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it zügigen Schritten eilte ich in Richtung Gästeflügel, in dem die Männer untergebracht waren. Da, wo sich der weiße Raum befand. Der Rückzugsort für Jeff, wenn er jemals kommen würde. In all den Jahren hatte er nur einmal hier geschlafen. Aber dort war Reservekleidung von mir deponiert, falls eine betrunkene Hure mal wieder in meinen Räumlichkeiten war. Dabei wusste jeder, dass niemand mein Zimmer betreten durfte, selbst, wenn ich hier nur selten über Nacht blieb.
Mein Puls war auf hundertachtzig. Dieser heiße Mistkerl. Ich hatte ihm mehr oder weniger gestanden, dass ich Gefühle für ihn hegte und er hatte nur von mir hören wollen, dass ich ihm gehörte? Warum? Damit er mich wieder verkaufen konnte? So ein Arschlochmensch.
Mein Verband war nass, ich selbst voller Schaum und ich rannte lediglich mit einem fucking Handtuch bedeckt durchs Haus. Mitten im Flur angekommen hörte ich einen Knall und kurz zuckte ich erschrocken zusammen. D hatte die Tür aufgebrochen und er war deswegen sicher nicht gut gelaunt.
Da ich keine Lust auf eine weitere Diskussion mit ihm hatte, beschleunigte ich den Schritt. Doch ich kam nicht weit, da riss D mich schon zurück. Er war wie so oft schneller. Umgehend drückte er mich gegen die Wand, dabei hatte er selbst nur ein Handtuch um seine Hüften gebunden.
»Kannst du mir erklären, was das soll?«, brüllte er mir mitten ins Gesicht.
»So fühlt es sich an, wenn man machtlos ist!« Keck lächelnd hätte ich schwören können, dass er mich am liebsten erneut schlagen wollte.
»Wie kommst du darauf, dass ich jemals machtlos war?« Sein Griff um meine Oberarme verstärkte sich und unsere wutentbrannten Blicke trafen sich.
Ich fühlte mich so. Sechs Monate hatte ich mich genau so gefühlt. Selbst in seiner Nähe war ich wehrlos. Dieser Schmerz zog sich durch meine Glieder. Wütend schlug ich seine Hände von mir und er wollte gerade wieder nach mir greifen, als ich einen Schritt auf ihn zu trat und ungewollt die Stirn gegen seine nackte, noch feuchte Brust legte.
Sofort spannte er sich an.
Gegen D gedrückt ließ ich mich hängen. Eigentlich sollte ich ihn anschreien, ihn schlagen oder mich zumindest von ihm entfernen. Aber ich konnte nicht. Wie versteinert stand er da, während mein Verhalten mich selbst verwirrte. Dummerweise wollte ich seine Nähe spüren, seinen Geruch einatmen und seine Wärme stehlen. Warum ich das wollte, obwohl ich es hasste, wusste ich nicht.
Völlig unerwartet umschlang er mich mit seinen Armen, drückte mich an sich und seufzte an meinem Scheitel. Mit einer Hand an meinem Rücken und einer in meinem Nacken umschloss er mich, während ich meine Arme baumeln ließ.
Dann geschah etwas völlig Absurdes. Krankes. Nicht nachvollziehbarer, grausamer Scheiß. Denn zum ersten Mal in meinem verdammten Leben erwiderte ich eine Umarmung,
indem ich die Hände an seinen Rücken legte. Ich seelenlose, fucking Bitch umarmte einen Mann! Freiwillig! Ohne Zwang! Sondern, noch verrückter, weil ich es wollte! Irgendetwas wirklich Abartiges in mir brauchte es sogar!
»Jenny«, hauchte er verwundert. Damit riss er mich zurück in die Realität. An den Ort, wo er anstrebte, mich zu benutzen, anstatt mich in diesen warmen Kokon zu hüllen. Ruckartig löste ich mich von ihm, schubste ihn weg und lief zügig den Flur herunter. Ich konnte kein bisschen erwidern, nicht weiter auf etwas reagieren und nichts anderes mehr tun, als abzuhauen. Er gewährte mir die Flucht.
Ich hasste ihn abgrundtief. Für alles, was er getan hatte und anstatt mich endlich gegen D zur Wehr zusetzen, ging ich schon wieder meinen niedersten Bedürfnissen nach. Wie dumm konnte man eigentlich sein?
Kaum betrat ich fluchend und ungesehen den Flur zu den Gästezimmern, kam mir Adam mit einer von Calvins Huren entgegen.
Oh! Adam und eine Nutte? Das ist neu.
»Kit! Schön, dass du zurück bist«, freute sich die Frau, dessen Name mir am Hintern vorbeiging. Selten hatte ich mir gemerkt, wie sie hießen. Auch wenn sie schon Jahre hier wohnten.
Diese bekam meinen typischen Verzieh-dich-Blick zusehen und schon rannte sie schweigend davon. Sie wussten alle, dass ich bösartig war. Gerade dann, wenn sie zu viel sprachen. Dabei war jedes Wort von ihnen zu viel. Ich hatte nie mit den Nutten geredet. Egal, wie oft sie es versucht hatten. Aus einem mir nicht erklärlichen Grund hatten sie mich dennoch gemocht. Weiber!
»Stiletto! Du bist ja voller Schaum«, meinte Adam und kam näher. Er musterte mich ausgiebig. Dass er mich so nannte, war nervig. Mein persönlicher Spitzname von diesen Männern. Weil sie wussten, wer ich war, nervte dieser so richtig.
»Oh, habe ich gar nicht bemerkt.« Ich rollte die Augen und versuchte, an ihm vorbeizukommen, aber er stellte sich mir in den Weg. Er war meinem nackten Körper eindeutig zu nah. Der Sexgeruch, der an ihm haftete, widerte mich an.
»Alles ok?«, fragte er und legte mir sanft eine Hand auf den Arm. Der attraktive Blonde mit den blauen Augen sah mich so sanftmütig an, dass mir schlecht wurde. Dachte er, dass ich ihm verziehen hatte? Ich drängte mich an ihm vorbei, wobei sich unsere Körper berührten, und betrat das weiße Zimmer. Natürlich war keiner der Männer dort einquartiert. Calvin achtete immer darauf, dass es frei blieb. Dabei wusste er genau, dass Jeff nur im äußersten Notfall dort schlafen würde. Vielleicht tat er das nur mir zuliebe. Kaum betrat ich den Raum, stand Adam auch schon drin.
»Komm schon. Mit mir kannst du reden«, forderte er mich auf und nervte mich somit weiter. Er bemerkte wohl nicht, dass ich nicht wie eine ›Mimi‹ über mein kaputtes Inneres sprach.
»Warum sollte ich?« Ich verschränkte genervt die Arme vor der Brust. »Und ich bin nicht nur voller Schaum, sondern auch nackt!«
Da grinste er mich dämlich an. »Das sehe ich.«
»Ich will mich anziehen! Also verzieh dich!«
Provokant schloss er die Tür, um sich anschließend dagegen zu lehnen. »Tu dir keinen Zwang an.«
Er hat gerade erst Sex gehabt, was will er noch?
Zu müde und genervt, um eine Diskussion mit ihm zu beginnen, nahm ich mir aus der Kommode in der untersten Schublade meinen Slip, Top, BH, und Socken heraus.
»Warum sind Sachen von dir hier? Ich dachte, das ist ein Gästezimmer?«
Soll er sich doch um seinen Kram kümmern.
Was wollte er überhaupt hier? Nicht nur in diesem Zimmer, sondern in Detroit. Wieso nahm er nicht seine Freunde und verschwand wieder zurück in die Jauchegrube, aus der sie
geklettert waren?!
Ach ja. Sie wollten meine Ländereien beziehungsweise Anteile davon. Sie steuerten einen Deal mit Calvin an. Oder viel mehr mit mir. Was sie nur noch nicht wussten und nie erfahren würden.
Unbekümmert legte ich die Sachen aufs Bett. Leider hatte dieses Zimmer kein eigenes Bad. Also ignorierte ich seine Frage, drehte ihm den Rücken zu und nahm das Handtuch vom Körper, wobei er die Luft zischend einsog.
War ja klar. Er hat es doch darauf angelegt.
Während ich mich abtrocknete, fragte er fast atemlos, als hätte er noch nie eine nackte, tätowierte Frau gesehen: »Haben die Tattoos eine Bedeutung?«
Ja, du Penner, aber das geht dich nichts an!
»Nein«, knurrte ich zurück und zog mich schnell an.
Ist doch klar, dass man sich nicht ohne Grund mehrfach das Gleiche tätowiert, Idiot!
»Aber dasselbe Bild? Alle?«
Als wüsste ich das nicht!
Ja, es waren ähnliche Motive. Alles Kirschblüten. Alle Tattoos, bis auf eines am Handgelenk, waren japanische Kirschblüten mit Ästen. Sie hatten eine Bedeutung. Ein und dieselbe. Sie verdeckten ein Erlebnis und dessen Auswirkungen auf meiner Haut.
Fertig angezogen ignorierte ich Adams Fragen weiterhin und drückte ihn von der Tür weg, damit ich gehen konnte. Dabei war er mir erneut viel zu nah gekommen und ich spürte die Wärme, die von ihm ausging. Und vor allem seinen muskulösen Körper. Obwohl er nicht ins Beuteschema passte, war es anstrengend, ihn zu ignorieren. Dass er zudem immer so lieb und freundlich blieb, sollte mich bis in die Knochen anwidern. Zumal ich es hasste, wenn Menschen so übertrieben nett waren. Aber bei ihm fiel es mir zunehmend schwerer. Allerdings hatte ich andere Gründe, ihn zu verabscheuen.
Erschrocken stellte ich fest, dass er mich zurückhielt. Gerade als ich an ihm vorbei war.
»Sind das Kirschblüten?«
»Ja!« Ich riss mich los.
»Aber die sind schwarz.«
»Was willst du, Adam?«, schnauzte ich ihn an und er sah verwundert zurück. Was dachte er? Dass ich so charmant wie er war? Tztzz…
»Lass mich in Ruhe!«, ergänzte ich, bevor ich mich abwandte. Mit schnellen Schritten lief ich nach unten und weiter in Richtung Keller. Schließlich musste ich den Ehrengast Diogo besuchen. Der Mann, der meine Frauen entführt und mich erst in diese blöde Lage gebracht hatte, an dieser Auktion teilzunehmen, die ich so verachtete.
Kurz vor der Tür hielt ich inne. Denn ich ertrug seine Anwesenheit nicht. Mit einem weiteren Mann am heutigen Tag, der mich verarscht hatte, im selben Raum zu stehen, war nicht möglich, ohne dabei wild herumzuschießen. Außerdem hatte ich andere Probleme. Irgendwie musste ich D und seine lackaffigen Freunde von mir fernhalten und die alten Geschäfte wieder aufnehmen. Also kehrte ich zurück zum Abstellraum und zog meine Motorradkluft an. Die GSX war in der kleinen Halle neben dem Haus abgestellt. Gegebenenfalls müsste ich sie mir fertig machen. Zuvor aber brauchte ich Geld aus dem Tresor.
Geistig stand mein Plan fest.