15 | Zu den Tintenfischen

Musik weckt die junge Frau, nicht Licht wie sonst.

Die Musik ist nicht laut, durchdringt aber Filipas Haut wie Nährlösung, ein weich antiphonaler Chor, bei dem sie sich an den Anfang dieser einen Chemical-Brothers-Platte erinnert fühlt, wo Mädchenstimmen von einer Liebe singen, die sie in die Höhe hebt. Etwas an diesem Summen und Singen, das zwar von Stimmen getragen ist, die aber doch irgendwie nicht menschlich wirken, erinnert an ruhigere Sachen von Trentemøller, schwebend, wortlos, vergessen Verlorenes und ruft in Filipa Namen wie »gravity« oder »candy tongue« wach.

Sie liegt ein bisschen zusammengerollt in warmer Dunkelheit, in Rock und Pulli, aber ohne Schuhe, ohne Mantel. Worauf liegt sie da eigentlich? Eine Art Bett. Aber da ist kein Boden, sieht sie, als sie über den Rand der Matratze schaut, wo die dünne Schurwolldecke runterhängt, die Filipa jetzt vorsichtig beiseiteschlägt, um sich freier bewegen zu können, wobei sie sich im bronzenen, sehr schwachen Licht aus drei, vier schmalen Lampenschlitzen rechts und links von ihrem Kopf fragt, welche Farbe diese Decke wohl hat, wirklich weiß oder eher eierschalenfarben? Kein Boden also, sondern eine durchsichtige, konkave Mulde aus – Glas? Plastik? Die Liege

»Ja, ist so, wie es aussieht. Ein U-Boot. Willkommen an Bord der PETERWATTSILUS«, sagt die Frau, deren Stimme Filipa sofort erkennt, obwohl sie nicht gleich weiß, woher diese Stimme kommt. Filipa stützt sich am Metallrahmen der seltsamen Bettstatt, richtet sich auf, sitzt jetzt gerade. Jetzt sieht sie sich einer Art Treppenabsatz zu Räumen weiter hinten im Boot gegenüber, auf dem die Chefin barfuß und in einer weiten weißen Hose-Hemdjacke-Kombination sitzt, einem Pyjama, wohl aus Samt.

»An Bord der … was?«, fragt Filipa.

Die Frau zuckt mit den Schultern: »Privatwitz. Kofferwort aus Nautilus und Peter Watts.«

Filipa öffnet den Mund. Schließt ihn wieder. Öffnet ihn wieder, schnappt nach Luft.

Die Frau guckt freundlich interessiert.

Filipa sagt: »U-Boot. Im Meer.«

»Atlantik. Du, ich alleine, na ja, bis auf die Tintenfische. Da fahren wir hin, zu denen. Und inzwischen … da. Ja, da vorne«, sie zeigt mit dem Finger in die Wasserwolkenvorhangfalte, auf die das Boot zusteuert, da scheint sich etwas zu bewegen, »das sind dann irgendwelche Horrorviecher. Dreihundert Meter Tiefe, im Moment. Ich kann uns auch viel tiefer tauchen lassen. Atemluft ist kein Problem. Ein Apparat im Rumpf entsalzt das

»Falls ich …«, sagt Filipa wie im Schlaf, im Traum, und schwingt die Beine übern Bettrand. Sieht ins Dunkel. Schatten, große, kleine. Horrorviecher?

Sie schlingt die Arme um den Oberkörper, atmet ein, aus, ein.

Die Frau macht eine merkwürdige Handbewegung in der Luft, etwas Tänzerisches, Graziles. Die Musik ändert sich, wird eine Spur lauter, schiebt sich zusammen, denkt Filipa, weil sie kein anderes Vokabular für den Effekt hat, den sie wahrnimmt.

Wo sind eigentlich die Boxen? Es muss mehrere geben, der Klang ist räumlich reich.

Filipa schaut die Frau an und sagt: »Bist du das? Diese Musik? Machst du das?«

Die Frau steht auf, allerdings zieht sie die Schultern ein bisschen vor, ganz aufrecht stehen geht nicht, dazu ist der Türbogen zu niedrig. Dann sagt sie: »Summsibrumm. Hab ein Studio hinten. Das sind so Sounds, die ich jetzt durch den Rechner knödle und mit Bewegungsmeldern … also, ursprünglich ist das alles hergestellt mit Instrumenten, die in so einem besonderen Metall gefertigt sind, nennt sich Bexium, hat eine spezielle thermische Empfindlichkeit, und je nachdem, wie man die Temperatur variiert, also da geht alles, langsame Kantilene, Adagio, Scherzo, Tänze, Ouvertüren, Medleys, Variationen,

Sie streckt die Hand nach ihr aus, wie vor dem Stripclub, denkt Filipa und wagt vorsichtig den Schritt auf das Metallfensterkreuz, weil sie sich nicht traut, aufs Glas zu treten. Dann sagt sie: »Wieso … wieso bin ich hier? Was ist das alles? Was … worum geht’s hier eigentlich?«

Kid Korona schaut, als wäre sie gerührt.

Filipa versteht, dass sie lächerlich aussieht, wie sie hier fast mit dem linken Fuß auf dem dumpf pochend schmerzenden rechten steht, nur um nicht auf das Glas, oder was immer das für ein Material ist, zu treten. Die Frau sagt: »Das hält eine Menge Druck aus, von außen wie von innen. Du könntest darauf herumspringen, mit aller Kraft, und das Zeug merkt’s nicht mal. Ich springe manchmal drauf rum, wenn es mir zu eng wird hier drin, und dann höre ich Van Halen oder Ska und hüpfe wie bekloppt und werfe mich gegen … na ja. So wie du, draußen. Fühlst du dich eingeengt?«

Das ist keine Antwort auf Filipas Frage danach, worum es hier eigentlich geht. Filipa nimmt endlich die Hand der Frau, lässt sich auf die kleine Treppe ziehen. Dann folgt sie der Seltsamen auf den kleinen Korridor, in dem sie sich beide nicht bücken müssen, während Filipa sagt: »Nee … nein, komischerweise eigentlich nicht. Beziehungsweise … Sie haben gesagt, ich werfe mich draußen gegen was, und ich weiß sogar, was Sie meinen. Das ganze Risiko dauernd mit …«

»Männer, Frauen, Drogen, alles, kurz nachdem du mitten im Licht gestanden hast und dein Verstand wahrscheinlich immer noch nicht wieder heil ist davon, sondern ein riesiger Wahrheitensalat.«

Filipa muss lachen, das Wort ist gut. Sie greift nach metallischen Leitern und anderen Funktionsteilen, als wären es

»Schon recht«, brummelt die Frau, die offenbar das Wort nicht hören will, das Filipa auf der Zunge liegt, und steigt durch einen Türreifen abwärts in etwas, das, abgesehen von der Kugelform des Raums, den nach innen gebogenen Wänden, mit seinem weißen Kliniklicht, seinen Kühl- und Speiseschränken, seinem Herd unterm Abzug und hohen Esstisch mit vier metallicblauen Stühlen, tatsächlich eher wie eine Wohnküche in einer Space-Age-Villa der sechziger Jahre aussieht als wie etwas, das in ein U-Boot gehört.

Der Raum hat keine Fenster.

Filipa sagt: »Jedenfalls … seitdem fühle ich mich dauernd so, als müsste ich springen und toben und mich gegen Leute und Sachen schmeißen, weil es auf der Erde so eng ist.«

Die Frau nimmt eine Pfanne aus einem der Schränke, stellt sie auf eine der Herdplatten, kramt in anderen Schränken, stellt ein Tetrapak Orangensaft und ein Glas vor Filipa auf den Tisch, dann einen Teller.

Auf den legt sie ein Sesambrötchen, ein Croissant, stellt Butter und ein Gläschen Honig aus dem Kühlschrank dazu, wurstelt und werkelt weiter, während sie erwidert: »Siehst du, du fragst, worum es geht. Okay. Um deinen Affentanz. Um diese ganzen Sachen, die du da veranstaltest und von denen die liebe Vera und der liebe Bernhard nicht das Geringste ahnen, weil sie so lieb sind. Ich bin nicht lieb.«

Sie begießt den Pfannenboden mit etwas Öl, schlägt drei Eier auf, fängt an, Rührei zu machen, während Filipa bereits das unaufgeschnittene, unbestrichene, trockene Brötchen isst. Sie hat jetzt wirklich, zu ihrer eigenen Überraschung, einen riesigen Hunger.

»Und weil ich nicht lieb bin, weiß ich genau, was mit dir los

»Mmmhm«, macht Filipa.

»Und wenn dir das zu intellektuell ist, kannst du mit mir schlafen. Du bist ja süß, und mein Bett drüben ist viel größer als deins. Wir müssen uns die Zeit vertreiben, die Reise geht ein paar Tage, auch wenn ich nachher den Atomantrieb einschalte und auf High Speed gehe.«

Filipa schluckt sehr trocken, spült mit Orangensaft nach und lässt den Blick nicht mehr von der Schlange, die ihr gegenübersteht.

Schließlich sagt Filipa: »Ich … ich bin nicht lesbisch.«

Kid Korona sagt: »Na, gut zu wissen. Jetzt hol mir mal einen Teller von da drüben und mehr Besteck. Das Mittagessen, das machst nachher du. Damit wir uns da richtig verstehen, ich bin nicht dein Servicepersonal.«

Filipa deckt den Tisch, wie sie gebeten wurde, und denkt dabei, weil die anderen, die komplizierteren Fragen einander