Achtzehn
Von:
schroeder73
@t-online.de
An:
albert_meta@gmx.de
Betreff:
Re: Re: Re: Alles gut bei Dir?
Mein liebster Albert,
ich musste eben an dich denken. Es ist jammerschade, dass wir den heutigen Abend nicht zusammen verbringen können, aber du kommst ja bald wieder. Gestern habe ich dein Zimmer ein wenig umgeräumt, ich hoffe, du
»Hast du sie noch alle, Schröder?«
Die Bürotür knallte hinter Zorn ins Schloss. Schröder klickte das Mailprogramm weg, lehnte sich zurück und sah seinen wutschnaubenden Vorgesetzten ruhig an.
»Auch dir einen schönen guten Tag, Chef.«
»Ich hab grad mit Frieda telefoniert.« Zorn rang nach Luft. Er hatte sich nicht die Zeit genommen, auf den Fahrstuhl zu warten, sondern war über das Treppenhaus hinauf ins Büro gestürmt. »Man hat dir letzte Woche angeboten, den Laden wieder zu übernehmen.«
»Das«, nickte Schröder, »ist richtig.«
»Du hast abgelehnt.«
»Auch das ist richtig.«
Zorn atmete tief ein, versuchte vergeblich, sich zu beruhigen.
»Darf man fragen, warum?«
»Sicher doch.«
»Und?«
»Nun ja.« Schröder öffnete eine Schublade, schloss sie wieder. »Ich denke, es ist gut so, wie es ist.«
»Das war so nicht abgesprochen, verdammt!«
»Ach. Was war denn abgesprochen?«
»Na, dass …«, Zorn lockerte den verschwitzten Hemdkragen, »dass ich ’ne Weile den Kopf hinhalte und dass du dann wieder Chef bist!«
»Wirklich?« Schröder runzelte die kahle Stirn. »Kann ich mich gar nicht dran erinnern.«
Er öffnete eine weitere Schublade, kramte einen Bleistift hervor. Betrachtete ihn nachdenklich, griff zu einem Spitzer.
»Das … das kannst du nicht machen!«, schnaubte Zorn.
»Doch«, beschied Schröder knapp und begann, seinen Bleistift zu spitzen.
»Ich glaub’s nicht.« Zorn lief vor dem Schreibtisch auf und ab. »Da hilft man dem Kerl aus der Scheiße, und was ist der Dank?
Man wird hängengelassen! Einfach so!« Er hob die Hand, um mit den Fingern zu schnippen, bemerkte den fehlenden Daumen und ließ die verstümmelte Hand wieder sinken. »Ich glaub’s
einfach nicht!«
»Das bemerktest du bereits.«
Zorn stoppte, stützte sich mit den Händen auf dem Schreibtisch ab und starrte mit funkelnden Augen auf Schröder hinab. Dieser schien ausschließlich darauf konzentriert, seinen Bleistift zu spitzen.
»Du hast einfach keinen Bock mehr«, knurrte er, den Blick auf Schröders Glatze gerichtet. »Der feine Herr Superbulle will seine Ruhe.«
Schröder hielt den Stift in die Höhe, betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. Je ruhiger er schien, desto wütender wurde Claudius Zorn.
»Er hat ja was Besseres zu tun, der feine Herr.«
Schröder prüfte die Bleistiftspitze am kurzen Zeigefinger, nickte zufrieden, bückte sich und verstaute den Stift wieder in der Schublade.
»Darf man fragen«, er richtete sich wieder auf, »wie das gemeint ist?«
»Die Arbeit ist dir doch scheißegal! Du hast doch nichts anderes mehr im Kopf als diesen … als deine …«, Zorns verstümmelte Hand fuchtelte durch die stickige Büroluft, »verdammte Rumturtelei!«
Zorn war nicht sicher, doch es schien ihm, als färbten sich Schröders pummelige Wangen eine winzige Nuance dunkler.
»Mein Privatleben«, erklärte dieser ruhig, »geht niemanden im Präsidium was an. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich kann rumturteln
, mit wem ich will. Solange meine Arbeit nicht leidet.«
»Aber ich
leide!«, entfuhr es Zorn.
»Das«, sagte Schröder, »ist dann dein
Problem.«
Sie sahen sich an.
»Ich werde dich triezen«, zischte Zorn. »Ich werd dich durch die Gegend scheuchen, dass dir Hören und Sehen vergeht.«
»Das hast du doch früher auch immer gemacht«, lächelte Schröder.
»Das war noch gar nix. Du hast keine Ahnung, wozu ich fähig bin. Du wirst dich noch wundern, Freundchen. Ich werd dich quälen, bis du’s dir anders überlegst. Ich werd dir deinen dicken Arsch aufreißen, dass dir …«
»… Hören und Sehen vergeht, jaja.«
Zorn ging zum Fenster. Der Parkplatz flimmerte in der Mittagshitze, die Sonne blitzte auf den Scheiben der verstaubten Streifenwagen.
»Was hast du eigentlich den ganzen Vormittag gemacht?«, fragte er.
»Ich war im Labor«, erwiderte Schröder. »Sie haben den Löschkalk untersucht, aber nichts Auffälliges gefunden, man kann das Zeug überall im Internet bestellen. Das Klebeband, mit dem Donald Pirals Hände hinter dem Fahrersitz gefesselt waren, hilft uns auch nicht weiter, das gibt’s in jedem Baumarkt. Der Mercedes ist immer noch in der Spurensicherung, es gibt natürlich massenhaft Fingerabdrücke, aber die stammen alle von Piral, wahrscheinlich …«
»Ich meinte«, unterbrach Zorn, wandte sich um und deutete auf Schröders Rechner, »was du gemacht hast, als ich reingekommen bin.«
»Ich hab ’ne Mail geschrieben.«
Zorn schob das Kinn vor.
»Dienstlich, nehme ich an.«
»Naturalmente
, Chef.«
Schröder sah aus großen, unschuldig strahlenden Augen zu seinem Vorgesetzten auf. Dieser wippte ein paarmal auf den Fußsohlen vor und zurück, versuchte, eine dienstliche Miene
aufzusetzen (was ihm natürlich nicht gelang,) und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.
»Bevor ich’s vergesse«, erklärte Schröder beiläufig. »Albert tritt mit seinem Streichquartett in der Konzerthalle auf. Ich hab uns Karten besorgt. Der Tod und das Mädchen.
So ziemlich das Beste, was Schubert komponiert hat, finde ich, obwohl …«
»Schröder«, seufzte Zorn, »du weißt genau, was ich von diesem Gedudel halte.«
»Frieda hat schon zugesagt.«
»Oh.« Zorn sank resigniert in den Sessel. »Na dann …«
»Es dauert nicht lange«, tröstete Schröder. »Höchstens ’ne Dreiviertelstunde.«
Zorn gab ein unverbindliches Brummen von sich und startete seinen Rechner.
»Wie war’s eigentlich bei Kurtz?«, fragte Schröder. »Glaubst du immer noch, dass er was mit dem Mord zu tun hat?«
»Keine Ahnung.«
»Dann war das Gespräch also sinnlos.«
»Nee.« Zorn stieß geräuschvoll die Luft aus. »Ich weiß zwar nicht, ob Victor Kurtz ein Mörder ist. Aber ich weiß, dass er ein verdammter Mistkerl ist. Und Donald Piral war genauso ’n Arschloch.«