Dreißig
Venedig 1992
.
»Hier, eure Anteile.« Vic drückt erst Donny, dann Cyndi ein Bündel zerknitterter Geldscheine in die Hand. »Umgerechnet über tausend Mark für jeden. Nicht schlecht für eine Woche.«
Sie haben sich in einem Hinterhof im jüdischen Viertel versammelt. Die Stühle sind wacklig, ebenso der billige Plastiktisch. Über ihnen flattert ein verblichener Sonnenschirm. Die Pizzeria öffnet erst in einer Stunde, doch Nevio, der Besitzer, ist ein Kumpel von Donny und lässt sie hier sitzen.
Cyndi verstaut das Geld in ihrer Gürteltasche.
»Was ist?«, fragt Vic, als er ihr verkniffenes Gesicht bemerkt. »Bist du sauer?«
»Nee.«
Klar ist die sauer. Das sieht Vic sofort.
»Ich hab den meisten Stress«, sagt sie dann auch. »Ich mache die ganze Arbeit. Trotzdem kriegt ihr genauso viel wie ich.«
Seit Cyndi dabei ist, läuft es wie geschmiert. Sie gibt den Lockvogel. Vic hält sich im Hintergrund, passt auf, dass nichts schiefgeht, und verwaltet die Finanzen. Donny bestimmt, wann und wo sie zuschlagen.
»Wir sind ein Team«, sagt Donny. »Jeder benutzt, was er hat. Du hast dein hübsches Gesicht. Vic hat die Muskeln und ich«, er tippt sich an die Schläfe, »hab den Verstand.«
Seine Locken sind geglättet, das schwarze Haar straff nach hinten gekämmt. Donny muss Unmengen Gel gebraucht haben, um das hinzukriegen. Das Zeug stinkt wie ein seit Monaten ungelüfteter Parfümladen.
Cyndi stößt prustend die Luft aus, nimmt eine Zigarette aus ihrer Schachtel. Als sie sich vor einem Monat kennenlernten, hat sie noch selbst gedreht. Jetzt raucht sie Vogue
. Die dünnen, weißen Stäbchen mit den langen Filtern passen nicht recht zu ihren bunten Kleidern und den weißblonden Rastas.
»Ich finde es fair«, sagt Donny. »Du musst nur dasitzen und warten, bis du angesprochen wirst. Du bist sicher, Vic ist immer in deiner Nähe. Und du bekommst eine Menge Geld. Andere Frauen in deiner Position müssen wesentlich mehr dafür tun. Dein Einsatz ist klein, cara mia
. Nur dein Gesicht und nicht deine …«, Donny senkt grinsend die Stimme, deutet vielsagend auf ihren Schoß, »putana
.«
»Fick dich, Donny.«
Sie zieht affektiert an ihrer Zigarette.
Vic ist nicht sicher, ob die beiden was miteinander haben. Seit Cyndi ebenfalls bei Donny eingezogen ist, pennt Vic auf der Couch. Sie hat sich geweigert, mit einem von ihnen ein Zimmer zu teilen.
Beppo, der Koch, erscheint in der Hintertür, kippt einen Eimer Küchenabfälle in die Mülltonne. Der Geruch faulenden Gemüses weht über den Hinterhof, mischt sich mit den modrigen Ausdünstungen der Kanäle.
»In der nächsten Zeit«, sagt Donny, »werden wir die Gegend um den Markusplatz meiden. Wir dürfen uns nicht zu sehr auf ein Gebiet konzentrieren. Es gibt ein Restaurant am Palazzo Labia
. Schräg gegenüber ist ein Café. Von dort aus«, er wendet sich an Vic, »hast du Cyndi hervorragend im Blick.«
»Okay«, sagt Vic.
Beppo lehnt neben der Hintertür an der unverputzten Hauswand. Die fleckige Kochjacke spannt über der behaarten, tätowierten Brust. Er hat eine Zigarette im Mundwinkel, schirmt sein Feuerzeug mit der Hand ab, um sie anzuzünden.
»Abbiamo qualcosa di qui parlare, Beppo
«, sagt Donny sanft.
Wir haben was zu besprechen.
Zwei Sekunden später ist der bullige Mann in der Küche verschwunden.
Vic hat keine Ahnung, wie Donny das anstellt. Die Leute gehorchen ihm, wahrscheinlich spüren sie, dass er vor nichts Angst hat. Dieser kleine Itaker ist einfach nur irre. Läuft vor niemandem weg. Der würde nicht mal abhauen, wenn ein tollwütiges Nashorn auf ihn zugerast käme. Wahrscheinlich würde er’s totquatschen.
»Ihr trefft euch um acht«, sagt Donny.
»Klar«, sagt Vic.
»Und was ist«, Cyndi schiebt das Kinn vor, »wenn ich keinen Bock habe?«
Sie trägt keinen BH
. Vic sieht die Brustwarzen unter dem hellblauen Kleid. Scheiße, er würde sie so unheimlich gern ficken. Mann, das würde er wirklich, er hat schon ganz wunde Finger vom ständigen …
»Scusa, cara mia
«, lächelt Donny. »Ich habe dich nicht verstanden.«
Er beugt sich über den Tisch, greift nach ihrer Hand.
Die beiden sehen sich an. Cyndi wird bleich unter der Schminke, während Donnys Grinsen zunehmend breiter wird. Er hält Cyndis kleinen Finger umklammert und verdreht ihn nach hinten.
»Kannst du das wiederholen?«, flüstert er.
Vic glaubt, ein leises Knacken zu hören. Cyndis Finger steht in einem grotesken Winkel ab. Vic erkennt jetzt, dass Donny über ungeahnte Kräfte verfügt. Und noch etwas erkennt er: Cyndi ist verdammt hart im Nehmen. Die Kleine hält eine Menge aus, bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls.
»Es … es ist nichts«, presst sie hervor.
»Sicher?«
Der Finger biegt sich ein weiteres Stück zurück.
»Ja.«
»Bene.«
Donny öffnet die Hand. Vic sieht Cyndis Finger, verkrümmt und blutrot angelaufen, bevor ihre Hand unter dem Tisch verschwindet.
»Italienischer Wichser«, zischt sie.
Ihre Augen funkeln unter den geschwärzten Wimpern. Klar, die ist stocksauer. Aber da ist noch was. Dieses Grinsen, fast ein Zähnefletschen. So ähnlich hat Donny gegrinst, als Vic ihm damals die Fresse poliert hat. Scheiße, die ist doch nicht etwa genauso schräg drauf?
»Okay.« Vic reibt sich in einer übertriebenen Geste die Hände. »Dann lasst uns diesen verdammten Touristen den Arsch aufreißen. Wir werden uns dumm und dämlich verdienen!«
Donny sieht ihn an, als wäre er nicht ganz bei Trost.
»Ist dir klar, was wir hier tun?«, sagt er. »Welches …«, er sucht einen Moment nach dem richtigen Wort, »Risiko wir eingehen? Irgendwann wird man uns erwischen, amico.
Es ist nur eine Frage der Zeit. Das hier ist erst der Anfang. Das richtige
Geld, das große
Geld, das holen wir uns später.«
»Von mir aus.« Vic zuckt die Achseln. »Und wann, wenn man fragen darf?«
»Bald«, sagt Donny. »Sehr bald.«