24. KAPITEL
Whitney
Die Vergangenheit
Ich weigerte mich, Lincoln wiederzusehen, und ließ mich kaum noch in der Öffentlichkeit blicken. Wann immer ich nach draußen ging, starrten mich die Leute an. Mrs Riscoff hatte sicher nicht über die Konsequenzen nachgedacht, als sie vor jedem, der ihr zugehört hatte, meinen Namen verflucht hatte, während man sie auf eine Trage verfrachtet hatte. Aber nun wusste die ganze Stadt, dass sie Lincoln und mich zusammen erwischt hatte.
Ihm gegenüber sagte niemand etwas, da war ich mir sicher. Vermutlich hatten die Leute zu viel Angst davor, wie er reagieren würde. Aber meine Reaktion fürchtete niemand.
Ich betrat das Freedom Bean
, um Tante Jackie einen Latte zu holen, auch wenn ich sie angefleht hatte, mich nicht loszuschicken. An einem der Tische des Cafés entdeckte ich meine Cousine Karma mit einer Gruppe junger Frauen.
Wenigstens gehört sie zur Familie, also muss ich mir keine Sorgen machen, dass sie Mist über mich erzählt.
Zumindest dachte ich das, bis ich meine Bestellung aufgab und am anderen Ende der Baristatheke wartete, wo ich ihr Gelächter vernahm. Ich warf einen Blick über die Schulter, und sie wandten sich alle ab.
»Warum sollte er etwas mit ihr
anfangen? Er könnte jede haben. Ich weiß, dass sie deine Cousine ist, aber … ernsthaft?«
Karma sah mir in die Augen und versuchte nicht mal, leise zu sprechen. »Vermutlich weil er wusste, dass sie ihn ranlassen würde. Wie die Mutter, so die Tochter.«
Mein Mund klappte auf, während mich ihr Verrat in zwei Hälften zerfetzte. Was? Wie die Mutter, so die Tochter?
Ich hatte mich versteckt und war jedem aus dem Weg gegangen – einschließlich meiner Eltern –, aber offenbar ging hier etwas vor, von dem mir niemand erzählt hatte.
Ich wollte das nicht in diesem Café tun müssen, aber Karma ließ mir keine Wahl. Mit vor der Brust verschränkten Armen marschierte ich auf den Tisch zu und blieb vor ihr stehen. »Wovon zum Teufel redest du?«
Eine ihrer Freundinnen, Jolene, grinste fies. »Hast du es nicht gehört? Deine Mom wurde gestern Abend dabei erwischt, wie sie sich aus dem Bumsmotel geschlichen hat.«
Bumshotel, so nannte hier jeder das Wild Basin Motel
am Rand der Stadt.
Ich versuchte, ruhig zu bleiben, während Jolene weiterredete, aber ich konnte spüren, wie meine Brust vor Scham brannte und meine Wangen rot anliefen.
»Jeder weiß es … Tja, nur leider weiß niemand, mit wem sie dort war. Es war aber definitiv nicht dein Dad. Schiebt er nicht gerade drei Schichten am Stück?«
Jeglicher Sauerstoff, den ich hätte einatmen können, wurde aus dem Raum gesaugt, und ich rang nach Luft. »Was?«
Karma machte meine Haltung nach und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. »Ich hätte gedacht, deine Mom hätte es dir erzählt. Andererseits klingt es so, als hätte sie dir in letzter Zeit eine Menge verschwiegen. Zum Beispiel wer derjenige ist, mit dem sie eine Affäre hat.«
Ich rang immer noch um Atem. »Du redest Schwachsinn, Karma. Und du verbreitest Gerüchte über deine eigene Familie. Das ist echt das Letzte.«
»Es sind keine Gerüchte, wenn es wahr ist«, sagte Jolene grinsend. »Wie das mit dir und Lincoln. Also, wie war er? Denn ich könnte mir vorstellen, dass ich ihn auch gern mal ausprobieren würde.«
Lincoln hatte mich jeden Tag mindestens fünfmal angerufen, aber ich war nie drangegangen. Ich hatte bei seiner Mutter einen verdammten Herzinfarkt ausgelöst. Ich war mir ziemlich sicher, dass das bedeutete, die Sache mit uns sei vorbei.
»Dich würde er nicht wollen. Er hat einen besseren Geschmack.«
Die Mädchen brachen alle in Gelächter aus, und auch meine verräterische Cousine stimmte mit ein. »Weil er dich wollte?«
Ich fühlte mich plötzlich furchtbar klein, hielt aber die Schultern gestrafft und stand weiterhin aufrecht. »Versuch’s ruhig mal bei ihm. Dann wirst du ja sehen, wie er auf Schlampen reagiert.« Ich schaute zu Karma. »Du bist ein Miststück.«
»Lieber ein Miststück als ein Flittchen«, schoss sie zurück, und mir drehte sich der Magen um.
»Ein Latte für Jackie!«, rief der Barista.
»Du rennst jetzt lieber wieder zurück zu meiner Mutter«, sagte Karma.
Ich wirbelte in meinen Turnschuhen herum, holte den Latte ab und verschwand so schnell wie möglich aus dem Café.
Und als Nächstes werde ich so schnell wie möglich aus dieser Stadt verschwinden.