44. KAPITEL
Whitney
Die Vergangenheit
Das Haus war leer, als ich hineinging, und ich war ausnahmsweise mal dankbar dafür, dass mein Dad wahrscheinlich unterwegs war, um sich zu betrinken, und meine Mutter … Tja, Karma zufolge war sie vermutlich mit einem Mann unterwegs, der nicht mein Vater war.
Ich verdrängte den Gedanken. Was Karma gesagt hatte, konnte nicht stimmen. Es musste sich um irgendein schwachsinniges Geschwätz halten. Ich hatte mir ein paarmal Moms Auto geliehen, um mich mit Lincoln zu treffen, also hatten die Klatschmäuler vielleicht mich
gesehen und mich für sie
gehalten.
Aber ich war nie im Bumsmotel gewesen.
Nach meiner zweiten Dusche an diesem Abend zog ich mir meine bequemste Jogginghose und ein altes T-Shirt an und ließ mich mit einem Beutel Tiefkühlerbsen auf dem Handgelenk aufs Bett fallen.
Obwohl ich sauber und trocken war, fühlte ich mich so mitgenommen und ramponiert wie Bouncer, unser Kater. Er spazierte an der Bettkante entlang und schlug mir seinen Schwanz ins Gesicht. Ihm fehlte ein Ohr, das er beim Kampf mit einer Katze aus der Nachbarschaft verloren hatte, aber er kam immer wieder nach Hause, selbst wenn wir dachten, dass er für immer davongelaufen war.
So wie ich es tun will.
Alles, was an diesem Abend mit Lincoln geschehen war, und all seine Anschuldigungen wegen Ricky stürmten wieder auf mich ein.
Ich hatte den Brief geschickt. Das konnte ich nicht leugnen, aber Lincoln hatte mir nicht mal die Chance gegeben zu erklären, dass es keine verkappte Liebesbotschaft gewesen war. Es war meine Art, Ricky mitzuteilen, dass er immer noch ein miserabler Liedtexter war und er seinen großen Durchbruch nur meinetwegen
gehabt hatte. Ricky hatte das eindeutig nicht so gesehen. Er war vermutlich betrunken gewesen, während er den Brief gelesen hatte. Und womöglich hatte er dabei auch noch irgendeine Tussi auf dem Schoß gehabt.
Ich hatte keine Ahnung, was er Lincoln sonst noch erzählt hatte, aber das spielte auch keine Rolle mehr.
Lincoln hielt mich für ein hinterhältiges Flittchen. Wie die Mutter, so die Tochter.
Tränen brannten in meinen Augen, und ich versuchte, sie fortzublinzeln. Ich wollte nie wieder seinetwegen weinen. Aber genau wie alles andere gelang mir auch das nicht. Ich zog die Knie an die Brust heran, schlang die Arme um meine Beine und wiegte mich vor und zurück, während eine Träne nach der anderen über meine Wangen rollte.
Als mein Handy in meiner Handtasche klingelte, rührte ich mich nicht. Ich würde nie wieder einen Anruf entgegennehmen. Es gab absolut niemandem, mit dem ich reden wollte.
Und dann klingelte es wieder. Und wieder. Und wieder.
Und schließlich holte ich es doch aus der Tasche und sah auf das Display.
Ricky.
Mein Finger schwebte über der Taste, mit der man einen Anruf wegdrückte, aber aus irgendeinem dämlichen Grund ging ich doch dran.
»Was hast du ihm erzählt?«
»Was zum Teufel hattest du dort zu suchen, Whit? Ein Riscoff? Ernsthaft? Die hassen deine Familie.«
»Du hast nicht länger das Recht, mir derartige Fragen zu stellen.«
»Aber Baby, es tut mir …«
»Ich will es nicht hören.«
Ich beendete das Gespräch und schaltete das Handy aus. Dieser Abend war für mich gelaufen. Alles war für mich gelaufen.
Ich schlief auf meinem Bett ein und wachte erst wieder auf, als jemand an die Haustür hämmerte.