Kapitel 7 Ich würde heute nicht sterben. Zumindest redete ich mir das selbst ein, während ich in die schwüle Hitze trat. Der Sommer machte keine Anstalten, seinen Griff um die Gegend zu lockern.
Meine Hände zitterten, als Jase sich mir anschloss. Unglücklicherweise hatte er sich ein weißes T-Shirt übergezogen und mir damit den Blick auf das visuelle Festmahl versperrt. Das war wirklich eine verdammte Schande, weil ich, wenn ich mir heute schon den Hals brechen musste, dabei wenigstens auf seine Brust und Bauchmuskeln starren wollte.
Die Scheunentür öffnete sich mit einem Quietschen, und ein älterer Mann trat nach draußen. Obwohl ich ihn vorher noch nie gesehen hatte, wusste ich sofort, dass er Jase’ Vater war. Es war, als sähe man Jase in dreißig Jahren.
Haare im selben Braunton, die Haut dunkel von einem Leben in der Sonne oder dem Erbe irgendwelcher lang vergessener Vorfahren, genauso groß und schlank wie sein Sohn. Stahlgraue Augen huschten von Jase zu mir, um dann zu seinem Sohn zurückzukehren und sich vor Überraschung zu weiten.
Er stellte den Metalleimer, den er in der Hand trug, auf den Kies und runzelte die Stirn. Dann erschien ein überraschtes Lächeln auf seinem Gesicht.
Jase grinste, während er mir eine Hand auf den Rücken legte. »Hey, Dad, das ist Teresa, Cams Schwester.«
Erkenntnis blitzte in seinen Augen auf. »Cams kleine Schwester? Ach, die Tänzerin.«
Sofort wurde ich rot. Woher in aller Welt wusste der Mann das? Und wenn mein Bruder diese Info rausgegeben hatte, wer weiß, was Cam sonst noch erzählt hatte.
»Das ist sie«, antwortete Jase und schob seine Hand ein wenig höher.
»Hi«, sagte ich und winkte auf unglaublich peinliche Art.
Das Lächeln seines Vaters wurde breiter, als er auf uns zukam. Er hielt seinen Kopf schräg, eine Geste, die ich nur zu gut von Jase kannte. »Du kannst nicht mit Cam verwandt sein. Auf keinen Fall teilt sich ein hübsches Mädchen wie du DNA mit diesem hässlichen Kerl.«
Ich lachte überrascht auf. Ich könnte diesen Mann mögen.
»Und auf keinen Fall bist du mit dem da hier.« Er nickte in Richtung Jase, der die Stirn runzelte. »Du musst dich verlaufen haben.«
Okay. Ich mochte diesen Kerl wirklich. »Sie haben recht. Ich weiß nicht mal, wer das da sein soll.«
Jase zog eine mürrische Miene und sah auf mich herunter. »Was zur Hölle?«
Ich grinste.
Sein Vater zwinkerte mir zu, und in diesem Moment wurde mir klar, dass Jase nicht nur sein gutes Aussehen, sondern auch seine Persönlichkeit von seinem Vater geerbt hatte. »Also, was treibt ihr hier?« Er zog ein rotes Taschentuch aus der hinteren Hosentasche und wischte sich die Hände ab, während er seinen Sohn musterte. »Jack ist mit deiner Mom zusammen bei Betty.«
»Ich weiß. Da gehen sie jeden Tag nach dem Kindergarten hin.« Jase senkte seine Hand, und die Stelle an meinem Rücken, die er berührt hatte, kribbelte. »Ich zeige Tess die Pferde.«
Wieder legte Mr Winstead den Kopf schief. »Nun, ich bin hinten auf dem Feld, falls du etwas brauchst.«
»Wird schon werden, Dad.« Jase wollte sich abwenden.
»Ich habe nicht mit dir geredet.« Der Schalk blitzte in seinen Augen, als er mich ansah. »Falls dieser Junge etwas Anstößiges tut, lass es mich wissen, und ich werde mich um ihn kümmern.«
»Oh Gott«, stöhnte Jase und rieb sich das Kinn. »Wir sind nur befreundet, Dad.«
»Aha.« Sein Vater zog eine Augenbraue hoch, während er zurückwich und wieder nach dem Eimer griff. »Wenn du mit einem solch hübschen Mädchen nur befreundet bist, dann machst du irgendwas falsch, Söhnchen.«
Ich grinste über beide Ohren, als ich mich zu Jase umdrehte.
»Denk es nicht mal«, warnte er. Er wirkte, als hätte er seinen Dad am liebsten erwürgt, als er sich vorbeugte, um meine Hand in seine zu nehmen. »Komm, bevor ich ihm wie ein richtiger Hinterwäldler eine auf den Schädel haue.«
Sein Vater lachte nur, während er vielsagend auf unsere Hände starrte. »Befreundet?«
»Dad«, seufzte Jase.
Ich kicherte, als Jase mich Richtung Zaun zog, während sein Vater wieder in der Scheune verschwand. »Ich mag deinen Vater.«
Er schnaubte. »Das glaube ich.«
»Er hat sich benommen, als würdest du nicht oft … Mädchen mitbringen.«
»Tue ich auch nicht.« Er hielt an, ließ meine Hand los und drehte sich zu mir um, während er über eine kleine Mauer stieg. »Allerdings hast du gerade meinen Dad getroffen, also verstehst du vielleicht, warum.«
Ein Teil von mir fühlte sich geschmeichelt, dass er mich mit nach Hause genommen hatte, an einen Ort, den sonst noch kein anderes Mädchen besucht hatte. Doch ich war mit ihm befreundet, und das galt wahrscheinlich für die anderen Mädchen nicht.
»Hier«, sagte er, umfasste meine Hüfte und hob mich über den Zaun, als sei das überhaupt kein Problem. »Bitte schön.«
»Ich hätte das auch geschafft«, murmelte ich.
Er zuckte nur mit den Achseln. »Ich weiß.« Wieder griff er nach meiner Hand, dann führte er mich vorsichtig durch das hohe Gras auf einen weiteren Weidenzaun zu. »Sei vorsichtig. Wir haben ein Erdhörnchen oder eine ganze Erdhörnchenfamilie auf der Farm. Überall sind Löcher.«
»Okay.« Ich dachte im Moment allerdings nicht an Löcher oder Erdhörnchen. Ich war so sehr auf das Gewicht und das Gefühl von Jase’ Hand in meiner konzentriert, dass in meinem Hirn kein Platz mehr war, um mir Sorgen um Löcher im Boden zu machen.
Schweigend führte er mich zu dem Tor im Zaun. Als wir angekommen waren, ließ er meine Hand los und löste den Riegel. Das rostige Tor öffnete sich mit einem Quietschen.
Ich zögerte. »Ich bin mir wirklich nicht sicher.«
Ein lockeres Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er näher zu mir schlenderte. »Komm schon, Tess. Du hast gesagt, du vertraust mir.«
Ich trat von einem Fuß auf den anderen und starrte über seine Schulter hinweg. Am anderen Ende der großen Wiesen grasten zwei Pferde und schlugen lässig mit ihren schwarzen Schweifen. »Ich vertraue dir.«
»Dann komm mit.«
Eines der Pferde, das mit schwarz-weißem Fell, schaute auf. Es drehte sich um und schwang seinen riesigen Kopf in unsere Richtung. Keines der beiden Tiere trug einen Sattel.
»Sie werden dich nicht tottrampeln.« Wieder griff Jase nach meiner Hand. »Und ich erwarte nicht mal von dir, dass du aufsteigst.«
Ich riss den Kopf hoch. »Tust du nicht?«
Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen, als er eine Strähne einfing, die der Wind mir ins Gesicht geweht hatte. »Nein. Das ist nur ein Kennenlernen mit Pferden.«
»So was hatte ich noch nie.«
»Du wirst sie lieben.« Er zog mich vorwärts, und meine Lippen zuckten. »Es sind wirklich sanfte Tiere. Jack saß schon Hunderte Male auf ihrem Rücken, und wenn ich sie für gefährlich hielte, würde er nicht mal in ihre Nähe kommen.«
Guter Punkt. »Okay«, sagte ich und holte tief Luft. »Dann gehen wir es an.«
Jase ließ mir keine Zeit, das Ganze noch einmal zu überdenken. Er schnappte sich den Stahleimer voller Getreide, der bereits vor dem Tor stand, und innerhalb von Sekunden befanden wir uns auf der Weide. »Ich werde sie rufen, okay? Sie werden sofort kommen. Es ist Fütterungszeit. Also wappne dich.«
Meine Kehle war wie zugeschnürt, doch ich nickte.
Meine Angst schien ein wenig unbegründet, bis Jase zwei Finger zwischen seine perfekten Lippen steckte und einen scharfen Pfiff von sich gab. Die Pferde rissen ihre Köpfe hoch, dann rasten sie los. Ihre Hufe donnerten über die Erde, und sie kamen direkt auf uns zu.
Heilige Scheiße.
Ich machte einen Schritt rückwärts, nur um gegen die unbewegliche Wand aus Muskeln zu stoßen, die Jase war. Als ich mich um ihn herumschieben wollte, legte er von hinten einen Arm um meine Hüfte und hielt mich fest, meinen Rücken an seine Brust gedrückt.
»Alles okay.« Ich spürte seinen warmen Atem an meinem Ohr. Sofort war ich hin- und hergerissen zwischen meiner Angst vor den Dinosauriern, die auf uns zurasten, und der Aufregung darüber, dass ich in Jase’ Armen lag. »Du machst das prima.«
Ich umklammerte seinen Arm und kniff die Augen zu. Mein Herz raste wie wild, als das Donnern der Hufe näher kam, bis der Boden unter meinen Füßen zitterte. Plötzlich lag Staub in der Luft, und eine warme, feuchte Brise traf mein Gesicht. Ich drückte mich mit aller Kraft gegen Jase.
»Du hast Besuch, Tess.« Er legte sein Kinn auf meinen Kopf, was dafür sorgte, dass mein Puls ein Wettrennen mit meinem Herzen startete. »Zwei Gäste, um genau zu sein.«
»Okay.«
Kurzes Schweigen. »Hast du die Augen zu?«
»Nein.«
Er hob das Kinn von meinem Kopf, dann hörte ich das Lachen tief in seiner Brust rumpeln. »Du hast die Augen zu.« Er lachte wieder. »Mach sie auf.«
Ich fluchte leise, bevor ich vorsichtig ein Auge öffnete, nur um mich noch heftiger gegen Jase zu drücken. Er hielt mich fester. »Oh, wow …«
Direkt vor mir, nicht mehr als einen Schritt entfernt, stand das schwarz-weiße Pferd. Das braune stand nicht weit dahinter, schüttelte den Kopf und schnaubte leise. Ich riss die Augen weit auf und ließ sie zwischen den Kreaturen hin und her gleiten. »Das sind keine Fleischfresser, oder? Bei ihrer Größe könnten sie mich sonst verschlingen.«
Jase lachte tief, während seine Hand nach oben glitt, bis sie auf meinem Bauch lag, direkt unter meinen Brüsten. »Pferde fressen keine Menschen, du kleine Idiotin.«
Mit einem Zucken kniff ich die Augen zusammen. »Es gibt immer ein erstes Mal.«
Das schwarz-weiße Pferd zog die Lippen zurück, als lache es mich aus.
»Der da? Mr Freundlich? Jack nennt ihn Bubba Eins«, erklärte Jase mit beruhigend unaufgeregter Stimme. Doch dann stockte mir der Atem, als er seinen Daumen in einem langsamen Kreis über den dünnen Stoff meines Tanktops gleiten ließ und dabei den Drahtbügel meines BHs berührte. »Und der Braune heißt Bubba Zwei.«
Mein Mund wurde trocken, und ich leckte mir über die Lippen. »Das ist leicht zu merken.«
Jase lachte in sich hinein, während auch die anderen Finger anfingen, sich zu bewegen. Sie glitten erst zu meinem Bauchnabel, um dann wieder nach oben zu streifen. Es wirkte fast, als merke Jase gar nicht, was er da tat. Bemerkte er auch die Anspannung nicht, die seine winzigen Bewegungen in mir auslösten? »Finde ich auch. Aber eigentlich heißt er hier Blitz.« Jase zeigte auf eines der Pferde.
Das genannte Tier schüttelte sich, bis die Mähne um seinen Kopf peitschte.
»Blitz scheint der passendere Name zu sein«, gab ich zu. Mit jeder Sekunde, die verging, entspannte ich mich ein wenig mehr. Vielleicht war das Jase’ Absicht. Vielleicht wollte er mich mit diesen sanften, fast unschuldigen Berührungen nur ablenken. Auf jeden Fall funktionierte es. »Und was ist mit Bubba Zwei?«
»Ähm, das Pferd, das den Eimer anstarrt, als wäre es das Heiligtum des Getreides?« Als er lachte, glitt seine Wange kurz über meine. »Das ist Donner. Und wir werden die beiden jetzt füttern. Zusammen.«
Die Reibung, die seine Finger auf meinem Hemd erzeugten, jagte winzige Schauder über meine Wirbelsäule. »Mit den Händen?«
Das folgende Lachen sorgte dafür, dass auch meine Mundwinkel nach oben glitten. »Ja. Mit den Händen.«
»Nachdem ich mir ihr Gebiss angeschaut habe, bin ich mir da nicht so sicher.«
»Das wird schon.« Er zog seine Hand von meinem Bauch und legte sie stattdessen um mein Handgelenk. Langsam hob er meine Hand vor mich. »Halt still.«
Mein Herz verkrampfte sich. »Jase …«
Blitz trottete vorwärts und drückte seine feuchte Nase gegen meine Handfläche. Ich wand mich, während ich darauf wartete, dass das Tier meine armen Finger fraß. Doch das Pferd tat nichts dergleichen. Nein. Es stieß meine Hand nur an und wieherte leise.
Jase führte meine Hand über Blitz’ Kiefer zu den spitzen, zuckenden Ohren. »Siehst du?«, murmelte er. »Das ist doch gar nicht so schlimm, oder?«
Ich schüttelte den Kopf, während ich das weiche Fell streichelte. Blitz schien die Richtung meiner Liebkosungen vorauszusehen. Er presste seinen langen Kopf gegen meine Hand, als meine Finger seine Mähne erreichten. Das war überhaupt nicht schlimm.
Jase bewegte sich hinter mir, und mit einem Mal löste sich jeder Gedanke an die Pferde in Luft auf. Seine Hüften lagen an meinem Po. Ich biss mir auf die Unterlippe, während ich mich auf den weißen Fleck an Blitz’ Maul konzentrierte.
Ich konnte ihn fühlen – Jase fühlen. Und es bestand überhaupt kein Zweifel daran, dass ihn unsere körperliche Nähe beeinflusste. Dieses Wissen und seine harte Länge sorgten dafür, dass mir schwindlig wurde, genau wie Samstagnacht. Hitze wanderte über meinen Nacken nach unten. Eine Stimme in meinem Hinterkopf war eifrig damit beschäftigt, seine körperliche Reaktion vernünftig zu begründen. Er war ein Mann. Unsere Körper berührten sich. Schon ein Windstoß auf den Intimteilen eines Kerls reichte aus, um ihn hart werden zu lassen. Also sollte ich es einfach ignorieren. Aber mein Körper folgte einer vollkommen anderen Agenda als mein Kopf. Mein Unterleib verkrampfte sich. Scharfe, süße Sehnsucht breitete sich in mir aus.
»Nicht allzu unheimlich, richtig?« Jase’ Stimme klang plötzlich tiefer, voller. »Sie sind wie Hunde. Na ja, wie Hunde, die ungefähr hundert Kilo tragen können, wenn nicht mehr.« Seine Hand glitt von mir, er trat zurück, und das plötzliche Verschwinden seines Körpers war ein Schock. »Vertrau mir«, sagte er.
Dann schlug er mir mit der flachen Hand auf den Hintern.
Ich kreischte, riss die Augen auf und wollte mich zu ihm umdrehen, doch Blitz, den es offensichtlich störte, dass ich ihn nicht mehr beachtete, stieß meinen Arm an. »Ähm …«
»Es ist okay. Du hast ihn gerade erst gestreichelt. Und er hat deine Hand nicht gefressen.«
Darüber dachte ich nach, während Blitz mich aus dunklen Augen musterte. Ich kratzte ihn wieder hinter dem Ohr, doch gleichzeitig hatte ich immer noch panische Angst. Aus der Nähe gesehen wirkten die Pferde noch größer. Ich konnte mir ehrlich nicht vorstellen, je auf so einem Vieh zu sitzen, besonders nicht auf einem, das Blitz hieß.
Jase kehrte zu mir zurück und stellte den Eimer zwischen uns. Donner folgte ihm mit ungeduldig peitschendem Schweif. Jase kniete sich hin, füllte seine Hand mit Hafer und stand wieder auf. Sofort presste sich ein dunkles Maul in seine Handfläche, während er zu mir sah. »So einfach ist das.«
Auch wenn ich mir nie vorgestellt hatte, dass ich jemals ein Pferd aus meiner Hand fressen lassen würde, protestierte ich nicht, als Jase mir ein wenig Hafer in die offene Hand schüttelte. Mit einer Grimasse hielt ich Blitz meine Handfläche entgegen.
»Du solltest dich selbst sehen.« Jase schüttelte lachend den Kopf. »Sehr süß.«
Und wahrscheinlich ein wenig lächerlich. Meine Wangen fingen an zu glühen, während Blitz den Hafer in meiner Hand herumschob. »Ist er wählerisch?«
Jase grinste und kraulte Donner mit der freien Hand den Nacken. »Ich glaube, er lässt sich Zeit, weil er dich mag.«
»Ach wirklich?« Ich lächelte, dann hob ich langsam die andere Hand und streichelte den eleganten Kopf. Mehrere Augenblicke vergingen, in denen ich darüber nachdachte, wie ich hier gelandet war. Das war mehr als nur ein unverfängliches Kennenlernen mit Pferden. Ich verstand, was Jase vorhatte. Dieser ganze Ausflug hatte seinen Ursprung in der Unterhaltung in seinem Jeep. Er wollte den Adrenalinstoß und das Vergnügen, das ich beim Tanzen empfunden hatte, durch etwas anderes ersetzen.
Dass ich ihm überhaupt genug bedeutete, dass er sich dafür Zeit nahm, berührte mich. Mehr als der gestohlene Kuss vor einem Jahr oder unsere kurzen Berührungen. Meine Kehle schnürte sich zusammen, als Blitz an dem Hafer knabberte, bis meine Handfläche kitzelte.
Ich hatte keine Ahnung, warum er das für mich tat. Ja, wir waren befreundet – wir waren inzwischen schon eine Weile befreundet. Wenn er Cam besucht hatte, hatte er auch immer mich besucht. Doch das hier schien etwas mehr zu sein als nur die Aufmerksamkeit eines guten Freundes.
Allerdings war ich auch keine Expertin, was Freundschaften anging.
Und als ich dort stand und die leichte Brise es nicht schaffte, den dünnen Film aus Feuchtigkeit zu trocknen, der auf meiner Haut lag, verstand ich plötzlich, dass ich eigentlich … keine Freunde hatte. Denn wären Sadi oder meine anderen Studiofreunde echte Freunde gewesen, hätten wir immer noch Kontakt, obwohl wir nicht länger ein gemeinsames Ziel verfolgten. Es war nicht nur Neid oder Bitterkeit, die zwischen uns stand. Ohne das Tanzen verband uns einfach nichts mehr.
Ich schluckte gegen das Brennen in meiner Kehle an. »Ist es wirklich wie fliegen?«
Jase warf mir einen kurzen Blick zu und nickte. »Ist es.«
Wieder versuchte ich, den Kloß in meiner Kehle zu lösen. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Blitz und holte mir mehr Hafer, als er die erste Handvoll gefressen hatte. Die gesamte Situation war irgendwie friedvoll – die Ruhe der Farm, diese einfache Beschäftigung.
»Das ist nicht allzu schlimm«, gab ich leise zu.
»Ich weiß. Und es wird noch besser werden, sobald du verstanden hast, was das Hier dir bedeutet.«
Ich biss mir auf die Lippe und erinnerte mich daran, was er im Jeep gesagt hatte. »Seit wann bist du so weise?«
»Ich war schon immer extrem weise. So sehr, dass ich es schon fast als Fluch betrachte.«
Ich lachte leise.
»Eigentlich ist es einfach Erfahrung. Es passieren ständig Dinge, mit denen man nicht gerechnet hat, Tess. Vertrau mir. Dinge, die dein gesamtes Leben verändern: wie du dich selbst siehst; für wen du dich selbst gehalten hast. Dinge, die dich alles neu einschätzen lassen. Und selbst wenn das am Anfang nicht so klingt, als wäre es etwas Gutes …« Er zuckte mit den Achseln, den Blick unverwandt auf Donner gerichtet. »Manchmal entwickelt sich alles besser, als du dir je hättest vorstellen können.«
Die Überzeugung in seiner Stimme ließ mich keinen Moment daran zweifeln, dass er solch unerwartete Entwicklungen am eigenen Leib erfahren hatte.
»Weißt du was?«, fragte Jase nach ein paar Minuten. »Das, was Jacob gestern im Ram’s Den gesagt hat, ist nicht wahr.«
Der plötzliche Themenwechsel erschreckte mich. Ich sah Jase an, während Blitz weiter aus meiner Hand fraß. »Was?«
Donner wandte sich vollgefressen ab und trottete davon, während Jase sich die Hände an den Jeans abwischte. Er schlenderte zu mir herüber und kraulte Blitz abwesend an den Ohren, als ich meine Hand senkte. »Du weißt genau, wovon ich rede, Tess. Und ich weiß, warum du direkt danach verschwunden bist.«
Erst wollte ich alles leugnen, weil das einfacher war, als mich der Wahrheit zu stellen. Besonders, wenn die Wahrheit irgendwie erniedrigend war. Doch Jase wusste alles über diese Wahrheit. Im Moment würde Leugnen mich nur dämlich aussehen lassen.
»Ich will nicht darüber reden.«
»Tess …«
»Ich könnte vergnügt bis an mein seliges Ende leben, ohne seinen Namen je wieder zu hören oder darüber nachdenken zu müssen, wie er war oder wie es sich angefühlt hat, mit ihm zusammen zu sein. Ich glaube …« Meine Stimme brach unerwartet, und ich zwang mich dazu, einmal tief und ruhig durchzuatmen. »Ich möchte mich nicht daran erinnern, wie es sich angefühlt hat.«
Jase schwieg einen Moment. »Doch du weißt, dass du es nie vergessen wirst, und du musst verstehen, dass das, was Jacob gesagt hat, nicht stimmt.«
Seufzend fütterte ich Blitz mit den letzten Haferresten. »Aber er hatte recht.«
»Nein …«
»Es stimmt. Ich war eines dieser ›dämlichen Mädchen‹, das zugelassen hat, dass ein Kerl sie schlägt.« Ich lachte, doch es war ein harsches Geräusch. »Ich hätte fast das Leben meines Bruders ruiniert, weil ich zugelassen habe, dass die Situation so weit entgleist ist. Vertrau mir, ich weiß es.«
»Offensichtlich hast du keinen blassen Schimmer.« Jase nahm meine Hand in seine und wischte die restlichen Haferkörner ab. »Du hattest nichts damit zu tun, dass dein Bruder sein Leben fast ruiniert hat. Er hat die Entscheidung getroffen, diesen miesen Arsch suchen zu gehen. Nicht du. Und ich kann es ihm nicht wirklich vorwerfen. Wäre ich es gewesen, hätte ich den Wichser unter die Erde gebracht.«
Mein Blick schoss zu ihm. Seine stahlgrauen Augen leuchteten voller Überzeugung. »Nein. Das hättest du nicht, Jase.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Hm, doch, hätte ich. Und weißt du was? Das ist unglaublich falsch, aber es wäre meine Wahl gewesen. Genau, wie Cam seine Wahl getroffen hat. Es war niemals deine Schuld. Egal, was auch immer passiert ist zwischen dir und diesem Arsch«, er spuckte das Wort förmlich aus, »das, was an Thanksgiving geschehen ist, war nicht dein Fehler.«
Ich starrte in seine Augen und – oh Gott – ich wollte ihm so dringend glauben. Diese schrecklichen Schuldgefühle belasteten mich mehr als die Gefahr, dass meine Zukunft sich in Wohlgefallen auflösen könnte. Doch jetzt verschwand ein Teil der Last. In gewisser Weise hatte Jase recht. Ich zog den Kopf ein und verfolgte Blitz mit meinen Augen, der sich aufmachte, Donner zu jagen, nachdem ich ihn nicht mehr beachtete.
Jase hielt immer noch meine Hand, und seine Finger glitten um mein Handgelenk. »Du warst nicht dämlich.«
Ich lachte auf und hob den Kopf. »Okay. Warum erzählst du mir das alles? Warum willst du, dass ich mich besser fühle?«
»Weil es wahr ist.« Er presste seine Lippen zusammen, und seine Miene wirkte betrübt. »Wie alt warst du, als du angefangen hast, mit diesem Kerl auszugehen?«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Wie alt, Tess?«, drängte er entschlossen.
Ich schüttelte den Kopf und wollte ihm meine Hand entziehen, doch er hielt mich fest. Dieses gesamte Gespräch sorgte dafür, dass ich mich unter den dicken Heuballen hinter uns verkriechen wollte. »Ich war vierzehn, als wir zusammengekommen sind – im Sommer vor der neunten Klasse. Macht diese Antwort dich jetzt glücklich?«
Er wirkte nicht glücklich. »Du warst jung.«
Hilflos schloss ich die Hand, die er hielt. »Das war ich, aber er …«
»Er hat dich damals noch nicht geschlagen?«, fragte Jase so offen, dass ich zusammenzuckte. Die tiefen Falten um seinen Mund glätteten sich ein wenig, als er mir in die Augen sah. »Wann hat er dich zum ersten Mal geschlagen?«
Daran konnte ich mich mühelos erinnern. Der Moment war mir noch viel zu präsent. »Kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag. Ich bin aus Versehen auf seine neuen Nikes getreten.«
Jase wandte den Blick ab. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel. Zwischen dem ersten Mal, dass Jeremy mich geschlagen hatte, und dem letzten Mal, dass es geschehen war, lagen fast zehn Monate. Zehn Monate, in denen ich es geheim gehalten, die blauen Flecken versteckt und mich ständig gefragt hatte, was ich getan hatte, um diese Behandlung zu verdienen.
Zehn Monate, die ich niemals wieder erleben wollte.
»Selbst mit sechzehn warst du noch jung. Du bist immer noch jung«, sagte er schließlich. Seine Stimme klang ruhig, aber angespannt. »Ich kann mir nicht mal vorstellen, was du durchgemacht hast. Doch du warst noch ein Kind, Tess. Du warst nicht dämlich. Du hattest Angst.«
Plötzlich war meine Kehle wie zugeschnürt. Als ich sprach, klang ich heiser. »Ich dachte, es wäre meine Schuld.«
»Aber es war nicht deine Schuld.« Jase’ Augen funkelten in einem dunklen Silber. »Bitte sag mir, dass du weißt, dass es nicht deine Schuld war.«
»Jetzt weiß ich das.« Ich blinzelte schnell, dann räusperte ich mich. »Was er getan hat, war nicht meine Schuld, doch mein Schweigen hat nicht gerade geholfen.«
»Tess …«
»Ich verstehe, was du sagen willst. Aber ich hätte jemandem davon erzählen müssen. Dagegen kannst du nichts sagen. Schweigen ist keine verdammte Tugend. Es ist eine Krankheit – ein Krebsgeschwür, das an dir nagt und seltsame Dinge mit deinem Kopf anstellt. Jetzt weiß ich das. Damals aber nicht, und …« Ich sprach nicht weiter, sondern schüttelte den Kopf und holte tief Luft. Dann dachte ich für einen Moment an Debbie. »Na ja, auf jeden Fall ist jetzt alles anders.«
»Das ist es, aber du warst nicht dämlich, und es war damals nicht dein Fehler. Und weil ich das sage, ist es auch so. Ende der Diskussion.«
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Ende der Diskussion?«
Er nickte, dann zuckte einer seiner Mundwinkel nach oben. »Jep. Was ich sage, gilt.«
»Genau. Ist klar.«
Sein Grinsen wurde breiter, während er sanft an meinem Arm zog. Seine Augenfarbe hellte sich ein wenig auf. »Zweifle nicht an meiner Autorität.«
Ich lachte, und es überraschte mich, dass ich das nach einem so ernsthaften und traurigen Gespräch überhaupt konnte. »Du hast absolut keine Autorität.«
Er schmunzelte. »Oh, ich besitze Autorität. Übe sie ständig aus. Es ist nur eine getarnte Autorität. Du bemerkst sie nicht.«
Ich verdrehte die Augen, aber sobald der erste Schmerz dieses unangenehmen Gesprächs verklang, erkannte ich seine Worte als das, was sie waren. Selbst wenn es mir schwerfiel zu akzeptieren, dass ich keine Schuld an allem trug, wusste ich doch, dass Jase das meinte, was er sagte. Und das bedeutete mir etwas. Oh Mann, es bedeutete mir eine Menge.
»Also, wie fandest du das Kennenlernen?«, fragte er, und es war, als trete die Sonne hinter einer dunklen Wolke hervor. Wir befanden uns offiziell wieder auf sicherem Boden. »Nicht schlimm, oder?«
»Nein.« Ich lächelte zu ihm auf. »Überhaupt nicht schlimm.«
»Und beim nächsten Mal reitest du vielleicht einen von den beiden? Blitz?«
Mir wurde ein bisschen übel. »Ähm …«
»Ich werde bei dir sein«, fügte er hinzu und lächelte auf mich hinunter. »Die ganze Zeit über.«
Ich zog die Brauen hoch, als ich mir vorstellte, quasi auf seinem Schoß zu sitzen, während er mich mit seinem Arm um meine Hüfte an sich drückte, und … Mir wurde heiß. Ich musste diesem Porno in meinem Kopf Einhalt gebieten, bevor er nicht mehr jugendfrei war.
Er gluckste, ein tiefes, sexy Geräusch, und trat näher an mich heran. Seine Turnschuhe berührten meine, und ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen. »Ich merke schon, die Idee gefällt dir.«
»Was?« Ich zog eine finstere Miene, die hoffentlich wütend aussah und nicht dumm. »Nein. Ich habe nur an unseren Musikkurs morgen gedacht. Beschäftigen wir uns da nicht mit Barockmusik? Ziemlich spannend. Ich bin total aufgeregt.«
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich glaube nicht, dass du deswegen so aufgeregt bist oder dass so was dich anspricht.«
Ich kniff die Augen zusammen. »Du hast nichts damit zu tun.«
»Was auch immer.« Seine Augen funkelten. »Du hast an mich gedacht.«
Ich schnaubte. Nur dass das Geräusch eher dem Grunzen eines Schweins glich. »Schon klar. Eher nicht so. Ich denke überhaupt nie über dich nach.«
Er legte den Kopf schräg. »Du bist eine wirklich schlechte Lügnerin.«
»Und du hast ein viel zu großes Ego. Du bist schlimmer als mein Bruder, und das will was heißen.«
»Du kannst behaupten, was immer du willst. Ich weiß es besser.« Er senkte den Kopf, bis seine Lippen über meine Wange glitten und eine feurige Spur über meine Haut zogen. »Siehst du? Du wirst rot, und dabei habe ich noch gar nichts gemacht.«
»Das liegt an der Sonne«, hielt ich dagegen und wich zurück, bevor ich noch etwas Dämliches tat, wie mich auf ihn zu stürzen. »Ich bekomme einen Sonnenstich.«
Er wäre fast an seinem Lachen erstickt. »Die Sonne scheint nicht mal.«
Wieder schnaubte ich. »Als würde das einen Unterschied machen.«
»Weißt du was?«
Ich wartete.
Sein Gesicht schien in diesem nervigen Grinsen erstarrt zu sein. »Es ist süß.«
»Was?« Ich konnte nur hoffen, dass er sich nicht auf mich bezog, denn ich wollte von ihm nicht nur als »süß« gesehen werden.
»Du.« Er griff nach einer meiner Haarsträhnen und kitzelte mich damit am Hals, während ich gegen den Drang kämpfte, ihm die Zunge herauszustrecken. »Diese ganze Nummer – dass du so tust, als würdest du nicht ständig herumsitzen und an mich denken. Wahrscheinlich sitzt du regelmäßig in deinem Zimmer und schreibst wieder und wieder meinen Namen.«
»Oh mein Gott.« Ich lachte.
»Und du träumst von mir, richtig? Du liegst nachts wach und …«
Er verstummte, als ich lachend mit meiner Hand in Richtung seiner Brust schlug. Was er da behauptete, war mehr als lächerlich. Okay – vielleicht nicht das mit den Träumen. Er spielte in einigen Träumen die Hauptrolle. Doch meine Hand traf ihn nicht. Er fing sie geschickt ein und zog mich in einer einzigen, schnellen Bewegung an seine Brust.
Eindrucksvoll.
»Schlagen ist nicht nett«, erklärte er grinsend. »Und dasselbe gilt für Selbsttäuschung.«
Meine Brust an seiner machte es mir viel schwerer, dieses Gespräch zu führen. Meine Brustwarzen kribbelten. »Du solltest dir mal selbst zuhören. Du hast erklärt, du würdest bereuen, mich geküsst zu haben. Warum also sollte ich herumsitzen und an dich denken? Mein Leben geht weiter, Kumpel.«
Sobald die Worte meinen Mund verlassen hatten und ich seinen Blick sah, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Ich hatte keine Ahnung, was in seinem Kopf vor sich ging, doch die Intensität seines silbernen Blickes verschlang mich. Irgendwie waren wir von harmloser, blöder Kabbelei – denn die Behauptungen, die er aufgestellt hatte, waren ziemlich lächerlich – an diesen Punkt gekommen … und ich wusste nicht mal, was gerade geschah.
Jeder Humor verschwand aus seinem gut aussehenden Gesicht. »Ich habe nie gesagt, ich würde bereuen, dich geküsst zu haben.«
»Ich bin mir da ziemlich sicher.«
Seine Augen glänzten wie Quecksilber. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das nicht gesagt habe.«
Langsam schüttelte ich den Kopf. Ich war verwirrt und wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Ich bereue nicht, dich geküsst zu haben.«
Jetzt fing mein Herz an zu galoppieren. »Tust du nicht?«
»Nein.« Er wandte für einen kurzen Moment den Blick ab. »Ich sollte es. Ich wünschte mir, es wäre so.«
»Ich nicht«, flüsterte ich, bevor ich mich davon abhalten konnte. »Ich bereue es nicht im Geringsten.«
Er starrte mich einen Moment lang an, während er meine Handgelenke fester umklammerte. Dann breitete er die Arme aus, bis ein gewisser Abstand zwischen uns bestand. Ich hätte den Mund halten sollen.
»Scheiße«, sagte er heiser, dann zog er mich an sich.
Jase senkte den Kopf. Sein Mund lag auf meinem, bevor ich auch nur verstand, was gerade geschah. Mein Hirn konnte gar nicht verarbeiten, was gerade passierte, doch er küsste mich – er küsste mich. Seine Lippen lagen auf meinen, und dieser Kuss war einfach nur wild und leidenschaftlich.
In Sekunden stand ich in Flammen.
Seine Hände glitten zu meinen Wangen, dann schoben sie meinen Kopf zurück. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte meine Hände gegen seine Brust. Sein Herz unter meinen Handflächen schlug genauso schnell wie meines. Er zitterte ein wenig, als er die Finger auf meinem Gesicht spreizte, und ich glaube, ich hörte auf zu atmen.
Drei Jahre hatte ich für ihn geschwärmt, es war ein Jahr her, dass unsere Lippen sich zuletzt berührt hatten, und Jase … Oh Gott, endlich küsste er mich.
Meine Sinne spielten verrückt, als er sanft an meiner Unterlippe saugte, wie er es schon einmal mit meinem Hals getan hatte. Dann ließ er seine Zunge über den Rand meiner Lippen gleiten, um sie zu öffnen. Er vertiefte den Kuss, kostete mich – nahm mich in Besitz und schenkte mir im selben Moment die größte Freiheit. Dieser Kuss war vollkommen anders als der vor einem Jahr. Ein tiefes, beinahe animalisches Knurren stieg aus seiner Brust auf.
Er verschlang mich.
Einen kurzen Moment lang machte ich mir Sorgen, dass sein Vater uns so finden könnte. Nun, das wäre einfach peinlich gewesen. Doch jeder Gedanke an diese Gefahr verschwand, als seine Hände über meinen Hals und meine Schultern zu meinen Hüften glitten. Erwischt werden? Total nebensächlich.
Als er seine Hände um mich schloss, raste mein Herz, bis ich dachte, ich könne es nicht mehr ertragen. Jase hob mich hoch, ohne den Kuss zu brechen. Ganz instinktiv schlang ich meine Beine um seine Hüfte und legte ihm die Arme um den Hals, um meine Finger in seinen weichen Haaren zu vergraben.
Er lief los. Ich hatte keine Ahnung, wo er hinwollte, doch ich bewunderte seine Multitaskingfähigkeiten; er stolperte kein einziges Mal, während seine Zunge sich mit meiner duellierte und seine Hände um meinen Hintern lagen.
Ein Taumel der Gefühle überschwemmte mich, als er auf die Knie ging. Mein Rücken landete im Heu. Sein starker Körper schwebte über mir und hielt mich gefangen. Die dünnen, kratzigen Stängel stachen mich in die Arme, doch Jase’ Lippen verbrannten meine, und er raubte mir den Atem, als er seinen Körper auf meinen senkte. Das Heu federte unser Gewicht ab und umfing uns, als eine seiner Hände zu meinem Oberschenkel glitt, um mein Bein über seines zu legen. Das hier war vollkommen anders als in der Nacht, als er betrunken gewesen war. Wir wussten beide, dass er sich seiner Taten vollkommen bewusst war. Wir waren beide hier.
Der Druck – die Berührung an der Stelle, wo er am härtesten und ich am weichsten war – ließ nur wenig Raum für Gedanken. Ich konnte ihn fühlen, und als er seinen Unterkörper gegen meinen drückte, seufzte ich auf, weil heiße Lust in mir aufstieg. Ich hob meine Hüften, folgte seiner Anleitung, und sein Stöhnen hallte wie Donner durch meinen Körper.
»Verdammt«, knurrte Jase an meinen geschwollenen Lippen. »Oh, verdammt noch mal, Tess, ich …«
Wieder senkte sich sein Mund auf meinen, doch jetzt war der Kuss langsamer, inniger. Fast schon zärtlich. Ich meinte zu spüren, dass seine Hand zitterte, als er sie sanft unter den Saum meines Tops schob. Seine raue Handfläche glitt über meinen Bauch, und ich zuckte zusammen, weil ich so viel mehr brauchte und wollte.
In diesem Moment, in dem nichts außer seinen Küssen, seinem Geschmack, seinem Körper existierte, würde ich bis zum Letzten gehen.
Auf einer Farm.
Neben einer Scheune.
Im Heu.
Jase hob seine Lippen. Ich wimmerte, weil ich sie sofort vermisste. Sein selbstgefälliges kurzes Lachen jagte Verlangen durch meine Adern, dann bahnte sich sein Mund einen Weg über meinen Hals. Ich legte den Kopf in den Nacken, um ihm freien Zugang zu gewähren.
Und er nahm sich, was er wollte.
Er küsste die empfindliche Stelle unter meinem Kinn und saugte an meinem Hals. Seine Lippen beruhigten das Brennen, das die Bartstoppeln um seinen Mund hinterlassen hatten. Mein gesamter Körper sehnte sich nach ihm … nach mehr – nach allem, was mehr war als das.
Wie in einem Tunnel hörte ich das laute Brummen eines Autos. Zuerst dachte ich, ich bildete mir das Geräusch nur ein – betete darum. Doch die Sekunden vergingen, und das Geräusch wurde lauter.
Jase sprang von mir herunter auf die Beine, dann wich er zurück. Trotz des schwülen Wetters fühlte sich die Luft auf meiner Haut kühl an. Benommen ließ ich meinen Blick über ihn gleiten. An seinem Hemd und den feinen Haaren an seinen Armen hing Heu. Für einen Moment blieb mein Blick an seinen Hüften hängen, bevor ich an mir selbst heruntersah.
Mein Top hing knapp unter meinem BH.
Das Auto bog um die Kurve, und ich konnte jenseits der gelben Getreidestängel einen roten Punkt erkennen.
Ich brauchte einen Moment, um die Situation zu verarbeiten. Daher war ich nicht darauf vorbereitet, dass Jase vortrat und mir auf die Beine half. Ich schwankte nach rechts und versuchte mich zu fangen, bevor mein gesamtes Gewicht auf meinem verletzten Bein landete. Jase stützte mich rechtzeitig und hielt mich gerade, während ich nach Luft schnappte, als hätte ich gerade eine anstrengende Tanzsequenz absolviert.
»Scheiße, Tess«, sagte er und fuhr mit seinen Händen über den Saum meines Tanktops. Er rückte es zurecht, während ich dastand wie ein Volltrottel. »Das …«
Das Auto hatte neben Jase’ Jeep angehalten. Die Beifahrertür öffnete sich, und eine winzige Gestalt fiel heraus. Eine Frau schrie etwas.
»Jase!«, kreischte eine Kinderstimme. Sein kleiner Bruder raste auf die Weide zu. »Jase!«
Ich stand wie erstarrt da, in dem Wissen, dass überall an meinem Körper Heu klebte und meine Haut ganz rot war, als hätte ich mir wirklich einen Sonnenbrand geholt. Mit wildem Blick sah ich Jase an.
»Es tut mir leid. Das hätte nicht passieren dürfen«, sagte er, dann drehte er sich um und ging davon.