Kapitel 7
Eve bestieg zeitig am nächsten Morgen ihren Mini Cooper, um ins Shoppingcenter zu fahren. Seit sie auf der Farm war, stand sie wortwörtlich mit den Hühnern auf und genoss es, den Tag ohne Hetze zu beginnen. Sie fühlte sich ausgeruht, motiviert und voller Energie, daran konnte auch der gestrige Abend nichts ändern, an dem sie mal wieder mit Bobby aneinandergeraten war.
Sie suchte gerade nach einem Kaugummi in ihrer Handtasche, als sie freudiges Hundegebell vernahm. Als sie aufblickte, sah sie Bobby, die die Hunde ins Freie ließ. Eve seufzte laut auf. Diese Frau war einfach überall. Nur gut, dass sie Beth und Matthew auf ihrer Seite hatte, das machte ihren Aufenthalt um einiges erträglicher. Archie lief am Wagen vorbei, kam zurück und tippte sich an sein Basecap.
»Doktor Dearing«, begrüßte er Eve. »Ich habe davon gehört, also dass Sie auf das Erbe verzichten. Finde ich ein starkes Stück von Ihnen, wirklich stark.«
»Gern geschehen«, antwortete Eve lächelnd, woraufhin Archie zufrieden nickte und das Weite suchte.
Immer noch lächelnd startete sie den Mini Cooper, als ihr Blick auf den von Bobby traf. Sofort erstarb der gut gelaunte Ausdruck auf ihrem Gesicht, auch, als Bobby zurückhaltend die Hand zum Gruß hob. Eve sah demonstrativ in eine andere Richtung und fuhr vom Hof. Was bildete sich diese dumme Kuh eigentlich ein? Dachte sie etwa, mit einem Gruß wäre alles vergeben und vergessen? Eve atmete durch. Ignoriere sie einfach, dachte sie. Lass dir nicht den Tag deswegen kaputtmachen! Sie würde nicht diejenige sein, die nachgab. Diesmal nicht! Da musste Roberta Hale schon mit mehr um die Ecke kommen, als nur einem morgendlichen Gruß.
Da es noch so früh am Tag war, fand Eve schnell einen Parkplatz vor der Mall und konnte sich ohne viel Gedränge umsehen. Sie war lange nicht ausgiebig shoppen gewesen, schon gar nicht alleine. Die meisten ihrer Sachen stammten aus der Boutique, in der Peyton arbeitete und da Eve keine ausgefallenen Wünsche hatte, wurde sie immer schnell fündig. Doch an diesem Tag wollte sie ihre Shoppingtour genießen und sich ein hübsches Kleid gönnen. Der Duft frischer Zimtschnecken stieg ihr in die Nase, doch sie ignorierte es. Plötzlich wurde Eve klar, dass sie, seit sie auf der Farm war, keine unkontrollierten oder nächtlichen Fressattacken gehabt hatte und sie ging abends nicht mehr mit dem Bewusstsein zu Bett, morgens alleine am Küchentisch zu sitzen. Beth hatte recht. Bird Creek war heilsam für Geist und Seele. Denn obwohl Bobby alles daran setzte, ihr das Leben schwer zu machen, fühlte Eve sich in Bird Creek wohl.
An einem Schaufenster, in dem Haushaltswaren präsentiert wurden, blieb Eve stehen. Ihr Augenmerk fiel auf eine hübsche geblümte Schürze und sie musste an Beth denken. Kurzerhand betrat sie den Laden und erstand die Schürze, die sie sich von der Verkäuferin in einer hübschen Schachtel einpacken ließ. Glücklich schlenderte sie weiter, kaufte sich ein Paar bunte Ohrstecker und ein passendes Armband, bis sie schließlich in einem Modegeschäft landete. Eve hatte immer bedauert, dass sie keine Modelmaße besaß, aber die Energie für eine Diät war gen Null. Sie hatte für Michael gehungert, hatte sich im Sportstudio abgekämpft und wofür? Damit er mit einer blondierten Tussi durchbrannte und Eve sitzen ließ. »Guck dir Heather an, dann weißt du, auf was für Frauen ich stehe. Schlanke Frauen, Eve, keine fetten Brummer!«, geisterten Michaels letzte Worte an sie durch ihr Hirn.
Sie schluckte kurz und ihr neugewonnenes Selbstbewusstsein geriet für einen Moment ins Wanken. Plötzlich kam alles wieder hoch. »Du bist eine Langweilerin, Eve!« Was wollte Matthew von ihr? Der gutaussehende Sonnyboy, mit dem frechen Lächeln. Das Date würde ein Desaster werden, er würde genauso weglaufen, wie Michael. Auch er würde sagen, dass sie eine Langweilerin war. Eine fette Kuh, die sich ständig bekleckerte und nichts zu erzählen hatte. Die kein Leben außerhalb ihrer Praxis besaß! Eve bekam plötzlich Panik. Warum hatte sie sich darauf eingelassen? Hatte sie nicht deshalb diesen Trip unternommen, um Männern aus dem Weg zu gehen? Um zur Ruhe zu kommen?
Bevor sie fluchtartig das Geschäft verlassen konnte, kam eine freundlich lächelnde Verkäuferin auf sie zu.
»Darf ich Ihnen helfen, Miss? «
Melanie, die Verkäuferin hatte ihr Handwerk verstanden. Nachdem sie Eve von allen Seiten begutachtet hatte, waren schnell passende Kleider gefunden. Nun hatte Eve die Qual der Wahl, den jedes Einzelne stand ihr hervorragend. Schließlich entschied sie sich für ein hellgelbes Sommerkleid, das über die Knie reichte, einen rechteckigen Ausschnitt und breite Träger besaß. Des Weiteren erstand sie ein Jeanskleid und zwei luftige Tunikas im Folklorestil. Ein Geschäft weiter kaufte sie sich passende Schuhe und einen neuen Lippenstift gönnte sie sich auch noch.
Jetzt war Eve wieder auf Bird Creek, beladen mit Tüten und einem Lächeln im Gesicht. Erstaunt registrierte sie, dass die Arbeiter - die ihr noch ein paar Tage zuvor mit Abneigung begegnet waren - sich an ihre Hüte tippten und ihr einen schönen Tag wünschten. Zum ersten Mal in ihrem Leben empfand Eve, dass sie etwas richtig gemacht hatte. Sie hatte nicht auf das Erbe verzichtet, weil sie gemocht werden wollte. Sie hatte es getan, weil es die einzig richtige Entscheidung war.
In ihrem Zimmer ließ sie die Einkäufe aufs Bett fallen und trat vor den Spiegel. Nein, sie war nicht langweilig. Und nein, sie war auch nicht fett. Ein paar Kilo zuviel, aber das schien Matthew nicht zu stören. Sie war eine schöne, kluge Frau und wollte endlich beginnen, ihr Leben zu genießen! Da es erst kurz vor Mittag war, beschloss sie, Beth unter die Arme zu greifen. Gut gelaunt, mit dem Geschenk unter dem Arm, spazierte Eve in die Küche, wo Beth mit rotem Kopf dabei war, Fleisch aufzuschneiden. Als sie die Tierärztin bemerkte, lächelte sie, dennoch fand Eve, dass sie müde aussah.
»Alles in Ordnung, Beth?«, fragte sie besorgt.
»Ja, ja. Ich habe heute etwas mit dem Kreislauf zu kämpfen, das ist alles«, entgegnete die Ältere abwinkend, Eve blieb dennoch skeptisch.
»Haben Sie das öfter?«
»Ach was, nein. Ich werde bald einundsechzig Jahre alt und mute mir manchmal einfach zu viel zu. Nach dem Mittag werde ich einfach für eine halbe Stunde die Beine hochlegen und dann geht es schon wieder«, lächelte Beth zuversichtlich und strich die verschwitzten Haare aus der Stirn.
Eve nahm ihre Aussage zur Kenntnis. Wahrscheinlich schlug ihr Medizinerinstinkt einfach nur falschen Alarm.
»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, sagte sie, Beth das Päckchen überreichend.
»Doktor Dearing ...« Verlegen nahm Beth das Geschenk entgegen.
»Es ist nichts Besonderes. Nur ein kleines Mitbringsel«, winkte Eve ab.
Gespannt entfernte Beth die Schleife und den Deckel und als sie die Schürze entdeckte, erhellte sich ihr Gesicht. Breit grinsend sah sie Eve an, schnappte sie Tierärztin und drückte sie fest an sich.
»Vielen Dank, meine Liebe. Wissen Sie eigentlich, wie lange es her ist, seit mir jemand ein Geschenk gemacht hat? Ich war seit Jahren nicht mehr in Owasso.«
»Dann sollten wir das schleunigst ändern.« Eve befreite sich aus der Umarmung, stellte jedoch fest, dass ihr die menschliche Berührung nichts mehr ausmachte. Sie fand es sogar schön, einen anderen Menschen so nah bei sich zu spüren.
Geschwind zog Beth ihre alte Schürze aus und die neue an. Dann drehte sie sich wie ein junges Mädchen.
»Passt wie angegossen. Ich mach das hier schnell fertig und dann möchte ich sehen, was Sie sich Hübsches gegönnt haben.«
Eve ging ihr zur Hand, schnitt Tomaten für den Salat und zauberte eine Vinaigrette aus den frischen Kräutern, die Beth in Töpfen auf der Fensterbank stehen hatte. Die Haushälterin nickte anerkennend, als sie davon probierte.
»Da werden die Männer aber Augen machen«, lachte sie. »Sofern Sie über einen Berufswechsel nachdenken sollte, ich stelle Sie sofort ein. Hätte ich eine helfende Hand, käme ich auch mal wieder raus. Aber so ... Wenn das Essen nicht pünktlich auf dem Tisch steht, gibt es eine Revolte.«
»Sie müssen aber auch an sich denken, Beth. Sie habe ihr halbes Leben Eddy geopfert und ihre Bedürfnisse hinten angestellt. Ein Wellnesstag, das würde Ihnen guttun.«
»Wellness? Das klingt verlockend. Ach na ja, es ist doch ein gutes Leben. Eddy hat so viel für mich getan und die Jungs sind irgendwie meine Familie. Ich habe nichts vermisst, Doktor Dearing. Natürlich hatte ich als junge Frau den Wunsch nach Kindern, aber dann kam Bobby und forderte meine ganze Aufmerksamkeit. Jetzt bin ich alt und wer weiß, wie lange ich mich noch um alles kümmern kann.«
Eve warf Beth einen Seitenblick zu. Hatte sie ihr Gespür doch nicht getäuscht und Beth war krank? Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was das für Bobby bedeuten würde, wenn sie auch ihre Ersatzmutter verlor. Sie fragte nicht weiter. Wenn Beth ihr etwas erzählen wollte, würde sie es tun. In ein paar Tagen war sie wieder in Chicago und Beth und die anderen würden sie wahrscheinlich schnell vergessen. Der Gedanke daran stimmte Eve traurig. Wie sollte sie zurück in ihr altes, einsames Leben? Jetzt, wo sie eine andere Seite kennengelernt hatte.
Nachdem die Arbeiter versorgt waren, führte Eve ihre neuen Kleider vor, die Beth anerkennend lobte. Auch wenn Eve noch gerne weiter geplaudert hätte, wies sie die Ältere an, sich endlich auszuruhen.
»Aber nur ein paar Minuten«, sagte Beth. »Die Küche muss wieder aufgeräumt werden.«
»Ist schon so gut wie erledigt. Sie machen jetzt die Augen zu!« Eve scheuchte Beth ins Wohnzimmer, wo sich diese auf einen Sessel setzte und die Augen schloss. Eve legte ihr noch eine Decke um die Beine und stellte fest, dass die Haushälterin bereits eingeschlafen war.
Sah denn hier niemand, dass die Arbeit für Beth alleine zu viel war? Eve nahm sich vor, mit Bobby darüber zu reden, auch wenn sich ihr bei dem Gedanken daran, der Magen umdrehte. Seufzend erledigte Eve den Abwasch und schüttelte währenddessen ärgerlich den Kopf. Nicht mal eine Spülmaschine gab es in diesem Haushalt. Bei allem Respekt, den sie Eddy gegenüber empfand, in dieser Hinsicht verstand sie ihn nicht. Wie hatte er erwarten können, dass eine einzelne Frau den ganzen Laden hier schmiss? Durchs Fenster sah sie Bobby auf den Hof fahren. Jetzt war die Gelegenheit, ungestört mit diesem störrischen Weib zu sprechen. Eve konnte nur hoffen, dass sich Bobby nur dieses eine Mal wie eine Erwachsene verhielt.
»Wo ist Beth?«, wollte Bobby wissen, als sie in die Küche gepoltert kam. Eve fragte sich zum wiederholten Male, wie es so eine zierliche Person schaffte, Krach wie zehn Männer zu veranstalten.
»Sie ruht sich aus«, antwortete Eve, sich die Hände an einem Geschirrtuch abtrocknend.
Bobby hob erstaunt die Brauen.
»Das hat sie doch noch nie gemacht. Wie sieht es denn mit Essen aus?«
»Im Kühlschrank steht ein vorbereiteter Teller, den können Sie in der Mikrowelle aufwärmen. Sie haben doch zwei gesunde Hände, oder? Ich denke, das bekommen Sie auch ohne Beth ganz gut hin«, konterte Eve und wischte ungerührt die Arbeitsplatte ab. Soweit kam es noch, dass sie diese Frau bediente.
Ohne Widerrede nahm Bobby den Teller und stellte ihn in die Mikrowelle.
»Ist Beth krank?«, fragte sie und Eve hörte ehrliche Besorgnis aus ihrer Stimme heraus.
»Mir gefällt sie nicht«, antwortete Eve. »Sie war blass und hatte wohl Kreislaufprobleme. Da Sie das Thema schon ansprechen, Miss Hale, meiner Meinung nach, muten Sie Beth zu viel zu. Sie ist nicht mehr die Jüngste und kümmert sich um den gesamten Haushalt und die Versorgung der Männer. Es gibt nicht einmal eine Spülmaschine, um ihr die Arbeit zu erleichtern. Haben Sie oder Eddy jemals daran gedacht, noch eine Vertretung einzustellen? Was ist, wenn Beth wirklich ernsthaft krank wird?«
Bobby starrte Eve an, als spräche sie eine andere Sprache.
»Wieso sollte Beth krank werden? Sie war noch nie krank und hat auch nie gesagt, dass es ihr zu viel wird.«
»Und Sie sind nicht einmal von alleine auf den Trichter gekommen, dass Beth nicht jünger wird?« Eve schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und wurde vom Ping der Mikrowelle unterbrochen. »Sollte es Beth nicht besser gehen, werde ich persönlich mit ihr zum Arzt fahren, damit sie sich durchchecken lassen kann«, redete sie weiter, als Bobby ihren Teller nahm und sich an den Tisch setzte.
»Das ist nicht Ihre Angelegenheit«, protestierte Bobby. »Beth ist durchaus in der Lage, alleine zum Arzt zu fahren oder wenn sie Hilfe braucht, bekommt sie welche von mir.«
»Dann reden Sie mit ihr, bevor es zu spät ist«, sagte Eve mit Nachdruck. »Sie müssen mich nicht in allem bekämpfen, was ich mache oder sage, Miss Hale. Ich will Ihnen nichts Böses, das werden Sie wohl mittlerweile gemerkt haben.«
»Ich werde mit Beth reden, aber versprechen kann ich nichts«, antwortete Bobby und Eve nickte. Mehr konnte sie wohl für den Moment nicht erwarten .
Bis zum Abend hin hatte sich Beth etwas erholt, sodass sich Eve guten Gewissens auf das Date mit Matthew vorbereitete. Sie hatte eine Nachricht von Peyton bekommen, las sie aber nicht. Von Peyton kam selten etwas Positives und Eve wollte sich den Abend nicht verderben lassen. Nicht heute! Sie brauchte einfach ein paar Stunden lang eine Verschnaufpause von all der negativen Energie. Bobby und Peyton taten sich in diesem Punkt nicht viel.
Pünktlich stand Matthew vor der Türe, um sie abzuholen. Eve hatte ihr blondes Haar offengelassen, sodass es in weichen Wellen über ihre Schultern floss. Für Make-up hatte sie nie sonderlich viel übrig gehabt, daher beschränkte sie sich auch an diesem Abend auf ein wenig Rouge, Wimperntusche und einen Lipgloss. Matthew pfiff anerkennend, als Eve auf den Hof trat und sie senkte geschmeichelt den Blick. Dieses Verhalten war neu für sie. Normalerweise nahmen Männer kaum oder gar keine Notiz von ihr weswegen sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte.
»Sie sehen toll aus.« Matthew reichte ihr den Arm und führte sie galant zu seinem Wagen.
»Danke, Sie auch«, antwortete Eve schüchtern lächelnd.
Während der Fahrt zum Restaurant zeigte sich Eve ziemlich mundfaul. Ihr wollte einfach kein passendes Thema für einen Small Talk einfallen. Ihr altes Problem. Sich zwanglos mit Männern unterhalten, fiel ihr schon immer schwer, besonders wenn es um ein Date ging. Sie zerbrach sich den Kopf, welche Erwartungen Matthew an den Abend hatte. War es nur ein Essen unter Kollegen? Würde er versuchen, sie am Ende des Abends zu küssen? Dachte er etwa, es könnte mehr daraus werden? Würde sie nein sagen, wenn er mehr wollte?
»Ich auch«, sagte sie plötzlich, weil sie mit halben Ohr hörte, dass Matthew etwas erzählt hatte.
Matthew schmunzelte.
»Sie haben keine Ahnung, was ich eben gesagt habe, oder?«
»Entschuldigung.« Eve wurde puterrot. »Ich war in Gedanken.«
»Ich wollte eigentlich nur wissen, ob sie italienisches Essen mögen?«
»Oh ja, natürlich. Wer mag denn kein italienisches Essen? Ich komme aus Chicago.«
»Ist an dem Gerücht eigentlich etwas Wahres dran, dass die Pizza in Chicago besser schmeckt?«
»Die beste Pizza der Welt!«, antwortete Eve im Brustton der Überzeugung. »Wenn Sie mal nach Chicago kommen, dürfen Sie sich das nicht entgehen lassen.«
»Ist das eine Einladung?«, fragte Matthew verschmitzt.
»Würden Sie denn annehmen?«
»Klar! Ich möchte Sie doch unbedingt mal bei der Arbeit mit fetten Perserkatzen sehen.«
Eve lachte und die anfängliche Nervosität fiel von ihr ab. Matthew schaffte es, für eine lockere Atmosphäre zu sorgen, und sie konnte sich entspannen. Sie schob ihre Fragen beiseite, denn Eve war sich ziemlich sicher, dass es nur ein Essen unter Kollegen war. Sie fühlte sich zwar in seiner Gegenwart ausgesprochen wohl, aber mehr war da nicht. Zumindest nicht von ihrer Seite. Außerdem, was sollte es auch bringen? In zwei Tagen fuhr sie wieder nach Hause und für einen One Night Stand war sie nicht zu haben.
Das Restaurant war etwas altbacken, aber sauber und gemütlich. Ein Kellner begrüßte Matt freundlich, musterte Eve neugierig und führte sie dann zu einem Tisch.
»Ein neues Gesicht in unseren beschiedenen Hallen«, sagte ein anderer Kellner, der an den Tisch trat. »Guten Abend, Doktor Matt. Wer ist dieses zauberhafte Wesen?«
»Das ist Doktor Dearing aus Chicago, eine Kollegin. Versuch gar nicht erst, sie mit deinem sizilianischen Charme einzuwickeln, Gino, Doktor Dearing ist nur zu Besuch hier.«
»Benvenuto, Dottoressa. Sie sind also aus Chicago? Nun, dann hoffe ich, unsere Pizza wird Sie ebenso begeistern.«
»Keine Sorge, ich bin eher ein Pastafan«, gab Eve lachend zurück.
Matthew bestellte eine Flasche Rotwein und als Gino verschwand, schmunzelte Eve.
»Sie sind hier wohl Stammgast?«, fragte sie.
»Wir haben nicht so viel Auswahl. Kleinstadt eben.« Er zuckte grinsend mit den Schultern. »Sie müssen nicht denken, dass ich jede Frau mit herbringe. Ich meine, ich gehe sowieso nicht viel aus. Und Frauen, pff ... Also wenn Sie wissen wollen, ob ich viele Dates habe, ...«
»Eigentlich fragte ich nur, ob Sie hier Stammgast sind.« Eve lachte herzhaft. »Aber wenn Sie etwas beichten möchten, nur zu, ich bin eine gute Zuhörerin.«
Matthew räusperte sich und versteckte sein Grinsen hinter der Speisekarte.
Vergnügt gaben sie ihre Bestellung bei Gino auf, der den Wein brachte und die Gläser befüllte. Eve und Matthew unterhielten sich ungezwungen, bis er plötzlich ein heikles Thema ansprach.
»Und ihre Schwester ist auch damit einverstanden, auf das Erbe zu verzichten?«
»Das wird sie. Peyton braucht immer ein bisschen länger, aber was soll sie machen? Wenn ich auf das Erbe verzichte, ist sie auch raus.«
»Ich nehme Ihnen ungern die Zuversicht, Doktor Eve, aber ganz so einfach ist das nicht. Ich bin zwar kein Anwalt, aber selbst wenn Sie auf das Erbe verzichten, ist Ihre Schwester immer noch Erbin und das würde bedeuten, sie erbt auch Ihren Teil.«
Eve erstarrte. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Würde Peyton soweit gehen? Warum hatte sie nicht die Nachricht ihrer Schwester gelesen, dann wüsste sie jetzt, wie die Dinge standen.
»Ich werde sie morgen anrufen und das klären. Ich glaube nicht, dass ... Nein, das würde sie nicht tun. Peyton ist zuweilen etwas impulsiv und störrisch, aber sie wird auf mich hören. Ganz sicher.« Wen wollte sie überzeugen ?
»Lassen Sie uns über etwas anderes reden«, schlug Matthew vor. »Zum Beispiel darüber, dass wir uns duzen sollten. Was meinen Sie?« Er hob sein Glas.
»Absolut«, stimmte Eve zu, erhob ebenfalls ihr Glas und stieß mit Matt an.
»Okay, dann eine persönliche Frage. Wann ist dein Geburtstag?«
»Der 19. Juli«, antwortete Eve artig, so als hätte der Lehrer sie an die Tafel gebeten.
»Das ist ja übermorgen«, rief Matt, und Eve stutzte. Das passierte doch auch nur ihr, dass sie ihren eigenen Geburtstag vergaß und noch dazu ihren Dreißigsten.
Vielleicht hatte Peyton nur deswegen angerufen? Um sie zu fragen, was sie an ihrem Geburtstag geplant hatte. Ja, so war es ganz bestimmt.
»Das müssen wir feiern. Warum hast du denn nichts gesagt?«
»Weil ich es total vergessen habe. Ist auch nicht so wichtig, ich werde nur ein Jahr älter. Zuhause hätte ich auch keinen Wirbel darum gemacht.«
»Na, aber wir machen Wirbel darum. Keine Widerrede, wir schmeißen eine Party!«
Es wäre die erste Geburtstagsparty seit langem für sie. Normalerweise ging sie mit Peyton und Lynn essen oder lud die beiden zu sich ein und kochte etwas Leckeres. Im letzten Jahr war sie mit Michael in eine Pension gefahren, doch sie hatte sich zu Tode gelangweilt. Im Nachhinein betrachtet, hätte sie damals schon wissen müssen, dass die Beziehung zum Scheitern verurteilt war. Mit ihm hatte sie auch nie sonderlich viele Gesprächsthemen, das sah bei Matt schon anders aus. Eve kam kaum dazu, ihre Pasta zu genießen, so viel plauderten und lachten sie. Sie war froh, dass die anderen Gäste in einigem Abstand zu ihnen saßen, denn sonst wäre ihnen wahrscheinlich der Appetit vergangen, angesichts der Themen, die die beiden Tierärzte diskutierten. Nicht jeder konnte ein köstliches Essen genießen und sich dabei über eine Magendrehung bei Hunden unterhalten.
Am Ende des Abends brachte Matt sie wieder nach Bird Creek. Eve fühlte sich wie in einem der Kitschfilme, die sie so liebte. Sie standen nah beieinander vor der Haustüre. Umständlich reichte Eve Matt die Hand zum Abschied, er wirkte allerdings, als hätte er etwas ganz anderes im Sinn. Als er ihre Hand ergriff, zog er sie an sich heran, sah ihr in die Augen und hielt sie in seinen Armen.
»Ich fand es wirklich schön mit dir«, sagte er leise.
»Ich auch«, erwiderte sie und versuchte, etwas Abstand zu ihm zu schaffen.
Matts Gesicht kam näher, gefährlich nah! Eve riss erschrocken die Augen auf. Er wollte doch nicht etwa ...? Doch, er wollte. Bevor sie den Kopf zur Seite drehen konnte, hatten seine Lippen die ihren schon gefunden und schienen ein Eigenleben zu entwickeln. Eve blieb starr, bis sie sich besann und ihre Arme um Matt legte. Vielleicht sollte sie es einfach zulassen? Sich fallenlassen und es genießen? Sie wartete auf ein Zeichen ihres Körpers. Herzklopfen, den Wunsch, ein Bein nach hinten abzuwinkeln, wie das die Frauen in den alten Filmen immer taten. Nichts dergleichen. Keine Schmetterlinge, keine Geigen und auch kein jubelnder fetter Amor, der sie mit dem Pfeil getroffen hatte. Eve hatte die Hoffnung gehegt, es würde bei Matt anders sein. Er war ein toller Kerl und sie fühlte sich wohl mit ihm. Aber es war genauso wie immer. Dieser Kuss löste rein gar nichts in ihr aus, es war nicht unangenehm, aber auch nicht prickelnd.
»Danke«, flüsterte sie, als er sich von ihr löste.
»Danke?« Er lachte leise. »Sehen wir uns morgen?«
»Oh, ja, ich meine, ich weiß es nicht. Ich wollte Beth etwas zur Hand gehen. Lassen wir es doch einfach auf uns zukommen, okay?«
Matthew nickte, drückte ihr noch einen Kuss auf die Wange und ging dann zu seinem Wagen. Bevor er einstieg, drehte er sich noch einmal zu ihr um und lächelte. Eve winkte und verschwand im Haus, wo sie sich einen Moment sammeln musste. Genau diesen Schlamassel hatte sie nicht gebraucht!
Am nächsten Morgen wollte Beth natürlich alles haarklein wissen und fühlte Eve auf den Zahn. Eve fütterte sie mit Informationen, verschwieg aber den Kuss. Sie wollte nicht, dass Beth sich Hoffnungen machte, denn aus irgendeinem Grund schien die Haushälterin es darauf abgesehen zu haben, dass schon bald die Hochzeitsglocken läuteten.
»Wie kann ich Ihnen heute helfen?«, wechselte Eve das Thema.
»Indem Sie aus meiner Küche verschwinden und sich einen schönen Tag machen«, antwortet Beth mit einem Augenzwinkern. »Es geht mir gut, Doktor, wirklich. Ich finde es lieb, dass Sie sich Sorgen machen, aber dazu besteht keine Notwendigkeit.«
»Aber ...«, setzte Eve an, wurde jedoch von Beth unterbrochen.
»Ich werde nicht zulassen, dass Sie ihren Tag mit einer alten Schachtel in der Küche verbringen.«
Lachend scheuchte sie Eve aus dem Haus, verfrachtete sie auf einen Gartenstuhl und brachte ihr eine Tasse Kaffee. Eve ließ ihren Blick über den Gemüsegarten schweifen und lauschte dem Gesang der Vögel. Es war eine heile Welt, in der sie gerne bleiben würde. Dennoch musste sie jetzt etwas tun, wovor sie sich gestern Abend gedrückt hatte: Peytons Nachricht lesen. Eve nahm das Telefon zur Hand und ihr Blick gefror, als sie die Worte ihrer Schwester vor Augen hatte.
»Du lässt mir keine andere Wahl, als einen Anwalt einzuschalten. Ich habe mich bereits erkundigt und die Sachlage ist die, dass ich alles erbe, sofern du darauf verzichtest. Und glaub mir, Eve, ich werde das durchziehen. Du bist scheinbar nicht in der Lage, dich durchzusetzen, also muss ich es tun. Du kannst deine neuen Freunde schon mal darauf vorbereiten, dass bald Zahltag ist. Wie sie das anstellen, ist mir völlig egal.«
»Peyton«, zischte Eve. »Warum tust du das?« Sie drückte die Nummer ihrer Schwester, doch es meldete sich nur die Voicebox. »Ruf mich zurück«, brüllte sie auf den Anrufbeantworter. »Egal was du vorhast, lass es bleiben, Peyton. Ich warne dich! «
Vorbei war die Friedfertigkeit, mit der der Tag gestartet war. Zitternd vor Wut setzte Eve die Tasse an ihre Lippen, doch der Kaffee schmeckte wie abgestandenes Spülwasser. So weit war es also schon gekommen. Peyton hatte ihr die Lust auf Kaffee versaut. Ärgerlich erhob sie sich, stapfte über den Hof und lief Matt in die Arme.
»Hey«, begrüßte er sie und runzelte die Stirn. »Was ist los? Bobby?«
»Nein, Bobby kann ausnahmsweise nichts dafür. Meine Schwester ...« Eve kämpfte plötzlich mit den Tränen. »Es ist genau das eingetreten, wovon du gestern Abend sprachst. Sie will das alleinige Erbrecht. Oh Matthew, was mach ich denn jetzt bloß?« Sie sank an seine Brust, froh darüber, dass sie nicht alleine war.
»Es wird alles gut«, sagte er, ihren Rücken streichelnd.
»Wie denn? Bird Creek wird verkauft werden müssen, damit Peyton ihren Anteil erhält. Warum dachte ich bloß, ich könne sie dazu überreden? Sie ist ein egoistischer Mensch, aber ich bin ihre Schwester, verdammt noch mal.«
»Dann mach deine Entscheidung rückgängig. Noch hast du nichts unterschrieben, es gehört zur Hälfte also auch noch dir. Solange das so ist, hast du Mitspracherecht.«
»Das würde bedeuten, dass ich gelogen habe«, seufzte Eve. »Bobby, Beth, Archie - sie alle verlassen sich jetzt darauf, dass sie die Ranch behalten können, doch wenn Peyton gewinnt, verlieren sie alles. «
»Noch hat sie nicht gewonnen«, antwortete Matt zuversichtlich. »Komm, wir sehen nach Tina. Und einen Pferdehuf muss ich auch noch behandeln, dabei kannst du mir helfen. Das lenkt dich ab.«
Niedergeschlagen folgte Eve ihm in den Stall. Tina sah sehr zufrieden aus, ihrem Kalb ging es blendend.
»Schade, dass ich die Geburt nicht mehr erlebe«, sagte Eve traurig. »Immerhin habe ich es schon mit der Hand berührt.«
»Dann komm zurück, sobald das Problem mit deiner Schwester geklärt ist.« Matt nahm sie wieder in den Arm. »Eve, ich mag dich sehr und ich würde es gerne mit dir versuchen. Du könntest dir meine Praxis so einrichten, wie du es möchtest und weiterhin praktizieren. Wenn sich erst einmal herumgesprochen hat, welch grandiose Ärztin du bist, lassen die Leute vielleicht in Zukunft auch ihre Hunde und Katzen untersuchen.«
Eve war wie vor den Kopf geschlagen. Es war genau das eingetreten, was sie vermeiden wollte. Matthew verliebte sich in sie und sie erwiderte diese Gefühle nicht. Konnte sie es lernen? Reichte es nicht, dass sie sich prächtig verstanden und harmonierten? War es denn so wichtig, dass man vor Liebe verging und sich kein Leben mehr ohne den anderen vorstellen konnte? Sie waren Freunde und Eve fühlte sich in Matts Gegenwart geborgen und genoss jede Minute mit ihm. War denn nicht Freundschaft und Vertrauen die Basis einer jeder guten Beziehung? Sie wusste es nicht, denn sie war nie wirklich verliebt gewesen. Dieses Gefühl kannte Eve nur aus den Liebesfilmen, die sie so gerne schaute.
»Matthew, ...« Was sollte sie sagen?
»Denk einfach darüber nach, okay? Mir ist klar, dass es nicht von jetzt auf gleich entschieden werden kann. Ich denke, wir wären ein tolles Team.«
Eve nickte. Ja, sie würde darüber nachdenken. Es gab jetzt noch einen Grund mehr, Chicago den Rücken zu kehren. Ihr war nur noch Lynn geblieben. Sie sah zu Matt auf. Ein weiterer Versuch konnte nicht schaden. Eventuell war sie am Abend zuvor einfach nur zu verkrampft gewesen. Jetzt oder nie! Eve umfasste mit einer Hand seinen Kopf, zog ihn zu sich und küsste ihn. Sie merkte, wie sehr ihn ihre Initiative freute. Stürmisch ließ er seine Zunge zwischen ihre Lippen gleiten und drückte sie so fest an sich, dass ihr beinahe schwindelig wurde. Eve schloss die Augen, versuchte, seine Leidenschaft zu genießen. Sich vollends darauf einzulassen. Sie ließ es zu, dass Matt seine Hände über ihren Rücken bis zu ihrem Po wandern ließ, spürte seine Erregung an ihrem Bein und stellte sich vor, wie er wohl nackt aussah. Plötzlich sah sie einen Schmetterling. War es das, worauf sie gewartet hatte? War doch noch nicht alle Hoffnung verloren, dass sie sich in ihn verlieben konnte? Doch dieser Schmetterling war nicht das Zeichen bevorstehender, bedingungsloser Liebe. Es war der kleine blaue Schmetterling, den Bobby auf ihrem Arm tätowiert hatte. Eve löste sich abrupt von Matthew und starrte ihn entgeistert an .
»Oh mein Gott«, murmelte sie, sich die Hand vor den Mund schlagend. »Matt, es tut mir leid, ich ... Oh mein Gott.«
»Was ist denn los? Ist dir schlecht?«, fragte Matthew besorgt.
»In gewisser Weise schon. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich muss ... ich brauche jetzt nur Zeit für mich. Ich erkläre es dir später.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ fluchtartig den Stall.