40. KAPITEL
Whitney
Gegenwart
»Bitte versprich mir, dass du bleibst. Du kannst nicht gehen, Whit. Du bist doch gerade erst angekommen.« Crickets Flehen löst in mir eine Million weitere Schuldgefühle aus.
»Deine Mom hat meinetwegen ihren Job gekündigt. Findest du nicht, dass ich schon genug Schaden angerichtet habe?«
»Sei nicht so melodramatisch. Mom ist eine erwachsene Frau. Sie wusste, was sie tat, als sie gekündigt hat. Ich bin mir sicher, dass sie über die Konsequenzen nachgedacht hat, bevor sie die Kündigung eingereicht hat.«
»Bist du high? Denn wir beide wissen, dass deine Mom verdammt viel Temperament hat, vor allem wenn jemand eine von uns beleidigt.« Cricket überfährt ein Stoppschild, und ich wiederhole meine Frage. »Sag mal, bist du wirklich high?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Und das war früher mal ein Vorfahrtsschild, besten Dank auch. Ich vergesse immer, dass sie es geändert haben. Die Haschkekse habe ich für später aufbewahrt.«
»Cricket …« Ich weiß nicht, was ich meiner Cousine sagen soll.
Sie hält an einer roten Ampel und wendet sich zu mir. »Wir verschwinden für ein paar Stunden aus Gable, okay? Du bist doch kaum wieder hier, und ja, es sind ein paar schlimme Dinge passiert. Aber ich habe dich kaum gesehen, und du planst bereits deine Flucht. Ich kann dich nicht so schnell schon wieder verlieren.«
Ich spüre, wie mich erneut Schuldgefühle überkommen, während sie auf den Highway fährt, der nach High Pines führt. High Pines ist die nächste Stadt auf der anderen Seite des Passes. Sie ist etwa doppelt so groß wie Gable. Cricket hatte mir nicht gesagt, wohin wir fahren würden, als ich in den Lieferwagen gestiegen war, und es war mir eigentlich auch egal. »Überall, nur nicht hier« scheint momentan mein Lieblingsort zu sein.
»Gib mir einfach den heutigen Abend, um dich umzustimmen oder zumindest zu versuchen, die Vorstellung, dass du wieder gehst, zu akzeptieren.«
»Okay. Ich gebe mich geschlagen.«
Crickets sonniges Lächeln führt nur dazu, dass ich mich noch schlechter fühle, weil ich im Geiste bereits meine Taschen packe und überlege, wohin ich gehen soll.
»Gut! Wir brauchen Cousinenzeit weit weg von diesem ganzen Theater. Und wenn wir wieder in Gable sind, werden wir uns betrinken, weil das so ziemlich die einzige mir bekannte Möglichkeit ist, den Gedanken zu ertragen, dass du mich schon wieder verlässt. Und die Vorstellung, dass Karma dann meine Trauzeugin sein wird.«
Meine Schulgefühle werden immer stärker.
»Hunter hat all seine Freunde zur Hochzeit eingeladen. Er könnte problemlos zehn Trauzeugen haben. Und ich stehe mit meiner Schwester da, die die meiste Zeit über eine Mistzicke ist, und mit meiner Cousine, die es kaum erwarten kann, die Stadt zu verlassen.«
»Du weißt, ich wünschte, ich könnte bleiben …«
»Dann bleib . Denn weißt du, wer als Einzige außer dir meine Trauzeugin sein könnte? Marjorie von der Arbeit. Sie feiert gerne. Und wenn ich feiern sage, meine ich, dass sie sich einen Unterschlupf im Wald baut und dann versucht, es so lange wie möglich dort auszuhalten, bis sie in die Zivilisation zurückkehrt. Ihre Achselhaare reichen ihr bis zu den Ellbogen, und ich glaube, dass sie kein großer Fan von Duschen ist. Der Rest meiner Kollegen sind Männer, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Hunt etwas dagegen hätte, dass ich sie in Kleider stecke und als meine Trauzeuginnen präsentiere.«
Sie wirft mir einen flehenden Blick zu, als ob das jetzt noch nötig wäre.
»Gib mir einfach nur einen Abend, Whit, und versprich mir, dass du noch eine Woche bleiben wirst, wenn du heute Abend Spaß hast. Nenn es eine Probezeit. Wir klären die Sache mit Mom, und bis zu meiner Hochzeit ist es dann auch nicht mehr lange hin. Du kannst die Tage auf dem Kalender abstreichen, bis du endlich abhauen und dir einen Ort suchen kannst, an dem du dich als Nächstes verstecken willst.«
»Meinetwegen. Ich werde bleiben.« Was sollte ich sonst dazu sagen?
Cricket jauchzt und reckt sich in meine Richtung, um mich zu umarmen. Der Lieferwagen gerät ins Schleudern, und ich stürze mich auf das Lenkrad. Doch sie umfasst es wieder, bevor wir im Graben landen.
»Ich bin so froh, dass du das genauso siehst wie ich, weil ich nämlich jetzt ein Brautjungfernkleid für dich aussuchen will, damit du keinen Rückzieher mehr machen kannst.«
Mein Mund klappt auf, als ich meine Cousine anschaue – die einzige Person, von der ich dachte, dass sie kein Geheimnis für sich behalten oder auch nur ansatzweise hinterlistig sein könnte. »Du hast mich reingelegt?«
»Es ging nicht anders. Wenn du erst ein Kleid hast, wirst du auch zur Hochzeit bleiben, und ich brauche dich. Wie Mom schon sagte: Du bist das Einzige, was zwischen mir und der Dampfwalze namens Mrs Havalin steht.«
»Du hast gewonnen, aber nur unter der Bedingung, dass ich selbst ein Kleid aussuchen darf, das mir fantastisch stehen und an Karma ganz schrecklich aussehen wird.«
»Ja!« Cricket ballt beide Hände zu Fäusten und reckt sie in die Luft. »Gelobt sei Gott!«
»Cricket!«, schreie ich, während der Lieferwagen über dem Mittelstreifen in Richtung Gegenverkehr ausschert. Hupen plärren, doch sie reißt das Steuer gerade noch rechtzeitig herum. »Beim nächsten Mal fahre ich.«
»Entspann dich. Iss die Kekse im Handschuhfach. Du brauchst sie sehr viel nötiger als ich.«