Zweiundsechzig
Albanien 1992
.
Sie sitzen auf dem abgestorbenen Baum, rauchen schweigend. Ihre Gesichter glühen im Widerschein der Zigaretten. Die Nacht ist kühler geworden, der Wind hat sich gedreht. Der schwere, süßliche Cannabisgeruch ist verschwunden, die Luft ist klar, würzig. Eigentlich, denkt Vic und betrachtet die schroffen, im Mondlicht wie pures Silber glänzenden Felsen, ist es hier schön. Diese
Stille. Nur das Flüstern des Maisfeldes. Und das pulsierende Zirpen der Grillen.
Vic nimmt einen Schluck aus der Flasche. Als er sie absetzt, schwappt nur noch ein fingerbreiter Rest der öligen Flüssigkeit auf den Boden. Er hat Fragen. Dutzende Fragen, doch er stellt sie nicht. Er ist ziemlich beschwipst. Abgesehen davon würde Donny sowieso nicht antworten.
Der BMW
glänzt im bleichen Licht wie ein verstaubter, gestrandeter Fisch. Cyndis Hinterkopf lehnt über der Tür an der Rückscheibe, sie hat das Licht angemacht und ist wieder mit ihrem Notizbuch beschäftigt. Vic hat sie vorhin gefragt, was sie da die ganze Zeit aufschreibt. Das geht dich ’nen Scheißdreck an, hat sie erwidert. Nun ja, Vic hat mit dieser Antwort gerechnet. Etwas anderes hätte ihn gewundert.
Er legt den Kopf in den Nacken, stößt einen dröhnenden Rülpser aus.
»Nicht schlecht«, kichert Donny.
Über ihnen ein Flattern. Ein Vogel landet in den Zweigen des Olivenbaums. Vic leert die Flasche, betrachtet das Tier auf dem schwankenden Ast, das schwarze, im Mondlicht glänzende Gefieder. Sieht aus wie ’ne große Krähe, denkt er. Die Viecher scheinen überall zu leben. Selbst hier, am Arsch der Welt.
Donny sieht auf die Uhr.
»Wird Zeit«, sagt er und steht auf. Verschränkt die Finger ineinander und lässt die Gelenke knacken. Er geht zum Auto, klatscht mit der Hand auf das Dach.
»Abmarsch, cara mia
!«
Der Vogel stößt einen heiseren Schrei aus, flattert davon.
»Keine Sorge.« Donny sieht grinsend zu Vic. Seine Zähne funkeln wie Elfenbein hinter der vernarbten Lippe. »Das wird ein Kinderspiel, du wirst sehen.«