11 | Sozialismen (2016)

Samulin nimmt die Brille ab, um die E-Mail zu lesen.

Er weiß, dass er sich nur einen größeren Bildschirm kaufen müsste oder die Buchstaben größer ziehen, dann könnte er sich weiter wegsetzen und von dort aus mit der Brille lesen, was da steht. Aber er hat sich daran gewöhnt, die Schirmlektüre, wie jahrzehntelang die von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen, mit unbewaffneten Augen zu vollziehen, und war seit langem nicht beim Augenarzt.

Na, alter Dachs?

 

Zufällig kann ich Gedanken lesen und weiß daher, dass Du immer noch schwere Bedenken hast wegen der Entscheidung, unser Schicksal den Chinesen und der Wehrmacht anzuvertrauen. Ich habe diese Bedenken lange geteilt, aber mir dann einen Stoß gegeben. Die Partei hat sich auf uns zurückgezogen, jetzt haben wir halt immer recht. Und siehe da: Der Weltgeist macht mit und spielt mir Dokumente zu. Mehrere. Lies sie.

Das erste ist ein Buch von Kerry Brown und Simone Van Nieuwenhuizen namens China and the New Maoists, zu haben in London bei Zed Books, bestell schön.

Das zweite Privatissimum fand ich bei einem Genossen, der manchmal spinnt und manchmal nicht. Er heißt Domenico Losurdo, hat wohlerzogene Ansichten zu Stalin (jedenfalls lässt er die sehen, und ich vermute fast, im Ungedruckten hat er noch bessere) und meint zu China, es sei eben eine Riesen-NÖP, was die da machen. Für

Mein drittes und letztes Praliné zum Nachdenken: Ein 1964 geborener Marxologe, der in China lebt und denkt und schreibt und publiziert – ja, das gibt’s – und den ich aber schmachvollerweise nur auf Englisch lesen kann, sein Name ist Xu Changfu, sagt uns in einem soeben bei einem Parodos-Verlag zu Berlin wie gesagt auf Englisch erschienenen Buche namens Marxism, China, and Globalization dieses: »It is not difficult for us to see, with the help of Marxism, that history has not ended yet, since the globalization of labor will at least take another two hundred years, when the world will certainly not be in its present state dominated by some superpower. Other theories do not give us such a prospect. As for the labor-countries involved in the onrush of the globalization of capital,

Spitzbube!

Die ungleichzeitige Entwicklung der Regionen nicht nur, wie bei Lenin, als eine Rahmenbedingung des Weltklassenkampfs, sondern als dessen zusammengefasster Gesamtprozess, als seine entscheidende Front – nicht schlecht. Ein großer Staat mit einer langen Geschichte kann offenbar weiter gucken als Deine Kleingläubigen damals in Moskau und meine hutzeligen Männlein in Berlin. Es ist fast, als schaute der Onkel aus dem Weltraum drauf aus einer Zeit in fünfhundert Jahren. Macht Dir das nicht Mut? Na, dann eben nicht.

 

Immer vorn,

CS

Samulin denkt beschwingt und beglückt: Ist gut, hab’s verstanden.