22. KAPITEL
Whitney
Gegenwart
Herrgott. Nicht schon wieder.
Gabis Lidschattenpalette fällt klappernd zu Boden, als ich aufspringe und so schnell in den Flur eile, dass mein Bademantel aufflattert. Ich zerre ihn zu und komme neben McKinley Riscoff zum Stehen, die vor ihrer Mutter kniet.
»Rufen Sie den Notarzt!« Sie sagt es erneut, dieses Mal zu einer vorbeigehenden Mitarbeiterin, die sofort ihr Handy zückt, um die Nummer zu wählen. »Mutter, bitte bleib bei mir.«
»Oh Gott. Das ist schlimm«, flüstert Gabi hinter mir, und sie hat vollkommen recht.
Ich muss so schnell wie möglich von hier verschwinden. Beim letzten Mal war ich mir sicher, dass Mrs Riscoff den Herzinfarkt nur vortäuschte, aber das war ein Irrtum.
»Schaff sie hier raus.«
Mrs Riscoffs heisere Stimme jagt mir Schauer über den Rücken. So sehr ich diese Frau auch verabscheue, nie würde ich jemandem den Tod wünschen. Ich kann mich nur ihrem Wunsch fügen und verschwinden.
Ich drehe mich um und laufe zu den Schränken in der Umkleide, um mir meine Klamotten zu schnappen und mich auf die Suche nach meiner Tante zu machen. Ich will mich nicht eine Sekunde länger als nötig auf dem Riscoff-Gelände aufhalten.
Ich wusste, dass es eine schlechte Idee war herzukommen.
Tante Jackie findet mich in der Umkleide, bevor ich nach ihr suchen kann.
»Was ist los? Wir wurden wegen eines medizinischen Notfalls alarmiert, und eins meiner Zimmermädchen sah dich hier reinlaufen.«
»Mrs Riscoff. Sie hat mich gesehen. Sie ist zusammengebrochen.«
Meine Tante wird blass, und ich weiß genau, was sie denkt, bevor sie es ausspricht.
»Guter Gott. Nicht schon wieder.«
Nach dem Zwischenfall damals auf dem Riscoff-Anwesen geleitete man Jackie, ihre zwei anderen Mitarbeiterinnen und mich zum Tor und schickte uns ohne Bezahlung vom Grundstück.
Es dauerte nicht lange, bis jeder in der Stadt wusste, was geschehen war. Jackies Reinigungsfirma hatte so gut wie keine Kunden mehr, als sich herumsprach, was ich getan hatte. Zumindest galt das für ihr normales Geschäft. Plötzlich erhielt sie allerdings zahllose Anfragen von Männern, die wollten, dass sie ihre Häuser putzte, während ihre Frauen nicht in der Stadt waren. Weil sie alle dachten, dass ihre Nichte nicht davor zurückschreckte, mit Kunden zu schlafen.
»Sylvia kommt so gut wie nie her. Dafür hat Ms Riscoff gesorgt. Außerdem war sie diejenige, die mich eingestellt hat. Ich hätte nie gedacht …«
Mit zitternden Händen ziehe ich meine Shorts an und streife mir das Oberteil über den Kopf. »Ich hätte nicht zurückkommen sollen. Das ist nur eine weitere bevorstehende Katastrophe.«
»Wenigstens hat sie dich nicht mit ihrem Sohn im Bett erwischt. Wenn sie das ein zweites Mal gesehen hätte, wäre sie vermutlich tatsächlich gestorben.«
Ich verziehe das Gesicht, während ich in meine Sandalen schlüpfe. »Bitte erinnere mich nicht daran. Ich muss hier weg. Ich … Ich kann nicht bleiben, um abzuwarten, was passiert.«
Jackie nickt und zieht ihren Autoschlüssel aus der Hosentasche. »Geh. Ich werde mir jemanden suchen, mit dem ich nach Hause fahren kann. Du brauchst mich nicht abzuholen.«
Ich kann zwischen den Zeilen lesen. Jackie will nicht, dass ich hierher zurückkomme, solange sie für mich verantwortlich ist. Ich kann ihr keinen Vorwurf machen. Ich will niemals hierher zurückkehren.
Dann fällt mir Crickets Hochzeit ein.
»Was soll ich Cricket sagen? Ich kann nicht …«
Jackie schüttelt den Kopf. »Darüber werden wir uns jetzt keine Gedanken machen. Geh einfach. Wir kümmern uns später darum.«
Ich nehme ihren Autoschlüssel und eile aus der Umkleide. Dabei hoffe ich inständig, dass ich auf dem Weg nach draußen nicht noch jemandem begegne, der mich erkennen könnte.
Als hätte ich so viel Glück.