Ü
berall Qualm. Das Feuer verkohlte meine Haut und ich schrie tonlos seinen Namen. Meine Kehle brannte, meine Glieder zitterten und ich stürzte, aber konnte nicht aufhören, seinen Namen zu schreien. Immer wieder rief ich nach ihm. Er war nicht da, war nicht herausgekommen.
Der dumpfe Schmerz legte sich mir wie ein Betonklotz auf die Brust. Meine Kehle zog sich immer weiter zusammen und meine Sicht verschwamm. Ich konnte nicht atmen, nicht sehen, nicht leben – ohne ihn. Die Luft in meinen Lungen bewegte sich nicht, genauso wie das Blut in meinen Adern. Gnadenlos erstickte ich, während mein Herz im Gebäude verbrannte.
Nach Sauerstoff japsend riss ich die Augen auf und Sonnenlicht erhellte den Raum, in dem ich lag, sodass ein elektrischer Schlag zu meinen Schläfen schoss.
Shit!
Ich wollte mir mit der Hand an die Kehle greifen, um die Nachwirkungen des Traums zu vertreiben, doch ich stellte fest, dass Dean neben mir saß und sie festhielt. Mit dem Kopf auf meinem Bauch schlief er und noch nie war dieser Anblick so
faszinierend gewesen.
Er war hier. Bei mir.
Die Erinnerung an das, was passiert war, ließ mich schaudern. Fast hätte ich ihn für immer verloren. Ich strich ihm die Haarsträhnen aus der Stirn und betrachtete sein Gesicht. Mit den Fingerspitzen meiner freien Hand fuhr ich seine Augenbraue nach, weiter runter über seine Wangenknochen und strich die markante Kontur seines Kiefers entlang. Seine Bartstoppeln kitzelten, was mir ein Schmunzeln entlockte. Nie zuvor sah ich an ihm einen so ausgeprägten Dreitagebart. Mein Blick wanderte über seinen gebeugten Körper und erkannte die Schlinge um seinen Arm und die Schulter. Ich hatte also richtig gesehen, dass er angeschossen worden war.
Nach und nach kamen die Erinnerungen zurück, was genau geschehen war und ich sah mich im Raum um. Ich war nicht allein im Krankenhauszimmer. Deans Freunde hockten, wie er, auf Stühlen im Raum verteilt und schliefen. Neben mir, auf der anderen Seite des Bettes, saß mein Boss.
Dass sie allesamt schlummerten, war mir nur recht. Ich bevorzugte es ohnehin, den heißen Mistkerl im Stillen ausgiebig zu betrachten und jeden Millimeter seines Gesichts in mich aufzunehmen, um es für immer in meinem Kopf abzuspeichern. Dabei ließ ich es mir nicht nehmen, ihn zu berühren, jede Stelle, die meine Finger erreichen konnten.
Die Tür öffnete sich lautstark und eine Krankenschwester betrat den Raum. Als wäre es ihr scheißegal, dass sie womöglich schwerkriminelle und bewaffnete Männer wecken könnte, die besser nicht aufwachen sollten, trampelte sie auf mich zu. Grimmig hielt ich einen Finger an meinen Lippen und bedeutete ihr damit, leise zu sein.
»Na, na, na. Ich muss nach Ihnen sehen.«
»Haben Sie. Bye«, knurrte ich. Durch die trockene Kehle war meine Stimme umso dunkler.
»Nein!« Sie kam bestimmend näher. »Ich muss nach Ihrer
…«
»RAUS!«
Ihre Augen rissen auf und ich setzte hinterher: »Außer Sie wollen, dass mein Messer Ihnen den Weg zur Tür zeigt!«
Den Wink mit der Brechstange verstehend verschwand sie. Natürlich musste sie hinter sich die Tür zu knallen.
Rücksichtnahme gleich null! Was für eine Bitch!
»Du bist wach!«, meldet sich Dean.
Diese blöde Gans hatte ihn geweckt!
»Und freundlich dazu!« Calvin war nun auch munter. Da ich rundum in offene Augen sah, verschwand die Ruhe im Raum. Dean war aber derjenige, der aufsprang, sich über mich beugte und mich mit zärtlichen Küssen bedeckte. Sehnsüchtig nahm ich jede Berührung seiner Lippen auf meinem Gesicht freudig entgegen, als hätte ich Wochen ohne ihn verbracht.
Umgehend zog mich sein Geruch in seinen Bann. Zu schnell löste er sich wieder von mir.
»Wurde ja auch Zeit.«
»Es tut mir leid«, begann Greg und Dean setzte sich hin, um dann meine Hand in seine zu nehmen. Greg stand auf und stellte sich genau ans Bettende.
»Das hätte so nicht passieren dürfen. Dafür müssen wir die Verantwortung mit übernehmen.« Schuldbewusst sah er mich an. Aber ich verstand nicht, warum es ihm leidtat. Zumal keinen von ihnen die Schuld traf. Es war eine Sache zwischen Masi und mir. Im Endeffekt war ich froh, dass sie mir zur Hilfe gekommen waren. Was wäre passiert, wenn sie nicht dagewesen wären?
»Das Ganze ist wohl eher Ds Schuld«, meinte Adam und ich runzelte die Stirn.
»Das sehe ich anders!«, wandte Riley ein.
»Conditio sine qua non.«
Hä? Was für ein Tier?
»So ein Unsinn!«, ärgerte sich Riley. »Wie kommst du auf so
einen Scheiß? Hast du zu viel Zeit mit deinem Geschäft verbracht?«
»Nein, Riley! Ursache und Wirkung! D ist, was Kit betrifft, ein Superstalker. Wenn dem nicht so wäre, hätte es nicht so geendet!«
Nochmal: HÄH? Wovon sprachen sie?
»Unabhängig von Ds Nachstellen hätte ihr Ex sie gefunden und ihr das trotzdem angetan!«
Dann legten sie richtig los, diskutierten lautstark, benutzten Wörter, deren Bedeutung noch nicht mal ich kannte, und ich war total überfordert. Anstatt sie aufzuhalten, sah Dean mich unentwegt an.
Hallo, dämliches Gestarre, lange nicht mehr gesehen!
Selbst Greg stand blöd herum und sagte nichts. Zwischendrin kam Malcolm herein, sah zwischen den Streithähnen hin und her und lehnte sich mit einem Becher Kaffee in der Hand an die Wand. Derweil tippte Calvin auf seinem Handy.
Fassungslos rieb ich mir die Schläfen, bis die Stimmen meinen Verstand in Mus verwandelten, und ich: »Fickt nicht meinen Kopf!«, brüllte. Kurz trat Ruhe ein. Dann aber debattierten sie weiter und ich legte mir eine Hand an die Stirn.
Dean kam näher und flüsterte mir ins Ohr: »Deinen Verstand möchte ich auch nicht ficken.«
Schon zuckte meine Mitte, als hätte er gerade auf den Anschaltknopf gedrückt. Wie so oft erkannte er das Verlangen sofort, das er in mir geweckt hatte, und seine Hand verschwand unter der Decke zu meinem Bein. Sanft strichen seine Finger mir den Innenschenkel hoch und er hauchte: »Sie bekommen noch nicht mal mit, was ich jetzt mache.«
Erst recht schoss mir jetzt die Hitze durch den Körper und ich biss mir auf die Unterlippe.
»Viel zu lange habe ich warten müssen, Jenny.«
Selbst für mich fühlte es sich nach Jahren an, seit er mich das letzte Mal in seinen Rausch mitgerissen hatte, mich mit seinem Körper fliegen ließ und ich bei allem, was er tat, doch nicht genug bekam. Leicht öffnete ich meine Beine, um ihn zu empfangen.
Plötzlich geschah etwas. Ich konnte im Nachhinein nicht erklären, was es war, aber eine eisige Kälte rann mir den Rücken hinab.
Ich hielt Deans Arm über der Decke fest und verhinderte, dass er weitermachen konnte.
Eine erschrockene Verwirrtheit keimte in mir auf. Ich erstarrte.
Die anderen bekamen das mit und im Raum herrschte auf einmal eine verunsicherte, unheilvolle Stille. In mir breitete sich etwas Komplexes aus. Ich atmete tief durch. Denn ich glaubte, etwas nicht gefühlt zu haben, was ich hätte fühlen müssen!
Bilder tauchten wieder vor meinen Augen auf. Der dunkle Raum. Der Container, in dem ich eingesperrt gewesen war. Ich spürte wieder, wie ich um mich schlug, den Schmerz kaum ertrug und die heißen Tränen, die mir die Wangen hinabliefen. Sah die Bärenfalle an meinem Bein, deren Zähne mir tief ins Fleisch schnitten.
Mein Bein. War es das?
Verdammt, ich spürte mein Bein nicht, fühlte nicht die Decke, die darauf lag. Vorsichtig versuchte ich, die Füße zu bewegen. Erst den einen, dann den anderen. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihn bewegen konnte. Deans Gesicht vor meinem verdeckte mir die Sicht. Schwerschluckend überlegte ich, ob ein Arzt mich betäubt hatte oder ob ich einseitig gelähmt war. Denn am anderen spürte ich alles.
Die Stille wirkte immer stärker und legte sich schwer auf den Raum. Da drückte ich Dean weg, riss mit einem Mal die Decke von mir und erstarrte.
Schockiert konnte ich nicht glauben, was ich sah. Ein ganz
falsches Bild zeigte sich mir. Vor mir auf dem Bett schaute nur ein Bein aus meinem Krankenhemd hervor. Nur eins!
Ich versuchte, mich zu bewegen. Versuchte, zu verstehen, was passiert war.
»Jenny«, flüsterte Dean und ich hielt ihm den Mund zu.
Vorsichtig zog ich am Hemd. Über meinem Oberschenkel lag der Katheter Schlauch. Dann schob ich den Stoff weiter zur Seite, bis ich das ganze Ausmaß erkannte.
Mein Unterschenkel war amputiert.
Kalter Schweiß legte sich auf meine Haut, als ich den Stoff komplett vom Oberschenkel zog und die dicke Bandage sah.
Das konnte nicht sein. Das … Das war so … falsch …
»Jenny, sie mussten …«
»Sei still«, flüsterte ich auf den Stumpf starrend. Meine linke Hand strich langsam über den Schenkel zum Verband, gleichzeitig verkrampfte sich die andere im Stoff seines Hemdes.
»Hör mir zu, Jenny. Wir …«, fing Dean erneut an, aber es war zu viel. Jedes einzelne Wort war zu viel.
»Raus!«, hauchte ich und fiel ihm somit ins Wort. Er stockte, bis er nachhakte. »Was?«
Ich schloss kurz die Augen, um mich zu sammeln, und brüllte mit aller Kraft:
»Raus hier! Alle! SOFORT!«
Die Männer vor mir sahen mich perplex an, bewegten sich erst nicht, doch als ich wütend erneut den Mund öffnete, verschwanden sie einer nach dem anderen. Nur Dean blieb. Er verstand nicht, dass ich alleine seine wollte, seinen Anblick nicht ertragen konnte und in meine einsame Stille zurückkehren musste, zurückkehren wollte. An die geschlossene Tür gelehnt sah er mich einfach nur an, sagte nichts und störte dennoch.
»Geh, Dean!«
»Ich kann nicht!«
Mit zittrigen Händen griff ich übervorsichtig zu dem Laken
und fand doch nicht die Kraft, um mich zuzudecken. Dean eilte zum Bett, um mir zu helfen, da zischte ich: »Fass mich nicht an!«
Als hätte er sich verbrannt, wich er zurück. Die Unsicherheit war ihm ins Gesicht geschrieben, aber mir war das scheißegal. Ich wollte einfach nur alleine sein.
»Geh!«, sprach ich energischer. Nach einem zu langen Zögern nickte er und verließ das Zimmer.
Ungläubig und ratlos lehnte ich mich in die Kissen zurück und schloss die Augen. Ich wollte nicht wahrhaben, was ich gesehen hatte. Es war nicht echt. Es war nur ein Traum.
Die Zeit blieb nicht stehen und mit jeder weiteren Stunde, die verging, wurde mir bewusst, dass es kein Traum war. Mit jedem weiteren Besuch einer Krankenschwester oder eines Arztes erkannte ich die grausame Wahrheit.
Gegen Abend wurden meine Vorhänge geschlossen und von da an nicht mehr geöffnet.
Kein Licht sollte mehr zu mir gelangen, kein Anruf sollte mich stören und kein Besucher mich nerven. Der Selbsthass und ich wurden zu besten Freunden und schlossen jeden anderen Menschen aus. Was war schon die Dunkelheit, wenn ich nicht ich selbst war?
Nichts.
Einfach nur nichts!