23
Du hasst uns, nicht wahr?
S eit dreißig Minuten warten wir auf dich. Warum bist du nur so unpünktlich? Lächelnd erzählt C, stolz wie ein Vater, Geschichten aus deiner Kindheit, die im Übrigen alles andere als schön sind. Schon damals warst du frech und unverschämt. Bestimmt bist du so geworden, weil du, zu all dem, das einzige Mädchen in diesem verkommenen Viertel warst. Zwischen Junkies, Kriminellen und kleinen Jobs. Du musstest dich durchsetzen, hast viel gesehen und erlebt, was dich zu dieser gleichgültigen, aber selbstbewussten Frau gemacht hat.
Seine Anekdoten sagen nur wenig über dich aus. Deswegen wählt C diese auch und nicht die Geschichten, die uns dich besser verstehen lassen und zeigen, wie wir mit dir umgehen können, um unsere Ziele zu erreichen.
Lieber möchte ich wissen, was hinter dieser Jenny-Fassade steckt und wie groß die Kit-Macht ist. Außerdem warte ich vergebens, dass C mitteilt, wofür er uns braucht. Er macht aber nicht den Anschein, uns darüber jetzt informieren zu wollen.
Malcolm sitzt ebenfalls am Tisch und schmunzelt bei den Erzählungen über dich, obwohl diese nicht berauschend sind, sondern widerwärtig. Das Einzige, was durch das Geschwafel für uns verständlich wird, ist dein Umgang mit uns. Warum du es beherrschst, jemanden wie Calvin und mich um den Finger zu wickeln. Und weshalb du mit Bonny und Stefanya nicht zurechtkommst. Du bist nur mit Jungs aufgewachsen. Deswegen die Abneigung gegenüber Frauengesprächen. Denn du hast diesen weiblichen Firlefanz nie gelernt. Dafür aber, wie man an Autos herumschraubt. Die Überreste deiner Vergangenheit sind ausschließlich brutal und grausam. Eigentlich sollte ich dich bemitleiden, weil du nicht das Elternhaus gehabt hast, welches du verdienst. Stattdessen keimt Bewunderung für dich auf. Deine Geschichte und die Art, wie du damit umgehst, macht dich zu einer ebenbürtigen Gegnerin. Oder Gespielin. Was durchaus einen gewissen Reiz auslöst.
»Ich kann es immer noch nicht glauben, dass sie es ist«, offenbart Riley unseren Gedanken und schüttelt ungläubig den Kopf.
»Wir kannten sie ja auch nur durch ihren Ruf und nicht persönlich«, versucht Adam, uns zu verteidigen.
»Was habt ihr denn über Kitty gehört?«, fragt C und klingt dabei belustigt. Obwohl es alles andere als lustig ist. Von einer auffallend dreisten Autonärrin mit einem Körperbau, der jeden Männerverstand in den Irrsinn treibt, an der Nase herumgeführt zu werden, ist ganz sicher nicht amüsant. Es ist grotesk, dass ausgerechnet wir geblendet wurden.
»Sie soll impulsiv und ungeduldig sein«, fängt Adam an.
»Ja, ich habe gehört, sie gibt ihren Opfern nur zehn Sekunden Zeit, um zu antworten, weil sie es wohl hasst, zu reden«, macht Riley weiter.
»Das ist untertrieben«, unterbricht Calvin direkt. »Drei Sekunden. Sie zählt von drei runter und drückt dann ab.« Warum wundert mich deine Ungeduld nicht?
»Und sie ist bekannt dafür, dass sie gut mit Messern umgehen kann und körperlich soll sie auch eine Herausforderung sein«, überlegt Adam laut, was er über dich gehört hat.
»Ihr habt sie Stiletto genannt«, erinnert uns Calvin und ist sichtlich vergnügt. Riley ergänzt, ohne C‘s Worte zu beachten: »Ich habe gehört, sie redet zwar nicht viel, aber wenn, kommen nur Gemeinheiten aus ihrem Mund und…« Riley bricht sofort wieder ab. Denn uns wird klar: Du hast dich nicht einmal ausreichend verstellt, und dennoch haben wir es nicht bemerkt. Haben dich nicht erkannt. Meine Freunde lachen und ich lächle ebenfalls darüber, Jenny.
»Wir sind so dumm.« Riley lacht lautlos und schlägt sich eine Hand an die Stirn. Vielleicht waren wir das auch. Dein Ruf hätte uns aufmerksam machen sollen. Ich habe aber noch viel mehr über dich gehört. Du bist gleichgültig und desinteressiert, ziehst jeden Job durch und verlierst nie. Einige Legenden beruhen darauf, dass du die Schwäche der Feinde nutzt. Du lässt sie in den Tod wandern, ohne dass sie es bemerken. Anfangs dachte ich, dass du vorgehst wie ein Profiler. Nein, Jenny, du benutzt deinen schönen Körper und verführst mit Reizen, denen keiner widerstehen kann. Die Art, wie Männer auf dich reagieren, ist die Herangehensweise. Zudem agierst du zeitnah voller Tatendrang, beschützt nicht nur Calvin, sondern auch Mitarbeiter und Besitz. Du bist aber auch ein Fairplayer. Zumindest in der Hinsicht, was man über deine Abkommen sagt. Ich kann mich daran erinnern, dass Calvin durch mich eine Transaktion verloren hat. Mein höheres Angebot hat dafür gesorgt, dass du einen anderen Waffenlieferanten bezirzen musstest. Hierbei wollte ich C ein paar Steine in den Weg legen. Nur habe ich nicht damit gerechnet, dass du das akzeptierst und einfach einen neuen Lieferanten gefunden hast. Schneller als ich reagieren konnte, wurdet ihr wieder beliefert. Du hast dich geweigert, das Angebot zu halten oder es zu überbieten, und deinen jahrelangen Versorger für diesen gravierend höheren Preis, den ich zahle, sogar beglückwünscht. Außerdem konnte ich herausfinden, dass die Cops für euch arbeiten. Nur leider nicht, wie viele und für wen genau. Calvin oder dich?
»Ich habe von Anfang an gesagt, dass sie gefährlich ist«, protestiert Greg und reißt mich aus meiner Erinnerung. Er ahnte etwas, Jenny. Gewiss nicht, dass du die Person bist, die wir suchen.
»Damit meintest du aber, dass sie uns Probleme machen wird, weil sie niemals auf D hören und ihm die Kontrolle überlassen würde!«, hält Adam dagegen.
»Und ich habe ja auch so Unrecht gehabt!«, kontert Greg zurecht und schmunzelt. Adam geht darauf nicht weiter ein.
»Ich habe aber auch nicht damit gerechnet, dass Kit so…«, fängt er an, sucht aber nach dem passenden Wort und schaut zu mir rüber. Ja, Jenny. Er meint sicher, wie hinreißend, hübsch, anziehend und sexy du bist.
»Gutaussehend?« Dein Boss versteht, worauf er hinauswill, und mein Freund nickt zustimmend. Wir sind da alle derselben Meinung. So wie du bist, haben wir uns Kit nicht vorgestellt. Eine kleine nachdenkliche Stille entsteht. C ist ganz in Gedanken versunken, als würde er über dich und die vergangenen Monate ohne dich grübeln. Dagegen ist Malcolm auffallend nervös.
»Boss, wir haben ein kleines Problem«, macht er dann auf sich aufmerksam. »Sie hat die GSX herausgefahren und war zuvor am Tresor. Sie wird fahren.«
Du fährst also auch Motorrad. Ich wüsste nicht, was dich noch heißer machen könnte. Das mit dem Tresor werde ich herausfinden. Du hast Geld, das weiß ich nun, aber warum hast du es nicht mit nach Chicago genommen? Zumindest als Sicherheit oder, um den Camaro dort zu fahren. Das kann nicht allein an der Tarnung gelegen haben.
»Was hat sie vor?« Da steht C plötzlich unter Anspannung. Bist du so ungehorsam, dass du dich einem direkten Befehl verweigerst? Was ist so wichtig, dass du dich gegen deinen Boss stellst?
»Ich weiß nicht, was sie wieder in ihrem Köpfchen ausgetüftelt hat.«
Der Raum kühlt sich schlagartig ab und ich weiß, dass du gleich den Speisesaal betreten wirst. Diese Kälte umgibt dich seit der ersten Begegnung. Als hättest du den Ausgangspunkt unseres Gesprächs mitverfolgt, ertönt prägnant: »Arbeiten.« Dann kommst du zu uns. Bei dem Anblick, der mich trifft, zuckt mein Mundwinkel. Du stellst einen schwarzen Rucksack auf den Boden und gehst mit schweren Boots zur Bar, um dir eine Flasche Wasser herauszunehmen.
Ich bin sauer auf dich, Jenny. Du hast versucht, mich einzuschließen. Dabei bist du sonst nicht so infantil. Aber als du die Stirn an meine Brust gedrückt hast, als bräuchtest du genau das, hast du mich damit überfordert. Du hasst Umarmungen und hast es dennoch von mir verlangt. Das konnte ich dir nicht verwehren. Den Grund dafür kenne ich nicht. Deine Nähe jedoch so zu spüren und die Tatsache, dass ich dir etwas Intimes geben konnte, hat mich verblüfft und dieses kleine merkwürdige Gefühl der Verbundenheit entfacht. Leider hast du dich zu schnell wieder von mir gelöst und selbst damit hast du mich ein weiteres Mal verwirrt. Als hättest du zu spät mitbekommen, was du da getan hast und als ob du das gar nicht wolltest, bist du zurückgewichen. Dein Verhalten ist ein einziges Gewirr voller Widersprüche. Keinen Deut kann ich mit diesem bizarren Tun anfangen. Und das, Jenny, setzt mir zu. Personen, gerade Frauen, einzuschätzen, beherrsche ich. Ich kann Signale erkennen und sie passend zuzuordnen. Eigentlich. Jenny, ich beobachte, analysiere und reagiere. Dann, wenn ich glaube, dich exakt beurteilt zu haben, wechselst du die Verhaltensweise. Dich zu ergründen, fällt mir daher oft schwerer, als es für mich sein sollte.
Riley grölt: »Lara Croft isst ja mit uns!« Und ich zucke kurz, weil ich mental mit dir beschäftigt bin, und betrachte dich genauer. Du hingegen schenkst ihm keine Beachtung, obwohl er gar nicht so falschliegt. Denn du hast deine langen braunen Haare streng am Kopf herunter geflochten und die Augen schwarz geschminkt. Du trägst ein weißes Top und darüber ein Schulterholster mit zwei Pistolen. Der Lederoverall, den du anhast, ist nur bis zur Taille mit dem Reißverschluss verschlossen und der obere Teil hängt dir lässig von den Hüften. Dieser grimmige, abfällige Blick rundet es ab.
»Wie viel hast du genommen?«, fragt Calvin unmittelbar. Ohne uns zu beachten, machst du am leeren Platz neben C am Kopfende Halt, setzt dich aber nicht. Mit schiefgelegtem Kopf stellst du die Wasserflasche ab. »Fünfzigtausend.« Der Unterton verrät, dass du keine weiteren Fragen dazu beantworten wirst. Da kommt wohl die Frage auf, wer von euch das Oberhaupt ist?
»Also, Boss. Was gibt’s zu essen?«
»Dein Lieb…«, beginnt die Frau in der Ecke zu sagen. Sie steht die ganze Zeit da und wartet ebenso wie wir auf dein Erscheinen. Du schaust sie mit einem gefährlichen Ausdruck in den Augen an, woraufhin sie umgehend den Raum verlässt. Calvins Frauen mögen dich, das habe ich schon herausgefunden, während du dich versteckt hast. Genauso reagieren sie auf dich, ohne dass du etwas sagen musst. So angsteinflößend wirkst du auf sie.
Schließlich antwortet dein Boss: »Dein Lieblingsessen, also setz dich«, und zeigt auf den leeren Platz.
»Ich habe keinen Hunger, Boss.« Tust aber, wie dir geheißen.
»Das hast du nie, Kitty.« Du könntest eindeutig mehr vertragen, Jenny. Deine Figur ist, ungeachtet der Rundungen an den richtigen Stellen, zu zierlich.
»Dein Hunger kommt beim Essen. Tu nicht so, als würde ich dich nicht kennen.« Dafür, dass Calvin zu jung ist, um dein Vater zu sein, ist er sehr fürsorglich zu dir. C ist lediglich ein Jahr älter als ich.
»Du fährst also eine Suzuki? GSX?« Riley ist direkt in seinem Element. Er fährt selbst Motorrad, eine Fireblade. Das Einzige auf der Welt, was er liebt. »Welches Model? Hast du sie modifiziert?« Du ignorierst ihn, während er auf dem Stuhl hin und her rutscht. Sichtlich aufgeregt fragt er sich bereits, wie er dich erpressen kann, um damit eine Runde drehen zu dürfen.
»Ich fahre eine Fireblade«, haucht er ehrfürchtig und versucht somit, an Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dem gegenüber zuckst du nur desinteressiert die Schultern. Es ist erbärmlich mit anzusehen, wie seine Augen vor Freude zu glühen beginnen und du so ungerührt dasitzt. Du hasst uns, nicht wahr? Aber das wird sich ändern, Jenny. Denn du brauchst mich. Genau das hast du mir eben bewiesen. Durch Rileys Hochgefühl und das Mitleid, das er bei jedem von uns, außer bei dir, auslöst, erbarmt sich C zu antworten: »Die Fireblade steht gleich daneben und es ist eine unmodifizierte GSX-R 1000«, sagt er und lacht. Da rutscht der Ärmste noch erregter auf dem Stuhl hin und her und strahlt wie ein kleines Kind. Wenn es um Motorräder geht, ist er unfähig, seine Emotionen zu steuern.
»Ich will nicht, dass du alleine fährst. Zieh dich um und fahr mit Malcolm«, befiehlt Calvin sanft. Wieder zu dir blickend lehnst du dich zurück, verschränkst die Arme vor der Brust und siehst mich an. Leider habe ich nicht die Möglichkeit, mich von den hochgedrückten Brüsten abzuwenden. Du klingst trotzig, als du: »Ich fahre mit der GSX. Darüber diskutiere ich nicht«, erwiderst.
»Dann nimm einen deiner neuen Freunde mit.« Da werde ich hellhörig und schaue hoch. Den Blick auf mich gerichtet kommen Calvins Worte erst verspätet bei dir an. Dann aber schaust du mit aufgerissenen Augen zu ihm rüber und stößt ungewohnt schrill: »Was?«, aus. Ich verkneife mir das aufkommende Lachen, als dir die Tonlage bewusstwird, du kurz hüstelst und schließlich: »Du verarschst mich doch!«, knurrst.
»Du konntest in Chicago mit ihnen herumhängen, dann kannst du auch einen von ihnen mitnehmen.«
Meine Freunde sehen mich an und ich muss zugeben, dass ich damit nicht gerechnet habe.
»Ich komme mit«, drängt sich Riley auf. Während einige Frauen das Essen hereinbringen, sagst du viel zu bedeutungslos: »Ich habe mit einem von ihnen gefickt, mehr auch nicht.«
Was für eine Bombe, Jenny! Du böses Ding! Nicht, dass dein Boss es noch nicht wusste. Aber so? Da muss selbst ich kurz schlucken.
»Ja, und heute auch schon«, erwidert Calvin und erwischt mich eiskalt. Mit seiner Direktheit habe ich noch viel weniger gerechnet.
»Das ist dein Lieblingsessen?«, stutzt Greg und ich schaue auf den Teller, den eine Dame mir hinstellt. Ripeye, ein schönes Stück Fleisch mit Babykarotten und marinierten, gebratenen Kartoffeln. Mich wundert dein guter Geschmack nicht, weil ich schon längst weiß, dass du lieber Fleisch als Salat isst. Meine Gedanken schweifen ab, als ich mich daran erinnere, wie du dir einen Burger auf der Kartbahn bestellt hast. Wie niedlich es aussah, als du den Riesenburger zwischen deinen kleinen Händen gehalten und mir die Pommes geklaut hast. Dann noch dieser eine kurze Moment, als deine Lippen…
»Nein!«, knurrst du, holst mich damit wieder zurück in den Speisesaal und hebst den Teller, um deinem Boss das Gemüse und die Kartoffeln auf seinen zu schieben. Du betrachtest mit zufriedenem Lächeln das Stück Fleisch, als wäre es ein kostbares Kunstwerk.
»Das ist mein Lieblingsessen! Und um zum Thema zurückzukommen, was ich tue und mit wem, geht dich ja wohl nichts an, oder Boss?«
»Wenn ich darüber Buch führen muss, schon. Also treib es nicht mit allen!« Calvin hebt eine Braue und Adam verschluckt sich bei den Worten. Seine Reaktion wundert mich. Hat er etwas vor? Wenn ja, muss ich ihm klarmachen, dass du mir gehörst, Jenny. Nicht uns. Wir teilen alles. Aber was dich angeht, nicht! Außerdem sollte er sich besser von dir fernhalten. Er macht immer einen auf schwulen, besten Freund, aber das ist er nicht, Jenny. Bei ihm musst du aufpassen. Denn er denkt nicht nur mit seinem Schwanz, sondern er besteht nur daraus. Er ist gefährlich, wie wir auch. Keiner von uns ist nett und freundlich. Wobei Riley der harmloseste von uns ist.
Du fixierst Adam mit gehobener Braue und widmest dich dann wieder C.
»Das hat dich nie interessiert, Boss, und an deiner Stelle würde ich besser nicht Buch führen. Aber für dich versuche ich, meine Libido im Zaun zu halten.« Du steckst dir provokant ein Stück Fleisch in den Mund.
Auf deine Worte achte ich kaum. Denn es ist faszinierend, dich zu beobachten. Du genießt und zugleich hast du keine Gewalt über die Gier. Viel zu schnell verschlingst du das Essen, dennoch stöhnst du leise bei fast jedem Bissen. Das ist wirklich hinreißend.
»Was hast du mit dem Geld vor?«, fragt dich Calvin. Doch du zuckst nur mit den Schultern. »Fährst du zu den Neuen?«, erkundigt er sich weiter, kann dir aber nur ein Nicken abgewinnen. Er lässt nicht locker. »Deine zwei Neuen sind wirklich bezaubernd. Hol sie nach hier.« Bei den Worten schaust du beim Kauen zu ihm hoch und bedeutest unmissverständlich: »Meine!«, und fixierst mit diabolischem Lächeln Greg. »Aber die Ältere, Bonny, kannst du haben, wenn sie dich interessiert«, sagst du herausfordernd, ohne deinen Blick abzuwenden. Er hingegen fällt auf den kleinen Affront herein und lässt schlagartig sein Besteck auf den Teller fallen. Da er nicht aufschaut, bemerkt er nicht, dass du ihn nur ärgerst. Er murmelt etwas, was sich nach einer Entschuldigung anhört. Selbst Calvin lacht vor sich hin.
»Wie dem auch sei, nimm einen der Männer mit oder du ziehst dich um, Kitty. Das ist ein Befehl. Darüber diskutiere ich nicht.« Darauf reagierst du nicht. Dafür aber Riley.
»Nimm mich mit.« Ich stupse ihn an, dass er den Mund halten soll. Wir mischen uns nicht ein, Jenny. Nicht in Angelegenheiten, die uns nicht von Nutzen sind.
»Anderes Thema.« Calvin legt das Besteck ab und wischt sich mit der Serviette über den Mund. Da du kein Fleisch mehr auf dem Teller hast, nickst du leicht, beugst dich vor und klaust ihm das Ripeye. Er lächelt nur und du isst weiter. So gierig bist du und doch finde ich ausgerechnet das anziehend an dir.
»Da du dich in deinem Zimmer auslasten musstest, ziehst du in den Gästeflur in Jeffs Zimmer.«
Du schaust zu uns hoch, nickst kurz und schenkst dem Essen wieder deine Aufmerksamkeit.
»Ich habe dich vermisst, Kitty«, flüstert er, lehnt sich im Stuhl zurück und lächelt sanft. Du bedeutest ihm viel. Ich weiß nicht, ob ich eifersüchtig sein soll. Aber so eine Beziehung führst du nicht zu ihm, oder doch? Mit der Gabel in der Hand lächelst du müde.
»Ich habe von den Frauen ein Lied gehört, es erinnert mich an dich.«
»Er hat es in Dauerschleife gehört. Er hat uns praktisch damit gefoltert«, knurrt Malcolm neben dir. Skeptisch schauend legst du das Besteck langsam ab. »Welches Lied?«
»Darf ich es dir vorspielen?«, fragt er und du zuckst mit den Schultern. »Wer weiß, wann du wieder zum Essen bleibst. Du kommst und gehst, wie es dir beliebt.«
»Ich bleibe vorerst.« Irgendetwas macht dich misstrauisch, denn dein Blick ist auf C versteift, der dabei ist, das Handy herauszuholen.
»Es ist nicht deine Musik, Kitty. Aber achte auf den Text, dann verstehst du, was ich meine.« Er tippt darauf und durch die Lautsprecher in den Ecken des Raums ertönt eine Frauenstimme.
»Das ist wirklich nicht meine Musik!«
»Das ist ›Unstoppable‹ von Sia . Hör auf den Text, es passt so gut zu dir.«
»Was soll denn der Mist?«, fragst du genervt, stehst auf und schlüpfst mit den Armen in den Overall, was sogar zum Gesungenen passt.
Du hebst ungläubig eine Braue und starrst deinen Boss kritisch an. Ich weiß selbst nicht, was ich von dem Lied halten soll, aber es scheint auf dich zuzutreffen. Genervt ziehst du den Reißverschluss komplett hoch. Dabei presst du die vollen Brüste so fest unters Leder, dass ich schlucke. Dieser Anblick, Jenny! Fuck! Ich will dich! Jetzt! Sofort!
Ich will dir den Anzug, der sich wie eine zweite Haut an dich schmiegt, vom Leib reißen und dich über den Tisch werfen, um mich in dir zu versenken. Dich hart von hinten nehmen, bis du darum bettelst, die Erlösung zu finden, die ich dir nicht gewähre. Erst nachdem ich dich auf die Knie gezwungen habe und du mir den Schwanz gelutscht hast!
»Das Lied kenne ich doch!«, brüllt jemand gegen die Musik an und betritt den Raum. Meine Finger zucken zur Knarre. Am liebsten möchte ich ihn erschießen, weil er meine heißen Gedanken stört. Dann erkenne ich ihn, Jenny. Das ist einer deiner Leute. Saltos.
Singend tanzt er um dich herum und zeigt dabei mit den Zeigefingern auf dich und du schüttelst den Kopf. Die Abwehr ist ihm egal, er singt weiter und wandelt dabei den Text um. Aus ›ich‹ macht er ›du‹. Wie er um dich tänzelt, ist lustig mit anzusehen. Selbst Calvin lacht, wogegen Malcolm mit dem Finger auf euch zeigt.
»Das passiert, wenn man zu viele Kinder im Haus hat.« Zweifelnd wendet er den Blick ab. Auch meine Leute müssen bei dem Anblick lachen. Diese merkwürdige Atmosphäre, wie vertraut du hier bist. Wie du dich bewegst und sprichst. Deine ganze Art steht im Kontrast zu dem, was ich von dir kenne. Und doch passt es. Mir wird gerade bewusst, dass du zuhause bist. Dass dieser Ort und die kleine Veränderung, die ich wahrnehme, dich ausmachen. Das hier bist du, Jenny. Nicht das Mädchen in der Bar, das nur vorsichtig lächelnd nickt oder die Frau, die sich komplett verschließt. Jenny, du bist so viel mehr.
Genervt versuchst du, Saltos zu entkommen, schneidest ein Stück Fleisch ab und stopfst es ihm in den Mund, sodass er Ruhe gibt. Du tippst auf das Handy und schaltest die Musik aus.
»Schluss damit. Das kann ja keiner ertragen! Was stimmt nicht mit dir? Kannst du mir erklären, wo mein kaltblütiger Boss ist?«
»Ich bin immer noch derselbe.«
»Verflucht nein! Dir hat irgendeiner zu viel Zucker ins Hirn gestopft!«
»Das Lied passt einfach zu dir, Kitty.«
»Weißt du, wie oft das hier lief, als du weg warst?«, erzählt Saltos. »Aber es passt wirklich. Da ist sogar der typische Kit-Autovergleich mit dabei.« Er lacht lautlos und ich weiß nicht, ob er sich über das Lied oder dich lustig macht. »Was sagst du immer? ›Stehst du wieder auf dem Gas, ohne einen Gang einzulegen?‹« Sein Gelächter wird lauter und du verdrehst die Augen. »Du, heißes Girl, sprichst fließend benzinisch.« Er beugt sich zu dir rüber und ergänzt schelmisch: »Und geilisch.« Als er dir auch noch anzüglich zuzwinkert, lächelst du. Ich würde, wie die anderen auch, lachen, Jenny, wenn ich Saltos nicht hassen würde, weil er mit dir zu vertraut umgeht. Bist du ihm nähergekommen? Hast du dich von ihm ficken lassen? Durfte er dich so berühren, wie ich dich? Zähneknirschend kann ich es kaum ertragen, wie er mit dir redet. Schon in der Bar, wie du dich an ihn gedrückt hast, war ich kurz davor, ihn abzuknallen. Niemand sollte dir so nahekommen, Jenny. Ich werde ihn töten, wenn ich es nochmal sehe. Es ist mir egal, ob er eine Rolle in deinem Leben spielt. Nur ich darf dich anfassen!
Du drückst ihn auf den Stuhl und schiebst ihm den Teller näher. »Lass es dir schmecken, es ist das Fleisch vom Boss«, erklärst du und küsst seinen Kopf. Warum musstest du ihn mit deinen weichen, vollen Lippen berühren?
Du nimmst die Tasche aus der Raumecke. Mit einem kurzen Blick zu C bekomme ich ein merkwürdiges Gefühl. Dein Boss ist nämlich eindeutig angespannt. Er will verhindern, dass du dich alleine auf den Weg machst, und irgendetwas in mir sieht es genauso. C verschweigt dir einiges und du solltest wirklich nicht fahren. Aber ich möchte mich ungern einmischen.
»Hast du nicht etwas vergessen?« C hebt fragend eine Braue.
»Wer ist bei den Neuen, Saltos?«, fragst du für mich zusammenhangslos.
»Otis und Blade.«
»Siehst du, Boss. Ich brauche keinen von denen mitnehmen. Vor allem keine Männer, die mich verraten und verkaufen. Und das nicht nur im übertragenen Sinn.« Mit einer kurzen Handbewegung verlässt du den Raum. Weg bist du und dein Kommentar trifft mich. Dabei ist es die Wahrheit.
Du bist nicht nur wütend, du bist verletzt und du hast auch das Recht dazu, aber ich habe dir nie gesagt, dass du vor mir sicher bist oder dass ich zu den Guten gehöre.
»Fahr ihr nach, Malcolm!« Bevor dieser aufsteht, mische ich mich doch ein.
»Moment!« Dieser wartet verwundert. Es wird Zeit, mehr zu erfahren. »Ich fahre«, erkläre ich umgehend und lasse keinen Raum für einen Widerspruch, dafür kennt mich Calvin lang genug. »Aber ich will wissen, was hier los ist. Alles. Bis ins kleinste Detail.« Dabei sehe ich ihn eindringlich an. »Sie ist hier zuhause, also warum die Begleitung?«
Zögernd streicht er sich einmal komplett durchs Gesicht. Jenny, mir fehlt die Geduld, darauf zu warten, bis er uns einweiht. Du bist gerade alleine unterwegs in Detroit und dass er sich sorgt, obwohl wir hier sind, gefällt mir nicht. Wir sollten diejenigen sein, die für euch die größere Bedrohung darstellen. Sind wir scheinbar nicht und davon bin ich noch weniger angetan. Besser wäre es, wenn er die Wahrheit offenlegt. Ich kenne C seit Jahrzehnten. Daher wird er vor mir nichts verbergen können.
»Boss?«, wundert sich dein Freund. Anscheinend wurde er auch nicht in Kenntnis gesetzt. Je länger Calvin braucht, um zu antworten, desto nervöser werde ich. Warum sorge ich mich um dich, Jenny? Wo du mir völlig egal sein solltest. Offenbar bist du mir das nicht mehr. Es hat sich geändert. Die Verbindung, die Chemie zwischen uns, ist nicht mehr dieselbe und soeben werde ich wieder daran erinnert.
»Saltos«, seufzt er. »Du bist nicht in der Lage dazu, auch nur eine Bagatelle vor Kitty zu verschweigen, also iss zu Ende und fahr nach Brightmore. So viel ich weiß, hast du noch etwas zu erledigen.«
»Wenn sie in Gefahr ist, muss ich das wissen!«, protestiert er laut und steht auf. Er verwandelt sich in deinen Beschützer, Jenny. In Chicago hast du keine Freundschaften gepflegt, bis auf die mit Jeff. Dafür wurdest du lange genug beobachtet. Hier aber hast du Menschen, denen du etwas bedeutest, weißt du das?
Saltos versucht, mit eindringlichem Blick zu widersprechen.
»Das war keine Bitte, Saltos!« Immerhin ist ihm bewusst, dass er dem Boss nicht widersprechen darf. Also verschwindet er wütend und ich hake nach. Als dein Freund kurz darauf nicht mehr zu sehen ist, will ich ihn auch gleich ausfragen, was zwischen dir und diesem Mann läuft. Aber C kommt mir zuvor und erklärt: »Sie ist in Gefahr. Über das Ausmaß bin ich mir noch nicht sicher.« Calvin steht auf und sieht mich beunruhigt an. »Ich habe einen Brief erhalten.«