Vierundzwanzig
Jetzt.
»Ich fass es immer noch nicht.« Zorn schüttelte den Kopf. »Der wollte mich tatsächlich bestechen . Kannst du dir das vorstellen?«
»Die Frage ist«, Schröder biss in ein Käsebrötchen, »was dahintersteckt.«
»Ich schätze, der macht seine Geschäfte immer so. Der kennt das nicht anders.«
»Wahrscheinlich«, stimmte Schröder kauend zu. »Trotzdem, Victor Kurtz ist nicht blöd. Der weiß genau, was eine versuchte Bestechung bedeutet. Warum geht er dieses Risiko ein?«
Weil er mich für ’nen Volltrottel hält, dachte Zorn. Für einen von diesen geldgierigen Pupsern, die für ein paar Euro ihre Seele verkaufen.
»Er will Informationen, wie weit wir mit den Ermittlungen sind«, sagte er. »Ob wir jemanden in Verdacht haben.«
Die Mittagssonne schien ins Büro. Staubkörner tanzten über dem Schreibtisch.
»Angenommen, Victor Kurtz ist tatsächlich der Mörder.« Schröder nahm einen weiteren Bissen. »Dann würde er sich mit einer solchen Aktion nur schaden.«
»Oder nutzen.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja.« Zorn überlegte einen Moment. »Du sagst ja selbst, dass er clever ist. Also weiß er auch, was wir denken. Dass ein Mörder völlig bekloppt sein müsste, zu den Bullen zu gehen und ihnen Geld zu bieten, damit sie ihn schnappen. Er tut’s trotzdem, gerade weil er der Mörder ist. Um von sich abzulenken.«
Schröder betrachtete stirnrunzelnd sein Brötchen.
»Ich bin nicht ganz sicher, was du meinst«, murmelte er. »Aber ich vermute, du hast recht.«
Er stopfte den Rest des Brötchens in den Mund, faltete die Hände im Nacken und sah kauend an die Decke.
»Ich glaube nicht, dass Kurtz der Mörder ist«, sagte er schließlich.
»Aber was wollte er hier?«
»Vielleicht kennt er nicht den Mörder, aber das Motiv. Vielleicht gibt es jemanden, der einen Grund hat, sowohl Donald Piral als auch Victor Kurtz zu töten. Kurtz hat Angst, dass er der Nächste ist.«
»Hm«, brummte Zorn. »Wenn Kurtz das Motiv kennt, sollte er doch eigentlich wissen, wer der Mörder ist, oder? Und wenn er das wüsste, hätte er keinen Grund, diese alberne Bestechungsnummer aufzuführen.«
»Ja«, nickte Schröder seufzend. »Das stimmt.«
»Du hast Käse an der Schnute.«
Schröder fuhr mit der Zunge über die Lippen.
»Wie viel«, fragte er, »hat Kurtz dir geboten?«
»Zwanzigtausend.«
»Euro?«
»Nee, Schröder. Rubel.«
»Das ist ’ne Menge Geld.« Schröder sank in die Lehne. »Wir könnten halbe-halbe machen. Ich müsste dringend das Dach reparieren.«
»Was du dringend brauchst, ist ’n ordentliches Moped. Was anderes als diese Rostlaube.«
»Rostlaube?« Schröder stieß pikiert die Luft aus. »Das ist eine Original-Schwalbe, ein absolutes Sammlerstück!«
»Das ist doch jetzt egal!«
»Ist es nicht!«
»Doch! Weil ich es nämlich bin, dem Kurtz die Kohle angeboten hat! Also darf ich auch drüber bestimmen! Und wenn er das nächste Mal kommt, kriegst du keinen einzigen Cent!«
»Aber …«
»Nix da!« Zorn stützte sich mit den Händen auf den Schreibtisch, erhob sich halb aus dem Sessel. »Ich bin hier der Chef, vergiss das nicht«, knurrte er. »Du hast es selber so gewollt.«
Er sank wieder zurück, dachte an das Gespräch, das Frieda vor ein paar Tagen mit Schröder geführt hatte. Bisher hatte er sie nicht gefragt, ob Schröder sich womöglich doch noch umstimmen lassen würde, und auch jetzt traute er sich nicht. Die Ankündigung, Schröder das Leben zur Hölle zu machen, war natürlich eine leere Drohung gewesen, das wussten sie beide (obwohl die Vorstellung, Schröder das Büro saugen oder den verdreckten Volvo waschen zu lassen, durchaus einen gewissen Reiz hatte).
Schröder hatte eine Akte geöffnet und war offensichtlich in das Studium einer äußerst wichtigen Zeugenaussage vertieft. Claudius Zorn wusste nicht, was er tun sollte. Also entschied er sich für das, was er in solchen Fällen immer tat.
Rauchen.
Er schnappte seine Zigaretten und verließ das Büro.
Ohne Schröder um Erlaubnis zu fragen. Immerhin.