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Ich werde da sein
T rick wird sterben. Qualvoll. Und ich werde seine Schreie genießen. Dass er sich zwischen uns stellt und du mir nun für einen kurzen Moment entkommen konntest, wird er bereuen. Mit jedem Mal, wenn die Klinge seine elendige Haut streift. Mit jeder Sekunde, in der sich seine Lunge mit Blut füllt. Mit jedem gottverdammten Schlag meiner Faust in sein Gesicht.
Nachdem ich meinen Freunden klargemacht habe, dass sie mich nicht aufhalten können und sie stattdessen dafür sorgen sollen, dass sich die Hochzeitsgesellschaft auflöst, zücke ich das Handy.
Vielleicht haben meine langjährigen Freunde recht und du brauchst Zeit, um das alles zu verarbeiten.
Aber du trägst mein Kind in dir.
Du trägst mein Kind in dir!
Das veranlasst mich dazu, mein Handy herauszuholen. Du dachtest, ich hätte deins präpariert, damit ich wieder deine Schritte nachvollziehen kann. Dabei hast du keine Ahnung. Du trägst zwar kein Implantat unter der Haut. Noch nicht. Aber dein Handy und dein Auto haben von mir ein kleines Extra bekommen. Also sehe ich auf der App nach, wo Trick dich hinfährt. So wie es aussieht, fährt er dich zur Villa zurück.
Perfekt.
Ohne Zeit zu verlieren, steige ich ins Auto, lasse die App geöffnet, um zu sehen, ob sich etwas ändert, und fahre los. Selten bin ich so schnell durch die Detroiter Innenstadt gefahren. Die roten Ampeln kann ich leider nicht übersehen. Dafür ist zu viel Verkehr auf den Straßen. Der kleine Punkt auf der App bewegt sich und ich danke mir selbst für die grandiose Idee.
Fahr nur, wohin du willst, ich werde dir immer folgen. Ich weiß immer, wo du sein wirst.
Dieses Wissen hindert mich jedoch nicht daran, gegen das Lenkrad zu schlagen, als ich bei der nächsten roten Ampel erneut stehen bleiben muss. In dem Moment löst sich das Ultraschallbild aus meinen Fingern, das ich die ganze Zeit in der Hand festgehalten hatte, und landet auf meinem Schoß. Ich nehme es wieder auf und sehe es mir ein weiteres Mal an. Jenny, du bist schwanger. Das hier, zwischen meinen Fingern, ist ein Bild unseres Kindes. Es ist überwältigend.
Schon wieder überrollt mich so ein gutes Gefühl. Nie hätte ich gedacht, dass dieser eine Plan, den ich schon längst aufgegeben habe, wahr wird. Kaum zu glauben. Und für meinen Verstand unbegreiflich. Ich halte ich ein Bild von unserem Kind in den Händen.
Als ich die Idee für diesen Plan hatte, war mein Antrieb ein ganz anderer. Kurz bevor du mit Jey in Jeffs Auto abgehauen bist, um deinem Ex direkt in die Arme zu laufen, sah ich es. Unsere Zukunft.
Ich sah dich, Jey und Amy und dieses keine Bündel in deinen Armen. Da wusste ich, was ich wollte. Nur wusste ich auch, dass es dir anders als mir nicht gefallen könnte. Nicht die Tatsache, sondern allein die Vorstellung. Selbst die letzten Worte von Calvin lassen mich noch immer nicht zweifeln. Das Einzige, was mich seither schwanken ließ, war, dass du mich abgestoßen hast. Das ist nun vorbei. Jetzt bist du vielleicht böse, weil ich deine Operation ausgenutzt habe, um die Spirale entfernen zu lassen. Nur weiß ich, was das Beste für uns ist. Die Vorstellung, Mutter zu sein, macht dir Angst, was Blödsinn ist, weil du schon längst eine bist. So viel wird sich nicht ändern. Das muss ich dir nur noch begreiflich machen.
Alle Schwierigkeiten werden wir lösen, es überwinden und erfolgreich überstehen und weißt du, warum, meine Schöne? Weil du du bist, und ich ich bin. Wir gemeinsam können alles meistern und erreichen.
Nur du und ich. Alles andere ist nicht wichtig.
Du weißt das. Dennoch versuchst du, dich zu wehren. Schon immer. Oh, Jenny, ich muss bei dem Gedanken lachen, wie du dich von Anfang an gewehrt hast. Dass du dachtest, du könntest mich aufhalten. Dabei warst du mein. Schon immer.
Seit dem ersten Tag, als du auf den Boxsack eingeschlagen hast. Diese laute Musik gehört hast. Und als deine Haut sich mit Schweiß bedeckt hat, während sich durch deine Schläge einzelne Haare aus deiner Frisur lösten. An diesem Tag wusste ich noch nicht einmal, wie sehr du mir unter die Haut gehen würdest. Wie sehr du mich reizen und wütend machen würdest. Und wie sehr meine Besessenheit von dir zu einer lebenswichtigen Notwendigkeit werden würde.
Davon bereue ich nicht einen einzigen Tag. Nur die, an denen ich morgens nicht neben dir aufgewacht bin. Ich bedaure die Tage, an denen ich dich mit Schmerzen zurückgelassen habe, weil ich doch wirklich dachte, zwischen uns wäre dieses unsichtbare Band zerrissen. Dabei ist es stärker denn je.
Du und ich. Wir gehören für die Ewigkeit zusammen. Du bist mein. Bis zu meinem letzten Atemzug.
Deswegen stecke ich das Bild unseres Babys in die Brusttasche und drücke es an mein Herz. Du und ich, Jenny.
Mit einem Blick auf das Handydisplay sehe ich, dass der Punkt, der dich anzeigt, zum Stehen gekommen ist. Genau da, wo ich es erwartet habe. An der Villa deines Bosses. Zufrieden stelle ich fest, dass uns beide nur noch ein Block trennt. In noch nicht einmal fünf Minuten werde ich dir klarmachen, wie sehr du mich hasst und ich dich. Dass alles unwichtig erscheint, solange wir wir sind. Und dass wir einem kleinen Wesen das Leben schenken. Wenn ich für deine Akzeptanz die Hochzeit verschieben muss, bin ich bereit, das zu dulden. Denn du bist schon längst mein. Der offizielle Teil kann warten.
Glaub mir, Jenny, ich werde alles Notwendige veranlassen, um dich zu beschützen. Nie wieder wirst du einer Gefahr ausgesetzt werden. Auch wenn ich jeden verfügbaren Söldner dafür einsetzen muss. Du wirst überleben und unser Baby zur Welt bringen. Eine Mutter sein, wie du es bereits für Jey bist und für Amy sein wirst. Du wirst das schaffen. Denn ich werde immer an deiner Seite sein und dich nie wieder verlassen, egal wie angewidert du mich ansiehst, weil du die Wut auf mich nicht zügeln kannst. Diesem Blick, der meine Eingeweide zerfetzt, werde ich standhalten. Uns verbindet mehr.
Als ich auf das Gelände fahre und bereits den Camaro sehe, atme ich durch. Trick sitzt auf der Treppe und beachtet die Wachleute hinter ihm nicht. Er denkt nicht daran, aufzusehen, als ich gleich neben deinem Wagen parke, aussteige und auf ihn zugehe.
»Sie ist weg«, sagt er nur, als ich am Treppenabsatz stehe.
»Wie, weg?«
»Sie ist weg, Colt. Sie ist erst gar nicht ins Haus gegangen.«
Die App zeigt noch immer den Punkt. Also öffne ich den anderen Tracker, der mich über die Lage deines Handys informiert. Dieser zeigt aber an, du wärst hier. Ich ziehe den Colt und richte ihn auf Trick. Ungerührt sieht er mich an.
»Wo ist sie? Das Handy ist im Haus.«
»Da liegt es schon die ganze Zeit. Sie hat es nicht mitgenommen. Der Gärtner ist vorgefahren und sie hat ihm befohlen sie wegzufahren. Ich weiß nicht, wohin«, erklärt er entkräftet. Das ändert alles. Ich weiß nicht, wo du bist, und bereue gerade, dass ich dir nicht wieder einen Chip eingepflanzt habe.
Weit kannst du nicht sein. Du würdest den Stinker nicht zurücklassen. Außer …
Ohne den Lauf der Pistole von Trick abzuwenden, rufe ich C an.
»Hallo, D. Ich habe dir doch gesagt, sie wird es nicht zulassen.« Dein Boss ist amüsiert und hat anscheinend keine Ahnung, dass du weg bist.
»Wo sind Jey und Mila?«
»Bei mir, wieso?«
»Bist du noch immer an der Kirche?«
»Nein, auf dem Weg zur Villa. Wieso? Was ist los? Du hörst dich komisch an. Was hat Kitty angestellt?«
Ohne eine Antwort lege ich auf und frage mich gerade, was du vorhast. Du würdest deinen Engel nicht zurücklassen, oder doch? Wo könntest du hinfahren? Wenn du davon ausgehst, dass Bonny auch zur Kirche gekommen ist, was auch so ist, würdest du dann zum Trailer fahren?
»Du kannst froh sein, dass ich dir keinen schnellen Tod gönne, Trick«, teile ich ihm mit, als ich die Knarre wegstecke und zum Auto gehe. Da fährt auch schon C mit seinem roten Midlife-Crisis-Ferrari, in dem Mila und Jey sitzen, die Auffahrt hoch. Ich nicke ihm nur zu, als ich mich hinters Steuer setze und losfahre. Ich werde dich suchen und ich werde dich finden. Das werde ich immer. Dafür brauche ich keinen Tracker.
Ich fahre direkt zum Trailer und mit jeder weiteren Minute, die vergeht, mache ich mir Sorgen um dich. Leider weiß ich nicht, wie du jetzt drauf bist. Was du als Nächstes tun wirst. Ich müsste dich sehen oder hören, um zu erkennen, was in dir vorgeht. Auch, um dich besser einschätzen zu können. Nur ist das nicht möglich, weil du auf eigene Faust unterwegs bist. Schneller als ich dürfte, durchquere ich die Stadt, beachte diesmal nicht den Verkehr, weil meine Sorge mich antreibt. In kürzester Zeit bin ich in der Siedlung und kurz darauf auch vor deinem früheren Zuhause. Ich parke und steige aus. Mit zügigen Schritten gehe ich direkt hintenrum und entdecke zwar die Zielscheibe, dich jedoch nicht. Also schreite ich zum Eingang, öffne die Tür des Trailers und stocke. Greg ist da.
Anscheinend wurde er hier mit Bonny abgesetzt. Er drückt sich zwischen ihre Schenkel. Wild umschlungen geben sie sich ihrer Lust hin, während sie auf dem Tisch sitzt. Wenn du das sehen könntest, wärst du wütend, dass sie deinen Trailer verschandeln. Aber trotzdem huste ich amüsiert gekünstelt, damit sie mich wahrnehmen.
Eigentlich, Jenny, wünsche ich mir, dass Trick das sieht. Bevor ich noch mein Handy herausholen kann, um das Bild vor mir zu fotografieren, löst sich Greg von Bonny und sieht mich an.
»Hast du Jenny gesehen?«, frage ich und verkneife mir mein Lachen.
»Nein. Sag nicht, sie wird vermisst. Hast du ihr Auto nicht getrackt?«
»Doch, aber sie ist an der Villa umgestiegen.« Schockiert weiten sich seine Augen. »Und ihr Handy?«
»Hat sie nicht dabei.«
»Was ist denn los?«, fragt Bonny und hüpft vom Tisch, als Greg sie freigibt.
»Sie hat herausbekommen, dass er ihr ein Kind angehängt hat und jetzt ist sie wohl alleine unterwegs.«
»Hä? Wie will er ihr denn ein Kind anhängen?« Sie lacht so dämlich schrill, dass ich sie erschießen möchte. Stattdessen halte ich mich knapp.
»Nicht dein Problem.«
»Du musst sie finden. Sie ist verstört. Wer weiß, was sie tun wird.« Greg wird eindringlich, als wüsste ich nicht, in welcher Lage du dich befindest. Mir ist sehr wohl bewusst, wie durcheinander du bist und dass du in solchen Momenten unberechenbar wirst. Fuck, du bist immer sprunghaft. Egal, in welcher Situation.
»D! Denk nach!«
Als würde ich das nicht tun, Jenny! »Sie könnte überall sein. Das hier ist ihre Heimat.«
»Ja und sie hasst Menschen. Es gibt bestimmt nicht so viele Orte, an die sie sich zurückziehen kann!« Womit Greg recht hat. Ich kenne dich und wenn es nicht der Trailer ist, in dem du dich heimisch fühlst, dann bleiben nicht viele Orte übrig. Die Villa scheidet aus, aber ich hätte mir denken können, dass du sie nicht betreten würdest.
Du wolltest erst gestern von dort verschwinden, als du mit Trick zurückgekommen bist. Da fällt es mir ein, Jenny. Du warst wohl beim Arzt. Ich nehme das Ultraschallbild aus der Brusttasche und sehe das gestrige Datum. Du hast gestern erfahren, dass du schwanger bist. Deswegen bist du fast durchgedreht und wolltest unbedingt weg.
»D?«
Ich packe das Bild zurück und sehe Greg an.
»Ich habe eine Idee.« Damit verschwinde ich und fahre los. Keine Ahnung, ob du zum Haus gefahren bist. Es ist jedoch eine Möglichkeit. Du willst dich zurückziehen, über alles nachdenken, ohne gestört zu werden. Wahrscheinlich ein paar Messer werfen oder herumballern. Du musst an einem Ort sein, an dem du dich wohlfühlst. Während ich aufs Gas trete, kommt mir dein Blick in den Sinn. Wenn ich mich nicht täusche, gefiel es dir, was ich aus dem Haus gemacht habe. Du hast dich nicht nur gefreut, sondern bist regelrecht aufgegangen. Du warst gestern nicht mehr so verstört, als ich dich ihm Wohnzimmer angetroffen habe und du gedankenverloren nach draußen geschaut hast. Dabei konntest du das Beste noch nicht einmal sehen, und ich meine nicht den Schießstand, über den du dich gefreut hast. Nein, der Garten wird dich schocken, das weiß ich. Und ich hoffe, dass ich ihn dir zeigen kann. Dir damit auch beweisen kann, dass deine Zweifel unsinnig sind. Dass selbst deine Ängste unbegründet sind.
Nach der viel zu langen Fahrt, die mir zeigt, dass es vom Trailerpark und der Villa deines Bosses bis zu unserem Haus doch ein längerer Weg ist, fahre ich endlich die Auffahrt hoch. Alle Mitarbeiter sind bereits verschwunden und ich sehe auf der Uhr, dass wir bereits Nachmittag haben. Ich stürme aus dem Auto direkt die Stufen der Veranda hoch und betrete das Haus.
Das mit unzähligen schwarzen Rosen dekorierte Haus. Eigentlich wollte ich dir heute erst unser Zuhause zeigen. Es wurde heute Morgen fertig und die letzten Möbel wurden aufgebaut. Nach der Hochzeit, nachdem du mir dein Ja-Wort gegeben hättest, wollte ich mit dir hierherfahren. Dir dein Traumhaus zeigen, dass du bereits kennst, und mit dir als meine Ehefrau die erste Nacht hier verbringen. Diesen Gedanken verscheuche ich aus meinem Kopf und renne von Zimmer zu Zimmer. Nirgendwo bist du zu sehen. Von oben bis unten durchkämme ich jeden Raum und jeden Winkel, entdecke dich jedoch nicht. Vor der Kellertür zu unserem ganz persönlichen Spielplatz stehend kann ich mir nicht vorstellen, dass du dort bist, da du noch keinen Schlüssel hast. Dennoch entriegle ich das Schloss, renne hinunter und schalte das Licht an.
Nichts. Du versteckst dich noch nicht einmal hinter der Theke.
Da, Jenny, bekomme ich Angst. Denn ich habe keine Ahnung, wo du sein könntest. Ich gehe wieder hoch, schließe ab und gehe durch das Wohnzimmer, um meine Gedanken zu sortieren und meinen Verstand nach einer Idee, wo du sein könntest, zu durchforsten. Da sehe ich unser Foto.
Du bist so wunderschön. Wie jeden Tag. Aber an jenem Tag habe ich etwas von dir kennengelernt, mit dem ich nicht gerechnet habe. Lachend halte ich dich im Arm. Es war der Tag, als ich dein Prinzessinnenzimmer betreten habe. Es war so falsch und passte nicht zu dir. Es war zum Totlachen, Jenny. Niemals hätte ich gedacht, dass du so ein Zimmer bei deinem Vater hast. Mir wurde damals klar, dass du zwar denkst, nie eine Familie gehabt zu haben, aber du doch immer eine hattest. Deine Leute, Mitarbeiter und Freunde sind deine Familie. Sie sehen dich ganz anders, als du bist. Oder wünschen sich, dass du anders wärst. Aber so, wie du bist, bist du perfekt.
Perfekt für mich.
Mit einer Hand streiche ich mir über das Gesicht und gehe zur Terrassentür, um sie zu öffnen. Natürlich bist du nicht hier. Kannst nicht sehen, was ich für unsere kleine Familie geschaffen habe. Ich lehne mich am Türrahmen an und betrachte das Klettergerüst mit der Rutsche, den zwei Schaukeln und den kleinen Sandkasten.
Calvin denkt, du brauchst Normalität, um glücklich zu sein? Er hat keine Ahnung, wie ähnlich wir beide uns sind. Dabei sind wir, so wie wir sind, normal genug, Jenny. Nur weißt du das nicht. Du siehst uns nicht mit meinen Augen.
Gerade jetzt wünsche ich mir, du könntest das sehen, was ich die ganze Zeit schon erkenne. Denn du würdest direkt in deine Zukunft schauen. Du könntest sehen, wie Jey hier spielt, sein Lachen beim Spielen zu uns durchdringt, und du würdest dir sicher sein, dass das Kind in deinem Bauch hier einen Platz finden wird, genauso wie Amy. Wenn du nur für einen Moment mit meinen Augen sehen könntest, würdest du sehen, dass die Vergangenheit nichts im Vergleich zu unserer Zukunft ist. Das nichts wichtiger ist als du und ich. Dieses Klettergerüst und spielende Kinder werden ebenso zu unserer Normalität werden wie der Schießplatz im Keller.
Unsere Geschäfte sind wir. Genauso, wie unseren Kindern morgens Brote zu schmieren, bevor sie zur Schule gehen. Was ist schon Normalität, wenn es nur ein ›Uns‹ gibt? Nichts, Jenny. Du und ich, verstehst du? Alles andere ist unwichtig.
Nachdem ich die Tür wieder geschlossen habe, verlasse ich unser Traumhaus. Doch kann ich mich nicht ins Auto setzen. Als ich die ersten Stufen hinabsteige, erkenne ich, dass ich nicht weiß, wohin ich fahren soll. Also setze ich mich auf die Treppen und stütze die Arme auf den Knien ab.
Der heutige Tag hat perfekt angefangen. Ich wollte dich nur heiraten. Meine Gedanken schweifen zur dekorierten Kirche. Calvin hat keine Ahnung, wie gut ich dich kenne. Denn lange vor dem Gespräch mit ihm stand die Deko schon fest. Schwarz und weiß. Selbst die Halle ist so dekoriert worden. Überall schwarze Rosen. Es hätte dir gefallen. Glaube ich zumindest. Denn eigentlich zweifle ich gerade an meinen Kenntnissen.
Der kühle Wind durchdringt meinen Anzug und die Sonne geht bereits unter. So habe ich mir den Tagesabschluss nicht vorgestellt. Alles habe ich in die Wege geleitet, dass das Haus vor dem Wintereinbruch fertiggestellt wird, und nun ist es soweit. Morgen kommt das Umzugsteam und verlädt all unsere Sachen aus der Villa und bringt sie hierher. Wir hätten unser Haus bezogen und würden von nun an hier leben und nicht mehr bei deinem Boss.
Gerade weiß ich nicht, was genau sich schmerzhafter in meine Knochen frisst: Die Kälte oder die Verzweiflung. Denn ich muss mir eingestehen, dass ich nicht weiß, wo du hingefahren bist, und ich mir wirklich Sorgen mache. Detroit ist dein Zuhause. Nicht meins. Da, wo du bist, wird immer mein Zuhause sein, Jenny. Nur gerade bist du überall, nur nicht bei mir. Wenn ich mir auch noch vorstelle, dass du vielleicht in Gefahr bist, weil deine Wut dich ablenkt, stockt mir der Atem.
Schließlich ist es die Angst, die mich dazu verleitet, mein Handy in die Hand zu nehmen und Saltos anzurufen.
»Hey, Colt«, meldet er sich nach viel zu langem Klingeln.
»Hallo, Saltos. Wo bist du?«
»In der Villa, wieso?«
»Ist Jenny zurückgekommen?«
»Wie ›zurückgekommen‹? Sie ist nicht hier. Ich dachte, sie ist bei dir?«, klingt er nun aufgebracht und ich seufze. »Nein, sie ist abgehauen und frage mich, wo sie sein könnte.«
Er lacht los. »Ah, sie hat dir die Sache mit der Hochzeit übelgenommen.«
»Nein. Etwas anderes. Lass dich von Trick auf den neusten Stand bringen. Sag mir lieber, wo ich sie finden kann.«
»Ähm … ok … ähm…« Er denkt nach und ich helfe ihm auf die Sprünge.
»Könnte sie zu dir gefahren sein?«
»Nein. Nur, wenn sie sich zudröhnen möchte und das wird sie nicht tun. Ähm … lass mich überlegen. Sie würde Detroit so und jetzt nicht verlassen und es gibt nicht viele Orte, an denen sie sein kann. Sie steht nicht so auf Menschenanhäufungen. Also fallen die meisten weg. Drogen … fällt weg. Warst du schon am Trailer, wenn sie sich zurück …«
»Ja, da ist sie nicht. Aber wenn du Trick ärgern möchtest, erzählst du ihm, dass Greg und Bonny da rummachen.«
»Nein, Trick ist cool. Erzähl mir lieber, wie ich Greg auf die Palme bringen kann.« Da lacht er mir ins Ohr und ich knurre: »Zurück zum Thema.«
»Ach ja. Sorry. Blutrausch fällt in ihrem Zustand auch weg.«
»Ihrem Zustand?«
»Ja, das klärst du mit ihr selbst …« Er scheint von der Schwangerschaft zu wissen, verrät dich aber nicht. Das ist doch schon mal etwas. Ich rechne es ihm hoch an, dass er mir gerade wirklich versucht, zu helfen. Was er nicht tun würde, wenn er wüsste, warum du schwanger bist.
»Na ja, um ehrlich zu sein, fällt mir kein Ort ein, an dem keine Menschen sind, keine Drogen, kein Alkohol, aber zumindest Werkzeug, um an einem Auto zu schrauben …« Den Rest höre ich nicht mehr, weil es in meinem Kopf ›klick‹ macht.
»Danke«, beende ich sein Geschwafel.
Warum bin ich nicht direkt darauf gekommen?