27. KAPITEL
Lincoln
Mit den Worten meines Bruders im Ohr verlasse ich das Krankenhaus und beobachte, wie meine Schwester ihren Fahrer anweist, unsere Mutter in ihren SUV zu heben, um sie nach Hause zu bringen.
»Es wird interessant sein zu sehen, ob du erfahren wirst, wie es sich anfühlt, nicht den geringsten Anspruch auf all das zu haben, von dem du glaubst, dass du es verdienst, großer Bruder.«
Seine Worte bleiben mir im Gedächtnis, während ich zurück zum Büro fahre, und ich bin sie immer noch nicht losgeworden, als mein Handy klingelt.
Der Kommodore.
»Ich muss vom verdammten Magnus Gable erfahren, dass Sylvia wieder einmal einen ihrer Anfälle hatte?«
»Woher wusste Magnus das?«
»Was denkst du wohl? Dieses schwarzhaarige Gable-Mädchen ist gerade bei ihm in seinem Schuppen. Vermutlich planen sie, wie sie den Riscoff-Clan zu Fall bringen können, indem sie dich bei den Eiern packen.«
»Whitney ist dort? Bei ihm?« Ich strecke eine Hand aus, um mich am Fenster abzustützen. »Dieser verfluchte Schuppen ist eine Bruchbude. Wenn dieses Ding den Berghang hinunterstürzt, während sie da drinnen ist …«
»Junge, du hast doch gehört, was ich über sie gesagt habe. Sie bringt nichts Gutes mit sich. Wenn sie jedoch versehentlich deine Mutter umgebracht haben sollte, würde ich ihr das nicht unbedingt übel nehmen.«
Mein Großvater und meine Mutter konnten sich noch nie gut leiden. Er wählte sie damals als Ehefrau für meinen Vater aus, weil sie gute Verbindungen hatte und aus einer angesehenen Familie stammte. Doch offenbar verbarg sie ihre wahre Natur bis nach der Hochzeit. Dann veränderte sich alles. Zumindest ist das die Geschichte, die der Kommodore erzählt. Ich habe das Gefühl, dass das Ganze sehr viel komplizierter ist. Mein Vater machte nie ein Geheimnis daraus, dass er in seiner Ehe nicht glücklich war, aber er verheimlichte alles andere. Zumindest versuchte er es.
»Ich würde es zu schätzen wissen, wenn du nicht so über meine Mutter reden würdest.«
»Ich weiß, wie sie ist. Sylvia und ich sind uns nur bei einer einzigen Sache einig: Keine Gables sind die besten Gables.«
Ich gehe nicht darauf ein. »Hast du Harrison von dem angeforderten Vaterschaftstest und der möglichen Exhumierung der Leiche erzählt? Denn er weiß Bescheid.«
Ein paar Sekunden herrscht am anderen Ende der Verbindung Stille. »Ich habe nur zwei Leuten davon erzählt. Dir und meinem Anwalt. Ich habe mich schon gefragt, ob dieser Junge Informanten hat, und ich denke, dass wir soeben eine Antwort auf diese Frage erhalten haben.«
Verdammt. Der Anwalt des Kommodores ist eine von Harrisons Informationsquellen.
»Was werden wir deswegen unternehmen? Mutter darf nichts davon erfahren. Das könnte sie wirklich umbringen.«
»Das ist sogar ein noch besserer Grund, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.«
»Kommodore.« Mein Tonfall ist barsch.
»Meinetwegen. Ich will ebenso wenig wie du, dass dieser Schlamassel an die Öffentlichkeit gerät. Ich werde mir eine Erwiderung überlegen müssen, mit der ich sie noch ein Weilchen länger hinhalten kann. Aber dadurch wird das Problem nicht aus der Welt sein. Und nun muss ich auch noch meinen gottverdammten Anwalt feuern.«
»Biete ihnen einen Vergleich an.«
»Niemals.« Der Tonfall des alten Mannes lässt keinen Widerspruch zu.
»Warum nicht?«
»Weil dann jedes uneheliche Kind deines Vaters ankommen wird, um sich ein Stück vom Kuchen zu holen. Wenn du dich endlich mal darum kümmern würdest, die nächste Generation zu zeugen, müssten wir uns gar keine Gedanken um dieses Problem machen.«
»Und wenn ich es nicht tue und es wirklich einen Erben gibt, der älter als ich ist? Wärst du ernsthaft bereit, unsere Geschäfte einem Menschen zu überlassen, der nicht die geringste Ahnung davon hat?«
»Ich werde tun, was ich für richtig halte.«
»Was ist damit, das Vermächtnis zu bewahren und zu schützen?«
Der Kommodore erwidert nichts darauf, sondern wechselt stattdessen das Thema. »Sieht so aus, als würde dieses Gable-Mädchen gleich aufbrechen. Nicht dass ich dir das erzählen sollte. Ich hoffe, sie hat nichts von Magnus selbst gebranntem Schnaps getrunken. Sonst schafft sie es vielleicht nicht lebend von diesem Berg runter.«
Verdammt.
Ich warte nicht darauf, auch nur ein weiteres Wort aus seinem Mund zu hören, sondern lege auf.