Sechzig
Das Taxi glitt eine Seitenstraße bergab durch den Regen. Die Gegend war teuer, Villen, verborgen hinter hohen Mauern und dichten Hecken, säumten den Weg. Nach einem halben Kilometer bog der Wagen in eine enge Sackgasse, stoppte nach hundert Metern vor einem schmiedeeisernen Tor. Eine der Hintertüren öffnete sich, Victor Kurtz zwängte seinen massigen Körper aus dem Wagen. Gebückt ging er auf das Tor zu, während das Taxi mit sirrendem Getriebe rückwärts davonfuhr. Scheinwerfer bohrten sich in die Dunkelheit, der Regen wirbelte in dichten Fäden durch die Lichtkegel. Ein silberfarbener Kleintransporter mit dem sternförmigen Logo eines privaten Wachschutzes parkte neben den Mülltonnen, Zigaretten glühten im Inneren. Kurtz stoppte neben der Fahrertür, sein Zeigefinger kreiste vor dem Fenster. Die Scheibe glitt herunter, Rauch quoll heraus. Dahinter schälten sich die Silhouetten zweier bulliger Gestalten aus dem Halbdunkel.
»Ruft die Zentrale an, ich will zwei weitere Männer hinter dem Haus.«
Kurtz wartete nicht auf eine Antwort. Er griff in die Manteltasche nach einer Funkfernbedienung. Das Tor rollte leise quietschend zur Seite, er betrat das Grundstück. Bewegungsmelder sprangen an, verborgene Scheinwerfer flammten auf, erleuchteten einen Weg, der in einem sanften Bogen über eine Wiese bergauf führte. Der Regen glitzerte auf dem kurzgeschnittenen Rasen, zerbarst auf den Steinplatten, tropfte von den ausladenden Ästen einer großen Ulme. Die verglaste Fassade einer zweistöckigen Villa tauchte auf. Kurtz lief ein paar Stufen zu einer Veranda hinauf, kramte im Gehen einen Schlüsselbund aus der Tasche, während hinter ihm das Tor in die Verriegelung
schnappte und die Scheinwerfer einer nach dem anderen wieder erloschen. Schlüssel klirrten, näherten sich der massiven Haustür.
»Guten Abend.«
Kurtz wirbelte herum. Die Gestalt stand neben dem Außenkamin vor einem Stapel Brennholz, ein regennasser, gesichtsloser Schemen.
»Ich würde gern mit reinkommen.« Eine Handbewegung. Wasser tropfte vom Ärmel einer dunklen Regenjacke. Metall schimmerte. Eine Pistole, direkt auf Victor Kurtz gerichtet. »Und zwar schnell, bevor einer von den Wachhunden da draußen hier auftaucht.«
*
»Wie geht’s dir?«
»Das ist keine gute Frage, Frieda.«
Schröder stand am Fenster, sah hinaus in die Dunkelheit. Das Display des Handys schimmerte an seiner Wange.
»Er hat Mist gebaut«, sagte Frieda.
»Mehr als das.«
»Hast du …« Ein Zögern, vorsichtig, tastend. »Mit Albert gesprochen?«
»Nein. Er ist auf Gastspiel in München.«
»Es … es ist schwer, darüber zu sprechen. Aber wir müssen …«
»Es ist alles gesagt.«
Ein Regenschauer prasselte gegen das Fenster. Die Kiefern schwankten wie betrunken vor dem bleischwarzen See.
»Claudius hat den ganzen Tag versucht, dich anzurufen.«
»Das ist mir nicht entgangen.«
»Du weißt, dass er ohne dich aufgeschmissen ist.«
Keine Antwort.
»Hier ist die Hölle los.« Friedas Seufzen drang aus dem
Telefon. »Victor Kurtz hat über fünfzig Leute für seine Bürgerwehr zusammengetrommelt.«
»Ich hab’s im Radio gehört.«
»Ein paar von denen haben einen vietnamesischen Imbiss auseinandergenommen.«
»Auch das kam im Radio.«
»Das ist erst der Anfang.«
»Kurtz wird eine Pressemitteilung rausgeben«, sagte Schröder. »Er wird den Vorfall als bedauerlich bezeichnen und sich von solchen Exzessen distanzieren.«
»Mehr fällt dir dazu nicht ein?«
Schröder schwieg.
»Verdammt nochmal!« Friedas Stimme wurde schrill. »Tu nicht so, als wär dir das alles egal!«
Stille. Nur statisches Rauschen aus dem Hörer.
»Entschuldige«, murmelte Frieda.
»Ich weiß, wie das aussehen muss.« Schröder sprach langsam, jedes Wort, jede Silbe genau überlegt. »Sicherlich, ich bin wütend. Aber das hier«, er nahm das Handy ans andere Ohr, »ist alles andere als eine Kurzschlussreaktion. Verstehst du das?«
Diesmal war es Frieda, die keine Antwort gab.
»Lass uns jetzt Schluss machen«, sagte Schröder. »Es ist spät, ich …«
»Warte.«
Das tat Schröder ein paar Sekunden.
»Zwei Dinge noch«, begann Frieda. »Was Albert betrifft …«
»Ich will nicht über …«
»Du bist Polizist!«, unterbrach sie ihn scharf. »Du wirst darüber nachdenken!«
Schröder senkte den Kopf, die Augen blinzelnd auf seine Filzpantoffeln gerichtet.
»Das ist das eine.« Er klang kühl. »Was ist das andere?«
»Rufus«, sagte Frieda. »Ich muss mit dir über Rufus sprechen.«