir haben keine Wahl.«
Er hob den Kopf wieder. »Wir haben immer eine Wahl. Manchmal wünschte ich, dass man uns erwischen würde, damit uns beiden die Entscheidung abgenommen wird.«
»Wag es ja nicht …«
»Lincoln? Alles in Ordnung?«, fragte eine Frau draußen vor der Tür, während sie anklopfte. »Ich habe dich schreien gehört.«
»Bitte sag mir, dass du die Tür abgeschlossen …«
Bevor ich meine flehende Bitte beenden konnte, flog die Tür auf. Sie trat ein und richtete den Blick sofort auf mich, und in weniger als einer Sekunde wusste ich, dass sie mich erkannt hatte. Einen Augenblick später traf auch mich die Erkenntnis.
Mrs Riscoff.
»Lincoln Bates Roosevelt Riscoff, was hat sie … Ich kann nicht …«
Lincoln schnappte sich die Decke und warf sie über uns. »Mutter, verschwinde sofort aus meinem Zimmer.«
»Die Tochter dieser Gable-Schlampe? Das kann doch wohl nicht …«
»Mutter, ich schlage vor, dass du kein weiteres Wort von dir gibst. Whitney ist meine …«
Mrs Riscoffs Gesicht wurde blass. Dann stieß sie einen erstickten Laut aus und ächzte. Sie stolperte zwei Schritte nach hinten, umklammerte dann ihren Arm und griff sich schließlich krampfhaft an die Brust. »Hilfe …«, murmelte sie. Dann sackte sie gegen die Wand und glitt langsam hinunter, bis sie auf dem Boden landete.
»Scheiße. Scheiße. Scheiße.«
Lincoln schob mich von sich, zog sich schnell seine Hose an und eilte zu seiner Mutter.
»Mutter! Mutter, halte durch!« Er wandte sich an mich. »Ruf den Notarzt.«