28. KAPITEL
Lincoln
Die Vergangenheit
Von meiner Mutter erwischt zu werden, während ich mit Whitney im Bett lag, kam meinem schlimmsten Albtraum gleich, und doch war ich das Risiko eingegangen. Zwar war es ein kalkuliertes Risiko gewesen, aber ich hatte mich verrechnet. Seitdem hatte sich Whitney geweigert, sich mit mir zu treffen. Ich hatte sie immer wieder angerufen, doch vergeblich. Die einzige Möglichkeit, die mir noch blieb, war die, sie zu Hause aufzusuchen, denn soweit ich gehört hatte, ließ sie sich in letzter Zeit kaum noch in der Öffentlichkeit blicken.
Meinetwegen. Weil ich ein verfluchtes Arschloch bin.
Ich musste das wieder in Ordnung bringen. Ich würde nicht mehr in den Spiegel blicken können, wenn mir das nicht gelang.
Was bedeutete, dass ich zu ihrem Haus gehen musste. Whitney hatte mir keine andere Möglichkeit gelassen, und ich hatte keine Lust mehr zu warten. Ich würde nicht zulassen, dass das hier das Ende war.
Wen kümmerte es schon, dass meine Mutter das nicht gutheißen würde? Wann hatte ich meine Entscheidungen je von so etwas beeinflussen lassen? Ich war ein erwachsener Mann mit einem eigenen Willen. Ich war ein verdammter Riscoff. Wir befolgten keine Befehle, wir erteilten sie.
Ich stieg in meinen Truck und fuhr in Richtung der Brücke, die sich in der Nähe des Hauses von Whitneys Eltern befand, statt die anzusteuern, die in die Stadt führte.
Als ich die Bahnschienen erreichte, bog ich nach links ab und folgte den Straßen zu dem kleinen Haus, das Whitneys Dad gekauft hatte, nachdem der Sheriff sie alle per Zwangsräumung von der Familienfarm vertrieben hatte. Es war die Farm, die der Kommodore bei einer Auktion gekauft hatte und die dann am nächsten Tag komplett niedergebrannt war. Ich bezweifelte, dass wir in Bezug auf diesen Vorfall je die Wahrheit erfahren würden.
Als ich in die Einfahrt bog, hatte ich keine Ahnung, ob sie zu Hause war. Whitney hatte kein Auto. Sie lieh sich gelegentlich den Wagen ihrer Mutter und manchmal auch den ihrer Tante aus. Meistens ging sie jedoch zu Fuß oder fuhr mit dem Fahrrad.
Als ich einmal zu ihr gesagt hatte, dass ich ihr ein Auto kaufen würde, hätte ich damit beinahe meine Chance verpatzt, sie je wiederzusehen. Das war noch ein Thema, bei dem ich mich heftig verrechnet hatte. Mein Mädchen besaß jede Menge Stolz.
Allerdings ließ ihr Verhalten darauf schließen, dass sie nicht länger mein Mädchen sein wollte.
Was bedeutete, dass der heutige Tag mit unserer endgültigen Trennung enden konnte.
Diesen Gedanken zuzulassen, war wie ein Schlag in den Magen. Er sorgte fast dafür, dass ich mich zusammenkrümmte. Aber wenn sie nicht so für mich empfindet wie ich für sie …
Hatte das alles überhaupt einen Sinn?
Ich parkte und war kaum aus dem Truck gestiegen, als die Haustür aufflog. Whitneys Vater trat auf die marode Eingangsterrasse aus Beton heraus. »Du machst sofort kehrt und gehst dahin zurück, wo du hergekommen bist, Riscoff. Du und deinesgleichen sind hier nicht willkommen.«
»Mr Gable …«
Er zog eine Schrotflinte hinter der Tür hervor. »Bring mich nicht dazu, dich zu erschießen, Junge. Denn ich habe kein Problem damit, eine Leiche zu entsorgen. Vor allem dann nicht, wenn es die eines Riscoffs ist.«
Ich stieg nur langsam wieder in meinen Wagen, weil ich noch etwas sagen wollte. Vielleicht sollte ich ihn bitten, Whitney auszurichten, dass ich hergekommen war. Vielleicht sollte ich ihn fragen, wo sie war. Aber das würde er mir ohnehin nicht verraten. Eher würde er mich umbringen.
Ich nickte ihm zu und legte den Rückwärtsgang ein. Dann warf ich einen Blick in den Rückspiegel, bevor ich auf die Straße fuhr und trat abrupt auf die Bremse.
Whitney stand hinter meinem Truck auf der Straße. Sie trug ein Tanktop, abgeschnittene Shorts und Turnschuhe. Ihr schwarzes Haar wehte im Wind, und in ihren blauen Augen schimmerten Tränen.
Die Tränen waren mein Untergang. Ich schaltete den Motor aus und stieß die Tür auf. »Blue. Bitte.«
»Schaff deinen Hintern hier rein, Mädchen.« Ihr Vater spannte den Hahn der Schrotflinte.
Whitney kniff die Augen zu, und eine Träne lief über ihre Wange.
»Komm einfach mit mir. Bitte.«
Ihre Miene spiegelte so sehr ihre Zerrissenheit, dass es mich fast umbrachte.
»Wir bekommen das wieder hin. Versprochen.«
Whitney presste die Lippen aufeinander.
»Schaff deinen Hintern hier rein, Mädchen. Sorg nicht dafür, dass ich mich wiederholen muss.«
Whitney riss den Kopf zu ihrem Vater herum, während er mit der Schrotflinte in der Hand auf uns zugestapft kam. Er war nur noch zehn Meter entfernt und kam schnell näher. Ich hatte keine Ahnung, was er ihr antun würde, wenn ich jetzt einfach verschwand.
Dieser Gedanke und die möglichen Antworten trafen meine Entscheidung für mich.
»Ich lasse dich nicht hier bei ihm. Auf gar keinen Fall.« Ich hielt ihr meine Hand hin. »Du musst nur deine Hand in meine legen.«
»Wag es ja nicht, Mädchen. Ich werde dich windelweich prügeln …«
»Nicht, solange ich hier bin.« Ich trat zwischen Mr Gable und Whitney. »Zuerst werden Sie mich erschießen müssen.«
Er hob seine Schrotflinte. »Das ist kein Problem.«
Whitney griff nach meiner Hand. »Mach schnell.«
Ich zog sie mit mir, und wir sprangen in den Truck, bevor Mr Gable anfing zu schießen.